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seau sein unausgefehter Verkehr; und auch noch in Riga blieb ihm derselbe für alle seine kühnen und genialen Zukunftsplåne der bestimmende Leiter und Führer. Goethe hegte, wie sein Tagebuch aus der Straßburger Zeit (Briefe und Auffäße, herausgegeben von A. Schöll, S. 96) beweist, die lebhafteste Vorliebe namentlich für Rousseau's religiöse Ideen. Es ist eine sehr bedeutsame Thatsache, daß Kestner in einem herrlichen Briefe (vgl. Goethe und Werther 1854, S. 37), in welchem er uns Goethe in den ersten Monaten seines Wehlarer Aufenthalts schildert, ausdrücklich hervorhebt, daß Goethe ein Verehrer Rousseau's sei, wenn er auch nicht zu dessen blinden Anbetern gehöre; Werther und Faust sind ohne Rousseau undenkbar. Heinse mit seinem Drang nach sinnlicher Naturfülle bezeichnet sich als »verfeinerten Rousseauisten«. Lenz wünscht eine Bildsäule Rousseau's unmittelbar neben einer Bildsäule Shakespeares, und die Neue Heloise ist ihm das beste Buch, das jemals mit französischen Lettern gedruckt worden. Klinger ist sein ganzes reiches und wechselvolles Leben hindurch niemals aus dem Banne Rousseau's herausgetreten. Schiller widmet dem begeisterten Lob Rousseau's eines seiner frühesten Gedichte; und seine ersten dramatischen Dichtungen, von den Räubern bis zum Don Carlos, was find fie anderes als der kraftvoll dichterische Ausdruck des tiefen revolu= tionåren Grollens, das der nach Natur und Freiheit lechzende Jüngling durch die Schriften Rousseau's in sich genåhrt und gesteigert hatte? In der Rechtswissenschaft, im Erziehungswesen, überall dieselben tiefgreifenden Einwirkungen. In Rousseau's Namen, sagt Goethe im dreizehnten Buch von Wahrheit und Dichtung, war eine stille Gemeinde weit und breit ausgesået. Und noch in Niebuhr's Jugendzeit, die doch fast um ein Menschenalter spåter fållt, war, wie Niebuhr in seinen Vorlesungen über die Geschichte des Zeitalters der Revolution (Bd. 1, S. 83) berichtet, Rousseau der Held Aller, die nach Befreiung strebten. Immer zahlreicher

wurden in Deutschland die Parkanlagen englischer Art, deren Reize Rousseau in der Neuen Heloise so warm empfindend gefeiert hatte; und bald gab es in Deutschland keinen irgend größeren Park mehr, in welchem nicht eine kleine künstliche Insel oder ein stilles Waldversteck mit der Büste Rousseau's geschmückt war.

Die geschichtliche Stellung der Sturm- und Drangperiode zu den großen Bestrebungen des deutschen Aufklärungszeitalters ist daher genau dieselbe wie die geschichtliche Stellung Rousseau's zu Voltaire und zu den französischen Encyklopådisten.

Wie in Rousseau, so auch in der deutschen Stürm- und Drangperiode das heiße Hungern und Dürsten nach tieferer Gemüthsinnerlichkeit und das zornmüthige Ankämpfen gegen Alles, was in Leben, Sitte und Denkart, in Wissenschaft und Dichtung, diesem Verlangen nach Natur und Freiheit sich hindernd entgegenstellt; und wie in Rousseau, so auch in der deutschen Sturm- und Drangperiode zugleich diefelbe Verzerrung dieser tieferen Innerlichkeit in die eitelste Gefühlssophistik, welche oft wieder verwirrte und gefåhrdete, was durch die Siege der Aufklärung für immer gelöst und errungen schien.

Aus der verrotteten Gegenwart und Wirklichkeit sollte der Mensch wieder zurückkehren zu dem verlorenen Paradies feines unverlierbar angeborenen Naturzustandes. Aus der herzschnürenden Enge der herrschenden Aufklärungsbildung sollte der Mensch sich wieder erheben und erlösen zum unverbrüchlichen Idealismus des Herzens, zur unverkümmerten Erfassung und Erfüllung seiner vollen und ganzen, reinen und ursprünglichen Menschennatur. Doch zunächst trat nur die eine Einseitigkeit an die Stelle der anderen. Die Jahre der Sturmund Drangperiode sind die Flegeljahre der deutschen Bildung; und zwar um so ungebårdiger, je mehr die Enge und Stille des Daseins Phantasie und Gemüth ganz auf sich selbst wies, je mehr bei der Erstorbenheit aller öffentlichen Dinge jedes Gegengewicht einer bedeutenden Wirklichkeit fehlte. Man träumte den holden Traum, auch das Leben poetisch leben zu dürfen; und man ver

stand unter dieser Poesie des Lebens nur die Eingebungen und Gelüste ungebundener Gemüthswillkür. Man wollte die Philisterhaftigkeit bekämpfen; und man verfiel in die trübste Phantastik.

Natur, Natur! »Unter allen Besitzungen ist ein eigen Herz

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die kostbarste, und unter Tausenden haben sie kaum Zwei.«< »Das Leben soll der lebendige Athem ber Natur sein, nicht das schale Lied des gewöhnlichen moralischen Dudeldeis!« - » Mögen sie immer Bollwerke vor ihr Herz postiren; wohl uns, daß wir frei athmen!<«< -»Erkennt Natur auch Schreibepultgefeße, taugt für die warme Welt denn ein erfrorner Sinn?«

>> Ueberall ein unbedingtes Streben, alle Grenzen zu durchbrechen; überall unmuthiger Uebermuth.« »Nur kleine Seelen knieen vor der Regel; die große Seele kennt sie nicht.«

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Zwei hochragende Genien waren die Führer der Sturmund Drangperiode, Herder und Goethe.

