ภาพหน้าหนังสือ
PDF
ePub

kein anderer Mensch sie jemals erreicht hat, und zugleich zu einer sittlichen Maßbeschränkung und inneren Harmonie, zu einer Sophrosyne und Kalokagathie im schönen antiken Sinne des Wortes, die ihn, was die unverständige Menge auch sagen mag, zu einem der Größten und Weisesten aller Menschen, zu einem Urbild und Vorbild schönsten und reinsten Menschenseins macht. »Von der Gewalt, die alle Wesen bindet, befreit der Mensch sich, der sich überwindet«. Die Fortbildung und Versöhnung des Werther ist Tasso und Wilhelm Meister. Der willenskråftige und klar bewußte Künstler seines Lebens wird auf der heiteren und klaren Höhe seines sittlichen Ideals der Dichter der modernen Bildungskåmpfe und, wie er sich gern selbst nennt, der Dichter der Herzensirrungen. Goethe kommt Shakespeare nicht gleich an fester Sicherheit und elementarer Kraft des dichterischen Gestaltens; aber an Tiefe und Weite des geistigen Gehalts, an Hoheit und Reinheit des Seelenlebens überragt er ihn, wie die neue deutsche Philosophie die Philosophie Bacon's überragt.

Aehnlich die Entwicklung Schiller's. Was für Goethe die bedeutende åußere Lebensstellung, die Anschauung der alten Kunst, die erziehende Kraft Italiens war, das wurde für Schiller das Studium der alten Dichter, besonders Homers und der Tragiker, das Studium der Geschichte, das Studium Kant's. Das Ergebnis war dieselbe innere Vertiefung und Begrenzung, dasselbe hohe und reine Menschheitsideal.

Daher fortan das tiefe und innige, in der gesammten Geschichte beispiellose Freundschaftsbündniß Beider. Es war der Gewinn und der Ausdruck der innigsten Gesinnungseinheit und Strebensgemeinschaft.

Es giebt eine bedeutungsvolle Sage des Alterthums, daß die wilden Titanen gestürzt wurden und den heiteren Göttern des Lichtes und der Ordnung weichen mußten. Die jungen

Dichtertitanen hatten diesen schweren Kampf in sich selbst durchgekämpft. Die Besiegten waren zugleich die Sieger.

Goethe und Schiller sind nicht blos die dichterischen Befreier der Deutschen, sondern weit mehr noch die sittlichen. Die Ueberwindung der Sturm- und Drangperiode war die Zügelung der entfesselten dunklen Gemüthsmächte zu freier Selbstbeherrschung, der Uebergang von der Sophistik zur Sophrosyne, von der Freigeisterei der Leidenschaft zur versöhnten und in sich befriedigten Besonnenheit. Indem diese Dichter sich selbst erzogen, haben sie die Menschheit erzogen. Und ist vielleicht, wie es Menschenschicksal ist, die eigene Persönlichkeit zuweilen hinter diesem höchsten Ziel zurückgeblieben, der Begriff des reinen und freien Menschenthums war wiedererobert. Die Natur, welche Rousseau und die jungen Stürmer und Drånger so nachdrücklich gewollt und erstrebt hatten, ist gerettet; aber nicht die rohe und ungebårdig selbstsüchtige, sondern die gelåuterte, die mit Freiheit sich selbst be= herrschende, die mit den Geseßen und Forderungen der sittlichen Vernunft übereinstimmende. Die Einseitigkeit des Zeitalters der Aufklärung und die Einseitigkeit der Sturm- und Drangperiode sind in einer höheren gemeinsamen Einheit versöhnt.

Es war die Eroberung des hehren Ideals vollendeter Bildungsharmonie, oder, wie die Schulsprache sagt, des Ideals vollendeter und reiner Humanitåt. Nach jahrhundertelanger willkürlicher Selbstentfremdung hatte sich der Mensch endlich selbst wiedergefunden.

Aber das Verhängnißvolle war, daß mit dieser stetig fortschreitenden inneren Bildung die äußere Gestaltung der Dinge nicht Schritt hielt. Im schneidenden Gegensatz zu diesem hohen und reinen Menschheitsideal blieb die Außenwelt nach wie vor eine idealitåtslose, kleinliche und philisterhafte, schwunglose, oft sogar unvernünftige. Und die Einwirkungen der französischen Revolution waren nur eine Verschlechterung der Zustånde. Es

råchte sich, daß die deutschen Aufklärungskåmpfe nicht, wie die englischen und französischen, zugleich politische, sondern nur einseitig religiöse und sittliche gewesen. Selbst die Besten und Größten, nicht blos Goethe, sondern auch Schiller, fühlten sich zurückgeschreckt. Die politische Reaction wurde immer mächtiger und mächtiger. Nur allzu treffend sagte Madame Staël in dem geistvollen Buch über Deutschland (Thl. 3, Kap. 11), in ihrem Privatleben seien die Deutschen von erstaunlicher Tüchtigkeit und Gewissenhaftigkeit; ihre Schmiegsamkeit gegen die öffentliche Gewalt aber mache einen um so peinlicheren Eindruck, da doch ihre ganze Philosophie und Bildung auf die Vertheidigung und Pflege der unverbrüchlichen Menschenwürde gehe. Was naturnothwendig sich in innigster Einheit und Wechselwirkung durchdringen und bedingen, was einander heben und tragen soll, Theorie und Praxis, die Idee reiner und schöner Menschlichkeit und das staatliche und gesellschaftliche Dasein derselben, stand sich fremd gegen= über, war durch eine jåhe unüberbrückbare Kluft getrennt.

