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besitzt der Vater- und Mutternamen seelische Resonanz. Aus zahlreichen Gebeten an die Ahnen, an die lebenspendende Muttergöttin, an den hehren Urvater redet eine Innigkeit und Herzlichkeit, die aus einem wirklichen Kindschaftsverhältnis zur Gottheit entspringt. Wir müssen das moderne Vorurteil ablegen, daß, wie Alfred Maury sagte. ,,die Furcht der Vater der Religion, die Liebe ihre spätgeborene Tochter" sei 66. Der wirkliche Primitive ist kein,Wilder', kein,Unzivilisierter', kein halbtierisches Wesen, dessen seelische Triebfedern nur Furcht und selbstsüchtiges Begehren sind, sondern ein,,unverfälschtes Naturkind von liebenswürdigem Wesen". Koch-Grünberg schreibt über die kulturell tiefstehenden südamerikanischen Indianer:,,Sieht der Indianer bei einem längeren Zusammensein, daß ihm der Weiße wohl will, so verschwindet rasch sein Mißtrauen, und seine wahre, liebenswürdige Natur kommt zum Vorschein. Er gibt sich, wie er in Wirklichkeit ist, als ein unter normalen Verhältnissen harmloses Naturkind und belohnt in der Regel die Güte des Weißen mit seinem vollen Vertrauen." Wie der Primitive im Verkehr mit jenen Menschen sich gibt, deren Güte er erfahren, so gibt er sich auch im Verkehr mit den übernatürlichen Wesen, an deren Güte er glaubt. Dieselbe Herzlichkeit und Vertraulichkeit, die er gegenüber den Eltern und Verwandten zeigt, offenbart er auch im Gebet gegenüber jenen hohen Wesen, die ihm als Vater oder Mutter, Großvater oder Großmutter gelten. Er redet wie das Kind zu den Eltern: in voller Unbefangenheiter spricht sich rückhaltlos aus, er,schüttet sein Herz aus'; in schlichter Vertraulichkeit -Gott ist ihm kein Fremder, er kennt ihn wohl; mit ungekünstelter Herzlichkeit er liebt ihn, weil er seine Güte schon oft erfahren hat; mit inniger Zuversicht er vertraut auf ihn, er baut auf seine Macht und seine Freundlichkeit. Europäische Missionare und Ethnographen, die Augen- und Ohrenzeugen von primitiven Gebeten gewesen, schildern uns den tiefen Eindruck, den diese auf sie machten.

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,,Der Galla," bezeugt Pa ulitschke,,,wendet sich gerne und vertraulich an seinen Gott." ,Die kurzen Anrufungen beim Opfer erfolgen in sehr vertraulicher Form." 66 John Tanner, der dreißig Jahre unter den Irokesen weilte, schildert uns zwei Gebete, die er bei der Fahrt auf einem See gehört.,,Mitter. im See wurden wir von einem argen Sturm überrascht. Wir hielten uns schon verloren und schrien laut auf. Da erwachte plötzlich die alte Frau, stand auf, richtete mit lauter Stimme ein inniges Gebet an den großen Geist, fing danc an mit erstaunenswerter Lebhaftigkeit zu rudern und ermahnte uns auszuharren.“ Ein zweites stimmungsvolles Bild: ,,Kaum waren wir 200 Schritt weit (vom Lande) gerudert, da hielten alle Kanots an, und der Häuptling richtete mit lauter Stimme ein Gebet an den großen Geist, damit derselbe einen gnädigen Blick auf uns werfen möchte. ‚Du hast diesen See gemacht und hast auch uns geschaffen, deine Kinder, du kannst Ruhe halten auf diesem Wasser, bis wir glücklich und gesund darüber hinweggefahren sind.' Ich entsinne mich, daß die Anrufung, welche der Häuptling an den großen Geist richtete, mir sehr eindrucksvoll vorkam und einen tiefen Eindruck auf mich machte. Sie hatten sich in ihren gebrechlichen Fahrzeugen einem ungeheuren See anvertraut und fühlten darum um so mehr, wie sehr sie in der Gewalt des Wesens waren, das Wind und Weilen beherrschte." "7 Mit beredter Sprache gibt Sapper die Eindrücke wieder, die er von den Gebeten der Kekchi-Indianer an ihren Tzultaccá der Berge und Täler empfing. Es liegt ein unterwürfiger Respekt in der Art, wie der Indianer vor die Bildnisse (des christlichen) Gottes und der Heiligen hintritt und zu ihnen

