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Refrain: άξιε ταῦρε. Dieser exstatische Jubelruf, hervorgestoßen vom Chor der trunkenen Bachantinnen, und die kurze Einladung, die ihm vorausging (¿λ9ɛīv), wurden miteinander verbunden und zu einem poetischen Gebilde erweitert. So entstand aus dem orgiastischen Toben gottrunkener Weiber ein kunstvolles Kultlied, das ein Chor sang. Aber nicht ein e individuelle Dichterpersönlichkeit hat aus diesen enthusiastischen Rufen bewußt und absichtlich ein Gedicht geschaffen, die Fortbildung und Umgestaltung der ursprünglichen Gebetsworte zum hymnenartigen Lied erfolgte aller Wahrscheinlichkeit nach spontan und unbewußt durch die Mitwirkung vieler Individuen. Die freien und ungebundenen Worte werden rhythmisiert, besser gesagt, der natürliche Rhythmus, der den kurzen, mehrmals wiederholten Gebetsrufen eigen ist, wird zum kunstmäßigen Rhythmus gesteigert. Träger dieses Entwicklungsprozesses ist nicht ein Individuum, sondern eine Mehrheit von Individuen — in diesem Punkte behält Wundts völkerpsychologischer Grundgedanke sein Recht. Alle diese Momente zwingen zu der Feststellung, daß auf einer primitiven Religionsstufe von eigentlichen Hymnen nicht geredet werden kann, sondern nur von Ansätzen zum Hymnus, wie sie im einfachen Kultlied und im poetischen Gebet vorliegen.

II. Der priesterliche Kult- und Beschwörungshymnus. 1. Vorbemerkungen.

Die entwickelte Hymnenpoesie ist eines der typischen Merkmale der großen antiken Kulturreligionen. Die antiken Kulturreligionen stellen den zweiten großen Typ der Religion dar. Die Wurzel, der sie entsprossen sind, ist die primitive Religion. Ja man kann sagen, daß sie in ihrem Wesen selbst nichts anderes sind als primitive Religion; denn sie enthalten dieser gegenüber kein wesentlich neues Element. Die Elemente der primitiven Religion sind nicht nach der Höhe und Tiefe, sondern nur nach der Breite fortgebildet. Der Fortschritt der materiellen Kultur bringt es mit sich, daß auch die religiösen Vorstellungen und Riten reicher, mannigfaltiger und prächtiger werden. Die antiken Religionen sind nicht mehr Stammesreligionen, sondern Nationalreligionen, getragen von einer umfassenden Staatsorganisation. Die Verbindung zahlreicher Stämme und Städte zu einem einheitlichen Reiche bedingt eine Vermengung der verschiedenen Stammes- und Stadtkulte, einen Synkretismus der Göttervorstellungen wie der Riten. Das Ritual nimmt gewaltige Dimensionen an und wird von äußerem Glanz umgeben. Das Opferwesen tritt in den Mittelpunkt des Kults, die Kathartik wird immer mehr ausgedehnt. Es entsteht ein kompliziertes, bis ins Detail geregeltes Sakralsystem, dessen sorgsame Beobachtung als unerläßlich für das Heil des Landes betrachtet wird. Prunkvolle Tempelbauten dienen als Götterpaläste und als Kultstätten. Der Wohnsitz der großen Götter sind nicht mehr Naturobjekte und rohe Fetische, sondern künstlerische Idole von überwiegend anthropomorphem Charakter. Eine kastenartig organisierte Priesterschaft be

Das Gebet

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sorgt den Kultus; sie ist bestrebt, das Ritual zu erweitern und erläutern; theologische, kosmogonische und astrologische Spekulation blüht neben der liturgischen Rubrizistik. Divination, Orakelkunst und Magie wird von den Priestern emsig gepflegt und mit dem Kult aufs engste verquickt. Im Wuste dieses Zauberwesens droht die Religion schließlich erstickt zu werden. Die antiken Ritual- und Priesterreligionen besitzen keine schöpferischen, aufwärtstreibenden religiösen Kräfte, ihr immer in die Breite wuchernder Synkretismus trägt den Keim des Zerfalls in sich. Religionsgeschichtlich betrachtet, sind die antiken Priesterreligionen kein Fortschritts-, sondern ein Dekadenzphänomen; trotz alles äußeren Prunkes sind sie das Produkt eines umfassenden Verkümmerungsprozesses. Eingesetzt hat dieser Degenerationsprozeß bei den Naturvölkern, aber in den antiken Kulturreichen ist er zu Ende geführt worden. Wo sich lebendige religiöse Kräfte in ihnen regten, erfolgte eine innere Loslösung von der offiziellen Kultreligion; dann erhob sich pantheistische Spekulation, ästhetische Naturbetrachtung oder asketisch-mystisches Heilsstreben über das verworrene System der Mythen und Riten.

