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Nein, ihre Erfahrung begründet nicht ihren Glauben, sondern der Glaube deutet die Erfahrung. Und dieser Glaube beruht darauf, daß sie seiner bedarf. Die Vorstellung eines ungeratenen Sohnes würde ihr alle Freudigkeit und allen Wert ihres Daseins nehmen, darum kann sie sich nicht behaupten; und wegen der Energie der sie verdrängenden Vorstellung wird diese geglaubt. So hat alles Unglück, indem es immer wieder von stärkstem Sehnen begleitete Vorstellungen der Abhilfe hervorruft, eine erstaunliche glaubenweckende Kraft.,,Wer hätte unter Menschen gelebt", sagt Spinoza zu Eingang seines theologisch-politischen Traktats,,,und nicht gesehen, daß die meisten auch die beschränktesten im Glück so voll von Weisheit sind, daß sie sich beleidigt glauben, wenn jemand ihnen einen guten Rat geben will, im Unglück dagegen nicht wissen wohin, jedermann um Rat anflehen und keinen so albernen und unsinnigen zu hören bekommen, den sie nicht befolgen."

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Noch eine Bemerkung. Die drei Arten des Glaubens, Erfahrungsglaube, Autoritätsglaube, Bedürfnisglaube, sind nach ihrer Begründung verschieden, in ihrem realen Vorkommen verschlingen sie sich ineinander, wenn auch so, daß bei den einzelnen Systemen zusammengehöriger Glaubenssätze stets eine Art den eigentlichen und wesentlichen Kern und die anderen seine Umrahmung und Ausgestaltung bilden. Daß der Erfahrungsglaube weite Strecken dem Autoritätsglauben zu überlassen gezwungen ist, liegt auf der Hand. Wer vermöchte alles selbst nachzuprüfen, um der Gefahr nachgesprochener Irrtümer zu entgehen? Ebenso klar ist es, daß jeder Bedürfnisglaube sich nach dem jeweiligen Wissen gestalten muß. Unsere Bedürfnisse und die Mittel zu ihrer Befriedigung liegen in dem Erfahrbaren; wie könnten sich selbst unsere weitfliegendsten Wünsche völlig von ihm entfernen? In dieser empirischen Ausgestaltung und Einkleidung liegt der Grund der oft so verschiedenen Äußerungen des gleichen Bedürfnisglaubens und ihrer Veränderungen. Das Wissen der einzelnen von dem objektiven Zusammenhang der Dinge ist verschieden und veränderlich, und von dem Durchschnittswissen sozusagen der Gesamtheiten gilt das gleiche; je nach seinem Stande aber bestimmt sich das, was zur Befriedigung sehnlichster Wünsche als möglich gedacht und daher geglaubt wird. Ein Bedürfnisglaube, der von anderen nicht geteilt wird und dessen empirische Gestaltung ihrem Wissen widerspricht, heißt bei diesen Aberglaube; die Verschiedenheit aber und der leichte Wechsel abergläubischer Vorstellungen, z. B. über die Mittel zur Verschönerung des Aussehens, zur Heilung schwerer Krankheiten, zur Fesselung des ungetreuen Geliebten, ist bekannt. Nur da, wo die empirische Einkleidung eines Aberglaubens durch widersprechende Erfahrungen schwer oder gar nicht zu treffen ist, etwa weil er sich durch die Art dieser Einkleidung vorweg dagegen geschützt hat (Spiritismus), namentlich da aber, wo er von der Autorität eines großen Namens getragen wird, ist er auch in seiner konkreten Fassung zähe und nicht leicht zu erschüttern.

