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Wie Rousseau in seiner Stellung zu Voltaire und den französischen Encyklopådisten, ist daher auch Herder in seiner Stellung zu Lessing und den Helden des deutschen Aufklärungszeitalters zugleich ein Fortschritt und ein Rückschritt. Wie Rousseau, so erschließt auch Herder den erstaunten Zeitgenossen ungekannte Tiefen und Geheimnisse der Empfindung und Anschauung. Und wie in Rousseau ist auch in Herder seine Größe zugleich seine Schwäche. Im schwankenden Dämmerungston erregter Gefühlsinnerlichkeit, im schillernden Nebelkleide geistvoller, aber eigensinniger Geniesucht verschwimmen und schwinden nicht selten wieder die klaren Begriffsbestimmungen, welche von den großen Vorgångern långst unumstößlich festgestellt waren. Besonders von seinen Jugendschriften gilt, was Herder einmal selbst sagt, daß die Jugend lieber empfinden als wissen wolle. In seinen spåteren Schriften werden die Umrisse zwar fester und schårfer, aber auch in ihnen überwächst doch noch oft die Empfindung den Gedanken, die Ueberschwenglichkeit der Begeisterung die Ruhe der Untersuchung. Wie Plato's Philosophiren oft durch die Mythe, wird Herder's Dialektik oft durch Allegorie und Dichtung unterbrochen. Herder hatte das Bedürfniß, sich nach allen Seiten auszubreiten; aber er hatte nie das Bedürfniß, eine Sache endgiltig abzuschließen.

Herder's eigentliche Urthat, die treibende Kraft und Lebensseele seines gesammten Empfindens und Denkens, war seine geniale Einsicht in Wesen und Ursprung der Volkspoesie, wie sie in dieser Tiefe und Lebendigkeit noch Niemand erschaut und erkannt hatte.

Zwar war schon Lessing von der naiven Naturfrische der alten Volkslieder auf's tiefste ergriffen, und wir wissen, wie scharf er Nicolai abfertigte, als dieser die Lust an Volksliedern plump verhöhnte; zwar lenkten eben jezt auch Gerstenberg und Klopstock die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Edda; zwar war namentlich durch die Engländer, durch Lowth's Untersuchungen

über die hebräische Dichtung, durch Young's Gedanken über Originalwerke, durch Dodd's Schönheiten Shakespeare's, durch Wood's Betrachtungen über Homer, durch Macpherson's Offian und Percy's Sammlung alter Balladen die Unterscheidung zwischen Kunstdichtung und Volksdichtung lebendig geweckt worden. Herder jedoch, mit seiner tief innigen dichterischen Feinfühligkeit und mit seinem durch Rousseau geschårften Sinn für das Elementare und Naturwüchsige, war der Erste, welcher den Begriff der Volkspoesie zur vollen Geltung erhob und die Poesie als die naturnothwendige Muttersprache des menschlichen Geistes, als den Keim und Kern aller Religion, Philosophie und Geschichte erfaßte.

Diese tiefe Erkenntniß, daß, wie Goethe sich im zehnten Buch von Wahrheit und Dichtung treffend ausdrückt, die Poesie nicht das Privaterbtheil einiger weniger Gebildeter, sondern vielmehr eine allgemeine Welt- und Völkergabe sei, hat Herder immer und immer wieder und in den verschiedensten Wendungen ausgesprochen. Um klarsten und vollståndigsten in dem 1768 geschriebenen Fragment: »Von Entstehung und Fortpflanzung der ersten Religionsbegriffe.« Die denkwürdige Stelle (Lebensbild, Bd. 1, 3, a. S. 390) lautet: »Der Denkart der Nationen bin ich nachgeschlichen, und, was ich ohne System und Grübelei herausgebracht, ist, daß jede sich Urkunden bildete nach der Religion ihres Landes, nach der Tradition ihrer Våter und nach den Begriffen der Nation, daß diese Urkunden in einer dichte= rischen Sprache, in dichterischen Einkleidungen und in dichterischem Rhythmus erschienen: also mythologische Nationalgesånge vom Ursprung ihrer åltesten Merkwürdigkeiten. Und solche Gesånge hat jede Nation des Alterthums gehabt, die sich ohne fremde Beihülfe auf dem Pfad ihrer eigenen Kultur nur etwas über die Barbarei hinaufgebildet. Wo nur Reste oder Nachrichten sind, da sind auch die Ruinen solcher Urkunden; die Edda

der Celten, die Kosmogenieen oder Theogonieen und Heldengesånge der åltesten Griechen, die Nachrichten von Indianern, Spaniern, Galliern, Deutschen und von Allem, was Barbar hieß, Alles ist Eine gesammte Stimme, ein einziger Laut von solchen poetischen Urkunden voriger Zeiten. Wer Ifelin's Geschichte der Menschheit in einem so merkwürdigen Zeitpunkt beleben wollte, der bringe alle diese Nationalsagen und mythische Einkleidungen und Fragmente von Urkunden in die nackte dürftige menschliche Seele zurück, die sie auf solchem Wege zu bilden anfing, und mit allgemeinen Aussichten über Völker und Zeiten sammle er so aus der Barbarei einen Geist urkundlicher Traditionen und mythologischer Gesånge, wie Montesquieu einen Geist der Gesetze sammelte. Dort wenigstens sind überall redende Züge zum Bilde des menschlichen Geistes und Herzens, wie wir sie in unserm gebildeten und verkünftelten Zeitalter nicht finden. Alles, was wir vom Menschen in unseren verfeinerten Zeiten nur in schwachen dunklen Zügen sehen, lebt in den Urkunden dieses Weltalters.« An einer andern Stelle, in der Abhandlung über Offian (3ur schönen Literatur und Kunst, Bd. 7. S. 63), nennt Herder die Poesie der Naturvölker das Archiv des Volkslebens, den Schatz ihrer Wissenschaft und Religion, ihrer Theogonie und Kosmogenie, der Thaten ihrer Våter und der Begebenheiten ihrer Geschichte, den Abdruck ihres Herzens, das Bild ihres häuslichen Lebens.

