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Zeit der religiösen Siedeglut für Herder. Es ergab sich von selbst, nach welcher Seite er sich mit seinem Schrifttum fürder wenden mußte. Trotz mancher Verbindung mit Nicolai und andern Führern der Aufklärung hatte er aus seiner eignen brausenden Natur, aus Hamanns Einfluß und seinen ästhetischen Erkenntnissen einen heftigen Widerwillen gegen den Moralismus und Verstandesdünkel der Aufklärung geschöpft. In Bückeburg übertrug er ihn unwillkürlich auf das religiöse Gebiet und wurde dadurch noch mehr als schon Hamann oder der schwärmerische Lavater ein Prophet des neueren Christentums. Förderlich war ihm dabei das seelsorgerliche Verhältnis zu der innig frommen Gräfin Maria, seiner Landesmutter, an der ihm die Gemütskraft des Christentums aufs stärkste zum Bewußtsein kam, und die Wiederanknüpfung des Verkehrs mit Hamann. Auch Lavater trat er, obschon mit sachlicher Kritik, jetzt endlich näher. In wunderbarer Wechselwirkung verbanden sich die verschiedensten Elemente seines Geistes. Da aber die religiöse Empfindung am stärksten war, fiel der Hauptteil seiner Arbeit der Theologie zu; daher ist bei Herder wie bei so vielen andern Führern unsres geistigen Lebens der Fortschritt der Bildung mit theologischer Facharbeit verknüpft.

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Im jungen Eheglück Mai 73 war die Hochzeit erwuchs ihm die Kraft zu einem nicht abreißenden literarischen Schaffen. Die Älteste Urkunde des Menschengeschlechts" (vor allem der Schöpfungsbericht), die 15 Provinzialblätter an Prediger, die Erläuterungen zum Neuen Testament (auf Grund eines französischen Werkes über den Parsismus) waren die bedeutendsten theologischen Schriften. Gleichzeitig ging die Arbeit auf ästhetischem Gebiete (Volkslieder!) fort, er suchte seine psychologischen Grundanschauungen in der Schrift über das „Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele" zu sammeln (Text S. 50-86), und es entstand der erste Abriß seiner Geschichtsphilosophie: „Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit" (im Text S. 87 ff.; vgl. Nr. 4 der Einl.). Es ist kein Zufall, daß gerade in der Zeit der religiösen Vertiefung die längst vor seinen Augen schwebende Philosophie der Menschheitsgeschichte Gestalt gewann. Der Sinn für das Individuelle

und das Streben nach zusammenfassender Einheit konnten sich nur so verbinden, daß die Einheit in dem göttlichen Weltplan, in einer Erziehung der Menschen durch Gott, in dem „Gang Gottes über die Nationen" sich darstellte. Der Begriff der geschichtlichen Entwicklung ist aus der religiösen Betrachtung der Geschichte geboren. Freilich vermag Herder seinen Grundgedanken noch nicht völlig zu verwirklichen. Erst in Lessing*) hat der Gedanke von der Erziehung des Menschengeschlechts wenigstens auf dem religiösen Gebiete eine obschon einseitigere Durchführung und damit Verbreitung gewonnen (zwischen 1777 und 80).

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Allein die höchste Einheit, die Herders Empfinden und Denken erstrebte, reicht noch weiter: Natur und Geschichte fließen ihm ineinander. Es bildet sich ein Monismus, der das gottbeseelte Weltall als eine zusammenhängende das Wie bleibt unklar Stufenfolge von Wesen betrachtet, auf deren Spitze der Mensch mit seinem Gottes- und Selbstbewußtsein steht. In St. Johanns Nachtstraum" z. B. (Text S. 248-50) löst sich der Dichter fast auf in schwärmender Betrachtung der Natur, aber nur, um zuletzt doch in der Sehnsucht nach liebenden Menschen zu münden und das Naturgefühl in Gottesempfindung zu verklären.

