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Doch die Wissenschaft ist keineswegs verpflichtet, solche Auslassungen von höchster Stelle als richtig und unanfechtbar hinzunehmen, sie bleibt vielmehr befugt und berufen, sie an der Hand der Urkunden und der zweifellos feststehenden Rechtsverhältnisse zu prüfen, sie anzuerkennen oder zu verwerfen; nur ist es ein mit Recht geübtes Verfahren, ohne das es häufig schwer wäre, zu festen Resultaten zu gelangen, eine Verwerfung solcher Erlasse der leitenden Gewalt nur in dem Falle auszusprechen, wenn sich die Unrichtigkeit erweisen läßt oder begründete Proteste von befugter Seite erhoben werden.

Wie haben sich nun die Gelehrten mit der Kaiserproklamation abgefunden? Zum Theil hat man sie einfach ignorirt,*) zum Theil als einen Akt ohne staatsrechtliche Bedeutung mit wenigen schönen Worten abgelehnt. Es ist nur historisch gemeint, sagen die Einen, es ist ein poctischer Erguß, behaupten die Andern.

Die erstere Auffassung ist mir unverständlich. Die Geschichte soll nichts Anderes wiederzugeben bestrebt sein als die Wahrheit, und wenn sie über staatsrechtliche Dinge spricht, so spricht sie eben staatsrechtlich. Eine doppelte Wahrheit giebt es nicht. Wenn, wie es freilich oft geschieht, die Historie mit gewissen Bezeichnungen andere Begriffe verbindet, als die Rechtswissenschaft, so ist das ein Fehler, der Abstellung erfordert. Der Geschichtsforscher darf z. B. nicht sagen, ein stark dezentralisirter Staat sei nur rechtlich, nicht wirklich ein Staat, ein ohnmächtiger König nur rechtlich, nicht wirklich ein Monarch gewesen, er arbeitet sonst mit zwei verschiedenen Begriffen, Staat", von denen der eine das Kriterium größerer Zentralisation ausweist, mit zwei verschiedenen Begriffen „Monarch“, die sich durch das Maß der erforderlichen Machtfülle unterscheiden. Ebenso steht es mit dem Begriff „ Wiederherstellung“. Eine staatsrechtliche Neugründung kann man auch historisch nur als solche, nicht als Erneuerung eines früheren Zustandes bezeichnen.

Und wie steht es mit der zweiten Auslegung? Nun ich meine, wir sind es nicht gewohnt, hinter den Worten „Wir Wilhelm von Gottes Gnaden 2c." poetische Ergüsse folgen zu sehen. Und vollends damals, in jenem wichtigen Augenblick, wo die Nation, Gebildete und Ungebildete, authentische Aufklärung über die stattgehabte Umwälzung erwarten durften, war eine bildliche Redeweise am wenigsten am Plaze. Die Behauptung, jene Kund

*) Bezold in seinen Materialien zur Reichsverfassung hat sie ganz weggelassen. Preußische Jahrbücher. Bd. LXXXIII. Heft 1.

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gebung jei in solcher Weise zu verstehen, ist einer völligen Negierung ihres Inhalts gleichzusezen, denn mit der Dichtkunst weiß das Staatsrecht nichts anzufangen.

Liegt nun für die Wissenschaft — ich mache hier zwischen der juristischen und historischen keinen Unterschied, denn beiden fällt diesmal die gleiche Aufgabe zu — eine Nothwendigkeit vor, ja ist es ihr auch nur erlaubt, jene feierliche Verkündigung als unwahr zu verwerfen? Ich glaube, sie ist nicht dazu berugt, ich glaube, der Kaiser hat die volle, reale Wahrheit geiprochen, ja, ich bin der Ansicht, für jede wissenschaftliche Erklärung unseres heutigen Rechtszustandes muß die Kaiserproklamation den Ausgangspunkt bilden. Hiermit meine ich nicht völlig neue, selbständige Gedanken zu entwickeln, ich ziehe nur das Fazit aus den bisherigen Untersuchungen über die Natur des Reiches und zeige, indem ich noch einen Schritt weiter gehe, die Adler der Wissenschaft ein wenig überfliege,*) daß wir mit allem gelehrten Forschen und nach mannigfachen Abwegen doch wieder auf dem Punkt angelangt sind, der uns im Moment der Reichserneuerung als der richtige bezeichnet worden ist.

In den Worten der Kaiserproklamation sind zwei Behauptungen enthalten: 1) das alte Deutsche Reich besteht fort, denn nichts anderes kann unter Wiederherstellung verstanden werden; 2) die übernommene Krone ist die Krone der früheren Kaiser.

