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an der alten Sagengestalt des Doctor Faust, daß dieser gegen das verlahmte vermatschte Menschengeschlecht als ein fester, ausgebackener, fix und fertiger Kerl stehe, aus dem ein Löwe von Unersåttlichkeit brülle.

In der Wissenschaft und Dichtung derselbe phantastische Taumel. Je leidenschaftlicher man nach dem Vollen und Ganzen, nach dem Unmittelbaren und Urwüchsigen trachtete, je tiefer und ungeduldiger man sich nach des Lebens Båchen, ach! nach des Lebens Quelle sehnte, um so verachtender meinte man auf die Bedächtigkeit und Langsamkeit kaltblütiger ruhiger Forschung herabsehen zu dürfen. Was die trockene und nüchterne Verståndigkeit der Aufklårungsbildung nur ungenügend beantwortete, was die schneidende Kritik Kant's verneinte oder wenigstens als über das menschliche Erkenntnißvermögen hinausragend vorsichtig umging, das sollte ergänzt und unfehlbar beantwortet werden durch die dåmonische Kraft und Weihe des Genies, durch ~ die Göttlichkeit des unmittelbaren Fühlens, Uhnens und Schauens. Von Lavater und Genossen wurde der Pietismus neu zugestuht. Hamann und Jacobi, gleich Kant von den Zweifeln Humes ausgehend, aber vor der Ueberwindung derselben durch die Strenge wissenschaftlich folgerichtigen Vorschreitens weichlich zurückschreckend, verlieren sich in eine matte Glaubens- und Gefühlsphilosophie, die schlagend das unvergleichliche Wort bewährt, daß der Mysticismus die Scholastik des Herzens ist. Zumal in der Dichtung, dem eigensten Gebiet der Gefühls- und Phantasiethåtigkeit, erhob sich bei den Meisten, namentlich im Dramatischen, eine so wüste Lust am Rohen und Gråßlichen, ein so tumultuarisches Ueberspringen aller unüberspringbaren Kunstformen und Kunstgesehe, daß es wahrlich nicht Wunder nimmt, daß Leffing von diesen ungeheuerlichen Erscheinungen, welche die ganze Arbeit seines Lebens wieder in Frage stellten, verleht und unmuthig sich abwendete, so daß er in diesem gerechten Aerger sogar die

großartige Bedeutung der gewaltigen Jugenddichtungen Goethe's verkannte.

Wenn Goethe einmal in den Wanderjahren sagt, daß nur das Halbvermögen gern seine beschränkte Besonderheit an die Stelle des unbedingten Ganzen zu sehen wünsche und seine falschen Griffe durch den Vorwand einer unbezwinglichen Origi= nalität und Selbständigkeit beschönige, so ist diese Betrachtung sicher aus dem Rückblick auf diese maßlosen Irrungen und Ueberstürzungen der Sturm- und Drangperiode hervorgegangen.

Fast dunkt es uns unbegreiflich, wie es jemals eine Zeitstimmung geben konnte, in welcher so durchaus verschiedenartige Naturen und Richtungen, wie Herder, Goethe, Lavater, Jung-Stilling, Claudius, die Grafen Stolberg, Friedrich Jacobi, Heinse, Lenz, Klinger, und alle die Anderen, welche gewöhnlich als die Vorkämpfer und Vertreter der deutschen Sturm- und Drangperiode genannt werden, arglos nebeneinander standen, ja sich zu innigster Freundschaft und Strebensgemeinsamkeit zusammenschlossen; Goethe selbst hat spåter über dieses wunderliche Durcheinander bitter gespottet. Aber alle diese jungen Feuergeister, welche feindlich auseinanderstoben und sich in die entgegengesehtesten Parteilager spalteten, als das Werk der Verneinung vollendet war und der Neubau begann, waren in ihrem ersten Ringen und Kåmpfen innig eins in dem begeisterten Gefühl, daß, wie sich Jacobi ausdrückt, diese Zeit ein feierliches Ringen zwischen Untergang und Aufgang, zwischen dem Ende einer alten und dem Anfang einer neuen Zeit sei.

Treffend hat man die Sturm- und Drangperiode das deutsche Gegenbild der französischen Revolution genannt. Es ist ungeschichtlich, wenn man, wie es grade neuerdings wieder vielfach geschehen ist, die Sturm- und Drangperiode nur als Abfall von der Höhe der bereits errungenen Bildung, nur als bedauerliche Trübung der großen Aufklärungsziele des achtzehnten

Jahrhunderts betrachtet. Die winterliche Eisdecke der alten Sahungen brach; überall Verjüngung und Erlösung, Frühlingsluft, Phantasie und Jugendfrische. Aber es war eine Frage auf Leben und Tod, ob sich der gåhrende Most klåren, ob der Kern des neuen gesteigerten und vertieften Lebensideals die trübenden Schlacken von sich abstoßen, ob sich der herbe unversöhnte Zwiespalt zwischen schrankenlosem Unendlichkeitsgefühl und beschränkter Endlichkeit, zwischen der Sophistik des eigensüchtigen Herzens und den unverbrüchlichen Grundlagen und Gesetzen der Wirklichkeit, oder, wie man sich wohl auch auszudrücken pflegt, der herbe unversöhnte Zwiespalt zwischen Ideal und Leben, zwischen Herz und Welt, zu innerer Versöhnung und Selbstbefriedigung, zu Ruhe und Gleichgewicht befreien werde.