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betet. Wenn er vor ihnen spricht, so hat man stets das Gefühl, als ob er in Ge-
danken devote Bücklinge vor denselben machte. Wie so anders ist es, wenn er
in feierlich stiller Tropennacht aus dem einsamen Lager im Urwald hervortritt
nach der Richtung hin, in welcher am nächsten Morgen der Marsch fortgesetzt
werden soll, wenn er nun auf einem großen grünen Blatt über mitgebrachten
glühenden Kohlen sein Kopalharz verbrennt und dazu sein altgewohntes Gebet
an Tzultaccà spricht. Da zeigt sich das Vertrauen des Mannes, daß sein heimischer
Gott ihm auch helfen werde, er, der alle seine Nöte und Bedürfnisse soviel besser
kennt als der stolze, fremde Christengott. Lag für mich schon auf gewöhnlicher
sicherer Wanderung etwas Weihevolles in der Art, wie der Indianer frei und
vertrauen d sich an seinen Gott wandte, so werde ich den tiefen Ein-
druck nie vergessen, den ich empfing, als einst in den wilden Urwäldern von
British Honduras nach bangem Tage des Hungers in dämmernder Abendstunde
der älteste meiner indianischen Begleiter mit lauter Stimme seinen Tzultaccá
anrief und um Jagdbeute anflehte, obgleich er das vorschriftsmäßige Opfer nicht
darzubringen vermochte. Und als noch in derselben Nacht, zum erstenmal wieder
nach langer, langer Zeit, in der Nähe das häßliche, meinen Ohren nun höchst
melodisch klingende Geschrei eines Büffelaffen ertönte, da konnte ich mich des
ketzerischen Gedankens nicht erwehren, daß der liebe Gott das vertrauensvolle
Gebet des Menschen erhöre, auch wenn es nicht gerade an seine Adresse ge-
richtet ist." 68
So verleiht die Art des sozialen Verhältnisses, in dem der Beter zur
Gottheit zu stehen glaubt, der Gebetsstimmung eine ganz bestimmte
Färbung. Die Wahl der Worte, der Klang der Stimme, das Mienenspiel
des Gesichtes, Körperhaltung und Geste sind verschieden je nach der
durch das eigentümliche Verhältnis zur Gottheit bedingten Gebets-
stimmung. Diese feinen Variationen psychologisch zu erfassen, ist
nieht möglich, da das Beobachtungsmaterial fehlt. Es genügt, fest-
stellen zu können, daß das Sozialverhältnis zu Gott die Gebetsstimmung
und das ganze Ausdruckssystem zu variieren vermag.

X. Zusammenfassende Charakteristik.
Die Bedeutung des primitiven Gebets.

Das Gebet des Primitiven ist unmittelbarer Ausdruck tiefer, seelischer Erlebnisse; es quillt spontan aus der Not oder dem Dankgefühl; die übermächtige Erregung bricht in freien Worten der Klage und Bitte, des Lobes und Dankes durch. Nirgends äußert sich die Freude am Leben, der Drang nach Steigerung und Bereicherung des Lebens, kurz der gesunde Wille zum Leben, der jedes Naturkind beseelt, so rein und stark wie im Gebet. Leben und Glück erbittet der Primitive von seinem Gott; nach Irdischem und Vergänglichen ist sein Trachten im Gebet gerichtet. Mit Verachtung sieht der Philosoph und Mystiker auf dieses Bitten um Leben und Gesundheit, um Nahrung und Reichtum herab und verwirft es als eudämonistisches Beten. Und doch muß jeder, der auf die Herztöne dieser Beter lauscht, innerlich ergriffen werden von ihrer Inbrunst und Leidenschaft. Diese Verbindung von tiefstem Abhängigkeitsgefühl und höchstem Lebensdrang hat in der Tat etwas Wundervolles an sich. In der Lebendigkeit des Affektlebens wurzelt der konkrete Realismus der dem Gebet zugrundeliegenden Gottesvorstellung, der die philosophische Kritik herausfordert. Das Gebet des Primitiven ist keine Meditation, sondern ein Umgang mit dem gegenwärtigen, lebendigen Gott. Ein dramatischer Realismus eignet