Wenn wir die Richtigkeit dieser Behauptungen prüfen wollen, dann haben wir drei Fragen zu beantworten:

1. Ist das neue Reich eine dem alten gleichartige politische Institution?

2. Ist eine Identifizirung des heutigen Kaiserthums mit dem ehemaligen zulässig?

3. Ist die neue Verfassung auf der Rechtsgrundlage des alten Reiches erwachsen?

Ich werde mich zur Beantwortung dieser Fragen nur auf allgemein anerkannte, unbestreitbare oder sicher zu erweisende That

Ich brauche diesen Ausdruck, weil er in dem Vorwort zu meinem Buche „Das Deutsche Reich 2c." Anstoß erregt hat und mir von gedankenlosen Rezensenten als Unbescheidenheit ausgelegt worden ist. Diese haben entweder nicht gemerkt, auf welche Fabel ich anspielte, oder ihre Bedeutung nicht begriffen. Meine Worte bargen natürlich den Sinn: Wiewohl ich, wie jeder Forscher, über meine Vorgänger, bedeutende Autoritäten, in einem Punkte hinausgegangen bin, so er innere ich mich jener Fabel, so verkenne ich meine Abhängigkeit von ihnen nicht.

sachen berufen, die Proklamation selbst aber nicht als Rechtsquelle benußen.

Zuerst also: Was war das alte, was ist das neue Reich? Es kann sich dabei nur um die beiden Begriffe Staat oder Bund von Staaten, Einzahl oder Mehrzahl handeln, denn die Umwandlung eines dieser Gebilde in das andere ist ohne Zerstörung von Staaten unmöglich, also staatsrechtlich nicht vollziehbar; eine Form des Staates dagegen kann in jede andere Form übergehen, eine Art des Bundes kann sich in eine andere Art verwandeln. Jenes Mittelding zwischen Einzahl und Mehrzahl, der sogenannte Bundesstaat, dessen man sich vielfach bedient hat, um schwer erklärbaren Institutionen einen Namen zu geben, ist ein widerspruchsvolles, undefinirbares Gebilde, dessen man bei richtiger Auffassung des Staatsbegriffes sehr gut entrathen kann. Wohl sind politische Systeme denkbar, deren Natur nicht feststeht, die von den verschiedenen Potenzen ihren Interessen gemäß entgegengesezt aufgefaßt werden. Der dezentralisirte Staat und der festgefügte Staatenbund stehen. einander so nahe, daß es wohl Gebilde geben kann, die man jedem von beiden Begriffen unterzuordnen vermag, ohne mit den Thatsachen in Widerspruch zu gerathen. Wo aber das Recht nicht klar liegt, da muß die Wissenschaft, wenn sie sich nicht für eine Partei entscheiden will, auf Rubrizirung verzichten. Die Aufstellung unmöglicher Begriffe steigert nur die Unklarheit. Ich bleibe bei Staat und Bund und werde zu zeigen suchen, daß in unserem Fall die Sache deutlich genug vor Augen steht, um eine wirkliche Entscheidung zu ermöglichen, daß das Deutsche Reich kein staatsrechtliches Monstrum ist. Zu dem Zweck wird es vor Allem nöthig sein, die Kriterien der einen und der anderen politischen Organisation festzustellen.

Der Begriff des Staates hat sich im Lauf der Jahrhunderte Herausgebildet und viele Wandlungen durchgemacht. Wir können uns hier nicht mit seiner Geschichte, noch auch mit politischen Theorieen befassen, sondern werden nur diejenigen Eigenschaften in Betracht ziehen, die sich bei allen Kulturstaaten feststellen lassen und für ihren Bestand unentbehrlich sind. Selbstverständlich vorhandene Charakteristika übergehe ich.

a) Jeder Staat muß eine Rechtsordnung besigen, durch deren Bestimmungen die Staatsgewalt organisirt und festgesezt ist, in welcher Weise sich der Staatswille zu äußern hat. Ihr Inhalt kann sehr einfach und sehr verwickelt sein; am einfachsten zeigt er

sich in der absoluten Monarchie, wo er Anfangs in dem einen Sage beschlossen sein kann: A herrscht. Aber schon hier wird zum Zweck kontinuirlichen Bestandes alsbald eine Successionsordnung nöthig. Sehr komplizirte Grundgeseze finden wir in den modernen Verfassungsstaaten, wo sich der Staatswille für verschiedene Zwecke oft in ganz verschiedener Form äußert. Ihr Ursprung ist mit dem des Staates identisch. Die Staatsschöpfer, ob man sie nun, dem Gründungsmodus entsprechend, als Eroberer (England), Befreier (Niederlande), Gesezgeber (Nordamerika, Paulskirche), Kontrahenten (Großbritannien) bezeichnet, vollziehen ihr Werk durch Be= gründung jener Rechtsordnung. Ihre Sicherung findet sie wohl zeitweilig in der überwiegenden Macht der Begründer, auf die Dauer aber in dem Rechtsgefühl und Interesse der Nation, gerade wie völkerrechtliche Sagungen ihre Sicherung in dem Rechtsgefühl und Interesse der Souveräne zu suchen haben. Wo dies Fundament nicht sicher genug erscheint, wird es oft durch religiöse Vorstellungen befestigt und ergänzt. Ihre Fortbildung geschieht durch den Staatswillen, also mittelst der von ihr selbst autorisirten Organe.