Wie aber der Bedürfnisglaube die Erfahrung, so zieht umgekehrt es ist wichtig, darauf hinzuweisen der Erfahrungsglaube auch den Bedürfnisglauben zu seiner Vollendung heran. Warum glauben wir an die kopernikanische Theorie des Planetensystems und nicht an die ptolemäische? Weil sie unvergleichlich einfacher ist; wenn wir außerordentliche Verwicklungen in den Kauf nehmen wollten, könnten wir auch mit Ptolemäus auskommen. Ja, aber hat denn die Natur die Verpflichtung, gerade das Einfache zu verwirklichen? In vielen Fällen tut sie es augenscheinlich, in anderen spottet sie unserer Voraussetzungen der Einfachheit und zeigt, daß sie die irrationalsten Verhältnisse und die verschränktesten Verwicklungen nicht scheut. Aber das Einfache ist das, was wir wünschen und was wir brauchen. Ein einfacher Zusammenhang mannigfaltiger Erscheinungen erregt unser Wohlgefallen, wir finden ihn schön; dazu ist er leichter zu übersehen und mit einem geringeren Aufwand geistiger Kraft zu denken, was ihn uns abermals empfiehlt. Wo daher die Erfahrungen eine Wahl zulassen, entscheiden wir uns ausnahmslos für das Einfache. Und wie so in Fällen der Unbestimmtheit ergänzt der Bedürfnisglaube den Erfahrungsglauben auch sonst noch in vielen Fällen: an den Rändern des Wissens z. B. und in den Lücken, die in ihm verbleiben, da wo die Erfahrungen nicht mehr oder noch nicht hinzugelangen vermögen.

Literatur.

G. TH. FECHNER, Die drei Motive und Gründe des Glaubens (1863).

B. Fühlen und Handeln.

§ 20. Ursachen der Gefühlsverwicklungen.

Selten oder nie existieren die Wahrnehmungs- und Vorstellungsgebilde, von denen bisher die Rede war, in der Isoliertheit, in der sie hier zunächst, um ihre Struktur zu zeigen, vorgeführt werden mußten; durchweg sind sie begleitet oder durchsetzt von Gefühlen. Das Mittelmeer unter wolkenlosem Himmel ist nicht bloß etwas anders Aussehendes, anders Temperiertes, andere Gedanken Weckendes als die beschneite norddeutsche Ebene, daneben spricht es noch ganz anders an, stimmt völlig anders. Dem gleichen Vorgang, z. B. einer Seefahrt oder einer Automobilfahrt, kann ich als einer Gefahr oder einem Vergnügen entgegensehen, die gleiche Behauptung als eine ausgemachte Wahrheit oder als zweifelhaft betrachten. Gewiß sind die Vorstellungen, die mich in solchen Fällen erfüllen, von großer Verschiedenheit, aber von noch größerer, möchte man sagen, sind andere Seiten des Gesamterlebnisses: Furcht, Niedergeschlagenheit, Unruhe auf der einen Seite, Behagen, Freude, Zuversicht auf der anderen. Wie jedermann bekannt, sind diese Gefühlsbegleitungen der Wahrnehmungs- und Vorstellungskomplexe, die unter Umständen so stark sind oder doch so sehr in den Vordergrund des

Bewußtseins treten, daß man den ganzen Komplex allein nach ihnen als Gefühl bezeichnet, in ihrer Reichhaltigkeit und lebendigen Bewegtheit schwer faßbare und nur schwer zu zergliedernde Erlebnisse. In dieser Hinsicht ist also nicht viel Befriedigendes über sie zu sagen; indes lassen sich wenigstens die Ursachen näher angeben, die es bewirken. Man kann ihrer drei unterscheiden, die oben (S. 71) schon kurz berührt wurden.

1. Inhalt und Form. Zunächst wirken Empfindungen, Vorstellungen, Wahrnehmungen usw. nicht allein durch das gefühlsweckend, was sie an sich sind, durch ihren absoluten Gehalt, wie man sagen könnte, sondern zugleich in hohem Maße durch die Art ihres Zusammenseins, ihrer Aufeinanderfolge, überhaupt ihrer Beziehungen zueinander. Die an und für sich prächtigsten Farben können zu einem häßlichen Teppich, die gleichgültigsten grauen Tupfen zu einem reizenden Ornament zusammengestellt sein. Ein Musikstück ist schön nicht allein durch den Wohlklang der einzelnen, isoliert gedachten Töne obschon es auch darauf ankommt sondern durch seine Melodien und Harmonien und wiederum auch durch diese nicht in ihrer Vereinzelung, sondern in ihren Rhythmen, ihren Verschlingungen, ihrem Gesamtaufbau.