allem urwüchsigen Beten. Alle die drei Hauptmerkmale des primitiven Gebets Affektivität, Eudämonismus und Realismus lassen sich zurückführen auf die Naivität des primitiven Menschen: Gebetswort und Gebetsgestus sind der echte, unmittelbare Ausdruck dessen, was er erlebt. Sein Beten ist von keiner intellektuellen Problematik belastet. Er reflektiert nicht über die metaphysischen Voraussetzungen des Gebets, die Existenz der höheren Wesen oder die Möglichkeit, zu ihnen in ein soziales Verhältnis zu treten. Gewiß ist das Grübeln und Sinnen über den Ursprung der Welt und über die Rätsel des Lebens dem Primitiven nicht fremd, das lehren seine Mythen, das lehren vor allem seine Vorstellungen vom Urvater und Schöpfer. Bei manchen Naturvölkern treffen wir sogar merkwürdige Reflexionen über die Art und Weise, in denen die höheren Wesen die Opfer genießen. Aber das Beten des Primitiven ist frei von aller Reflexion und Spekulation. Das Gebet ist die spontanste religiöse Lebensäußerung, erhaben über alles Denken und Grübeln. Der Beter fragt nicht, untersucht nicht, zweifelt nicht, sondern tritt mit Gott in Verkehr, ruft ihn an und schüttet ihm sein Herz aus. Er handelt mit des Lebens eigenem Recht. Die Irrationalität der Religion, ja des Lebens überhaupt, tritt uns nirgends so gewaltig vor Augen wie im Gebet.

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Das Gebet des Primitiven ist ein schwacher Nachhall jenes Gebets, das von den Lippen des Urmenschen kam. Wir ahnen hier die Kraft und Leidenschaft der Urreligion. Alle Religion, soweit sie lebendig ist, offenbart dieselbe Kraft und Innigkeit der Urreligion, sie ist im Grunde nur eine Wiederholung der Urschöpfung der Religion. Will man es theologisch ausdrücken, so muß man sagen: aller Glaube, alle Religion wurzelt in der Uroffenbarung. Alles naive Beten nicht nur das Beten der Volksmassen, sondern gerade das Beten der großen Genien, der Propheten und Heiligen, der Dichter und Künstler - ist im Grunde nur primitives Beten; es zeigt, wie die spätere Untersuchung herausstellen wird, dieselbe innere Struktur; ja der prophetische Typ des individuellen Gebets gleicht trotz fundamentaler Unterschiede dem primitiven Gebet in allen Wesenszügen, im Motiv, in der Form, im Inhalt, in der zugrunde liegenden Gottesvorstellung, in der Relation zwischen Mensch und Gott.

In der Frömmigkeit des naiven Menschen und des großen religiösen Genius lebt die Urform der Religion immer wieder auf. Aber noch in anderer Weise lebt sie durch alle Jahrhunderte fort. Die religiöse Terminologie bleibt dieselbe, auch wenn die durch sie bezeichneten Inhalte längst eine Wandlung und Läuterung erfahren haben. In der Gebetsterminologie und Gebetssprache hat sich der ursprüngliche sinnliche Realismus des primitiven Betens bis heute erhalten. Wir ‚rufen und ,schreien zu Gott der Primitive betet stets laut, auf daß der Gott ihn höre. In der Not ,eilen' wir zu Gott der Primitive läuft zu der Stätte, wo sein Gott wohnt. Wir ,treten' mit Beten,vor Gott' der primitive Beter ist durchdrungen vom Bewußtsein der sinnlichen Gegenwart Gottes. Wir ,werfen uns nieder vor Gott der primitive Beter wirft sich wirklich in den Staub; die ursprüngliche Gebetsstellung lebt

Not,eilen

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jetzt als frommes Bild fort. Im Salve Regina beten fromme Katholiken zur Gottesmutter: ,,Zu dir rufen wir seufzend und weinend" der Primitive betet unter Seufzern und Tränen; das dowuevov ist zum Aɛyóμɛvov geworden. Wir leiten jedes Gebet ein mit einer Anrede an Gott der Primitive ruft Gott mit seinem Namen an, daß er auf ihn aufmerksam werde. Wir sprechen zu ihm,,mein Gott!",,,unser Gott!", ,,lieber Gott!",,,guter Gott!" für den Primitiven drücken diese Worte das Zusammengehörigkeitsgefühl und das herzliche Vertrauen aus. Wir nennen Gott,Vater, ‚Herr' und Königʻ, Maria betiteln die betenden Katholiken als,Mutter',Herrin' und,Königin - der Primitive steht zu seinem Gott im Kindes- oder Untertanenverhältnis. Wir bitten Gott:,,Höre!",,Erhöre!",,Neige dein Ohr meinem Flehen!" rufen wir mit dem Psalmisten - der Primitive ist beseelt von dem Glauben an Gottes Fähigkeit, sinnlich-menschlich wahrzunehmen. Mit einem Psalmworte beten wir:,,Gott, komme mir zu Hilfe!",,Herr, eile mir zu helfen!" - der Primitive ruft den in der Ferne weilenden Gott, daß er herbeieile und durch seine Gegenwart helfe. Unsere kurzen, stereotypen Gebetsrufe:,,Erhöre uns!",,,Steh uns bei!",,,Gib uns, schenke uns!",,,Erbarme dich unser!" sind keineswegs erst Schöpfungen des Psalmisten, sondern uralte primitive Gebetsrufe. Die Gebete der römischen Meßliturgie:,,Suscipe!",,Accepta habeas!“ „Offerimus tibi!“ (,,Nimm hin“, „,empfange“,,,wir, opfern dir") sind uralte primitive Opfersprüche.