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Im Zusammenhang damit empfindet Herder eine wachsende Neigung zu Spinoza. Dessen Philosophie war noch immer in allen Lagern gleich verhaßt. Nur einzelne dachten anders. Edelmann hatte seit 1740 mit der Kritik auch den Monismus Spinozas übernommen. Lorenz Schmidt hatte 1744 unter der Maske einer Widerlegung der Lehre Spinozas durch den berühmten Philosophen Chr. Wolff" eine gute Übersetzung der Ethik in den Handel gebracht. Mylius, der Verwandte Lessings, hatte 1745 ihn als einen frommen, gründlichen, sittenstrengen Lehrer von den Freidenkern unterschieden und von der „teuren Asche des großen Spinoza" zu sprechen gewagt. Dann hatte die ästhetische Welle wenigstens vielfach den Geschmack an der harmonischen Einheit des spinozistischen Weltbildes

*) Die Anlehnung an Herder ist in dieser Schrift Lessings unleugbar. Vgl. Su. 7, XXVI und E. Schmidts „Lessing" II2, 470 ff. Meist wird das Verhältnis umgekehrt.

Stephan, Herders Philosophie.

B

verbreitet.*) Bekannt ist, daß Lessing bereits seit den sechziger Jahren im ev xaι лav seine eigne Überzeugung fand. Herder war von Hamann, obwohl auch dieser einen religiösen Monismus pflegte, antispinozistisch beeinflußt. Noch in Riga hatte er das „Monadenpoem" von Leibniz höher gestellt als Spinozas System (Su. 32, 32). Jetzt aber trat ein Umschwung ein. Er weist die verständnislose Behandlung des Denkers durch Bayle zurück (Su. 6, 440. 45; vgl. 5, 460). Die Ethik empfiehlt er 74 dem Grafen Wilhelm und 75 Gleim. Bei allem Widerwillen gegen die mathematische Form seines Philosophierens stellt er den Philosophen selbst dem Christentum so nah als möglich (Su. 7, 374. 462). Er lobt ihn 75 als den Theologen des Cartesianismus und beweist sogar in der beigefügten Kritik seine Achtung: für Spinoza verschwinde die Individualität neben dem alles bewegenden und denkenden Gotte; er sei so hoch in die Unendlichkeit gestiegen, daß die Einzelheiten ihm verbleichen (Su. 8, 266).

In der Glut der religiösen Empfindung schmelzen die verschiedenen Stücke von Herders philosophischer Überzeugung ineinander Leibnizische Grundbegriffe verbinden sich mit der spinozistischen Stimmung; aus dem Christentum tritt die Lebendigkeit Gottes und die Wertung der Geschichte hinzu. Auch Shaftesburys Einfluß wächst noch weiter; Herder hatte ihn schon 1770 aufs wärmste verteidigt (Lebensbild III, 1, S. 110f.) und verbindet nun (Brief an Gleim 75) seinen Namen eng mit dem Spinozas. So scheint Herders Philosophie eine neue, religiös bedingte Einheit zu gewinnen. Aber sie bleibt auch jetzt in der Tiefe der Empfindung, statt sich in angespannter Denkarbeit und zusammenhängendem Schaffen einen würdigen Ausdruck zu erringen. Der Ärger über andre, zumal über die Aufklärung, ist der Geburtshelfer seiner Werke. entsteht nur eine krampfhaft und stoßweise hervortretende Fülle von trefflichen Einzelausführungen statt eines sieghaften Werkes. An den Widersprüchen seiner Gedanken geht er achtlos vorüber; es genügt ihm das Gefühl ihres inneren Zusammenhangs.

Es

*) Für die wichtige Neugeburt des Spinozismus fehlen alle Vorstudien.

D. Herder sehnte sich längst nach einem größern und bessern Wirkungskreis. Da verschaffte Goethe ihm den Ruf nach Weimar: am 1. Oktober 76 trat er sein Amt als Generalsuperintendent an. Damit beginnt der letzte große Abschnitt seines Lebens, der gegenüber den früheren eine innere Einheit bildet. Wir können uns hier noch kürzer fassen als bisher; denn für die Philosophie Herders tritt kein neues Element hinzu. Persönlich genießt er mit Frau Karoline und den Kindern ein stetes familiäres Glück. Allein es wird leider ebenso stetig durch Krankheit, durch die Überbürdung mit trockner Bureauarbeit und durch die Schwierigkeiten gestört, die er sich selbst durch seine starre Bitterkeit gegenüber den neuen Verhältnissen bereitet. Daß er in der öffentlichen Meinung und in der Schätzung des Großherzogs hinter seinen früheren Schüler Goethe zurücktreten muß, kann er schwer verwinden. Er strebt, ein eigner Mittelpunkt zu bleiben, vermag aber über den Einfluß Goethes den Sieg nicht zu gewinnen. Zwar an innerer Fülle ist er dem neuen Helden der Zeit ebenbürtig oder überlegen, aber es rächt sich jetzt in furchtbarer Weise, daß er nie gelernt hatte, seinen innern Besitz denkend völlig ineinander zu arbeiten oder gar in adäquate Formen zu prägen.