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Das allgemeinste Prinzip dieser Formal- oder Beziehungsgefühle ist wohlbekannt: eine Mehrheit beliebiger Inhalte ist, abgesehen von aller sonstigen Gefühlswirkung, rein dadurch lustvoll, daß sie sich zugleich irgendwie zu einem Ganzen zusammenschließt, daß bei aller Vielheit und Vereinzelung der Einzelglieder in ihrer oder über ihrer Mannigfaltigkeit doch auch eine Einheit waltet, die ihre bloße Vereinzelung aufhebt. Eine zusammenhanglose oder gar auseinanderstrebende Vielheit dagegen ist verwirrend und quälend, eine ungegliederte und allzu einfache Einheit langweilig, beides also unlustvoll. Jene Vereinigung oder Vereinheitlichung des Vielen ist dabei im besonderen auf mannigfach verschiedene Weisen möglich. Die Einheit kann z. B. eine durchgehende sein, d. h. eine den Einzeldingen allen in gleicher oder ähnlicher Weise anhaftende Bildung oder Ordnung, die nur in abstrahierender Betrachtung als ein Gemeinsames erfaßt wird. So bei den gleichgeformten Stäben eines Lattenzauns, bei den Trommelschlägen, die einen Sturmangriff begleiten, bei symmetrisch gestalteten oder angeordneten Dingen, bei gleich stilisierten Teilen eines Bauwerks. Oder sie kann eine übergeordnete sein, d. h. ein bei einer gewissen Gleichartigkeit der Bildung doch zugleich selbständig neben und außer den. zusammenzufassenden Teilen stehendes Glied des Ganzen, das sich als ein irgendwie Ausgezeichnetes, die anderen Beherrschendes geltend macht. So z. B. wenn einzelne reicher gestaltete Stäbe eines Zaunes in gleichen Zwischenräumen über die anderen hervorragen, bei den stark betonten Taktteilen eines Rhythmus, bei Türmen und Kuppeln von Gebäuden usw. Oder endlich die Einheit ist eine zusammenfassende, nämlich ein erst durch das Zusammentreten der unselbständigen und oft ganz verschiedenartigen Teile zustande kommendes, von ihnen allen unter

schiedenes Ganzes, wie bei den Gliedern eines Organismus, den Mitteln zu einem Zweck, dem Sinn eines Satzes oder eines Vortrags. Natürlich können nun auch mehrere Arten von Einheit in Mannigfaltigkeit an denselben Dingen zugleich vorkommen, nicht minder können ihrer mehrere sich sozusagen übereinander aufbauen, so daß also die Einzeldinge erst in kleineren Gruppen zu niederen Einheiten und diese dann weiter zu höheren und höchsten zusammengefaßt sind, wie bei einem gotischen Dom, einer Symphonie, einem Drama; und durch alle diese Möglichkeiten ist nun offenbar die Mannigfaltigkeit und Verwicklung der Gefühle, die in Einstimmung oder Widerstreit miteinander und mit den inhaltlich fundierten Gefühlen durch eine Mehrheit von Eindrücken geweckt werden können, eine außerordentlich große. Sie wird aber noch bedeutend gesteigert durch einen zweiten Umstand.

2. Assoziation. Warum erfreut uns doch eine sonnige Frühlingslandschaft? was hat sie voraus vor der gleichen Landschaft an einem trüben Novembertage? Vielleicht gefällt uns das Grün der jungen Vegetation rein als bloße Farbe besser als das Braun der verwelkten und zertretenen Blätter, vielleicht auch übertrifft die wellige Rundung der sich belaubenden Bäume an Schönheit das Geäder der blattlosen Zweige. Aber das sind doch nur untergeordnete Momente für den verschiedenen Gefühlswert der beiden Eindrücke. Die eine Landschaft vielmehr erinnert an Leben, Wärme, Wanderungen oder Geselligkeit im Freien, Reisen in ferne Länder, die andere an Absterben, Frieren und Nässe, Abfütterungen in überhitzten Räumen, und nun klingen die Gefühlswirkungen, die alle diese Dinge als wirkliche Erlebnisse für uns haben, jetzt an, wenn ihre Vorstellungen, sei es auch nur in flüchtigster Weise, geweckt werden. Aus demselben Grunde macht uns die Kälte einer Leiche einen so anderen Eindruck als die gleiche Kälte der umgebenden Gegenstände, bedeutet es für uns etwas anderes, Blut fließen zu sehen als gleichfarbigen Kirschsaft oder Heidelbeersaft, und doch auch wieder in leichtem Grade etwas anderes, Kirschsaft fließen zu sehen als Milch oder Zitronensaft. Überall tragen wir in die Dinge eine Fülle von Erinnerungen an unsere früheren Erfahrungen mit ihnen hinein oder werden wir durch Vermittlung solcher Hineintragungen übergeleitet zur Vorstellung ähnlicher Dinge (S. 81). Der den einzelnen Erinnerungen anhaftende angenehme oder unangenehme, lustvolle oder leidvolle Charakter wird dabei aber mit übertragen, und die Gefühlswirkung der erinnerungweckenden Dinge wird so unter Umständen eine ungemein reiche und verwickelte.

