Zu deinem Gott sollst du ein Herz der haben, wenn du ermutigst () Klagen über Sünde und Gebete wegen Befreiung von ,,Sünde“ und „Sündenstrafe" spielen in der babylonischen religiösen Literatur bekanntlich eine große Rolle. Nur einige Stellen aus den babylonischen „Busspsalmen" (a-ši-ša-ku-ga = ,,Klagelied zur Herzensberuhigung“) seien angeführt.2 IV R 10 „Solches, das meinem Gott cin Greuel wurde, habe ich un wissentlich gegessen, auf solches, das meiner Göttin ein Abscheu, habe ich un wissentlich getreten, ( Herr, meiner Sünden sind viel, groß sind meine Vergehen. Mein Gott, meiner Sünden sind viel, groß sind meine Ver gehen; meine Göttin, meiner Sünden sind viel, groß sind meine Ver gehen. Gott, den ich kenne, nicht kenne, meiner Sünden sind viel, groß sind meine Vergehen. groß sind meine Vergehen. kenne ich nicht; des Schöpfergottes an den ersten Menschen“. Die Übersetzung Delitzsch's ist sehr frei und nicht ohne willkürliche Ergänzungen. Merkwürdigerwcise ist bei Besprechungen der Stelle die wichtige Erwähnung der Tafel, von der man lernen soll, bisher übersehen worden. 1) ud-da-at. Delitzsch: frühmorgens. 2) Vgl. H. Zimmern, Babylonische Bußpsalmen 1885, und die Schrift des katholischen Theologen Hehn, Sünde und Erlösung nach biblischer und babylonischer Anschauung, 1903 (deren theologischen Urteilen ich nicht allenthalben zustimmen kann). Vor allem vergleiche den HI. Zimmern KAT : 385 f. interpretierten Psalm des Pessimismus IV R 60. von 3 Der Gott hat im Grimm seines Herzens mich feindlich ge troffen; die Göttin hat wider mich gezürnt, mich einem Kranken gleich gemacht. Der Gott, den ich kenne, nicht kenne, hat mich bedrängt; Die Göttin, die ich kenne, nicht kenne, hat mir Schmerz an getan. Ich suchte nach Hilfe, aber niemand faßt mich bei der Hand; ich weinte, aber niemand kam an meine Seite. Ich stoße Schreie aus, aber niemand hört auf mich; ich bin voll Schmerz, überwältigt, blicke nicht auf. Zu meinem barmherzigen Gotte wende ich mich, fehe ich laut; die Füße meiner Göttin küsse ich, rühre sie an. Zu dem Gott, den ich kenne, nicht kenne, flehe ich laut. Zu der Göttin, die ich kenne, nicht kenne, fehe ich laut. Die Menschen sind verstockt, irgend etwas wissen sie nicht, Die Menschen, so weit sie existieren, was wissen sie? Mögen sie schlecht handeln, mögen sie Gutes erweisen, nichts wissen sie.“ 1 O Herr, deinen Knecht, stürze ihn nicht; meine Sünden! siebenmal sieben, so löse meine Sünden; Göttin, die ich kenne, nicht kenne, sind meiner Sünden auch siebenmal sieben, so löse meine Sünden. so löse IV R 54 „Sein inbrünstiges Flehen möge dich droben barmherzig stimmen! Seufzer oder Gnade -- bis wann noch?? mögen sie zu dir sprechen. 1) Vgl. in dem S. 105, Anm. 2 zitierten Lied das eigenartige Bekenntnis der Resignation eines Menschen, der alle religiösen Vorschriften vergeblich befolgt hat und nun sagt: „Wüßte ich doch, daß bei Gott solches wohlgefällig ist! Was aber an sich selbst gut erscheint, das ist (wohl) bei Gott schlecht, und was in sich verächtlich ist, das ist (wohl) bei Gott gut? Wer verstände den Rat der Götter im Himmel, den Plan Gottes, voll von Dunkelheit, wer ergründete ihn!" Man beachte auch die Schlußworte; Gedanken wie Jes 40, 13; Röm 11, 34 im Munde eines assyrischen Königs! ?, Ahulap, sonst