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Dichtergenie war auf's engste an das Denten in allen seinen Höhen und Tiefen geknüpft; es tritt ganz eigentlich auf dem Grunde einer Intellectualität hervor, die Alles ergründend spalten, und Alles verknüpfend zu einem Ganzen vereinen möchte." Schiller's Darstellung erreichte nicht deßhalb so schwer die reine Objectivität, weil es ihm etwa an der erforderlichen Lebendigkeit der Phantasie oder an Gestaltungskraft gemangelt hätte, sondern weil in ihm der Dichter mit dem Denker zu ringen hatte, und dieser jenem nicht ganz den Plaz zu räumen vermochte.

Hierzu gesellte sich noch ein Anderes. In Schiller's Seele waltete auch ein mächtiges sittliches Princip, das sich wieder in ein heroisches und humanes spaltete. Auch dieses trat einer naiven und objectiven Darstellung hindernd entgegen, ergoß aber auch dafür einen Strom von Wärme und Pathos in seine poetischen Erzeugnisse, wie wir ihn nicht leicht bei andern Dichtern wiederfinden. Er beflügelte seinen Genius," sagt Hoffmeister, „durch den Heroismus und die Humanität seiner Seele. Er dichtete immer zugleich mit dem Herzen, und erseßte das, was seinen Gedichten an plastischer Anschaulichkeit abging, möglichst durch die Gewalt der Gefühle, die er in sie ausströmte. Seine dichterischen Erzeugnisse haben nicht immer die Lebendigkeit, welche aus einer ganz individuellen Zeichnung des Gegenstandes hervorgeht; aber sie sind durch das warme Gefühl ihres Urhebers beseelt. Das oft dünne, durchsichtige Gewebe der objectiven Darstellung wird dicht durch die goldenen Fäden, die der Sänger aus seiner eigenen Seele spinnend in dasselbe einträgt. Wie seine Gedichte aus einem sittlich gestimmten und geweihten Gemüthe entsprangen, so üben sie auf jedes unverdorbene Gefühl einen wunderbaren Zauber aus. Viele, die meisten derselben sind schwer verständlich und müßten daher wenig Leser haben, wenn nicht eine andere geheime Macht aus ihnen wirkte. Durch das in sie hineingelegte beste Herz sind sie so anziehend und ergreifend. Dem

geoffenbarten Gefühl des Dichters begegnet hochentzückt das mächtig erregte Gefühl des Lesers."

Dieses ernste und warme ethische Interesse finden wir in fast allen Gedichten Schiller's; denn er wählte nicht leicht einen Stoff, der einer pathetischen Behandlung widerstrebte, wogegen Göthe oft in der künstlerischen Behandlung auch der leichtesten Gegenstände ein Genüge fand. Daher erklärt es sich, warum Schiller's Gedichten ein so charakteristisches Gepräge, wenn man will, eine gewisse rhetorische Monotonie eigen ist, während Göthe's lyrische Muse in den mannigfachsten Gestalten sich darstellt. Eben daher begreift sich aber auch, warum wir Schiller's Werth schon an wenigen seiner Productionen schäßen lernen, während man eine Menge von Göthe's Gedichten zusammenfaffen muß, um ein richtiges Urtheil über sein Talent zu ge= winnen. Wenn Schiller dichtete, so betheiligten sich alle Hauptträfte seines Wesens an der Production, die intellectuelle, die fittliche und die poetische Kraft. Die lettere erhielt durch die nähere Bekanntschaft mit Göthe für einige Zeit das Ueberge= wicht; aber es währte nicht lange, so machte Schiller's ursprüngliche Geistesorganisation wieder ihre Rechte geltend; und wer bei der Betrachtung seiner Gedichte der dritten Periode ihre Entstehungszeit sorgfältig beachtet, wird leicht gewahren, wie späterhin seine lyrische Poesie wieder einen mehr subjectiven, sentimentalen Charakter annahm.

Zugleich begann in seinen spätern Lebensjahren der Born der lyrischen Poesie immer spärlicher zu fließen. Der Grund hiervon lag feineswegs in Abnahme der dichterischen Productionskraft, sondern hauptsächlich darin, daß seine Begeisterung für die dramatische Poesie stetig zunahm, und seine Arbeiten und Entwürfe auf diesem Gebiet immer mehr in's Große und Breite wuchsen. Manche seiner kleinern Gedichte schlossen sich eng an die dramatischen Arbeiten an und verdanken ihnen allein ihren

Ursprung, so z. B. das Gedicht An Göthe, die Parabeln und Räthsel, das Mädchen von Orleans, Thekla, das Berglied, der Alpenjäger und die Stanzen Wilhelm Tell. Auch das war ein ungünstiger Umstand für seine Lyrik, daß er sich im 3. 1799 entschloß den Musen-Almanach aufzugeben, der ihn bis dahin noch als ein äußeres Band an der lyrischen Poesie festgehalten und ihm manche werthvolle kleinere Gedichte entlockt hatte. Unter solchen Umständen würde der Ertrag seiner legten fünf Jahre an lyrischen Poesien noch kleiner ausgefallen sein, wenn nicht glücklicher Weise in den Jahren 1802 und 1803 eine äußere Veranlassung ihm die Anregung zu einer Anzahl schöner Lieder gegeben hätte. Schon im November 1801 berichtete er an Körner: Göthe hat eine Anzahl harmonirender Freunde zu einem Klubb oder Kränzchen vereinigt, das alle vierzehn Tage zusammenkommt und soupirt. Es geht recht vergnügt dabei zu, obgleich die Gäste zum Theil sehr heterogen sind; denn der Herzog selbst und die fürstlichen Kinder werden auch eingeladen. Wir lassen uns nicht stören; es wird fleißig gesungen und pokulirt. Auch soll dieser Anlaß allerlei lyrische Kleinig feiten erzeugen, zu denen ich sonst bei meinen größern Arbeiten niemals kommen würde." Das nächste Jahr rief denn auch einige poetische Blüthen dieser Art hervor: Die vier Weltalter, An die Freunde, Dem Erbprinzen von Weimar und Die Gunst des Augenblicks, zu denen im J. 1803 noch Das Siegesfest und die beiden Punschlieder hinzukamen: \

