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Es gibt wohl kaum einen Mythus, der mannigfachere Erklärungsversuche erfahren hat, als der Sintflutmythus. Sicher scheint das Ineinandergreifen von Erinnerungen an ein einmaliges oder häufiger eingetretenes Naturereignis und von mythologischen Vorstellungen. Die Möglichkeit, in den Flutsagen einen historischen Kern anzuerkennen, ist für ihre Beurteilung völlig belanglos. Die historische Erinnerung kann nicht weiter reichen als bis zu der Angabe, daß eine Springflut einmal eine große Verwüstung angerichtet hat; was über diese Angabe hinausgeht, ist auf jeden Fall ausschließlich mythologisch zu beurteilen.

Mythologisch ist vor allem schon die ungeheure, alle Lebewesen vernichtende Wirkung der Flut zu würdigen. Die Flut bildet den gewaltsamen Abschluß eines Äon, eines Zeitalters der Vergangenheit, wie elementare Ereignisse für die Zukunft als abschließende Katastrophen unseres gegenwärtigen Zeitalters vorgesehen sind. Und wenn tatsächlich die verheerende Wirkung der Wasserfluten den historischen allerdings unmöglich greifbaren Hintergrund der Flutsagen bildet, so ist sie vom Mythus zur Datierung des Ereignisses verwendet worden. Für die babylonische Lehre war es nicht schwer, die Zeit festzustellen, in der die ganze Erde in das Wasserreich versunken war. Nach ihren Zyklen ergab sich diese Zeit als die Periode, in der das Frühlingsäquinoktium in der Wasserregion des Tierkreises stand. Der Sintflutheros des babylonischen Berichts, Utnapischtim, ist Chasisatra, der wiederum dem Demiurgen Adapa bezw. dem Marduk entspricht, der der Gott der Frühjahrssonne ist: er durchschifft in der Arche die Wasserregion, um dann nach der Landung die Herrschaft über die neue Erde anzutreten.

Neben diesen Grundzügen des Mythus treten eine ganze Reihe wichtiger Details entgegen. In Einzelzügen schließt sich die Schilderung eng an die bei Sturmfluten im Zweistromland beobachteten Vorgänge an, so, daß in unseren Tagen ein Naturforscher (Sueß) der babylonischen Darstellung das Zeugnis vorzüglicher Sachkenntnis zusprechen konnte.

Außerordentlich nahe liegt die Deutung der Arche auf den Mond, der den Himmelsozean durchsegelt und namentlich im ersten Viertel ein genaues Abbild eines Kahnes ist. Dazu stimmt auch die Chronologie der Fahrt. Daneben geht aber die Auffassung der Fahrt als des Sonnenlaufes in der Überlieferung unbeeinträchtigt nebenher und ist jedenfalls die ursprüngliche,

während die Züge der Mondlegende vielleicht erst mit der Arche Eingang in den Mythus gefunden haben. Solches Ineinandergreifen mythologischer Vorstellungen hat durchaus nichts Verwunderliches, sondern beruht auf der Anschauung, daß die großen Gestirne alle dieselbe Bahn durchlaufen, dieselben siderischen Erscheinungen haben.

Wichtig ist auch noch die Rolle, die die Flutsage in der Literatur und in der Historiographie bei den Babyloniern und Assyrern spielt. Der Ausdruck,wie eine Sintflut“ ist eine stehende Figur in der Rhetorik geworden, namentlich wenn die Wirkung der Zerstörung einer Stadt oder eines Landes recht eindringlich geschildert werden soll.

Für die Geschichtsbetrachtung bildet die Flut einen wichtigen Abschnitt insofern, als sie zwischen Königen vor und nach der Flut unterscheidet.

Kap. 8: Unterweltmythen.

$ 30. Die Höllenfahrt der Istar.

Text: 4 R2 31 u. additions; CT XV pl. 45-48. Aus Assurbanipals Bibliothek. Transkr. u. Ubers.: A. Jeremias, Bab.-Assyr. Vorstellungen vom Leben nach dem Tode (1887), bei Roscher, III S. 258 ff.; Jensen, KB VI, 1 S. 80 ff. Zum Inhalt vgl. Zimmern, KAT3 S. 561 ff.; Jeremias, AO. I, 3 passim.

Inhaltsangabe. Istar, des Mondgottes Tochter, richtet ihren Sinn auf die Unterwelt, das „Land ohne Rückkehr", das „,Haus der Finsternis", das „,Haus, dessen Betreter nicht wieder herauskommt",,,dessen Betreter das Licht entbehren muß“, „wo Erdstaub ihre Nahrung, Lehm ihre Speise, wo das Licht sie nicht schauen, in Finsternis wohnen, wo sie bekleidet sind wie Vögel mit Flügelgewand, wo auf Tür und Riegel Erdstaub lagert". Am Tor des „Landes ohne Rückkehr" angelangt, fordert Istar gebieterisch Einlaß:

,,Pförtner, he!