Namentlich Herder's Jugendthätigkeit wurzelt einzig in diesem hohen Grundbegriff. Sie ist die Durchführung desselben in feiner ganzen Tragweite; nicht blos für die Betrachtung der Dichtung und Kunst, sondern ebenso sehr für die Betrachtung der Sprache, der Religion und der Geschichte.

Grade die erste Epoche Herder's ist daher die unbedingt reichste und geschichtlich wirksamste. Die Briefe und Lebensnachrichten Herder's bekunden unzweifelhaft, daß auch alle seine

spåteren Werke, welche geschichtliche Bedeutung gewonnen haben, bereits in diesen ernststrebenden kråftigen Jugendjahren wurzeln. Diese erste Epoche erstreckt sich bis zum Jahr 1778.

Herder's Lebensverhältnisse waren in dieser Zeit bunt und bewegt. Nachdem er Riga verlassen, hatte er långere Zeit in Nantes und Paris verweilt. Darauf war er über die Niederlande, Hamburg und Kiel nach Eutin gegangen und von dort als Erzieher und Reiseprediger des Prinzen von Holstein-Eutin über Süddeutschland nach Straßburg; Goethe hat in Wahrheit und Dichtung sein Straßburger Zusammenleben mit Herder lebendig geschildert. Von 1771 bis 1776 war Herder Hofprediger in Bückeburg. Im Sommer 1776 wurde er auf Goethe's Anlaß Generalsuperintendent in Weimar. Aber in seinem inneren Leben und Streben blieb Herder von diesem bunten Wechsel unberührt.

Am unmittelbarsten und nachhaltigsten wirkte die neue Anschauung Herder's auf die geschichtliche und kritische Betrachtung der Dichtung selbst.

Erst jest war die Einsicht möglich geworden, daß die Geschichte der Dichtung nicht blos eine äußerliche Erzählung und Aufzählung der Dichter und ihrer Lebensumstände und Werke sei, sondern die wissenschaftliche Darlegung des engen Zusammenhanges der Dichtung mit den durch Volksglauben und Volksthum bedingten allgemeinen Bildungsverhältnissen, die Ableitung der Literatur aus ihren bindenden weltgeschichtlichen Grundlagen, aus dem Geist und der Empfindung ihres Volks, der Zeit und des Landes. Schon früh war Herder diese geschichtliche Seite klar ins Bewußtsein getreten. Deutliches Zeugniß giebt die bereits 1766 und 1767 in Königsberg und Riga geschriebene »Abhandlung über die Ode« oder, wie Herder mit Recht hätte fagen können, die Abhandlung über die Lyrik; sie ist Bruchstück geblieben und darum erst in Herder's Lebensbild (Bd. 1, 3, a.

Hettner, Literaturgeschichte. III. 3. 1.

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S. 61 ff.) aus seinem Nachlaß veröffentlicht. »Wenn irgend eine Gedichtgattung,« sagt Herder (S. 63), »ein Proteas unter den Nationen geworden ist, so hat die Odè nach der Empfindung, dem Gegenstand und der Sprache ihren Geist und Inhalt und Miene und Gang so verändert, daß vielleicht nur der Zauberspiegel des Aesthetikers dasselbe Lebendige unter so verschiedenen Gestalten erkennt. Die Dithyrambe der Griechen ist etwas durchaus Underes als die hebräische Hymne, und auch innerhalb Griechenlands selbst scheint jedes besondere Vaterland den griechischen Odendichter wieder besonders zu bestimmen, so daß (S. 66) Theben Pindar, Sparta Alkman, Teos Anakreon, Lesbos Sappho erzeugte; und diese Verschiedenheit zu untersuchen ist ebenso nöthig, als es nöthig ist, zu fragen, warum Sophokles und Euripides nicht Shakespeare und Racine sind.« Und noch bestimmter heißt es in dem gleichzeitigen »Versuch einer Geschichte der Dichtkunst«< (ebend. S. 102): »Man hat einen Begriff der Ode festseßen wollen; aber was ist die Ode? Die griechische, römische, orientalische, skaldische, neuere, ist nicht völlig dieselbe; welche von ihnen ist die beste, welche sind blos Abweichungen? Ich könnte es leicht beweisen, daß die meisten Untersucher nach ihren Lieblingsgedanken entschieden haben, weil jeder seine Begriffe und Regeln blos von Einer Urt Eines Volks abzog und die übrigen für Abweichungen erklårte. Der unparteiische Untersucher nimmt alle Gattungen für gleich würdig seiner Bemerkungen an, und sucht sich also zuerst eine Geschichte im Ganzen zu bilden, um nachher über Alles zu urtheilen.« Und in der Abhandlung »>Von der Verschiedenheit des Geschmacks und der Denkart unter den Menschen« giebt Herder (ebend. S. 188) seiner tiefen Erkenntniß von der nothwendigen Wandelbarkeit des dichterischen Ideals sogar die humoristische Wendung: »>Ein guter ehrlicher Mann, der die Welt nur vom Markt, vom Kaffeehause oder höchstens aus dem Hamburgischen Correspondenten kennt,

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