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Gemeinderatsmitgliedes, zusammensinken. Aber er fühlte sich dabei ganz:unheteiligt; ob die Kirche stand oder zusammenstürzte, ob die Menschen starben, ob sie frischen, unermüdlichen Lebens voll spielten und jauchzten, das ging ihn alles nichts an.

Er stand inmitten des Ganzen als ein anonymer Mensch, der mit allem fertig war, ohne irgendwie müde zu sein. Das Leben hatte ihn in der Gemeinde, in der er geboren war, ans Land gespült, und da war er geblieben, nicht als ein Wrack, sondern als ein nützlicher Gegenstand, der zu allem möglichen brauchbar war und daher zu nichts Bestimmtem benutzt wurde. Er hatte keine Stellung, kaum einen Namen, jedenfalls kannten den nur wenige, und niemand nahm ihn in den Mund: alle nannten ihn nur den Kandidaten. Er war 42 Jahre alt, aber frisch und beweglich wie ein Zwanzigjähriger, gleich geeignet zu körperlicher wie zu geistiger Arbeit, und in der glücklichen Lage, zu keiner von beiden gezwungen zu sein.

Sein Auge maß den Glockenturm, der einstmals das Höchste gewesen war, was er kannte. Seither hatte er Dinge gesehen, die kühner emporstrebten, aber dieser alte sonnenbeschienene Glockenturm hatte etwas Erwärmendes, Beruhigendes. Er hatte nichts innerhalb der Kirchenmauern zu schaffen, stand mit Freuden außerhalb, aber eine Sympathie, die er unausrottbar in seinem Herzen bewahrte, sänftigte das Lächeln, mit dem er das sich senkende Haus auf dem Kirchhofe betrachtete, das einst Ausdruck des geistigen Lebens und himmlischen Strebens der Gemeinde gewesen war und jetzt kaum mehr als ein Mal zu seinem Gedächtnis.

Das geistige Leben der Gemeinde hatte die Kirche verlassen, war auf den krummen Wegen der Politik in den Reichstag gelangt, hatte Zerstreuung in Versammlungshäusern gefunden, hatte ein bißchen Kunst angegähnt und das Haupt gläubig vor der Wissenschaft entblößt. Ihr himmlisches Verlangen war mit den Toten auf dem Kirchhofe begraben. Die Religion war ein Maulwurf, der nur

bemerkt wurde, sobald sich auf dem Kirchhof ein neuer Hügel zwischen den alten erhob. Der Kirche gehörten die Leichen, die Herzen der Lebenden dem „,Fortschritt“.

Freilich kamen sie in die Kirche, aber zur Unterhaltung, nicht zum Gottesdienst. Der Pastor war ein Talent; er war ein Redner, der fesseln konnte. Wenn sie aber nach Hause gingen, waren sie angeregt, wie nach einer Theatervorstellung oder nach einem stimmungsvollen Vortrag. Die Phantasie war in Schwingungen versetzt, aber religiöses Leben regte sich nicht in ihnen.

Waren sie ihrer Religion entwachsen? Konnte der Fall der Kirche nur verzögert, nicht verhindert werden? War das religiöse Gefühl im Begriff, heimatlos zu werden, vielleicht im Begriff, völlig zu verschwinden? Waren das Dünnbier des Grundtvigianismus und die bittre Missionshefe Zeichen dafür, daß der Stoff in der Tonne zur Neige ging?

Er wandte sich nach dem Spielplatz um, auf dem die künftige Gemeinde, unbekümmert um Vergangenheit und Zukunft, Kirche und Reichstag, Schule und Universität, sich, den Augenblick genießend, im Spiel tummelte. Welche Bedeutung würde die alte Kirche wohl für diese erhalten von dem Tage an, wo sie konfirmiert aus der Kirchentür heraustraten, bis sie hier in die Erde gebettet wurden? Wenn das religiöse Gefühl im Begriff war zu verschwinden, was würde dann aus dieser Generation, von der man weder sagen konnte, daß sie es besaß, noch daß sie es verloren hatte? Welche dämmernden Schicksale versuchten sich in dem Lärm dort drüben zu erkennen zu geben?