In vier Gebieten entwickelte sich aus primitiven Stammeskulten ein ausgedehntes Sakralwesen: in Indien und Mittelamerika, am Nil wie im Zweiströmeland. Die vorkolumbische mexikanisch-peruanische, die ägyptische, die sumerisch-babylonisch-assyrische und die vedischbrahmanische Religion sind die großen Priester- und Ritualreligionen. Sie alle besitzen eine umfassende Ritualliteratur, die Schöpfung ihrer Priesterschulen. Die Religionen anderer antiker Völker, der Italer, Kelten und Germanen, der Kappadokier und Phöniker erheben sich zwar über das Niveau der primitiven Religion und nähern sich dem Typ der priesterlichen Ritualreligion. Aber ihr Kultwesen ist doch zu einfach, ihre Ritualliteratur zu rudimentär, als daß wir sie wie jene Religionen als Ritualreligionen charakterisieren könnten. Die altgriechische wie die altchinesische Religion haben manche Züge mit den typischen Ritualreligionen gemeinsam. Die Göttervorstellungen, die Mythen, die Opferriten, die kultischen Zeremonien zeigen mannigfache Berührungspunkte mit jenen. Aber der Unterschied ist zu gewaltig, als daß wir diese beiden Religionen jenem Typ zurechnen könnten. Vor allem ist in ihnen der Zusammenhang mit der primitiven Religion viel enger als bei jenen; die primitiven Riten haben in China wie in Griechenland viel mehr ihre ursprüngliche Einfachheit bewahrt als in Indien, Babylonien oder Ägypten. Der Hauptgrund hierfür ist das Fehlen einer organisierten Priesterkaste. In Griechenland waren die Priester Staatsbeamte, in China die Staatsbeamten Priester. Eben deshalb, weil ein festgeschlossener Priesterstand fehlte, war hier wie dort die Entstehung eines komplizierten Sakralsystems und einer ausgedehnten Ritualliteratur unmöglich. Die griechische wie die chinesische Religion blieben vor aller mythologischen und ritualistischen Verworrenheit bewahrt; beide besaßen die Möglichkeit, ohne gewaltsamen Bruch oder negative Reaktion gegen das Erbe der Vergangenheit zu höheren religiösen Vorstellungen fortzuschreiten.

Ein Stück der ausgebreiteten antiken Ritualliteratur bilden die Hymnen. Die Hymnenpoesie begegnet uns in ähnlichen Formen in der altmexikanischen 14 und altperuanischen Religion, in der ägyptischen, 15 der sumerisch-babylonisch-assyrischen 16 und der vedischbrahmanischen Religion. 17 In der italischen wie in der althebräischen Religion scheint die Hymnenpoesie nicht über das einfache Kult- und Gebetslied hinausgekommen zu sein. Auch die religiöse Poesie der Chinesen und Griechen kann nicht auf eine Stufe mit der Hymnendichtung der genannten Völker gestellt werden. Die religiösen Oden, die im 4. Buche des kanonische Gültigkeit besitzenden Schi-King (,Buch der Lieder') gesammelt sind, tragen einen gewissen weltlichen Anstrich; der Gebetscharakter ist völlig verwischt, sie unterscheiden sich von den Hymnen des Rigveda ebenso sehr wie der kanonische Li-Ki (,Buch der Zeremonien') von den vedischen Brâhmana. Die Hymnenpoesie der Griechen 18 bewegt sich, soweit sie liturgischen Zwecken dient, größtenteils in den Bahnen des schlichten Kultliedes; soweit sie wirkliche Hymnen poesie ist, ist sie meist literarisch, dient nicht den praktischen Zwecken des Kults; auch überragt sie an religiöser Tiefe und dichterischer Kraft weit die orientalische Ritualdichtung. Zum Typ des antiken Kulthymnus sind hingegen die avestischen Gesänge (Yasna) zu zählen. Zwar ist der avestische Mazdaismus analog der nachexilisch-jüdischen Religion eine aus einer prophetischen Offenbarungsreligion entsprungene Gesetzesreligion; aber ungleich mehr wie das Judentum hat sich der spätere Zoroastrismus in der Gottesvorstellung im Opferkult, im Taburitual und auch in der liturgischen Poesie der antiken Ritualreligion genähert.

