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148. Licht und Farbe.

Das Epigramm ist in der Isolirtheit, worin es in der Gedichtsammlung uns entgegentritt, schwerverständlich oder vieldeutig. In den Votivtafeln des Musenalmanachs für 1797 folgen ihm zwei Epigramme, die dazu bestimmt scheinen, für die richtige Auffassung des vorliegenden den Gesichtspunkt anzudeuten; sie lauten:

Wahrheit.

Eine ist sie für Alle, doch fiehet sie Jeder verschieden;

Daß es Eines doch bleibt, macht das Verschiedene wahr.
Schönheit.

Schönheit ist ewig nur Eine, doch mannigfach wechselt das Schöne;
Daß es wechselt, das macht eben das Eine nur schön.

Hiernach scheint das reine Licht Symbol der ewig Einen Wahrheit zu sein, die (nach den Künstlern) mit der ewig Einen Schönheit identisch ist. Nur dadurch, daß sich jenes Licht in den irdischen Dingen mannigfach bricht und färbt, entsteht das Schöne. Dieses allein ist für Menschen angemessen, während die furchtbar herrliche Urania in ihrer Feuerkrone nur von reineten Dämonen angeschaut wird" (Die Künstler V. 54 ff.).

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149. Schöne Individualität.

Dem Gedanken nach hängt das Epigramm mit dem nächstfolgenden Mannigfaltigkeit zusammen. Verwandte Ideen entwickeln die ästhetischen Briefe. Der Staat, das Ganze so lehrt dort Schiller soll nicht die Individuen aufheben, der reine Mensch nicht den empirischen unterdrücken; der Mensch in der Zeit soll sich zum Menschen in der Idee veredeln. Wenn die Natur in dem moralischen Bau der Gesellschaft ihre Mannigfaltigkeit zu behaupten strebt, so darf der moralischen Einheit. dadurch kein Abbruch geschehen. Umgekehrt, wenn die Vernunft in die Gesellschaft ihre moralische Einheit bringt, so darf sie die

Mannigfaltigkeit der Natur nicht verlegen. Wie lassen sich beide Klippen vermeiden? Wenn der Mensch ästhetisch erzogen wird, wenn sein sittliches Betragen Natur wird, wenn Pflicht und Neigung in ihm harmonisch werden, kurz wenn die Vernunft ihren Wohnsiß im Herzen nimmt.

150. Die Mannigfaltigkeit.

Wer seinem Herzen die Leitung des Willens ohne Scheu überlassen darf, der gilt unserm Dichter mehr, als der schulgerechte Zögling der Moralphilosophie, der, um dem moralischen Gesetz zu genügen, erst sein Herz zum Schweigen bringen muß. „Die Vernunft," lehren die ästhetischen Briefe, „ist befriedigt, wenn ihr Gesez ohne Bedingung gilt; aber in der vollständigen anthropologischen Schäßung zählt mit der Form auch der Inhalt, und hat die lebendige Empfindung auch eine Stimme. Einheit fordert zwar die Vernunft, aber die Natur Mannigfaltigfeit, und von beiden Legislationen wird der Mensch in Anspruch genommen. Das Gesetz der erstern ist ihm durch ein unbestechliches Bewußtsein, das Gesetz der andern durch ein unvertilgbares Gefühl eingeprägt . . . Im heiligen Reich der Moralität muß sich der einzelne Wille in den allgemeinen verlieren; im fröhlichen Reiche des Spiels und des Scheins (der „Schönheit" V. 5) herrscht die Freiheit; und wenn auch das allgemeine Gesetz darin vollzogen wird, so wird es doch durch die Natur des Individuums, also in immer neuer (V. 6) und eigener Weise vollzogen." Im Musenalmanach für 1797 steht in V. 3 spielenden" (statt wechselnden), in V. 4 „immer" (statt ewig), in V. 5 „liebend“ (statt bildend).

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151. Die drei Alter der Natur.

Das Epigramm erschien (wie auch Nr. 160 und 164) erst 1800. Es ist wohl denkbar, daß Schiller in diesem Jahr durch

die Revision der Epigramme) Behufs Aufnahme in den ersten Band der Gedichtsammlung) sich angeregt fand, ein paar neue hinzuzudichten. Doch wäre es auch möglich, daß das Distichon ein Ueberbleibsel aus dem Epigrammenjahr war, welches sich bei der damaligen Gruppirung nicht leicht hatte einfügen lassen. — Die Fabel" (V. 1), die Mythen der Griechen hauchten, wie die Götter Griechenlands rühmen, der Natur Seele und Leben ein; die mathematische Betrachtung der Natur, wie die Neuzeit sie entwickelt hat, führt die ganze Thätigkeit derselben auf blinde, seelenlose Kräfte zurück; ob aber der Pentameter auf Schiller's eigene symbolisch-ästhetische Weltansicht (Hoffmeister, Schiller's Leben III, 157 ff., IV, 49 ff.) hindeute, möchte ich bezweifeln. Sollten nicht vielmehr die ersten Anfänge der später von Schelling u. A. weiter entwickelten Naturphilosophie, der Schiller eben so wenig als Göthe abhold war, gemeint sein?