„Ach, noch leben die Sänger, nur fehlen die Thaten, die Lyra
Freudig zu wecken.“

Niemand hat diesen tragischen Widerspruch tiefer empfunden und tiefer und mannichfaltiger ausgesprochen als Schiller. Die Kleinen und Zurückgebliebenen verfielen der schlechten Wirklichkeit; ihre Kunstschöpfung blieb eine roh naturalistische. Die Besten und Höchsten setzten ihr ganzes Denken und Empfinden und ihre ganze sittliche Kraft daran, der sie umgebenden ungünstigen und formlosen Natur zum Troß sich nichtsdestoweniger den tiefsten geistigen Gehalt und die schönste künstlerische Form zu gewinnen.

Die gesammte Entwicklung unserer großen Literaturepoche ist durch diesen Widerspruch des neugewonnenen Menschheitsideals und der widerstrebenden Wirklichkeit bedingt.

Hier einzig und allein liegt der Grund, warum Goethe

Hettner, Literaturgeschichte. III. 3. 1.

2

und Schiller auf der höchsten Höhe ihres großartigen Bildungsganges mit so tiefer innerer Wahlverwandtschaft zu den Griechen gezogen wurden. In jenem denkwürdigen Briefe vom 23. August 1794, in welchem Schiller das Wesen und Streben Goethe's mit so meisterhafter Klarheit und Schärfe gezeichnet hat, schreibt Schiller an Goethe: »Wåren Sie als ein Grieche, ja nur als ein Italiener geboren worden, und håtte schon von der Wiege an eine auserlesene Natur und eine idealisirende Kunst Sie umgeben, so wäre Ihr Weg unendlich verkürzt, vielleicht ganz überflüssig gemacht worden. Schon in die erste Anschauung der Dinge hätten Sie dann die Form des Nothwendigen aufgenommen, und mit Ihren ersten Erfahrungen håtte sich der große Stil in Ihnen entwickelt. Nun, da Sie als ein Deutscher geboren sind, da Ihr griechischer Geist in diese nordische Schöpfung geworfen wurde, so blieb Ihnen keine andere Wahl als entweder selbst zum nordischen Künstler zu werden oder Ihrer Imagination das, was ihr die Wirklichkeit vorenthielt, durch Nachhülfe der Denkkraft zu ersetzen und so gleichsam von innen heraus und auf einem rationalen Wege ein Griechenland zu gebåren.« Und dies tiefsinnige Wort gilt nicht blos von Goethe, sondern mit geringer Einschränkung auch von Schiller selbst. Weil Goethe und Schiller die Entfaltung und Bethätigung der reinen und schönen Menschennatur, die ihr sittliches und künstlerisches Ideal, der Gewinn und das Ziel ihrer Bildung war, in ihrer eigenen Gegenwart und Wirklichkeit nicht fanden, suchten sie sich von dieser Gegenwart und Wirklichkeit möglichst loszulösen und auf die schöne Menschlichkeit der alten Welt und deren einfach hohe Kunst und Dichtung zurückzugehen. Es ist eine der wunderbarsten Thatsachen, in welcher großartig freien und lebendigen Weise diese beabsichtigte künstlerische Wiedergeburt hellenischer Art und Kunst ihnen gelang. Vor Allem Iphigenie, Tasso, die römischen Elegieen, Hermann und Dorothea und die gleichzeitigen

kleineren Idyllen Goethe's sind die unvergånglichen Denkmale dieses gewaltigen Strebens. Schiller stellt sich mit seinen Eles gieen und Epigrammen und mit seiner großen Wallensteintragödie würdig zur Seite. Goethe und Schiller sind in der Geschichte der Dichtung, was Rafael und Michelangelo und die großen Italiener der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts in der Geschichte der bildenden Künste sind. Hier wie dort ist die Reinheit und Hoheit der alten Kunst höchstes Muster; aber hier wie dort behålt der lebendige Herzschlag des eigensten heimischen Denkens und Empfindens seine unverbrüchlichen Rechte und führt zu den reizvollsten Erfindungen. Die Dichtung Goethe's und Schiller's ist Renaissance im höchsten und schönsten Sinn. Wer hier von willkürlichem und gewaltsamem Abfall von der Macht und Frische des Volksthümlichen spricht, ahnt und weiß nicht, daß in der vollendeten Kunst Gehalt und Gestalt unbedingt eins find. Aber fühlbar macht es sich doch, daß diese hohe Idealität unserer größten Geister nicht, wie es naturgemäß sein soll, von der Welt, in welcher fie lebten und wirkten, gehoben und getragen, sondern unaufhörlich von derselben gehemmt und durchkreuzt wurde. Die naive Sicherheit des Stilgefühls wurde beirrt. Es war schwer und fast unvermeidlich, daß, was zuerst tief innerliche lebendige Nachbildung gewesen, allmålich in äußerliche Nachahmung und in allerlei blos philologische Experimente und Spielereien entartete. Goethe dichtete die kalte verkünftelte Achilleis und verfiel in der Natürlichen Tochter, in Pandora und in den dramatischen Festspielen aus dieser Zeit, in eine wirre Symbolik und Allegorik, von welcher sich seine dramatische Gestaltungskraft nie wieder erholt hat. Schiller verlor sich in seinen spåteren Dramen mehr und mehr in die trüben Irrgånge falscher Schicksalstragik und fand erst im Tell wieder die sichere Bahn des unmittelbar Volksthümlichen.

« ก่อนหน้าดำเนินการต่อ
 »