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die höhere tragische, die Hymne und Ode („die große Dichtkunst," wie wir Schiller oben sagen hörten), und darin sieht Hoffmeister mit Recht etwas den Dichter sogleich Charakterisirendes. Humboldt urtheilt über die Strophe: „Das große und schauervolle Bild am Eingange bereitet die Seele prächtig zu der ernsten und feierlichen Stimmung vor, die das Ganze hervor= bringen muß, und die gleich anfangs durch die edle Einfachheit der Anwendung des Bildes in V. 9 und 10 so sehr befestigt wird." Neuerdings hat man das Gleichniß keineswegs treffend" ge= funden und gemeint, dem Wanderer gelinge doch wohl mit einiger Mühe die Entdeckung, woher das Rauschen fomme, und man erkenne die Quelle des Liedes doch sogleich im Sänger. Was soll man zu solchen Ausstellungen sagen? Ist denn damit das geheimnißvolle Entstehen des Quells erkannt, wenn man ihn aus dem Felsen hervorbrechen sieht, und der räthselhafte Ursprung der Poesie, wenn man den Sänger ausfindig gemacht hat?

Str. 2. Der Dichter wirkt mit derselben Zauberkraft, wie die Parzen und wie der Götterbote Hermes. Ursprünglich muß, wie aus Humboldt's Brief über das Gedicht hervorgeht, in V. 1 statt furchtbar'n Wesen" der Ausdruck Mören, den Humboldt wegwünschte, gestanden haben, und da das Wort vermuthlich den Reim bildete, so wird auch V. 3 wenigstens anders gelautet haben; vielleicht hießen V. 1-4:

Verbündet mit den furchtbaren Mören,

Die still des Lebens Faden drehn,
Wer kann das Lied des Sängers hören
Und seinem Zauber widerstehn?

Im Schooß der Parzen liegt für uns Wohl und Wehe, Freude und Schmerz; sie stürzen den Menschen vom Gipfel des Glücks in gränzenloses Unglück, und heben ihn wieder aus dem Staub

zu glänzender Höhe. Ihrer Gewalt gleicht die des Dichters über die menschliche Brust; auch er wedt Furcht und Hoffen, Liebe und Abneigung, Schmerz und Freude, wie es ihm gefällt, in unserem Herzen. Hermes führt die Seelen der Verstorbenen jezt zum schauervollen Tartarus hinab, jezt in die glanzvollen Regionen des Lichtes; vgl. Virgil's Aen. IV, 242 f.:

Drauf ergreift er den Stab, womit er vom Orkus die bleichen
Seelen entführt und andre zum traurigen Tartarus hinschickt.

So führt der Dichter unsere Phantasie bald vor die Abgründe grausenvoller menschlicher Schicksale, bald erhebt er uns zu den glänzenden Höhen menschlicher Verherrlichung. Anders faßt Gözinger die Verbindung des Dichters mit den Parzen auf. „Der Dichter," sagt er, steht mit den Parzen, den Schicksalsgöttinnen, im Bündniß, d. h. er erregt und leitet unsere Gefühle, Gedanken und Bestrebungen, von denen unser Schicksal abhängt." Dieselbe Ansicht entwickelt Humboldt im obenerwähn= ten Briefe ausführlicher und tiefer begründend. „Das geheime Leben," sagt er, „die innere Kraft jedes Wesens, von welcher seine sichtbaren Veränderungen nur unvollkommene und vorübergehende Erscheinungen sind, und auf deren unmittelbarem und insofern unerkanntem Wirken dasjenige beruht, was wir Schicksal nennen, diese Kraft ist es, welche die Kunst des Dichters in Be= wegung zu sehen, auf die er zu wirken versteht. Aus ihr quillt im Menschen die Schönheit, die sein Gebiet ausmacht; und da jene Kraft zugleich die Ursache aller Bewegung, mithin der einzige Sitz der Freiheit ist, so eignet er sich nun, gleichsam durch ein Einverständniß mit ihr, jenes wunderbare Vermögen an, der Phantasie das Gefeß zu geben, ohne ihre Freiheit zu verlegen. Denn, daß es das Leßtere nicht thut, sagt der Rest der Strophe so schön. Seine Macht ist ein Zauber, er be= herrscht das bewegte Herz, aber durch die eigne Kraft desselben."