Immerhin läßt die Weimarer Zeit sich in zwei Teile zerlegen, zwischen denen die italienische Reise steht (88f.). In der ersten Hälfte bewegt Herder sich wenigstens teilweise aufwärts. Je mehr mit der Änderung der Lage die Siedeglut der religiösen Stimmung sich zu dem früheren, seiner Natur angemessenen Grade ermäßigte, desto leichter konnte er sie in Formen niederlegen, die zwar weniger schwungvoll und gewaltig, aber dafür lesbarer waren. So entstanden denn jetzt vor allem zwei theologische Werke, die noch heute gelesen zu werden verdienen: die „Briefe, das Studium der Theologie betreffend" (80f.) und „Vom Geist der hebräischen Poesie" (82f.). Aber auch die ästhetischen Arbeiten nahm er mit neuem Eifer auf (Plastik, Volkslieder). Nachdem er die Studien auf den beiden Einzelgebieten, aus denen er vorzüglich seine tieferen Einsichten geschöpft, zu vorläufigen Abschlüssen gebracht hatte, begann er sein zusammenfassendes Hauptwerk.

Durch die (83) neuangeknüpfte Freundschaft mit

B*

Goethe seelisch und sachlich gefördert, schuf er in den „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit" (20 Bücher in vier Teilen: I 84, II 85, III 87, IV 91; Auswahl vgl. S. 107 ff.) ein Meisterstück, das in manchem Betracht noch immer unübertroffen dasteht. In doppelter Weise schreitet es über die Linie jenes geschichtsphilosophischen Aufsatzes (74) fort. Es bildet formell etwa mit Goethes gleichzeitigen Schriften den Höhepunkt des damaligen deutschen Schrifttums. Und es läßt ebenso grundsätzlich wie in allen Einzelheiten die früher mehr isoliert betrachteten geschichtlichen Erscheinungen aus dem Boden der großen Welt-, Erd-, Naturentwicklung herauswachsen es ist die erste wissenschaftliche Anwendung des religiösen, von Leibniz, Spinoza und Shaftesbury befruchteten Monismus in großem Stile, eine wechselseitige Durchdringung natur- und geschichtsphilosophischer Gedanken. Das ist ein Wandel, der sich psychologisch leicht erklärt. In demselben Maße, wie der religiöse Sturm und Drang verkühlte, sank die Bedeutung des geschichtlichen Elements für seine Empfindung; Herder begann wieder an allgemeineren Gedanken und Gefühlen Genüge zu haben. Darum wurde das Band mit Spinoza noch enger. S. 75 unseres Textes und eine briefliche Außerung von 84 weist darauf hin. In der Freundschaft mit Goethe mußte gerade diese Seite seiner Innenwelt neue Anregung empfangen: seine Aufmerksamkeit wandte sich der Natur zu. Immerhin war Herder viel zu sehr Historiker, als daß die Geschichte dabei hätte aufgesogen werden können. Zwar die Bedeutung der geschichtlichen Persönlichkeit trat immer weiter zurück, aber der allgemeine Begriff der Menschheit, der Humanität, wurde zugleich Krone und Rückgrat der gesamten Natur- und Geschichtsentwicklung. Von jeher ein Lieblingswort Herders, aber mehr als Idealbegriff für alles Wertvolle, was er im Menschen ahnte und wußte, trat die Humanität nun in die Wissenschaft hinein und wurde bei Herders Art dank seiner Unbestimmtheit nur allzu leicht ein Deckmantel für wichtige Lücken des wissenschaftlichen Zusammenhangs.

Blieb demnach in den Fortschritten Herders manche wunde Stelle, so läßt sich vollends nicht verkennen, daß die Ideen in mancher Beziehung hinter die Linie von 74

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