152. Der Genius.

Der Verstand kann nur das, was die Natur gebaut hat, mit Auswahl, bald so, bald anders combinirend, in allgemeine Formeln zusammenfassen; die Vernunft erhebt sich in ihrer Thätigkeit über die Natur, aber in transcendentale, metaphysische Höhen; dem Genie allein," sagt Schiller anderswo, „ist es gegeben, die Natur zu erweitern, ohne über sie hinauszugehen."

153. Der Nachahmer.

Dem Nachahmer gelingt es wohl, wenn er verständig verfährt, das Gute, bereits Gebildete zu etwas Gutem um- und nachzubilden; aber das Genie allein versteht es, aus einem schlechten, unfügsamen Stoff etwas Gutes zu schaffen, und behandelt selbst das vorgefundene Gebildete nur als bildungsbedürftigen Stoff.

Im Musenalmanach für 1797 lautet die

Ueberschrift Der Nachahmer und der Genius, und V. 4 beginnt: Selbst das Gebildete ist u. s. w."

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154. Genialität.

Die Schöpfungen des Genies find, ähnlich dem reinen, blauen Himmel, von unergründlicher Tiefe, so klar und faßlich sie uns erscheinen. Mit naiver Anmuth," heißt es in der Abhandlung über naive und sentimentalische Dichtung, „drüdt das Genie seine erhabensten und tiefsten Gedanken aus; es sind Göttersprüche aus dem Munde eines Kindes. - Ursprünglich stand in V. 3 unergründlicher" (statt unermeßlicher).

155. Die Forscher.

In Folge des mächtigen Aufschwungs, den der Eifer für Philosophie durch Kant genommen, drängten sich damals auch viele unbefähigte Köpfe zu den philosophischen Studien, die Schiller in dem Epigramm Nr. 173 geißelt. Gleichzeitig regten sich die Experimentalphysiker gewaltig, die Wahrheit „von außen“ zu ergründen. Gegen beide, die geräuschvoll die Wahrheit wie ein Wild durch Parforce-Jagd einzutreiben suchten, ist das Epigramm gerichtet. Im Musenalmanach bildet jedes Distichon ein Epigramm; das erste ist „Metaphysiker und Physiker," das andere „Die Versuche“ überschrieben. In V. 2 steht dort „grausamen“ (statt wüthenden), in V. 3 „greifen“ (statt fangen), in V. 4 „mit leisem Tritt" (statt mit Geistestritt).

156. Die schwere Verbindung.

Eines derjenigen Epigramme, welche zeigen, wie Schiller und Göthe in den Votivtafeln sich so fest ineinander verschränkt“ hatten, daß sie später selbst ihr Eigenthum nicht mehr rein auszuscheiden wußten. Beide haben das Distichon unverändert in ihre Gedichtsammlung aufgenommen.

157. Correctheit.

Die Kunstrichter haben von den Kunstwerken Geseze abstrahirt, nach denen sich „die Ohnmacht,“ d. h. die, welche teine genialische Kraft in sich fühlen, sorfältig zu richten pflegen, und somit dem Tadel entgehen. Das Genie, das sein Geset aus sich selbst nimmt, kann in der Regel den Vorwürfen der Theoretiker nicht ganz ausweichen, da neue genialische Schöpfungen felten in die Schablone einer Theorie passen, die ohne Rücksicht auf sie angefertigt ist. Nur wenn das Genie in seiner ganzen Glorie erscheint, bringt es den Ladel zum Verstummen und die Kunstrichter zur Ueberzeugung, daß man nach ihm die Theorie zu modificiren habe.

158. Naturgefet.

Die correcte Ohnmacht, oder, wie sie in einem ausgeschiedenen Epigramm heißt, die Mittelmäßigkeit, hat nach Nr. 157 die Theoretiker auf ihrer Seite, aber das ächte Genie erzwingt sich, den Einsprüchen der Kunstrichter zum Troß, allgemeine Anerkennung. In der Abhandlung über naive und sentimentalische Dichtung heißt es: „Unbekannt mit den Regeln, den Krücken der Schwachheit und den Zuchtmeistern der Verkehrtheit, bloß von der Natur und seinem Instinct, seinem schüßenden Engel, geleitet, geht das Genie ruhig und sicher durch alle Schlingen des falschen Geschmacks.“

159. Wahl.

Bei diesem Epigramm stehen sich die Angabe der Frau von Schiller, die es Göthe zuschreibt, und die Aufnahme desselben in Schiller's Werke einander widersprechend gegenüber. Der Inhalt entspricht der Göthe'schen wie der Schiller'schen Denkart in gleichem Maße. Bekanntlich wollte Göthe lieber wenigen Hochgebildeten gefallen, als den großen Haufen befriedigen:

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