auch adi mati, wie in den Psalmen. IV R 29. „Ich dein Knecht, seufzend rufe ich dich, wer Sünde hat, du nimmst an sein inbrünstig Flehen, Außer dir gibt es ja keine rechtleitende Gottheit!" Wir werden vor allem fragen müssen, was verstehen die Gebete unter Sünde? Dem primitiven heidnischen Bewußtsein ist Sünde oft nur kultisches Vergehen und Versehen. Der arme Geplagte hat bei religiösen Zeremonieen irgend etwas unwissentlich versehen, ein tabu der Gottheit berührt, ein Opfer nicht rite vollzogen, er ist gleichsam in eine Falle geraten. Auch die Begriffe annu, d. h. eigentlich ,,Empörung", hîtu (hebr. het), das oft vom politischen Verbrechen gebraucht wird?, bedeuten oft genug „kultisches Versehen"; egù scheint „Versäumnis“ zu “ heißen, killatu „schlechte“, eig. „leichte Handlung“; die Schlußzeilen des Epos Enuma eliš sprechen von annu und killatu wider die Gottheit. Sehr zu beachten ist auch, das in den Hammurabigesetzen arnu den Schaden bedeutet, der mit der Rechtsbeugung (d. i. immer Vermögensverletzung) verknüpft ist, hitîtu aber den objektiven Schaden. L'nd doch würde man sehr irren, wenn man annehmen wollte, daß der Babylonier unter Sünde nicht auch sittliche Mängel und Schäden begreift . Die Beschwörungstafeln der Šurpu-Serie 3 zeigen, was man im einzelnen Falle unter Sünde versteht: „Hat er Vater und Sohn entzweit, hat er Mutter und Tochter entzweit, hat er Schwiegermutter und Schwiegertochter entzu'eit, hat er Bruder und Bruder entzweit, hat er Freund und Freund entzweit. Hat er einen Gefangenen nicht freigelassen, einen Gebundenen nicht gelöst. Ists Gewalttat gegen das Oberhaupt (?), Haß gegen den älteren Bruder hat er Vater und Mutter verachtet, die ältere Schwester beleidigt, 1) Dazu braucht man ja vor allem die Priester in den heidnischen Kulten: sie kennen die geheimen Einzelheiten, sie können vor ,,Sünde“ bewahren. 2) Grundbedeutung: (das Ziel) verfehlen. 3) Herausgegeben und erklärt von Zimmern, Beiträge; die Texte scheinen in der vorliegenden Rezension nach der Götteraufzählung aus der Babylon-(Marduk-) Epoche zu stammen (alle Götter, auch die ausländischen wie die von Elam, das ja zu Babylon zeitweise gehörte, werden angerufen, vor allem Šamaš und Marduk), aber sie können viel älteren Ursprungs sein. der jüngeren (Schwester) gegeben, der älteren verweigert, zu Nein Ja zu Ja Nein gesagt, Unlauteres gesprochen, Frevelhaftes gesprochen, falsche Wage gebraucht, falsches Geld genommen, einen rechtmäßigen Sohn enterbt, einen unrechtmäßigen eingesetzt, falsche Grenze gezogen, Grenze, Mark und Gebiet verrückt? Hat er seines Nächsten Haus betreten, seines Nächsten Weib sich genaht, seines Nächsten Blut vergossen, seines Nächsten Kleid geraubt? llat er aus seiner Gewalt (?) einen Mann nicht gelassen, einen braven Mann aus der Familie vertrieben, eine wohlvereinte Sippe zersprengt, gegen einen Vorgesetzten sich erhoben? Wäre er mit dem Munde aufrichtig, im Herzen falsch? Mit dem Munde voller Ja, im Herzen voller Nein? Ist's wegen Ungerechtigkeit, auf die er sann, um Gerechte zu vertreiben, zu vernichten, zu freveln, zu rauben, rauben zu lassen, mit Bösem sich zu befassen? Ist unflätig sein Mund, widerspenstig seine Lippen? Hat er Unlauteres gelehrt, Ungezicmendes unterwiesen? Hat er mit Zauberei und