Sein Blick glitt über den Spielplatz hin und überließ es dem Zufall, welche Einzelheiten sich zuerst dem Bewußtsein aufdrängen würden.

Die flinke Martine mit den klugen, wachsamen, nicht allzu tiefen Augen kam Arm in Arm mit der schönen, stillen Tine daher, deren Augenlider mit den langen schwarzen Wimpern einen Traum halb verhüllten, den sie selbst im Begriff war, der eifrig lauschenden Martine zu offenbaren. Martine hatte für alles ein wachsames Auge, verstand sich

stets rasch zurechtzufinden, alles einzuordnen und an seinen Platz zu stellen, selbst das, was sie nicht verstand. Sie liebte Tine, wie unschwer zu erkennen war, gerade weil sie unbeschreiblich von allen anderen verschieden war, ohne im geringsten wunderlich zu sein. Tine reizte Martinens Phantasie. Der Kandidat hatte eine eigne Fähigkeit, Leute anzusehen und in sie einzudringen, ohne eigentlich zu denken, nur zu sehen und einzudringen, bis er ihr Wesen in sich fühlte. Er hätte sich gut als Wahrsager auftun und über die Zukunft der beiden Mädchen Dinge voraussagen können, die Aussicht hatten einzutreffen.

Ein herrschaftlicher Wagen kam vorüber. Das silberbeschlagene Geschirr klirrte, die Räder rollten auf ihren Gummireifen lautlos wie auf Luft. Die im Wagen sitzenden netten, adretten Herren und Damen unterhielten sich leise, lächelten sich an und hatten nichts weiter zu tun; es war, als führe der Pfingsttag in eigener Person vorüber.

Tine blieb stehen und ließ Martinens Arm los; die Augen mit den langen schwarzen Wimpern öffneten sich, wurden größer und größer, verfolgten den Wagen, als seien sie in Sehnsucht an ihn gefesselt. Martine ließ Wagen Wagen sein, betrachtete nur neugierig Tine, während die Gedanken in ihren Augen spielten wie Fische im Wasser.

Von der Kirchhofsmauer klang ein Geräusch herüber. Es war Holger, der sich mit dem Rücken daran lehnte.

Der Kandidat vergaß die beiden Mädchen, beobachtete den Jungen und machte sich seine Gedanken: „Ein wunderlicher Bursche, der immer den Blick auf sich zieht und festhält, Gott mag wissen, weshalb. Es ist etwas Inkommensurables an ihm, etwas herzlich Beruhigendes und zugleich tief Beunruhigendes, er ist zu gleicher Zeit zu groß und zu klein, zu altklug und zu kindlich naiv. Was soll er mit der mächtigen Stirn anfangen, wenn die große, gesegnete Dummheit schwer auf seinen Wangen ruht wie eine widerkäuende Kuh auf einer Wiese? Wie ist dieser gefühlvolle Mund in Einklang zu bringen mit der barbarischen Kraft des Kinns und den schmalen fanatischen Lippen? Seine Augen sind

klar, und doch ist's, als sähe man in Moorwasser hinein; man hofft nicht, bis auf den Boden vorzudringen, das Grundwasser selber steht in ihnen, als sei da keine Scheidewand zwischen Unterbewußtem und Bewußtem. Was für eine Sonne ist das, die sie jetzt leuchtend blau macht?“

Der Junge neigte den Kopf mit einem wundervollen Ausdruck ländlicher Sanftmut. Der Mund wurde so weich wie bei Kindern, die noch keine Zähne haben, aber gleichzeitig wurde er erwachsen zärtlich wie der einer Mutter und tief anbetend wie der eines Jünglings. Ein Lächeln der Hingebung leuchtete über sein ganzes Gesicht, ein Lächeln, wie man es bei Bauern sehen kann, wenn sie bemerken, daß eine fruchtbare, ergiebige, wohlbestellte Gegend zugleich schön ist, und sie herzlich bewegt ihren Gefühlen für das Kalon kai Agathon in dem leisen Ausruf Luft machen: ,,Hier ist es schön!" Das Wort,,schön“ umfaßt dann alle Güte und Freude des Lebens.

