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Holger wandte sich um und trat langsam mit gesenktem Kopf und suchenden Blicken unter die Jungen. Er hatte nicht gesehen, wer den Fußtritt versetzt hatte, brauchte aber nicht lange darüber im Zweifel zu sein. Rings um den Missetäter entstand ein leerer Raum. Die anderen Jungen, die wußten, was es zu bedeuten hatte, wenn Holger so starrte, machten Platz. Der dem kleinen Kerl den Fußtritt versetzt hatte, stand starr vor Schreck; er wußte, daß es vielleicht um sein Leben oder um seine Gesundheit ging; Holger kannte kein Maß und Ziel, wenn ihn die Berserkerwut packte, und Widerstand zu leisten, war das Schlimmste, woran man denken konnte.

Holger sah ihm eine bange Sekunde lang in die Augen, dann schlug er ihm mit der geballten Faust ins Gesicht. Der Junge stürzte lautlos zusammen. Holger warf sich über ihn, hob ihn in die Höhe und schleuderte ihn wieder zu Boden. Die andern glaubten, die Zähne im Munde rasseln zu hören, als der Nacken gegen den Erdboden schlug. Der Junge lag da wie eine Leiche. Aber niemand wagte einzuschreiten. Der Kandidat sprang über die Kirchhofsmauer. Schon hatte Holger den Jungen wieder emporgehoben, als er ein „Nein“ hörte und einen warmen Hauch sein Gesicht streifen fühlte.

Es war Schreiners kleine Hansine, die herbeigelaufen war und nun dastand und ihn ansah.

,,Genug,“ sagte sie,,,jetzt ist es genug!"

Holger starrte in den blauen Vergißmeinnichtblick, während er den Jungen behutsam auf die Erde legte. Er selbst blieb auf den Knien liegen und sah ihr in die Augen.

Der Kandidat ging schweigend auf die Schule zu.

Holger lag noch immer auf den Knien und sah Hansine an. Er sah nur; er war noch nicht so weit gelangt, daß er dachte; es war noch kein Platz zu etwas anderm als zum Sehen.

,,Hilf ihm," sagte sie und ging.

Da bekam Holger seinen Verstand wieder. Er hob den

Knaben auf, trug ihn behutsam nach der Kirchhofsmauer hin und setzte ihn neben Hans Olsen. Dann ging er schnell über den Spielplatz auf die Schule zu und trat dort ein.

Als der Kandidat durch das Fenster guckte, sah er Holger mit dem Kopf auf dem Tisch liegen und weinen. Das Weinen war im Begriff, unbewußt zu werden. Die breiten Schultern zuckten in einem Rhythmus, der an Pulsschläge erinnerte.

Der Kandidat ging nach Hause, ohne sich nach dem Spielplatz umzusehen. Annine Clausen aber, die in Gedanken mit sich selber redend vorübergetrabt kam, blieb stehen und fragte, was los sei, und einer von den Jungen antwortete:,,Holger hat einen Großen verhauen, weil der einen Kleinen geschlagen hat."

,,Hm, hm," sagte Annine,,,er kann es nicht mit ansehen, daß jemand Böses erleidet, und dann wird er selber böse aus lauter Güte. Wie wunderlich doch das Leben ist!" Und dann trabte sie weiter, von dem Verlangen nach dem Kaffee getrieben, den sie bei der Schmiedsfrau Kirsten zu bekommen hoffte.

Aber in der Hecke, die den Garten des Küsters von der Straße trennt, wurde sie von einem Paar Augen angehalten, die weithinaus an ihr vorübersahen. Sie sagte:,,Guten Tag," bekam aber keine Antwort, und trabte weiter, in Gedanken mit sich selber redend:

,,Da steht er wieder mitten in der Hecke, der kleine Küstersjunge, und guckt die Straße entlang, als erwarte er etwas aus weiter Ferne. Wonach so einer wohl ausschauen mag? Ich habe das schon zu seiner Mutter gesagt, als er in der Wiege lag und die Augen aufschlug, als sähe er an uns vorbei nach etwas, das wir nicht sehen konnten.,Wonach so einer wohl ausschauen mag?' sagte ich. Ach ja, die Zeit vergeht, nun kommt er auch bald in die Schule, wie mein Niels Peter. Als ich den kriegen sollte, schämte ich mich, weil er unehelich war, und nun bin ich froh, daß ich ihn gekriegt habe. Ach ja, ich bin ja selbst bei dem kleinen Jens seinem Großvater in die Schule gegangen, der jetzt auf

dem Kirchhof liegt. Wie wunderlich doch das Leben ist! Ob die Kirsten den Kaffee wohl fertig hat?"

Ja, die Kirsten hatte den Kaffee fertig, und Annine legte los, während sie trank: „Ich möchte wohl wissen, wonach der kleine Küsterssohn immer guckt, wenn er in der Hecke steckt? Ihr seht nicht weiter als bis an eure Nasenspitze,' sagte sein Großvater immer zu uns in der Schule; aber wir sahen doch weiter als er, denn jetzt liegt er auf dem Kirchhof, und nun steht schon sein Enkel da und sieht an uns vorbei, und wir sind doch erwachsen. Ach ja, wie wunderlich doch das Leben ist und wie knusperig ist der Kuchen! Stell dir vor, nun hat Holger wieder einen Jungen aus lauter Güte halbtotgeschlagen! Er kennt keine Grenzen, wenn das Herz mit ihm durchgeht."