Wie in der Gebetssprache, so haben sich auch in der Gebetshaltung und im Gebetsgestus die Urformen des Betens treu erhalten. Für ein Beten im, Geist und in der Wahrheit sind alle Körperstellungen und Händehaltungen nebensächlich. Und doch haben die großen Beter die aus primitiver Zeit überkommenen Gebetssitten bewahrt. Stehen und Knien, Händeausbreiten, Händefalten und Händekreuzen, Blick zum Himmel, Entblößen des Hauptes wurden zu den Gebetssitten des christlichen Abendlandes. Die alte Gebetsstellung des Hockens ist im Buddhismus zur Kontemplationsstellung geworden. So halten die beiden höchsten Religionen der Erde in ihren äußeren Gebetsformen treu an dem Erbe der primitiven Religion fest.

B. Die rituelle Gebetsformel.

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Das Gebet ist ursprünglich eine spontane Affektentladung, ein freies Ausschütten des Herzens. Im Laufe der Entwicklung wird es zu einer feststehenden Formel, die der Mensch affekt- und stimmungslos, herzund gedankenlos rezitiert. Ursprünglich ist das Gebet ein trauter persönlicher Umgang mit Gott, allmählich wird daraus eine starre, unpersönliche Kultform, ein durch den mos maiorum geheiligter Ritus. Ursprünglich quillt das Gebet unmittelbar aus tiefster Not oder höchstem Glück, später ist es an feste, regelmäßig wiederkehrende Anlässe gebunden. Ursprünglich ist das Gebet der formlose Ruf eines Bedrückten oder Beglückten, begleitet höchstens von einer schlichten Gabe und Spende, später ist es der unveräußerliche Bestandteil eines komplizierten Rituals, verbunden mit mannigfaltigen Reinigungen, Opfern, Prozessionen, Tänzen und Weihen. Ursprünglich ist das Gebet die persönliche Äußerung eines Individuums oder des Hauptes einer Gruppe, später wird es zum unpersönlichen Amtsgeschäft der Priester. Schon bei Naturvölkern vollzieht sich dieser Erstarrungs- und Mechanisierungsprozeß, der aus dem freien Gebet die genau fixierte Gebetsformel hervorgehen läßt. Am Feste der Erstlingsfrüchte spricht der BuschmannHäuptling ein Gebet, das jährlich in derselben Weise wiederholt wird. Die Weddas auf Ceylon besitzen zahlreiche Gebetsformeln, welche der Schamane rezitiert und der Schamanenschüler auswendig lernt. 2 Die Bantu und Negrillo besitzen nach dem Zeugnis von Le Roy neben den freien Gebeten,,formelhafte",,,die geheiligt sind durch den Gebrauch, welche die Kultdiener bei bestimmten Anlässen rezitieren." Von den Baronga schreibt Junod:,,Die meisten Gebete tragen einen extrem liturgischen Charakter. Jeder weiß, was bei einer bestimmten Gelegenheit, beim regelmäßigen Opfer zu sagen ist. Das persönliche Element fehlt fast völlig."4 Die Batak besitzen feststehende Gebetsformeln, welche von den Zauberern, Opferpriestern oder Häuptlingen hergesagt werden. 5 Die Melanesier unterscheiden ausdrücklich die spontane, formlose Anrufung der Ahnen von dem tataro, der strenggebundenen Gebetsformel. Einen noch viel breiteren Raum nehmen die Gebetsformeln im Kult der antiken Völker ein, vor allem in der vedisch-brahmanischen Religion, welche das größte Ritualbuch, den Yajurveda, besitzt, in der ägyptischen Religion, in der die alten Gebetsformeln zu Zauberworten geworden sind, in der römischen Religion, in welcher die formale Gebundenheit des Betens am strengsten durchgeführt ist. 8

Wie ist das Gebet aus einem freien Herzenserguß zur unbeweglichen, starren Form geworden? Wie schon oben (S. 49 f.) bemerkt wurde, vollzog sich dieser Entwicklungsgang nicht direkt, sondern über eine Zwischenetappe. Das biegsame, elastische Schema, das in freier Weise dem

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