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das in der ersten Nachtwache am ersten Tag des Monats Nisan rezitiert werden sollte, also ein kultisches Inventarstück war. Dabei bleibt der besonnenen Forschung ja immer noch die Möglichkeit offen, für die Geburtsstunde des Gebets nach einem Datum in der Geschichte dreier Jahrtausende sich umzusehen.

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Ähnlich aussichtslos sind die Versuche, die religiösen und künstlerischen Qualitäten für die Chronologie einzelner Hymnen usw. auszubeuten. Hier stehen wir fast noch ratloser da. Mit den natürlichen Entwicklungsreihen, die die Religionsphilosophie konstruiert hat, läßt sich den Erzeugnissen der Keilschriftliteratur überhaupt nicht beikommen. Die Entwicklung" des religiösen Bewußtseins ist in einer für uns vorhistorischen Zeit bereits zum Abschluß gekommen, es gibt keine „Begriffe“, die in historischer Zeit einen neuen Inhalt bekommen hätten. Die Entwicklung beschränkt sich höchstens auf rein formale Dinge: Übertragungen und Umsetzungen von einzelnen Gestalten des Systems, Übertragungen von einzelnen Attributen auf diese oder jene Gottheit im Gefolge von politischen Umwälzungen. Diese drücken sich natürlich auch in der religiösen Literatur aus, aber ein Anhaltspunkt für die Entstehungszeit des literarischen Zeugnisses ist damit nicht gegeben. Wie die Herrscher sich durch Annahme der alten Titel und Bräuche in eroberten Ländern als rechtmäßige Herren legitimierten, so wurden auch dem Gott, der einen neuen Wirkungskreis antrat, die legitimen Urkunden seines Amtsvorgängers auf den Leib geschrieben, ob sie ihm passen wollten oder nicht. Das eine läßt sich ja wohl aus allgemein vernünftigen Erwägungen feststellen, daß die Hymnenliteratur ein reiferes und höher zu wertendes Erzeugnis ist als die Literatur der Beschwörungsformeln und Zaubertexte. Aber das schon möchte ich nicht mit Bestimmtheit aussprechen, daß diese notwendig älter sein müßten als jene. Nicht nur, daß sie in der ganzen historischen Zeit im gottesdienstlichen Gebrauch nebeneinander herlaufen, daß Hymnen und Gebete in sehr vielen Fällen integrierende Bestandteile von Beschwörungstexten sind, auch viele Beschwörungstexte zeigen die gleichen literarischen Vorzüge, die wir an den Gebeten, Hymnen und Psalmen hervorheben.

Wir müssen uns wohl vorläufig damit begnügen, anzuerkennen, daß es heute unmöglich ist, über die Entstehungszeit der Hauptmasse der uns bekannten religiösen Texte, der Gebete, Hymnen und Psalmen Näheres auszumachen. Wir müssen die

Möglichkeit offen lassen, daß sie zum Teil in vorhistorische Zeit zurückreichen, Erzeugnisse der sumerischen Periode sind. Wir haben aber auch keinen Grund, daran zu zweifeln, daß zu allen Zeiten neue Hymnen etc. entstanden sein können, daß unter den Priestern, die die alten Gesänge überliefert, auch manch einer die Kinder seiner eigenen Muse den Sammlungen einverleibt hat, denen dann wohl auch die sumerische Gewandung ein altehrwürdiges Aussehen verliehen haben mag. Sichere Unterscheidungsmerkmale für solche Spätlinge gibt es nicht.

Die verhältnismäßig wenigen Beispiele von selbständigen Gebeten und Hymnen, die in der ganzen Komposition sich als Gelegenheitsgedichte, verfaßt im Auftrag eines genannten Königs erweisen, sind Ausnahmen, die nur für die Regel zeugen; sie arbeiten mit dem ganzen, feststehenden Apparat von Wendungen und Gedanken, die auch die anonymen Stücke beherrschen (vgl. z. B. S. 126).