„Das hat er von seinem verstorbenen Vater," sagte die Kirsten, die so viel von Holgers Vater wußte, daß Annine im Zuckeltrab nach Hause lief, um es weiterzuerzählen.

Des Küsters kleiner Jens stand immer noch in der Hecke. Annine hatte gerade noch Zeit, ihm zuzurufen:

,,Was stehst du denn da, worauf wartest du denn?" Dann war sie weg, ehe der kleine Bursche erwachte und antworten konnte.

Aber die Frage saß, und während er mit offenem Munde Annine nachblickte, bohrte sie sich tief unter seine Gedanken hinab, bis sie den Ort erreichte, wo er das aufbewahrte, was er vergessen hatte. Als Annine hinter einer Hecke verschwand, tauchte die Frage aus der Tiefe wie ein Schwimmvogel auf, der die Antwort im Schnabel trug und sie ihm in der Sonne darbot.

Ja, wahrhaftig, das war es. Und wie lange war das her! Er hatte hier Tag für Tag Ausschau gehalten, bis er vergaß, wonach er guckte, und nur hierherging, weil er sich nach etwas sehnte, und hier stand, weil es hier so herrlich war dazustehen.

Aber dann konnte sie ja leicht vorübergekommen sein, vielleicht sogar oft, und er wußte nur nicht, daß sie es war. Es mußte ja doch eine sein, die er kannte, und nun,

wo er sich erinnerte, wer es war, nach der er sich sehnte, wollte er schon aufpassen, daß er sie wirklich erkannte.

Aber wie lange war das her? Zwei Jahre oder drei? Er war damals viel kleiner; denn jetzt getraute er sich auf den langen, finsteren Wegen des Wäldchens allein spazierenzugehen, wo er damals an der Hand seiner Mutter ging. Er konnte die Stelle noch deutlich sehen, wo es geschah. Seine Mutter blieb stehen und sprach mit einer Dame; neben der Dame stand ein kleines Mädchen, die wie ein Bild aussah; sie war freilich lebendig, aber so schön wie ein Bild. Sie hatte ein rosa Kleid an und eine Tüte mit Bonbons in der Hand. Er stand da und sah ihr in die Augen; die waren so, daß man lange hineinsehen konnte, ohne sich zu langweilen, selbst wenn die Mutter und die Dame lange schwatzten. Das kleine Mädchen gab ihm ihre Bonbons. Er nahm sie und bedankte sich nicht, trotzdem er es wollte, aber er kam nicht dazu, weil er sie nur ansah und weil seine Mutter sich plötzlich von der Dame verabschiedete.

Es waren schöne Bonbons, besser als die Bonbons gewöhnlich waren, so wie Bonbons im Märchen sein müssen. Er möchte das Mädchen gerne wiedersehen und sich bedanken und fragen, wo die Bonbons gekauft waren.

Dann fiel ihm ein, daß sie wohl eines Tages an der Schule vorbeikommen würde, und dann wollte er dort in der Hecke stehen und fragen und sich bedanken, und vielleicht spielte sie dann mit ihm.

Aber sie war nicht gekommen, jedenfalls nicht eher, als bis er vergessen hatte, daß sie es war, nach der er ausschaute. Aber jetzt fiel ihm das alles wieder ein, und jetzt wollte er sie schon erkennen. Plötzlich schlug er fest und bestimmt mit der Hand nach einem Haselzweig:,,Aber ich kenne sie ja schon! Es ist eine von denen, die ich kenne, ich fühle, daß ich sie wiedergesehen habe, ohne es zu wissen. Aber wer von denen, die ich gesehen habe, ist es?“ Es konnte Schreiners kleine Hansine sein. Sie konnte es sehr wohl sein, aber er glaubte doch nicht so recht, daß

sie es war. Aber wenn sie jetzt vorüberkäme, während er hier eines Tages stand, dann glaubte er bestimmt, daß er sie erkennen würde, selbst wenn ihr Kleid nicht rosa und sie selber größer geworden war.

Er bog einige schlanke Haselzweige so zusammen, daß sie einen Stuhl bildeten.

Der war gut. Er setzte sich hinein und verfiel in Gedanken, den Blick weit hinaus gerichtet.

Da saß er noch, als die Kinder aus der Schule herausquollen, indes an jenem Nachmittag nichts weiter von Bedeutung geschehen war, als daß der kleine Hans Olsen und die noch kleinere Ellen Nielsen gleichzeitig von ihren Schreibbüchern zueinander aufsahen, lächeln mußten und wußten, daß sie nun gute Freunde waren, selbst wenn sie es einander auch niemals sagen würden, da er ein Junge war und sie ein Mädchen.

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Sein achtjähriger Sohn Christian saß in einer Ecke, beobachtete ihn und hatte ein schlechtes Gewissen, weil er fand, daß der Vater häßlich war. Das war nicht recht von ihm. Alle fremden Leute sagten, Pastor Barnes sei ein schöner Mann. Der Junge kniff die Augen zusammen und sah genau zu.

Der Pfarrer merkte, daß er beobachtet wurde, wandte sich um und sagte gereizt:,,Was guckst du?" Christian stand auf und schlich hinaus.

Da war es wieder. Sein Vater konnte es nicht leiden, daß man ihn ansah, ohne daß er es wußte. Aber Christian empfand ein peinliches Verlangen, ihn zu beobachten. Er lauerte ihm auf, spähte ihn aus, bereute es, konnte es aber nicht lassen. Er hatte ein ekelhaftes Gefühl,

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