Bemerkenswert ist dabei noch, daß diese auf der Vermittlung assoziierter Vorstellungen beruhenden Gefühle bei öfterer Wiederkehr der Eindrücke meist deutlicher und lebhafter in der Seele hervortreten als die Vorstellungen selbst, durch die ihre Hineintragung ursprünglich erfolgte, und daß sie dadurch durchaus jenen Dingen anzuhaften scheinen,

denen sie ursprünglich völlig fremd waren. Ein Haus, in dem ich einmal einen unangenehmen Auftritt erlebte, wird mir selbst unangenehm; die Vorstellung von ihm kann entschieden peinlich werden, während das Bewußtsein der Veranlassung dazu allmählich zurücktreten und oft ganz fehlen kann. Besonders dann ist dieser Übergang des Gefühls an einen neuen Inhalt auffallend, wenn ein bestimmter Gefühlscharakter einem Dinge durch zahlreiche verschiedenartige Vermittlungen assoziativ angegliedert wird, weil sich dann die mannigfachen Mittelglieder ebensosehr wechselseitig am Bewußtwerden hindern, wie ihre gleichartigen Gefühlsbegleitungen sich unterstützen.

Das typische Beispiel hierfür ist das Geld und die Entwicklung der Lust an ihm. In unzähligen Fällen und auf die mannigfachste Weise lernt der heranwachsende Mensch, daß es das Geld und immer wieder das Geld ist, das ihm seine Freuden vermittelt und seine Wünsche befriedigt. Eine Vergegenwärtigung aller dieser Einzelerfahrungen ist ihm beim Anblick oder der Vorstellung des Geldes bald garnicht mehr möglich; sie verwischen sich eben wegen ihrer Masse zu einer diffusen Gesamtvorstellung, auf Grund deren nur bisweilen einzelne Zukunftswünsche in deutlicherer Gestalt anklingen. Allein die mit jenen Erfahrungen verbundenen Lustgefühle gehen dadurch nicht verloren. Sie werden auch zu einer Resultante zusammengedrängt, aber wegen der Gleichartigkeit der Komponenten kann dabei aus ihnen nichts anderes werden als wieder etwas Gleichartiges: ein deutlich ausgeprägtes und gesteigertes Lustgefühl, das nun, da ein anderer Inhalt nicht vorhanden ist, sich an das Geld knüpft. Auch mit dem Zustandekommen der Liebe zu anderen Dingen oder Personen, Eltern, Freunden, der Heimat usw. verhält es sich so. Ein pietätvolles Kind mag es als roh empfinden, wenn ihm gesagt wird, die Liebe zu seinen Eltern beruhe allein auf den Wohltaten im weitesten Sinne, die es von ihnen empfangen hat, sie sei ein Niederschlag aller der Freuden, die ihm durch das Tun der Eltern und das Zussmmenleben mit ihnen zuteil wurden. Es hat dabei auch insofern recht, als in dem Bewußtsein seiner Liebe ein deutliches Bewußtsein dieser Wohltaten durchaus keine Rolle spielt und als auch die Vorstellung beliebiger einzelner Wohltaten und die Erinnerung an die mit ihnen verbundene ́ ́ Lust überaus ärmlich ist gegenüber dem auf ihrer Gesamtheit beruhenden und darum unendlichen und durch keine Zergliederung zu erschöpfenden Gefühl seiner Liebe. Gleichwohl ist nichts sicherer, als daß seinem Gefühl nichts anderes zugrunde liegt. Denn, wenn Kinder von frühester Jugend an von Pflegeeltern erzogen werden, die sich mit der gleichen Sorgfalt ihrer annehmen, wie natürliche Eltern, so lieben sie sie auch mit der gleichen Liebe.

Fast allgegenwärtig ist in unserem Denken, wie oben (S. 124) gezeigt wurde, und daher auch fast unausgesetzt von Bedeutung für das Gefühlsleben die Ichvorstellung; auf die geringfügigsten Anregungen hin wird sie zu dem Wahrgenommenen und den im nächsten Anschluß daran

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