Humboldt faßt demnach den Begriff des Schicksals ganz anders, als wir es oben bei der ersten Deutung thaten, nicht als den Inbegriff dessen, was dem Menschen Beglückendes und Niederbeugendes durch eine seiner Kraft überlegene höhere Gewalt widerfährt, sondern er sieht vielmehr als Quelle des menschlichen Schicksals eben die eigenste innerste Kraft des Menschen an, welche auch der Born seines moralischen Werthes, der Sih seiner Freiheit ist. Wenn diese Auffassungsweise schon deßhalb, weil der Vertraute von Schiller's Denk- und Ausdrucsart fie äußert, unsre volle Aufmerksamkeit verdient, so gewinnt sie dadurch noch mehr für sich, daß es sich aus ihr erklärt, warum Schiller die Functionen der Parzen, wenn er sie mit der Idee von der Wirkung der Poesie auf den Menschen in Verbindung bringt, mehrmals mit den Functionen der Nemesis oder der Furien vertauscht; so z. B. in den Kranichen des Jbykus, einem Gedicht, das überhaupt mit dem vorliegenden in enger Beziehung steht. Dieselben Ideen, bemerkt Gözinger, welche dort in einem epischen Bilde versinnlicht sind, werden hier in lyrisch-beschreibenden Bildern verkörpert. Jene Strophe der Kraniche Und zwischen Trug und Wahrheit schwebet u. s. w." liegt ganz im Ideenkreise unseres Gedichtes. Auch die Sprache ist die nämliche: dieselbe einfache Pracht, feierliche Haltung, erhabene Ruhe und epische Ausführlichkeit; und offenbar hat Schiller auch in unserm Gedichte vorzugsweise die tragische Poesie vor Augen gehabt. Zu den Versen 5-8 weist Borberger auf folgende Stelle aus Hoffmeister's Nachlese IV, S. 146 hin: „Heilig und feierlich war mir immer der stille, der große Augen= blick, wo die Herzen so vieler Hunderte, wie auf den allmächtigen Schlag einer magischen Ruthe, nach der Phantasie eines Dichters beben wo herausgeriffen aus allen Masken und Winkeln der natürliche Mensch mit offenen Sinnen horcht wo ich des Zuschauers Seele am Zügel führe, und nach meinem Gefallen,

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einem Balle gleich, dem Himmel oder der Hölle zuwerfen kann und es ist Hochverrath an dem Genius, Hochverrath an der Menschheit, diesen glücklichen Augenblick zu versäumen, wo so Vieles für das Herz kann verloren oder gewonnen werden."

Str. 3 und 4. Die Poesie wirkt ähnlich, wie ein plöglich eintretendes ungeheures Schicksal, vor dem der Mensch jede Larbe ablegt und seiner Geisterwürde bewußt wird. Die Wirfungen, die hier beiden, dem Gesange wie dem ungeheuren Schicksal, zugeschrieben werden, sind lauter Züge, die das Erhabene charakterisiren. Zeigt sich dem Menschen etwas Erhabenes, sei es nun etwas Unfaßbares, das ihm die Schranken seiner Vorstellungskraft zum Bewußtsein bringt, sei es ein bedrohliches Phänomen der Natur, welches ihn an seine physische Ohnmacht erinnert: so muß natürlich der Eindruck, den jede faß- und meßbare irdische Größe macht, verschwinden. Das entzückende Bewußtwerden der hohen dämonischen Freiheit in uns, welches wir dem Erhabenen verdanken, die begeisternde Wahrnehmung, daß an das absolut Große in uns selbst die Natur in ihrer Grenzenlosigkeit nicht reicht, läßt alltägliche Freude nicht neben sich bestehen. In dem Augenblick, wo der Mensch seiner Geisterwürde inne wird, kann er nicht noch Heuchelei und Verstellung pflegen wollen. Das Schicksal fürchtet er nicht mehr; denn er hat eine Kraft in sich gefunden, die an keine Naturbedingung geknüpft ist. Ueber die sinnliche Welt emporgehoben, fühlt er sich nur noch dem Gesez der Geister verpflichtet; tein Kummer kann ihn mehr erreichen, und selbst die Rührung, die der Anblick des Erhabenen erzeugt, steigert den Genuß; denn mit dem Gefühl der Schranken und Schwächen, die der physische Mensch in uns beim Erhabenen empfindet, wächst das Gefühl der Unabhängigkeit und Kraft auf Seiten des moralischen Menschen. Zu Str. 3, V. 7-10 vergleicht Borberger Schiller Bb. 10, S. 70 (Die Schaubühne): „wo das menschliche Herz

auf den Foltern der Leidenschaft seine leisesten Regungen beichtet, alle Larven fallen, alle Schminke verfliegt, und die Wahrheit unbestechlich wie Rhadamantus Gericht hält“ und zu Str. 4, V. 4 die Künstler, V. 88 „Wie unter heilige Gewalt ge= geben." Man könnte eine Periode, die durch zwei ganze Strophen eines nur aus fünf Strophen bestehenden Gedichtes hindurchläuft, verhältnißmäßig zu lang finden. In der That sollte man ein solches Gleichniß eher in einer epischen, als in einer lyrischen Dichtung erwarten; allein eben, daß es nach der Weise der epischen Poesie behandelt ist, indem Vorder- und Nachsaß durch Hauptsäße getrennt sind, die das herbeigezogene Bild selbständig ausführen, läßt die beiden Strophen weniger als ein zusammenhängendes Ganzes erscheinen.

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Str. 5. Der Dichter stellt die Wahrheit der Natur in dem Menschen wieder her," so gibt Schiller selbst den Sinn der Strophe an. In der Abhandlung über naive und sentimentale Dichtung bezeichnet er die Natur als die einzige Flamme, aus der sich überhaupt der Geist des Dichters, des sentimentalischen wie des naiven, nähre. „Aus ihr," heißt es dort, „schöpft er seine Macht, zu ihr allein spricht er auch in dem künstlichen, in der Cultur begriffenen Menschen.“ Diesem aber erscheint, wie uns eine frühere Stelle fagt, die Natur als eine glücklichere Schwester, die in dem mütterlichen Hause zurückblieb, aus welchem wir im Uebermuth unsrer Freiheit hinaus in die Fremde stürmten. Mit schmerzlichem Verlangen sehnen wir uns dahin zurück, sobald wir angefangen, die Drangfale der Cultur zu erfahren, und hören im Auslande der Kunst der Mutter rührende Stimme.

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