Der Kandidat verfolgte Holgers Blick und entdeckte Schreiners kleine Hansine mit den Grübchen, den Vergiẞmeinnichtaugen und hellblonden Flechten, Schreiners kleine Hansine, die immer so aussah, als wäre Sonntag. Sie stand in einer Gruppe von Mädchen, ihre Grübchen waren voller Sonne, die einen Sonntagsschimmer auf die Gesichter der anderen Kinder warf. Der Kandidat dachte:,,Solange es auf Erden Kinder wie Schreiners kleine Hansine gibt, werden die Menschen glauben, daß es Engel im Himmel gibt. Aber woher mag das kommen, daß der große Bengel, der hier an der Mauer steht, der einzige ist, der das in vollem Maße fühlt und weiß, daß er eine Offenbarung sieht?"

Der Kandidat wandte sich wieder nach Holger um und wollte eben in ihn einzudringen versuchen, als der große Körper des Jungen plötzlich zusammenzuckte; das kam daher, daß ein Schrei von der Mitte des Spielplatzes her ertönte. Der kleine Hans Olsen, das rundliche und freundliche Hinterteil dem Kirchhof zugekehrt, hatte dort auf der Erde gespielt. Er hatte die unschuldigsten Waden von der Welt; das weiße Haar lockte sich vor lauter Vergnügen an

den Schläfen. Ein großes Spiel war eben fertig geworden. Er besaß ein Feld, pflügte, säte und arbeitete. Er,,kaufte" noch eins dazu und noch eins, schließlich hatte er einen Hof, den er fleißig bestellte. Er richtete sich auf und sah, daß alles, was er gemacht hatte, sehr gut war. Er war froh, er hörte die anderen rufen und wußte, daß sie auch froh waren. In seine eigene Freude und die der anderen versunken, stand er da, und das war allzu verlockend für einen der Großen der obersten Klasse, der ihm einen Fußtritt in das freundliche Hinterteil versetzte. Der ganze kleine Mann flog quer über den wohlbestellten Hof und landete weitab von allem, was gut war, mit der Nase auf einem Stein.

Groß und schwer wie ein Elefant, dem alle auswichen, eilte Holger über den Spielplatz, hob den kleinen Kerl auf, trug ihn an den Teich, wusch ihm das Gesicht, wischte ihm mit seinem Taschentuch das Blut und den Sand weg und trug ihn an die Kirchhofsmauer hinauf; an diese gelehnt, konnte er sich in der Sonne erholen.

Als er ihm das Taschentuch wiedergeben wollte, sah er, daß es voll Blut war. Er blieb stehen und starrte es an.

Der Kandidat betrachtete ihn aufmerksam. Er fühlte, daß Holger im Begriff war, aus einer Welt in eine andere überzugehen. Sein Gesicht hatte die zärtliche Sorgsamkeit eines Vaters oder eines großen guten Bruders gespiegelt; jetzt schwand dieser Ausdruck langsam und machte einem verwunderten Starren Platz. Einer von den Großen hatte einen von den Kleinen geschlagen! Der ganze Holger war nichts weiter als eine einzige kolossale fragende Dummheit. Er begriff nichts, aber ein Gefühl begann sich aus der Tiefe in ihm emporzuarbeiten. In die Augen kam etwas Schweres, Trübes, das alles mögliche ankündigen konnte; die schmalen Lippen zogen sich zu einem dünnen Strich zusammen; das Trübe verschwand aus den Augen, aber damit auch das Menschliche; sie glichen den Augen eines wilden Tieres.

Das Taschentuch fiel neben Hans Olsen auf die Erde.

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