Herder übertrug das Naturevangelium Rousseau's auf die Forderungen des dichterischen Empfindens und Schaffens. Er ist dadurch wesentlich der Vorkåmpfer der jungen Dichterschule geworden; es fielen die leßten Schranken moralisirender Absichtlichkeit, in welche selbst noch Lessing gebannt gewesen. Und durch die wissenschaftliche Erforschung und Erkenntniß der naturwůchsigen menschlichen Bildungsanfånge und deren allmålicher folgerichtiger Entwicklung, wurde er der Begründer einer neuen Sprach-, Religions- und Geschichtswissenschaft, auf deren Bahnen wir noch heute fortwandeln, wenn auch unendlich bereichert und vorwärtsgeschritten.

Am tiefsten und mächtigsten aber gåhrte und wühlte die neue Zeitrichtung in Goethe, dem genialen Dichterjüngling, der nur darum ein so großer und gewaltiger Dichter wurde, weil er ein so großer und gewaltiger Mensch war. Was der Grundgedanke und die treibende Kraft seines ganzen Lebens ist, das. Verlangen nach voller und ungetrübter Entfaltung und Bethå

tigung der vollen und ganzen Menschennatur, das Ideal reinen und freien Menschenthums auf dem Grunde vollendeter harmo= nischer Bildung, das keimte und knospete schon jetzt in ihm, wenn auch zunächst nur als unbestimmter. dunkler Drang, als überschäumendes Unendlichkeitsgefühl. Einerseits daher im Gök, im Prometheus und in der Fausttragödie, deren erste Conception schon in diese Zeit fällt, das trotzige ungestüme Titanenthum, das ungebåndigte Stürmen und Drången nach einer besseren und kraftvolleren Menschenart, nach schrankenloser Erkenntniß und Thatkraft; und andererseits im Werther die tiefe Klage über den Verlust des erträumten Naturzustandes, das leidenschaftliche Murren und Grollen gegen die Hårte und Kålte der widerstrebenden Wirklichkeit, die dem drångenden Geist die Flügel beschneidet und sein kühnes Emporstreben gewaltsam herabbeugt, der selbstquålerisch brütende Weltschmerz, das empfindsame und schönselige Schwelgen des Herzens in sich. »Warum so grenzenlos an Gefühl und warum so eingeengt in der Kraft des Vollbringens? Warum diese süße Belebung meiner aufkeimenden Ideen und deren dumpfes Dahinsterben unter der Ohnmacht der Menschen? Daß ich mich so hoch droben fühle, und doch nicht sagen soll, du bist Alles, was du sein kannst; hier, hier steckt meine Qual!«

Ein Jahrzehnt darauf lenkte Schiller dies revolutionåre Grollen auf Staat und Gesellschaft; einer der Wenigen, in denen auch die politische Seite zu leidenschaftlichem Ausdruck kam.

Und rings um diese großen Führer die gesammte deutsche Jugend, von denselben Stimmungen und Empfindungen getragen; aber krankhafter und unreifer.

Viel thörichtes Singen und Sagen von der Urkraft und Göttlichkeit des Genies, dessen Recht und Pflicht es sei, sich selbst voll und ganz auszuleben; und dabei die naiv komische Gewißheit eines Jeden, selbst ein solch göttliches Genie zu sein, das

kein anderes Lebens- und Sittengesetz anzuerkennen habe als einzig die ungebundene Eigenmacht des angeborenen Ich, wie es ging und stand, wie es nackt aus der Hand der Natur kam, ohne Zucht und Maß, mit allen Schrullen und blinden Leidenschaftlichkeiten. Die Spielereien der Lavater'schen Physiognomik, aus diesem Glauben an die Macht und Berechtigung aller zufälligsten und persönlichsten Eigenheiten und aus dem Suchen und Jagen nach Menschen von Genie und Herzenstiefe hervorgegangen, bemächtigten sich aller Kreise und galten als eines der wichtigsten Bildungsanliegen. Der Ruf nach Genialitåt wurde der Freibrief für alles Absonderliche und Verschrobene. • Die scharf betonte Kraftfülle wurde prahlerische Schaustellung studentenhafter Roheit und wüste Orgie der Liederlichkeit; die in sich versunkene Gefühlsinnerlichkeit wurde verzehrende Empfindelei und haltlose Selbstverhätschelung. Und es ist nur ein neuer und anderer Zug derselben überreizten Geniesucht, wenn in den meisten Jünglingen dieser Zeit eine Theatermanie herrscht, wie sie in solcher Ausdehnung wohl niemals vorgekommen. Schwerlich würde in der Bildungsgeschichte eines Deutschen der Gegenwart dem Theater ein so breiter Raum eingeräumt werden, wie ihm Goethe in der Bildungsgeschichte Wilhelm Meisters eingeräumt hat. K. Ph. Morih sagt im Lebensroman Anton Reisers das lösende Wort. Die Bühne, als die gefeite Phantasiewelt, erschien als die rettende Zuflucht gegen die Widerwärtigkeiten und Bedrückungen der Wirklichkeit, als der einzige Ort, wo der ungenügsame Wunsch, alle Scenen des Menschenlebens selbst zu durchleben, Befriedigung finden konnte.

Lenz spricht diese gefühlsschwelgerische Starkgeisterei treffend in den bekannten Versen aus: »Lieben, Hassen, Fürchten, Zittern, Hoffen, Zagen bis ins Mark, kann das Leben zwar verbittern, aber ohne sie wår's Quark!« Friedrich Müller, der sogenannte Maler Müller, einer der Begabtesten dieser jungen Dichter, rühmt

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