Der Zweck, dem die Gebete, Hymnen und Psalmen dienen, ist ein rein liturgischer, gottesdienstlicher; sie sind Bestandteile des Rituals; in häufigen Fällen werden Hymnen und Gebete ausdrücklich als vorgeschriebene Begleitworte bei Opferdarbringungen gekennzeichnet. Das ist natürlich nicht notwendig in jedem Falle der ursprüngliche. Viele sind gewiß ebenso wie die hebräischen Psalmen ursprünglich spontane Ausflüsse persönlicher Stimmungen. Von den meisten Stücken ist uns ein Zusammenhang mit einem Ritual wenigstens nicht überliefert, wenn er auch bei ihnen durchaus wahrscheinlich ist. In engstem Zusammenhang stehen Hymnen und Gebete oft mit den Beschwörungsformeln, so daß die Frage entsteht, ob sie ursprünglich mit ihnen als ein Ganzes zusammengehören oder erst sekundär mit ihnen verknüpft worden sind. Beides ist wohl der Fall gewesen, ohne daß es möglich wäre, den Sachverhalt in jedem einzelnen Falle klarzustellen. Man wird aber nicht fehlgehen, wenn man den reineren, mehr individuelle Züge aufweisenden Stücken eine selbständige, ursprünglich vom Beschwörungsformular unabhängige Entstehung zuschreibt. Einzelne Hymnen erweisen sich ihrem Inhalt nach deutlich als Festhymnen, dazu bestimmt, bei Götterfesten, vornehmlich dem Neujahrsfest, vorgetragen zu werden (vgl. Zimmern, AO VII 3, S. 9ff).

Die Form dieser Literaturstücke ist die bereits oben § 9 kurz skizzierte, die auch die epischen Erzeugnisse beherrscht, freilich hier wie dort keineswegs immer streng durchgeführt, und

nur verhältnismäßig selten schon durch die Anordnung der Zeichen im Original angedeutet. Speziell der lyrischen Poesie eigen ist die Einteilung größerer Texte in Perioden und Strophen von verschiedenem Umfang, während sich die epische Dichtung in dieser Hinsicht naturgemäß mit dem Parallelismus membrorum begnügt.

Die Überlieferung der lyrischen Stücke der Keilschriftliteratur ist zum überwiegenden Teile ebenso wie bei den meisten Epen und überhaupt der Hauptmasse der „literarischen“ Erzeugnisse der Sammeltätigkeit der Bibliothekare des Königs Assurbanipal zu danken, die alte Literaturstücke aus verschiedenen Bibliotheken und Archiven kopiert haben. In jüngster Zeit aber mehren sich die Niederschriften aus viel älterer und jüngerer Zeit in unseren Museen. So sind jetzt eine Reihe von Hymnen bekannt geworden, die in der uns erhaltenen Form etwa aus der Zeit der Könige von Nisin (ca. 2400) und der Hammurabizeit (ca. 2200) stammen dürften, und anderseits haben wir eine große Zahl von lyrischen Stücken, namentlich Bußpsalmen, deren Abschrift aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. stammt. Es ist überaus interessant, daß wir gelegentlich denselben Hymnus in nicht weniger als drei Abschriften kennen lernen, die aus dem 3. Jahrtausend, aus Assurbanipals Bibliothek und aus der Arsacidenzeit stammen, also eine mehr als 2000 jährige Überlieferungsgeschichte aufweisen, und es ist der stärkste Beweis für das oben über die Unmöglichkeit einer chronologischen Bestimmung dieser Literaturstücke Bemerkte, daß die betreffenden Texte diesen ungeheuren Zeitraum hindurch fast völlig unverändert geblieben sind.

Die überwiegende Zahl der lyrischen Stücke sind als Literaturdenkmäler überliefert, d. h. als selbständige Texte, außerhalb eines fremdartigen Zusammenhangs. In vielen Fällen sind solche Stücke, die aus irgendeinem Grunde als gleichartig gegolten haben, in größerem Verbande, in „Serien" auf uns gekommen. Die Zusammenstellung solcher Serien dürfte wohl schon auf die Bedürfnisse des praktischen Gebrauchs bei den einzelnen Tempeln, deren liturgischen Bedürfnissen sie dienten, zurückgehen, möglicherweise haben aber auch die Abschreiber für die Bibliotheken gleichartige Stücke in einen größeren Zusammenhang gebracht. Jedenfalls sind bei der Zusammenstellung solcher Serien verschiedenartige Rücksichten von Einfluß gewesen, da wir Fälle haben, wo dieselben Texte in verschiedenen Serien, die vielleicht bei

verschiedenen Tempeln zusammengestellt wurden, erscheinen. Das ist wiederum ein Beleg für die oben erwähnte Tatsache, daß der alte Orient nichts von einer Achtung vor dem Urheberrecht in literarischen Dingen weiß, daß ein einmal vorhandenes Literaturstück vogelfrei war und jedem, namentlich politischen oder religiösen, Zweck dienstbar gemacht werden konnte. Das drückt sich auch darin aus, daß einzelne Hymnen u. dergl. beliebig dem Beschwörungsformular eingegliedert, daß sie gelegentlich, (vgl. oben die Ninibmythen) in epische Dichtungen verwoben wurden und sogar hin und wieder in profanen Texten wie Königsinschriften Verwendung fanden. Besonders bei einigen babylonischen Königen war es beliebt, oft recht umfangreiche Gebete den offiziellen Inschriften einzufügen, die sicherlich nicht ad hoc abgefaßt, sondern dem vorhandenen Literaturschatz entnommen und dem besonderen Zweck angepaẞt worden sind.

