ภาพหน้าหนังสือ
PDF
ePub

Gleichwohl hat Herder aus dieser scharfen Gegenüberstellung der Entwicklungsbedingungen antiker und moderner Tragik zugleich eine Reihe anderer Folgerungen gezogen, welche über die Auffassungsweise Lessing's hinaus ein sehr bedeutender Fortschritt waren. Obwohl auch Herder noch ebensowenig wie Lessing sich zum Bewußtsein gebracht hatte, daß der eigenste und tiefste Unterschied der antiken und modernen Tragödie vor Allem in dem tiefgreifenden Gegensatz liege, daß die moderne Tragödie mit ihrem gesteigerten und verinnerlichten Freiheitsgefühl die Katastrophe, den Untergang des Helden, nicht wie die antike Tragödie aus einem äußeren unentrinnbaren Götterverhängniß, sondern vielmehr aus der verantwortlichen tragischen Schuld des Handelnden selbst ableite, so war doch Herder in der That der Erste, welcher, mehr als es Lessing jemals vermocht hätte, die Größe und Eigenthümlichkeit Shakespeare's auf ihre geschichtlichen Grundlagen zurückführte und ihn rein aus sich selbst erklärte. Nimmt es Wunder, daß Lessing niemals irgendeine Tragödie Shakespeare's einer genaueren Zergliederung unterworfen hat, wie er in seiner Jugend doch selbst mittelmäßige Trauerspiele der römischen Kaiserzeit im Einzelnen betrachtet und zergliedert hatte, so ist es eine sehr bedeutsame Thatsache, daß uns in dieser kleinen Abhandlung Herder's solche Zergliederungen in reichster Fülle entgegentreten; noch jekt wird Niemand Herder's Worte über Lear, Othello, Macbeth und Hamlet ohne die innigste Befriedigung lesen. Und glaubte Lessing, wie Philotas und besonders einzelne seiner unausgeführten dramatischen Entwürfe (Lachm., Bd. 2, S. 515, Bd. 11, S. 390) beweisen, Sophokles noch ganz unmittelbar nachahmen und für die moderne Bühne nußbar machen zu können, so predigte Herder in jeder Zeile, daß einzig und allein in Shakespeare das maßgebende Muster des modernen Dramatikers liege, und daß jede einseitige Anlehnung an die Antike ihn von dem einzig möglichen Wege ablenken müsse. Dabei ist freilich

nicht zu übersehen, daß andererseits diese Abhandlung Herder's an einer Schwäche krankte, welche von Lessing's genialem Kunstverstand långst überwunden war. Herder hatte keine Einsicht in die unverbrüchlichen Stilunterschiede des Epischen und des Dramatischen. Uneingedenk der unumstößlichen Lessing'schen Lehre, daß das Drama nicht dialogisirte Geschichte sei, ließ sich Herder durch die aus Shakespeare's Jugendzeit stammenden Dramen aus der englischen Geschichte, welche noch in der episirenden Unreife seiner nåchsten Vorgånger befangen sind und daher zu der vollen dramatischen Geschlossenheit der spåteren Meisterwerke in entschiedenem Gegensatz stehen, leider verlocken, das Wesen der dramatischen Handlung wieder mit dem Wesen der epischen Begebenheit, oder, wie wir vielleicht bezeichnender sagen können, die Einheit der Handlung wieder mit der Einheit der Person zu verwechseln. Das Drama war ihm (S. 301) lediglich Historie, Helden- und Staatsaction, ein Größe habendes Ereigniß. Eine Verirrung, die für das deutsche Drama der Sturm- und Drangperiode und für das Drama der Romantiker von den verhängnißvollsten Folgen wurde.

und

Und diese großartigen geschichtlichen Anschauungen Studien Herder's waren der Boden, aus welchem seine kritischen Schriften erwuchsen.

Herder's Kritik ist lediglich die werkthåtige Anwendung der leitenden Grundsåße, welche er sich aus seiner neuen und eigen= thümlichen Betrachtung der Geschichte der Dichtung gezogen hatte.

So fühlbar die Kritik Herder's an fester Einsicht in die künstlerischen Formgesetze hinter Lessing zurücksteht, so ist doch auch sie, sowohl in ihrem Verhalten zu den dichterischen Bestrebungen der nächsten Gegenwart wie in der Feststellung der zu erstrebenden Ziele, eine im höchsten Sinn schöpferische. Wer so tief und innig wie Herder von dem unauflöslichen Zusammenhang

der Dichtung mit dem eigensten Leben und Weben des schaffenden Zeit- und Volksgemüths erfüllt und durchdrungen war, der mußte in dem großen Kampf für eine volksthümlich deutsche Kunst, welchen Lessing soeben zum glänzenden Sieg führte, auch seinerseits ein gewaltiger, den Feind von ganz neuen Angriffsstellungen bekämpfender Mitkämpfer und Vorkämpfer sein. Und wer so innig wie Herder von dem Zauber und dem inneren Gehalt ursprünglicher Volksdichtung und von dem tiefen Gegensat derselben zu der gelehrten Kunstdichtung erfüllt und durchdrungen war, der mußte auch die leßten Schranken der vorwaltenden Reflexionsdichtung, welche Lessing niemals durchbrochen hatte, von Grund aus durchbrechen.

Ist zu sagen, daß die Abwendung von den Franzosen zu den stammverwandten Englåndern, welche seit den berühmten Streitigkeiten zwischen Gottsched und den Schweizer Kritikern Bodmer und Breitinger die gesammte deutsche Literaturbewegung unablåssig bedingt und beschäftigt hatte, in ihrem geschichtlichen Ursprung und Wachsthum wesentlich die Auflehnung des erstarkten germanischen Volksnaturells gegen die erdrückende Uebermacht der romanischen Formenwelt war, so war es eine sehr wirksame Ergänzung dieser Bestrebungen, wenn Herder auf die Wurzel dieser romanischen Renaissancekunst selbst, d. h. auf die Frage nach dem Recht und der Grenze der Nachahmung der Alten zurückgriff.

