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späten Zukunft aus dem ganzen Mittelalter nichts als Bibel- und Missale-Handschriften aus den verschiedensten Zeiten in zahllosen Fragmenten überliefert würden und ihr daraus die Aufgabe erwüchse, eine Literaturgeschichte der europäischen Völker des Mittelalters zu konstruieren. Wie in diesem Falle die Kritik zunächst dazu kommen müßte, die absolute Gleichförmigkeit der literarischen „Produktion" in diesen 15 Jahrhunderten zu konstatieren, und endlich dazu käme, die Entstehung der ersten Vorlagen dieser Stücke in Bausch und Bogen in eine „vorgeschichtliche" Zeit zurück zu verlegen, so hat auch die Prüfung der babylonischen Literatur höheren Stils allmählich zu der Erkenntnis geführt, daß wir in der Hauptsache nur Kopien und Nachahmungen von Vorlagen haben, die in einer für uns noch vorhistorischen Zeit entstanden sind. Mit dieser Erkenntnis steht aber die Literaturgeschichte auch schon am Ende ihrer Wirksamkeit, es bleibt für sie kaum mehr etwas zu tun; denn die Sammlung von Varianten, die das einzige Ergebnis einer literaturgeschichtlichen Betrachtung dieser Denkmäler bleiben muß, wird an belangreichen Zeugnissen einer stattgehabten Entwicklung nur der Erkenntnis der religiösen und geschichtlichen Entwicklung Dienliches zutage fördern; von einer Entwicklung des literarischen Stiles, von der Umgestaltung literarischer Stoffe, von der Entwicklung der Ausdrucksformen, der Mittel zur Belebung und Veranschaulichung des Inhalts, kurz, von allem, was nur eine Einwirkung einer vom Banne der Überlieferung freien Persönlichkeit sein kann, wird sie nicht viel ergeben.

Diese Sätze klingen paradox, wenn man bedenkt, daß es ja doch der alttestamentlichen Forschung unter viel schwierigeren Verhältnissen gelungen zu sein scheint, auch anonyme Stücke, wie z. B. die Quellenschriften des Hexateuch, die unter falscher Etikette laufenden Prophetenreden und Psalmen chronologisch wenigstens annähernd zu bestimmen. Aber hier ist der Zufälligkeit der Überlieferung, die das Licht der Geschichte in recht verschiedener Intensität über die einzelnen Perioden verteilt, sicherlich viel zu wenig Rechnung getragen worden. In sehr vielen Fällen ist die Zeitbestimmung lediglich auf subjektives Ermessen, auf persönliche Eindrücke gegründet, zwingende, jeden Widerspruch ausschließende Beweisgründe liegen nur selten vor. Ein charakteristisches Beispiel sind Sacharja, Kap. 9-14, die bis in die jüngste Zeit in die vorexilische Periode, in die Zeit der Diadochenkämpfe und in das 2. Jahrh. versetzt worden sind und immer mit der Versicherung, daß eine andere Ansetzung ganz unmöglich sei. Auch Budde hält nur das 2. Jahrhundert für die Zeit, in der ,,wir Tatsachen genug zur Verfügung haben, um mit Aufgebot von einigem Scharfsinn für jedes X eine be

nannte Größe einsetzen zu können“. „Aber leider ist diese Möglichkeit vor allen Dingen darin begründet, daß uns einzig und allein für diese Zeit ausführliche Geschichtsberichte zu Gebote stehen.“ „Es ist mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß das für andere Zeitabschnitte ebensogut glücken würde, wenn uns da ebenso reichlicher Stoff zu Gebote stände.“ Hier1 spricht es einer der verdienstvollsten Vertreter der literarkritischen Schule unumwunden aus, daß die Lücken der geschichtlichen Überlieferung gelegentlich die stärkste Stütze literarkritischer Ergebnisse sein können. Eine Desavouierung durch monumentale Zeugnisse braucht ja die Bibelkritik kaum zu befürchten, daher ist die Zuversicht zu den Ergebnissen nur selten von Zweifeln an der Tragfähigkeit des Fundamentes erschüttert. Anders in der Keilschriftforschung. Da kann jeder Spatenstich logisch unantastbare Beweisketten zerschneiden, wenn er z. B. zu einem dem Assurbanipal in den Mund gelegten Gebet eine mehr als 1500 Jahre ältere, bis auf redaktionelle Abweichungen völlig gleichlautende Vorlage zutage fördert. Dadurch ist ganz von selbst der Assyriologie bei allen zeitlichen Bestimmungen literarischer Stücke größte Zurückhaltung geboten.

Das Beobachtungsfeld der literargeschichtlichen Untersuchung ist einmal die dichterische Form, dann das Verhältnis des Stofflichen zu der gestaltenden Idee.