Wir haben in den frühern Ausgaben dieses Commentars bei der Betrachtung der einzelnen Gedichte die chronologische Folge zu Grunde gelegt. Es trat dadurch dem Leser der nach bestimmten und natürlichen Gesezen fortschreitende Entwicklungsgang des Schiller'schen Geistes von selbst anschaulich entgegen. Da wir aber in der vorliegenden Ausgabe, dem Wunsch der Verlagshandlung entsprechend, zu größerer Bequemlichkeit für

einen weitern Leserkreis, uns an die herkömmliche, keineswegs beifallswürdig geordnete Reihenfolge der Gedichte anschließen : so dürfte ein etwas näher orientirender chronologischer Ueberblick über die Gedichte der dritten Periode nicht unzweckdien= lich sein.

Nachdem Schiller gegen die Mitte des Jahrs 1795 mit seiner poetischen Epistel Poesie des Lebens aus der langen Laufbahn philosophischer Selbstverständigung auf den Boden der Dichtkunst zurückgekehrt war: sammelte sein poetischer Genius schnell wieder seine Kraft, und es entströmte ihm in der zweiten Hälfte des Jahrs eine Fülle von Gedichten, unter denen wir folgende hervorheben: Die Macht des Gesanges, Pegasus im Joche, Der Tanz, ein Spruch des Confucius, Das Ideal und das Leben, Der Genius, Die Ideale, Das verschleierte Bild zu Sais, Würde der Frauen, Der Spaziergang, Der Abend, Abschied vom Leser, Die Theilung der Erde, Die Weltweisen. Dazwischen entstand eine große Anzahl epigrammatisch gehaltener Gedichte, deren Stoff meistens der Wissenschaft, womit er zulezt sich beschäftigt hatte, entnommen war. Man hat daher mit Recht das Jahr 1795 vorzugsweise als das der Ideendichtung bezeichnet.

Das Jahr 1796, das Epigrammenjahr, kann sich in Fruchtbarkeit an kleinern Gedichten mit dem vorhergehenden nicht messen, wiewohl es, wenn man jedes Epigramm als ein besonderes Gedicht betrachten will, eine größere Zahl von Stücken aufzuweisen hat. Schiller's poetische Productivität bethätigte sich in diesem Jahre, wenn man Die Klage der Ceres, Das Mädchen aus der Fremde, Pompeji und Herkulanum, Die Dithyrambe und etwa noch Die Geschlechter abrechnet, nur auf dem Felde der epigrammatischen Poefte, auf diesem freilich dafür um so reicher. Für die schwächere Ergiebigkeit seiner

eigentlich lyrischen Ader zeigen sich mehrere Erklärungsgründe. Schon die außergewöhnliche Fruchtbarkeit des Jahres 1795 ließ für das nächste Jahr einen weniger reichen Ertrag erwarten. Schiller hatte dieses selbst vorausgesehen. „Ich habe," schrieb er im December 1795 an Humboldt, meine poetische Fruchtbarkeit in diesem Jahre doch zum Theil der langen Pause zuzuschreiben, die ich in poetischen Arbeiten machte, und die mich Kräfte sammeln ließ. Im nächsten Jahre wird es langsamer gehen.“ Dazu kamen, außer eigener fortdauernder Kränklichkeit, Störungen durch Todesfälle und Krankheiten in seiner Familie, Beunruhigung um das Schicksal der Hinterbliebenen, Geschäftssorgen, welche die Herausgabe des Musen-Almanachs und der Horen mit sich brachte, Zeit und Stimmung raubende Correspondenzen mit Buchhändlern und Mitarbeitern, Verpackung und Expedirung der Exemplare u. dergl. Einflußreicher aber, als alles dieses, war sein immer enger werdendes Verhältniß zu Göthe. In dem Maße, wie er sich in die Anschauung des Wesens und der Productionen seines Freundes vertiefte, genügten ihm seine eigenen bisherigen Leistungen immer weniger. Ja, er ging einmal so weit, an Körner zu schreiben, gegen Göthe sei und bleibe er nur ein poetischer Lump. Seine Ideenpoesie fing ihm an unschmadhaft zu werden, er sehnte sich nach einem realern Gehalt für seine Dichtungen. Da er sich aber schwer entschließen konnte, seine nächsten Herzens- und Lebensbezüge auf eine individuelle Weise poetisch zu gestalten, so hielt er sich an die Tagesliteratur und seine Stellung als Schriftsteller zu der Welt, und entnahm daraus den Stoff zu einer Menge von Epigrammen. Im Ganzen war das J. 1796 als eine Uebergangszeit, worin er sich zu der reinern Gattung der Lyrik vorbereitete, für die Erzeugung so Neiner poetischen Gebilde, wie die Epigramme sind, noch immer günstig genug. Er konnte in einzelnen glücklichen Augenblicken mit leichter Mühe eine größere Anzahl hinwerfen. Es spricht

Biehoff, Schiller's Gedichte. II.

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