Nicht Alle, die den Thyrsus schwingen, sind des Gottes voll. Ein großer Theil dieser Stürmer und Drånger hat sich niemals aus der unklaren Gefühlsüberschwenglichkeit, aus der krankhaften Ueberspannung und Ueberreiztheit zu erheben vermocht. Viele haben sie durch Wahnsinn oder frühzeitigen Untergang gebüßt. Noch die Krånklichkeiten der sogenannten romantischen Dichterschule mit ihren religiösen und politischen Nachwirkungen haben in der Sturm- und Drangperiode ihre Wurzel.

Jedoch den Großen und Auserwählten gelang es, sich aus diesen Klippen und Fährlichkeiten sicher herauszuarbeiten.

Dies ist die zweite große Entwicklungsstufe und der Abschluß dieser gewaltigen Kämpfe. Jene Großen und Auserwählten sind dadurch die unsterblichen Schöpfer des großen klassischen Zeitalters der deutschen Literatur und Bildung geworden.

Ursprung und Wesen dieser entscheidenden Wendung sich zu klarer Einsicht bringen heißt sich über die Größe und die Schwäche unserer größten deutschen Bildungsepoche Rechenschaft ablegen.

Wissenschaftlich wurde die Låuterung durch Kant vollzogen. Im Jahr 1781 erschien die Kritik der reinen Vernunft, die

Untersuchung und Begrenzung des menschlichen Erkenntnißvermögens, deren Grundzüge Kant bereits 1766 in der geistvollen Schrift über die Träume eines Geisterschers angedeutet und vorgezeichnet hatte. Es war der Todesstoß der eitlen Glaubensund Gefühlsphilosophie, die dem Forschen und Denken die Träume und Phantasien des Herzens unterschob. Und für die nächste Zeit noch unmittelbarer griff die Kant'sche Sittenlehre ein. Man pflegt meist zu erzählen, Kant habe gar keinen Antheil an den Bewegungen der gleichzeitigen deutschen Dichtung genommen; die geschichtliche Wahrheit ist, daß seine Sittenlehre ganz ausdrücklich gegen deren Thorheit und Krankheit gerichtet war. Es geht gegen die Ueberstürzungen der Sturm- und Drangperiode, wenn Kant in der Kritik der Urtheilskraft (Rosenkranz, Bd. 4, S. 180) sagt: »Da die Originalitåt des Talents ein wesentliches Stück vom Charakter des Genies ausmacht, so glauben seichte Köpfe, daß sie nicht besser zeigen können, sie wåren aufblühende Genies, als wenn sie sich vom Schulzwange aller Regeln lossagen, und glauben, man paradire besser auf einem kollerichten Pferde als auf einem Schulpferde«. Es geht gegen die Ueberstürzungen der Sturm- und Drangperiode, wenn es in der Kritik der praktischen Vernunft (Ebend. Bd. 8, S. 212) heißt, es sei Steigerung des Eigendünkels und eine windige überfliegende phantastische Denkungsart, wenn man sich nur immer mit der Gutartigkeit des Gemüths, das weder Sporn noch Zügel bedürfe und für welches gar nicht einmal ein Gebot nöthig sei, schmeichle und darüber seine Pflicht und Schuldigkeit vergesse; solche Gesinnung sei nicht Sittlichkeit, sondern nur eigenwillige Tåndelei mit pathologischen Antrieben, und es komme darauf an, diese ihre Grenzen verkennende Eitelkeit und Eigenliebe zu den Schranken der Demuth, d. h. der Selbsterkenntniß zurückzuführen. Und unverkennbar geht es auf Werther, was ebenfalls in der Kritik der praktischen Vernunft (S. 304) gesagt

wird: »Leere Wünsche und Sehnsuchten nach unersteiglicher Vollkommenheit bringen nur Romanhelden hervor, die, indem sie sich auf ihr Gefühl für das überschwenglich Große viel zu gute thun, sich dafür von der Beobachtung der gemeinen und gangbaren Schuldigkeit, die alsdann ihnen nur unbedeutend klein scheint, freisprechen.« Daher der scharfe Gegensatz Kant's gegen die herrschende eudåmonistische Sittenlehre, die nur Wohlbehagen und Glückseligkeit kannte und sich in Wieland sogar bis zum leersten Epicuräismus verirrt hatte; daher sein scharfes Dringen auf das Sollen der Pflicht, auf das Handeln um des Gesetzes willen. Und ist es auch unbestreitbar, daß Kant, der völlig Leidenschaftslose, der bereits im hohen Alter Stehende, auch seinerseits nicht frei blieb von Einseitigkeit und Uebertreibung, so daß Schiller, der begeisterte Anhänger Kant's, grade gegen diese mürrische Möncherei und Entsagung tiefen und berechtigten Kampf führte, so war doch die Einwirkung Kant's auch nach der sittlichen Seite hin eine wahrhaft unermeßliche. Sokrates unter den Sophisten.

Und noch`unmittelbarer und tiefgreifender wirkte das großartig fortschreitende Leben und Schaffen Goethe's und Schiller's, der beiden großen Dichterheroen.

Je leidenschaftlicher und ungestümer das Jugendleben Goethe's von dem Kampf und Widerspruch zwischen dem überschwellenden Unendlichkeitsgefühl des heißblütigen Herzens und der undurchbrechbaren Enge der Wirklichkeit bewegt und durchglüht war, um so mehr wurde ihm die zunehmende Lebenserfahrung und der Eintritt in bedeutende Weltverhältnisse der Grund ernster Selbstprüfung und Selbstbesinnung. Die ersten Jahre in Weimar beginnen diese Entwicklung, die italienische Reise bringt sie zum Abschluß. Der dunkle Drang, den vollen und ganzen Menschen aus sich herauszubilden, begrenzte und vertiefte sich zu einer umfassenden Vielseitigkeit und Tiefe der Bildung, wie

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