Wenn es nun auch bei der Lage der Dinge aussichtslos ist, eine Entwicklungsgeschichte der babylonischen Literatur skizzieren zu wollen, so bietet eine Betrachtung und Darstellung der vorhandenen Materalien nach ihrer formalen Seite, wie auch in Rücksicht darauf, wie das Stoffliche der gestaltenden Idee dienstbar ist, einer allerdings zukünftigen - Forschung die dankbarsten Aufgaben. Auch in Babylonien und Assyrien offenbart die Vorgeschichte der sprachlichen Ausdrucksweise ein reichhaltiges Kapitel versteinerter Kulturgeschichte; Bilder und Gleichnisse, die Metaphern, kurz, alle Mittel, die zur Belebung der Darstellung, zur Veranschaulichung des Inhalts dienen, standen der orientalischen Beredsamkeit wie heute, so zu allen Zeiten in verschwenderischer Fülle zu Gebote. Und die verhältnismäßig große Zahl literarischer Erzeugnisse, in denen stoffliche Überlieferungen der Verkörperung tiefer liegender Ideen dienstbar gemacht werden, erschließt der vergleichenden Betrachtung durch ihre Mannigfaltigkeit ein reiches Arbeitsfeld. Die Assyriologie hat diese Seite ihrer Aufgaben noch kaum gestreift. Infolgedessen kann auch auf den folgenden Blättern keine Rede davon sein, das eigentlich literarische Moment so wie es sein sollte in den Vordergrund zu stellen, es kann

1 Das prophetische Schrifttum S. 55 (1906).

sich vielmehr in der Hauptsache nur darum handeln, einen Überblick über das Material selbst zu geben, den Inhalt zu skizzieren und so eine Vorstellung von dem babylonisch-assyrischen Schrifttum überhaupt zu vermitteln. Nur im Vorübergehen kann auch des spezifisch literarischen Charakters der Denkmäler gedacht werden.

Das uns heute schon zugängliche Material an schriftlichen Dokumenten aus dem Zweistromland ist von ganz außerordentlicher Reichhaltigkeit und Mannigfaltigkeit. Ziffernmäßig entzieht es sich vollständig jeder auch nur annähernden Schätzung und inhaltlich umspannt es den ganzen Kreis der literarischen Gattungen. Nur für die Existenz der dramatischen Dichtung ist bis heute kein sicheres Beispiel gefunden worden.

Literargeschichtlich erwecken das lebhafteste Interesse die epischen Dichtungen, in denen mythologische Stoffe dichterische Gestaltung gewonnen haben. Vornehmlich für die Religionsgeschichte sind unschätzbare Quellen die lyrischen Texte, Hymnen, Gebete, Psalmen und die Beschwörungstexte, sodann die Ritualtexte und Omina; die Geschichtsforschung besitzt in den Königsinschriften und historiographischen Texten, in den öffentlichen Urkunden und Briefen historische Quellen, denen an Authentizität und unmittelbarer Verwendbarkeit kein anderer Zweig der Altertumskunde etwas Gleichartiges an die Seite stellen kann. Die Kulturgeschichte gewinnt in den Gesetzen, Verträgen, Listen ein unmittelbares Zeugenmaterial von beispielloser Mannigfaltigkeit und Reichhaltigkeit. Verhältnismäßig wenig ist es, was wir von volkstümlicher Literatur, Fabeln, Spruchdichtung, Rätseln u. dgl. haben. Dagegen ist uns das Studienmaterial, das in Babylonien und Assyrien der Auslegung der Literaturdenkmäler gedient hat, auch für unsere gleichartigen Bemühungen von unschätzbarem Wert.

Nach den eben entwickelten Grundzügen wird unten das babylonisch-assyrische Schrifttum zu skizzieren sein.

§ 2. Sumerer und Semiten in Babylonien und ihre Stellung in der Literaturgeschichte.

1. Die Sumerer.

Die Vorläufer der semitischen Bewohner Babyloniens waren in dessen südlichem Teile, hauptsächlich südlich und westlich vom Euphrat, aber auch darüber hinaus, die Sumerer, ein Volk, dessen Verwandtschaftsverhältnisse noch heute ungeklärt sind, das aber jedenfalls weder der semitischen noch der indogermanischen