Hexerei sich befaßt? Hat er mit Herz und Mund versprochen, aber nicht gehalten, durch ein (nicht innegehaltenes) Geschenk den Namen seines Gottes mißachtet, etwas geweiht, aber zurückbehalten, etwas geschenkt (das Opferfleisch) ... aber es gegessen? Gelöst werde, wodurch er auch immer gebannt ist. Ob er solches, das für seine Stadt ein Greuel, gegessen, ein Gerede über seine Stadt ausgesprengt, den Ruf seiner Stadt schlecht gemacht, ob er einem Gebannten entgegen gegangen, ob er mit einem Gebannten Gemeinschaft gehabt (in seinem Bett ge schlafen, auf seinem Stuhl gesessen, aus seinem Becher getrunken)? Auf der 3. Tafel Šurpu wird angenommen, daß auf einem der Bann ruhen kann, weil er jemand durch Bestechung zum Recht verholfen hat, für einen Tag um cine Rinne gebeten wurde und es abgeschlagen hat, für einen Tag um einen Wasserbehälter gebeten wurde und hat es ab geschlagen, des Nächsten Kanal verstopft, Alle Verfehlungen, die die Kehrseite des 2. und 3.–10. Gebotes bilden, kann inan aus diesem Texte herauslesen, einige sogar in der Reihenfolge des Dekalogs (s. zu 2 Mos 20). Dazu kommen soziale Vergehungen, die übrigens höchst interessante Blicke in das bürgerliche Leben der Babylonier gestatten. Daß den Babyloniern bei solcher Betonung von Sünde und Schuld der Gedanke an einen ,,Sündenfall" am Anfang der Menschengeschichte nicht fern gelegen hat, ist zu erwarten. In der Tat zeigt die Auffassung der Sintflut als einer Strafe, die um der Frevel der Menschen willen gekommen ist, und die Mythen von Strafheimsuchungen, die der Sintflut vorausgegangen sind und deren Höhepunkt das Verderben der Flut war (s. dazu unten S. 139), daß man von Sünden der Urzeit redete. Von einer Sündenfallerzählung und insbesondere von einer Verführung durch die Schlange weiß also die bisher bekannte babylonische Literatur nichts. Der Flußname (andere mythologische Flußnamen erwähnten wir S. 102) an-muš-tin-tir-dub II R 51, 44 a kann wohl übersetzt werden: „Fluß des Schlangengottes, der die Wohnung des Lebens zerstört“; aber der Name steht in einer Aufzählung, deren Zusammenhang nichts besagt. Hommels Erklärung des Namens der Menschenschöpferin Aruru als „die Verfluchte“, wie in i Mos 3, 17: „verflucht sei der Erdboden um deinetwillen“, ist zu problematisch, als daß er Schlüsse auf babylonische Stoffe zuließe. Die Schlüsse, die Hommel vorschweben, beruhen übrigens auf der unseres Erachtens irrigen Voraussetzung, daß Ea „Erdgott“, also Arûru die „Erde“ sei. Bei dem erhöhten Interesse, das der mexikanischen Mythologie gegenwärtig zukommt, insofern ihr Zusammenhang mit dem alten vorderen Orient immer wahrscheinlicher wird So er 1) Zum 2. und 3. Gebot, natürlich mutatis mutandis vgl. die Stelle des oben S. 105 erwähnten Bußpsalmen IV R 60* : ... (wie einer), der seinen Herrn vergaß, den gewichtigen Namen seines Gottes leichtsinnig aussprach schien ich. Ich selbst aber dachte nur an Gebet und Flehen, Gebet war meine Regel, Opfer meine Ordnung, der Tag der Verehrung Gottes war meine Herzenslust, der Tag der Nachfolge der Göttin war Gewinn und Reichtum; Gebet eines Königs, das war meine Freude, und Gesang eines solchen, das war mir angenehm. Ich lehrte mein Land den Namen Gottes bewahren, den Namen der Göttin verherrlichen, unterwies ich mein Volk |