Die ersten Anregungen dieser Richtung hatte Herder von Young und Klopstock überkommen; es ist ganz im Ton der bardischen Epoche Klopstock's, wenn Herder in seiner Abhandlung über die Ode (Lebensbild, Bd. 1, 3, a. G. 69) die deutschen Dichter von der Ceder Libanons, von dem Weinstock Griechenlands und dem Lorbeer Roms zu den Holzåpfeln ihrer eigenen heiligen Wålder, oder, wie Herder ausdrücklich (S. 74) hinzuseht, neben Shakespeare's Schriften zur nordischen Edda und zu

den Gesängen der Barden und Skalden ruft. Die »Fragmente über die neuere deutsche Literatur« aber, mit welchen Herder 1766 zuerst als Schriftsteller auftrat, geben diesen Gedanken eine Ausführung und Anwendung, welche die Grundlegung und Erweckung einer völlig neuen Epoche wurde. Warum die alttestamentlichen Dichtungen, die Griechen, die Römer so åußerlich und eintönig nachahmen, da doch unsere Psalmisten, Epiker, Dithyramben-, Oden- und Idyllendichter sattsam beweisen, daß solche Nachahmungen immer mißlingen und schlechterdings mißlingen müssen, weil unsere landschaftliche Natur, unsere Geschichte, unsere Mythologie, unsere ganze Religion, unsere Begabung, unsere Sprache eine so durchaus andere ist als die Natur, Geschichte, Mythologie, Religion, Begabung und Sprache der Urbilder? Warum nicht statt der elenden Nachahmungen lieber Erklärungen und Uebersekungen, damit wir, wie Herder noch immer von dieser Zeit fagen konnte, die Griechen, bevor wir sie nachahmen, auch wirklich kennen lernen? Die Summe dieser Betrachtungen gipfelt im dritten Fragment, dessen Inhalt Herder in einem gleichzeitigen Briefe (Lebensbild, Bd. 1, 2. S. 270) in den Sah zusammenfaßt: »Wir sind schiefe Römer in Sprache, Philosophie, Mythologie, Ode, philosophischem Lehrgedicht, Elegie, Satire, Beredtsamkeit, wenn wir nichts als Römer, nichts als Horaze, Lucreze, Tibulle, Cicerone sein wollen.« Mit so unzweifelhaftem Recht Herder am Schluß dieses Fragments (1767. S. 331. 3ur schönen Literatur und Kunst, Bd. 2. S. 332) sagen konnte, daß, wer da meine, er wolle ihn von der Kenntniß der Alten abhalten oder ihn im Studium derselben ermüden, sein Buch ins Feuer werfen solle, so scharf und nachdrücklich betont er, daß es unsere unerläßliche Aufgabe sei, den noch immer vorwaltenden lateinischen Zuschnitt unserer Bildung und also auch unserer Dichtung endlich abzuwerfen und die Fåden unserer eigenen, naturwüchsigen, ächt volksthümlichen Bildung, welche die zweite Hälfte

des sechzehnten Jahrhunderts gewaltsam durchschnitten, wieder aufzunehmen und mit aller Kraft fortzuführen. Statt, daß man (ebend. S. 247) die Alten håtte erwecken sollen, um sich nach ihnen zu bilden und sich von ihnen den Geist einhauchen zu las= sen, den man brauche, um nach seiner Zeit und in seinem Lande wahre Größe zu erreichen, sei man bei der åußeren Schale geblieben; man habe nur gelernt, was die Alten gedacht, nicht aber, wie sie denken; man habe die Sprache gesprochen, in der sie gesprochen, nicht die Art, wie sie sprachen. In Deutschland habe Luther auch in diesem Gesichtspunkt großes Verdienst. Er sei es gewesen, der die deutsche Sprache, einen schlafenden Riesen, aufgeweckt und losgebunden, der die scholastische Wortkråmerei wie jene Wechslertische verschüttet; er habe durch seine Reformation die ganze Nation zum Denken und Gefühl erhoben. Nachher aber sei Alles wieder verdorben worden, und nicht blos unsere naiv körnigte Sprache, sondern unsere gesammte Bildung sei von Latium gefesselt. Sei es denn nicht gewiß, daß die Römer auf einer andern Stufe der Kultur gestanden als wir, daß wir sie in einigen Stücken hinter uns haben, und in anderen, wo sie vor uns find, nicht nachahmen können? Es sei nicht schlechterdings ein Ruhm, wenn es heiße, dieser Dichter singe wie Horaz, jener Redner spreche wie Cicero, dieser philosophische Dichter sei ein anderer Lucrez, dieser Geschichtschreiber ein zweiter Livius; aber das sei ein großer, ein seltener, ein beneidenswerther Ruhm, wenn es heißen könne, so håtte Horaz, Cicero, Lucrez, Livius geschrieben, wenn sie über diesen Vorfall, auf dieser Stufe der Kultur, zu dieser Zeit, zu diesen Zwecken, für die Denkart dieses Volks, in dieser Sprache geschrieben håtten. „O, das verwünschte Wort: Klassisch! Es hat (S. 197) uns Cicero zum klassischen Schulredner, Horaz und Virgil zu klassischen Schulpoeten, Cåsar zum Pedanten, Livius zum Wortkråmer gemacht; es hat den Ausdruck vom Gedanken und den Gedanken von der ihn erzeuHettner, Literaturgeschichte. III. 3. 1.

4

« ก่อนหน้าดำเนินการต่อ
 »