Rasse angehört und wohl aus Innerasien eingewandert sein muß; mancherlei weist auf einen Zusammenhang mit der uralaltaischen Gruppe hin. Unmittelbare historische Nachrichten über die Sumerer haben wir nicht. In der Zeit, aus der unsere ältesten Urkunden stammen, etwa am Ausgange des 4. Jahrtausends, war das semitische Element bereits zur ausschließlichen Geltung gekommen. Daß die Mehrzahl der alten Königsurkunden in sumerischer Sprache abgefaßt sind, kann dagegen nicht geltend gemacht werden: die Eroberer haben die höher stehende Kultur der Unterworfenen in ihren Dienst gestellt, haben alle festen Organisationen, die sie vorfanden, ihren Zwecken dienstbar gemacht, der Not gehorchend oder in politischer Einsicht, jedenfalls unter Wahrung der alten, geheiligten Formen, unter Schonung der religösen und nationalen Überlieferung der Eingesessenen, in die sie im Laufe der Zeit hineingewachsen sind. So hat sich eine Verschmelzung der verschiedenen Bevölkerungsteile vollzogen. In den alten Formen ist ein neuer Geist groß geworden, der sich immer selbständiger entfaltet hat: der babylonische Semitismus. Ob auch nur ein einziger unter den zahlreichen Herrschern der ältesten Zeit, deren Denkmäler wir haben, der sumerischen Rasse angehört habe, wissen wir nicht, wir können es aus mancherlei Gründen nicht einmal für wahrscheinlich halten. Soviel aber dürfte sicher sein, daß die ganze Form, in der sich uns das offizielle und kulturelle Leben im ältesten Babylonien, namentlich im Süden der Norden war schon viel früher von Semiten besiedelt nach den Denkmälern darstellt, von den Sumerern geschaffen worden ist. Den Sumerern gebührt jedenfalls auch in der Geschichte der Keilschriftliteratur eine bevorzugte Stellung: sie sind die Erfinder der Schrift und von dem, was an künstlerischer Literatur überliefert ist, geht sicher ein bedeutender Teil auf ihre Anregung zurück, wenn auch vielleicht nur im letzten Grunde. Freilich ist es bei dem heutigen Stande unserer Kenntnis der ältesten Geschichte des Zweistromlandes und bei dem verfügbaren, wenn auch großen, so doch sehr lückenhaften Quellenmaterial völlig unmöglich, den Sumerern den Platz auch tatsächlich einzuräumen, der ihnen gebührt, die Verdienste, die sie um die Entwicklung des Schrifttums haben, näher zu umschreiben, den Anteil, der von den überkommenen Schätzen ihnen zukommt, auszuscheiden. Was wir von den Sumerern wissen, ist außerordentlich wenig, es ist nicht viel mehr, als daß sie existiert haben auch das wird übrigens

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bestritten, daß sie die Schrift erfunden haben, daß es ihre Sprache ist, in der die ältesten Denkmäler der Könige und Fürsten reden, die als heilige Kultussprache von den einwandernden Semiten übernommen und in heiliger Übung erhalten worden ist bis zur spätesten Zeit, bis an die Grenze der christlichen Zeitrechnung. Inwiefern der Inhalt der in sumerischer Sprache überlieferten Denkmäler auf das alte Volk von Sumer zurückgeht, darüber können wir nichts als Vermutungen aufstellen. Wie es im Laufe der Zeit zu einer völligen Verschmelzung von beiden Rassen, bezw. zur Aufsaugung der einen durch die andere gekommen ist, so scheint es auch bald im Geistesleben geworden zu sein. Weder religionsgeschichtlich noch literargeschichtlich läßt sich zwischen sumerischem und semitischem Gut eine reinliche Scheidung vollziehen. Soviel nur wissen wir, daß die Schrift, obwohl sie dem semitischen Idiome so schlecht wie nur möglich auf den Leib paßt, die Herrschaft über die siegreichen Eindringlinge behauptet hat, und wir können vernünftigerweise daraus nur die eine Folgerung weiter ziehen, daß die Einwandernden von dem kulturell viel höher stehenden Volk mit der Schrift auch die begrifflichen Elemente, die geistige Vorstellungswelt, religiöse Anschauungen und Bräuche in mehr oder weniger großem Umfang übernommen haben, jedenfalls sich von ihnen aufs stärkste haben beeinflussen lassen. Das, was uns historisch greifbar ist, muß freilich jetzt als einheitliche Größe angesehen und gewürdigt werden; wir können nur die Sprachen scheiden, die Religion und Literatur aber nennen wir schlechthin und ohne Rücksicht auf genuin sumerische oder semitische Bestandteile „babylonisch“.

2. Die Babylonier und Assyrer.

Ein ähnliches geistiges Abhängigkeitsverhältnis wie zwischen den Sumerern und Babyloniern besteht zwischen den Babyloniern und den Assyrern, nur daß das helle Licht der Geschichte, in dem sich ihre Beziehungen entfalten, uns diese wesentlich klarer sehen läßt. Die Babylonier waren ein altes Kulturvolk, das den Zenith seiner Bahn schon überschritten hatte, als die Assyrer auf dem Plane erschienen und langsam anfingen, in der Weltgeschichte eine Rolle zu spielen. Die bedeutsamsten Werke der babylonischer Literatur waren längst vorhanden und hatten weite Verbreitung im ganzen alten Orient gefunden, alle literarische Gattungen waren vollauf entfaltet und hatten feste Formen gewonnen. Es ist selbst

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