öffne dein Tor!

so daß ich nicht hineinkomme, zerbrech' ich den Riegel,

Öffne dein Tor, damit ich hineinkomme!
Wenn du dein Tor nicht öffnest,
zerschmeiß' ich die Tür,
zerschmeiß' ich die Schwelle
bringe die Toten herauf, daß
zahlreicher als die Lebenden

und reisse auf die Türen, sie essen und leben, sollen die Toten sein."

Der Pförtner eilt, um Erischkigal, der Herrin der Unterwelt, das Verlangen Istars zu melden. Diese erschrickt heftig über die Botschaft, allerhand Ahnungen steigen in ihr auf und erpressen ihr laute Klagerufe, aber sie befiehlt dem Wächter, Istar einzulassen und sie „nach den alten Gesetzen" zu behandeln. Der Wächter kehrt zurück, öffnet das Tor:

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,Tritt ein, meine Herrin! Kutha jauchze dir zu! Der Palast des,,Landes ohne Rückkehr“ freue sich vor dir!" Nun führt er sie durch die sieben Tore, bei jedem Tore ihr ein Schmuckstück abnehmend, die große Tiara, die Ohrgehänge, die Halsketten, die Brustschilder, den Hüftengürtel, die Spangen an Händen und Füßen, und endlich das Schamtuch von ihrem Leibe. Vor jedem Tor fragt Istar:

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Warum, Pförtner, nahmest du fort die große Tiara meines
Hauptes ?"

usw., worauf ihr immer nur die eine Antwort wird:

„Tritt ein, meine Herrin, denn also lauten der Erischkigal Befehle!"

Endlich gelangt Istar, völlig entblößt, in den inneren Raum der Unterwelt. Wie Erischkigal und Istar einander ansichtig werden, stürzen sie wütend aufeinander los; Erischkigal ruft ihren Diener Namtaru, heißt ihn Istar einsperren und sechzig Krankheiten auf sie loslassen, mit Krankheit der Augen, der Hüften, der Füße, des Herzens, des Kopfes, des ganzen Leibes wird sie geschlagen.

Während nun Istar in der Unterwelt gebunden liegt, erstirbt auf der Erde alle Zeugungskraft: der Stier bespringt nicht mehr die Kuh, der Esel legt sich nicht mehr auf die Eselin, der Mann sucht das Mädchen nicht mehr heim.

Aber Samas, der Sonnengott, erbarmt sich der gebundenen Kreatur, tritt weinend hin vor seinen Vater Sin und vor Ea, und schildert ihnen die Folgen, die Istars Verschwinden in der Unterwelt für die Kreatur gehabt hat:

,,Istar ist zur Erde hinuntergestiegen,

Seitdem Istar

gekommen.

nicht wieder herauf

zu dem Lande ohne Rückkehr hinuntergestiegen,

bespringt der Stier
legt sich der Esel

nicht mehr die Kuh,

nicht mehr auf die Eselin,

legt sich auf das Mädchen auf der Straße nicht mehr der Mann, es schläft der Mann auf seinem Lager,

es schläft das Mädchen in ihrer

Ea bildet Açuschunamir, ein fabelhaftes Wesen, und entsendet es

an Erischkigal, um diese zur Freilassung der Istar bewegen zu lassen. Als Erischkigal Eas Begehren vernimmt, gerät sie wohl zuerst in Raserei, sie,,schlug ihre Lende, biß ihren Finger" und überschüttet ihn mit Verwünschungen, aber alsbald gibt sie Namtaru, ihrem Boten, den Auftrag, Istar mit dem Wasser des Lebens zu besprengen und mit fortzuführen. Durch die sieben Tore wird sie zurückgeleitet, bei jedem Tor erhält sie das ihr vorher abgenommene Schmuckstück zurück.

Der Schluß der Legende ist in seinem Zusammenhang noch unverstanden. Man hat in ihm gewöhnlich eine Klage auf Tammuz, den Gott der Frühlingsvegetation, der alljährlich in die Unterwelt sinken muß, gesehen. Nach Jensen wäre in diesem Schluß aber vielmehr von einem fröhlichen Flötenspiel desselben die Rede, in das auch die Klagemänner und Klageweiber einstimmen, denen sonst die Tammuzklage zukommt“ (Zimmern, KAT3 S. 397f.). Die Schlußzeilen lauten in der Übersetzung Zimmerns:

Wann Tammuz auf der Flöte von Lasurstein (fröhlich) spielt, sollen sie auf dem . . . . Instrument von Porphyr (?)1 mit ihm (fröhlich) spielen,

sollen mit ihm (fröhlich) spielen Klagemänner und Klagefrauen, auf daß die Toten aufsteigen und Weihrauch riechen.