b) Jeder Staat hat einen Willen, dessen Bekundung nicht allein ohne Beschränkung Recht zu schaffen, zu ändern, aufzuheben, sondern auch die Normen seiner Bekundungsweise, also jene Fundamentalrechtsordnung abzuwandeln vermag. Die Bedingungen, von welchen seine Bekundung abhängt, können einfach oder verwickelt, schwerer oder leichter zu erfüllen, immer die gleichen oder je nach Materien verschieden sein. In absoluten Monarchieen ist der Wille des Monarchen bei Innehaltung gewisser Formen identisch mit dem Staatswillen; in reinen, beschränkten Monarchieen steht es ebenso, nur daß in bestimmten Fällen (Gesetzgebung) der Wille anderer Potenzen mit dem des Monarchen übereinstimmen muß, bevor dieser sich als Staatswille dokumentiren darf. In nichtmonarchischen Staaten ist er meistens gleich dem Willen einer auf Zeit zur obersten Leitung erwählten Person oder Körperschaft, der in der Zustimmung andrer Potenzen seine Ergänzung findet. Daß die Gewalt für viele Geschäfte (Verwaltung, Jurisdiktion, Nachfolgerwahl) auf abhängige Organe (Beamte, Wähler) übertragen wird, ändert an der Sache nichts. Dieser so verschieden= artig hervorgebrachte Wille ist absolut, unbegrenzt, er greift sogar über die räumlichen Grenzen des Staates hinaus (Annexion), wenn er sich durchzusehen vermag. Entscheidend aber für den Be

griff des Staates ist es, daß er stets von ein und derselben Stelle ausgeht, und damit gelangen wir zum dritten Punkt.

c) Jeder Staat hat eine leitende Gewalt, deren Träger man bei unbeschränkter oder lebenslänglicher Funktionsdauer als Souverän zu bezeichnen pflegt. Sie kann als Person, als Körperschaft, ja sogar als eine Gruppe von Personen oder Körperschaften auftreten. Eine solche Gruppe ist aber ebenfalls als Korporation zu verstehen, die nur verwickelter organisirt und in der Willensäußerung mehr gehemmt ist. Zwei oder mehr Fürsten z. B. bilden eine regierende Körperschaft mit liberum veto. Jene ausschließlich beschränkenden Potenzen, deren Zustimmung nur zu bestimmten Handlungen des Leitenden erforderlich ist, haben keinen Theil an der wirklichen Leitung, sie vermögen ja nicht zu handeln, zu befehlen. Der Staatswille muß immer als Wille der leitenden Gewalt in die Erscheinung treten, wobei nicht ausgeschlossen, daß diese Gewalt in vielen Fällen durch die Fundamentalrechtsordnung zur Willensbekundung verpflichtet ist. Der Wille der leitenden Gewalt ist aber meist nur unter bestimmten Voraussetzungen Staatswille.

d) Jeder Staat ist seiner Idee nach ewig. Seine staatsrechtliche Beseitigung man könnte vielleicht die Legislative für befugt dazu halten ist darum undenkbar, weil das Staatsrecht die Existenz des betreffenden Staates zur Vorausseßung hat, ist es doch nur sein Recht, um das es sich handelt. Wenn ein Staat verschwindet oder zerfällt, so ist dies Vorkommniß rechtlich so zu verstehen, daß seine Organe, die Träger seines Willens aus irgendwelchen mehr oder minder zwingenden Gründen ihre Thätigkeit einstellen und dadurch andern, partikularen oder fremden Gewalten Gelegenheit zu Neuschöpfungen oder Annexionen geben. Das alte Recht wird wirkungsunfähig, ein neues tritt usurpatorisch an seine Stelle. Tritt später unter günstigen Umständen das alte Recht durch seine Organe von neuem in Wirksamkeit, jo bedeutet das eine Wiederherstellung. *)

*) Daß mich ein scharfer Denker wie Mar Seydel in diesem Punkte nicht verstanden hat und mir die ganz verkehrte Anschauung, ein Staat könne nur durch einen Rechtsakt seiner Organe zerstört werden, unterschiebt, bedaure ich aufrichtig. Meine Ansicht ist, daß die Zerstörung eines Staates in dem Falle als völkerrechtlich legalisirt gilt, wenn seine eignen Organe zugestimmt haben, 3. B. Schottlands bei der Begründung Großbritanniens, daß es aber eine staatsrechtliche Legalisirung überhaupt nicht giebt. Auch die Bedeutung, die ich der Kaiserproklamation zuschreibe, hat Seydel übertrieben. Ich habe wiederholt hervorgehoben, daß sie bedeutungslos sein würde, wenn die Bundestheorie im Uebrigen widerspruchslos dastände.

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