Die Sprache der lyrischen Stücke der babylonischen Literatur ist entweder die sumerische oder die semitische, in außerordentlich zahlreichen Fällen aber sind dieselben Texte in beiden Sprachen überliefert, und zwar so, daß wenigstens der Anschein erweckt werden soll, daß das Sumerische das Original, das Semitische die Übersetzung sei. Inwieweit das der Wahrheit entspricht, läßt sich kaum in irgendeinem Falle mit Sicherheit ausmachen, denn auch in den Fällen, wo die sumerische Rezension offenkundig als Rückübersetzung aus dem Semitischen zu betrachten ist, ist immer die Möglichkeit offen, daß in einem andern Tempelarchiv das „Original" noch vorhanden war.

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Das Sumerisch dieser Texte ist in vielen Fällen direkt als ,,Neusumerisch" anzusprechen so namentlich in den Bußpsalmen; in anderen Fällen steht es auf einer Zwischenstufe zwischen dem „Alt"- und „Neu"-Sumerischen, wieder in anderen Fällen bleibt es mangels sicherer Kennzeichen zweifelhaft, ob sie so oder so gelesen werden müssen. Daraus, daß der „jüngere Dialekt" in diesen Dichtungen überwiegt, lassen sich bei der Unmöglichkeit einer chronologischen Verwertung der Dialektfrage natürlich keinerlei Schlüsse auf das Alter der Texte ziehen.

Was die Diktion der lyrischen Stücke anlangt, so zeigen auch schon die wenigen unten mitgeteilten Proben einen oft sehr bemerkenswerten Schwung der Gedanken, Kühnheit und Anschaulichkeit der Bilder und eine unverhältnismäßig große Fülle von Ausdrucksmöglichkeiten für allgemeine Vorstellungen und

individuelle Empfindungen. Man muß aber dennoch zugeben, daß die Zahl der durch diese Vorzüge wirklich hervorstechenden Texte eine verhältnismäßig recht kleine ist, die freilich durch neue Funde täglich in überraschender Weise vermehrt werden kann. Unter den bis heute zugänglichen Texten überwiegen aber sehr bedeutend die Durchschnittsleistungen, die einen „,typisch-konventionellen Charakter tragen und wenig individuelle Züge aufweisen". Aber allein die Existenz z. B. des Psalms eines ,,leidenden Gerechten" (vgl. unten § 39, 1) genügt, die Behauptung zu rechtfertigen, daß auch die lyrische Poesie der Babylonier des höchsten dichterischen Schwunges fähig gewesen ist.

In der Hauptsache ist der typische Gebrauch der Bilder und Redewendungen naturgemäß eng an den Gegenstand des Gedichtes gebunden. Bei den Hymnen sind es die Eigenschaften des zu verherrlichenden Gottes, bei den Psalmen und Gebeten ist es die Grundstimmung, die im allgemeinen gleichartige Ausdrucksformen innerhalb der speziellen Dichtungsart wiederkehren läßt, die, manchmal direkt formelhaft geworden, wörtlich sich immer und immer wiederholen. Einen integrierenden Bestandteil vieler Hymnen und Beschwörungstexte bildet eine am Abschluß des Ganzen stehende Litanei, die einförmig eine große Zahl von Göttern in formelhaften Wendungen anredet.

Im folgenden wird eine äußerliche Scheidung vollzogen zwischen Hymnen, Gebeten und Psalmen und besonders die Beschwörungsformeln werden in einem eigenen, dem folgenden, Kapitel behandelt. Die Scheidung dient lediglich praktischen Zwecken und entspricht nur dem Grundgedanken nach dem Befund der Texte. Von den unter den Beschwörungsformeln behandelten Stücken gehören zahlreiche Teile zu den Gebeten und Hymnen; in der Überlieferung aber, die sie im Zusammenhang mit Beschwörungsformeln erscheinen läßt, liegt für uns die formale Begründung, sie in erster Linie als Bestandteile dieser Literaturgattung zu würdigen.

$ 36. Hymnen.

Unter Hymnen meinen wir hier im engeren Sinne Preislieder zu Ehren der Gottheit, die ihre Macht und Herrlichkeit rühmen, ihre besondere Betätigungsweise besingen, unter völliger Außerachtlassung der Bedürfnisse und Nöte des Menschen. Solche Hymnen treten verhältnismäßig selten in dieser speziellen Form auf, sehr häufig dienen sie als Einleitung zu Gebeten, noch häufiger sind sie mit Beschwörungsformeln verknüpft.

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