Die sich zunächst aufdrängende Deutung des Mythus ist die Auffassung als Naturmythus, insofern durch das zeitweilige Verschwinden der Istar als der Vegetationsgöttin die Unterbrechung der Fruchtbarkeit auf der ganzen Erde „erklärt“ wird. Der eigentliche Sinn liegt aber tiefer, auch Istars Höllenfahrt ist ein Gestirnmythus wie jeder andere. Istar wird sowohl mit dem Planeten Venus als auch mit dem Siriusstern verknüpft, und man hat versucht, nach diesen beiden siderischen Beziehungen den Mythus auszudeuten. Beide Versuche vermögen nicht völlig zu befriedigen; dazu kommt, daß die Eigenschaft der Istar als Vegetationsgöttin in der babylonischen Mythologie kaum eine Rolle spielt und wohl durchaus sekundär ist. Die richtige Auffassung wird durch die Schlußzeilen nahegelegt, wenn sie wirklich mit Jensen die Verherrlichung des Tammuz zum Gegenstand haben. Tammuz ist in der babylonischen Religion der eigentliche Repräsentant der Frühlingsvegetation, siderisch der Frühjahrssonne,

1 bez. auf dem Ring (? Char) von sâmtu-Stein.

der im Hochsommer stirbt und zur Unterwelt hinabfährt, mit dessen Sterben auch alle Vegetation auf der Erde aufhört1. Er ist es also, der nach der ganzen babylonischen Lehre im Mittelpunkt des Mythus stehen sollte. Die Höllenfahrt des Tammuz ist also wohl ursprünglich der Hintergrund des Mythus und die Höllenfahrt der Istar lediglich zu dessen Befreiung in Szene gesetzt. Diesen Sachverhalt deutet offenbar der im jetzigen Zusammenhang sonst ganz unverständliche Tammuzhymnus am Schluß des Mythus an. In der vorliegenden Gestalt freilich ist die Rolle des Tammuz vollständig auf seine Geliebte Istar übertragen, wohl ebenso wie die Eigenschaft als Gottheit der Vegetation im Zusammenhang der Lehre. Es werden übrigens auch andere Götter, die als Vegetationsgötter erscheinen, zeitweilig in die Unterwelt versetzt, ihnen also die Rolle des Tammuz zuerteilt, wie Enmeschara und Ningischzidda.

Von Parallelerzählungen sei vor allem die von Orpheus und Eurydice genannt.

In die Unterwelt führt auch der Mythus von

31. Nergal und Erischkigal.

Der Text ist in Fragmenten erhalten, welche unter den zu Tel el-Amarna gefundenen Tontafeln sich befanden; er stammt also in der vorliegenden Rezension frühestens aus dem 15. vorchr. Jahrhundert. Text bei Bezold-Budge, Tell el-Amarna Pl. 17; Bezold in Oriental Diplomacy nr. 82; Winckler-Abel, Tontafelfund von El-Amarna S. 164f.; besonders Knudtzon, BA IV S. 130 ff. Transkr. u. Ubers.: Jensen, KB VI, 1 S. 74 ff. Zum Inhalt vgl. Jeremias bei Roscher III, 263f.; Zimmern, KAT3 S. 583f.

Inhaltsangabe. Stück I. Die Götter sind eben dabei, ein Gastmahl anzurichten; alle sind sie versammelt, nur Erischkigal, die Herrin der Unterwelt, fehlt, sie kann ihren Posten nicht verlassen. Um aber auch ihr Anteil an dem Festgelage zu bieten, entsenden die Götter einen Boten an sie, der sie auffordert, ihren Anteil holen zu lassen. Erischkigal schickt ihren Boten Namtaru und dieser kommt alsbald vor die schmausenden Götter es folgt nun eine große Lücke im Text, doch ist über den Zusammenhang kein Zweifel-; einer unter den Göttern, Nergal, hat es unterlassen, den eintretenden Boten der Erischkigal durch Erheben von seinem Sitze zu begrüßen. Tief gekränkt

1 Vgl. die,,Tammuzklage" in den Tammuzhymnen 4. R 27 Nr. 1, 30 Nr. 2 und Reisner Nr. 37.

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