Als die Hymnen des Rigveda vor fünfzig Jahren dem Verständnis des Abendlandes erschlossen worden waren, berauschte man sich an der Gottbegeisterung dieser Sänger und an dem dichterischen Schwung ihrer Lieder; man entdeckte in ihnen die religiöse und poetische Blüte eines jugendfrischen Volkes; man bewunderte ebenso die erhabenen Gottesvorstellungen, die einen urwüchsigen Monotheismus zu enthalten schienen, wie die künstlerische Gestaltungskraft, die einer phantasievollen Naturbetrachtung entsprungen schien. Als dann die in Keilschrift auf Tontäfelchen eingegrabenen Hymnen und Klagelieder der Babylonier aus dem Schutt uralter Tempelbibliotheken ans Licht gebracht und enträtselt wurden, da glaubte man die Vorlage der israelitischen Psalmen gefunden zu haben, das hehre Urbild jener Preisgesänge, Bitt- und Dankgebete und Bußlieder, die noch heute in den christlichen Kirchen erklingen und in christlichen Herzen widerhallen. Aber die neuere literar- und religionsgeschichtliche Forschung hat mit rauher Hand den romantischen Nimbus zerstört, mit dem die Begeisterung der Entdecker die vedische und assyrische Hymnendichtung umgeben hatte. Sie hat es als unzweifelhaft herausgestellt, daß die Masse der altindischen, altägyptischen und altbabylonischen Hymnen weder religiöse Poesie noch Naturpoesie ist, sondern priesterliche Ritualdichtung; sie entstammen nicht der drängenden Leidenschaft schöpferischer, religiöser oder dichterischer Genien, sondern sind das absicht

liche Werk dichtender Priester, welche kunstvoll aufgeputzte Texte zur Rezitation bei Ritualhandlungen und Beschwörungen verfertigten.

2. Zweck.

Der antike Hymnus ist Kult hymnus; er ist nicht wie der literarische Hymnus, die religiöse Ode, die wir später kennen lernen werden, Selbstzweck, sondern wie ursprünglich alle Kunst-Mittel zum Zweck; er ist geschaffen für praktische rituelle Zwecke. Wie in der primitiven Religion jedes Opfer von einem Gebet begleitet wird, so wird in den antiken Religionen jeder feierliche rituelle Akt, sei es nun eine Opferdarbringung, eine Weihehandlung, eine Prozession, eine Reinigungszeremonie, eine Sühnehandlung, ja selbst eine Beschwörung, durch die Rezitation eines Hymnus begleitet. Die ägyptischen Hymnen waren, wie Wiedemann feststellt,,,dazu bestimmt, mehrfach Verwendung zu finden und im Verlaufe der kultischen Handlungen oder Zaubervollziehung regelmäßig vorgetragen zu werden". 19 Die in den Pyramidentexten eingefügten Hymnen gehören nach der Meinung Breasteds zu alten Tempelritualen. 20 Nicht wenige ägyptische Hymnen sind zu dem Zwecke gedichtet, um von den Toten rezitiert zu werden; man legt sie ihnen in den Sarg oder schreibt sie an die Wände ihrer Grabkammern, auf daß sie durch diese Preis- und Gebetsgesänge das Herz der Götter gewinnen und so ein glückliches Leben in der anderen Welt sich sichern mögen. 21 Die babylonischen Hymnen sind nach Zimmern,,als begleitende Gebete bei Opfern und sonstigen Kulthandlungen aufzufassen"; 22 ihr Zweck ist, wie Otto Weber sich ausdrückt,,,ein rein liturgischer, gottesdienstlicher; sie sind Bestandteile des Rituals";,,sie erweisen sich ihrem Inhalt nach deutlich als Festhymnen, dazu bestimmt, bei Götterfesten, vornehmlich dem Neujahrsfest vorgetragen zu werden." 23 Auch die babylonischen Bußpsalmen sind nicht individuelle religiöse Ergüsse, sondern ein Stück des Rituals, verbunden mit Reinigungs-, Sühne- und Beschwörungszeremonien. Dieses Klageund Sühneritual war,,ursprünglich für öffentliche Anlässe und sodann für die Herrscher bestimmt", später wurde es auch in den privaten Nöten einzelner Menschen angewendet. 24 Die vedischen Hymnen werden von Oldenberg als,,liturgische Poesie" charakterisiert; sie sind ,,Opfergesänge und Litaneien, mit welchen die Priester der vedischen Arier auf tempellosem Opferplatz, an den rasenumstreuten Opferfeuern ihre Götter anriefen;" der Sänger des Rigveda,,dichtet in altererbter Weise für die Opferfeiern, vor allem für das große und prunkvolle Somaopfer". 25 Ebenso haben die altmexikanischen Hymnen eine praktischkultische Zweckbestimmung; sie werden zum größten Teil bei den großen Götterfesten vorgetragen. 26 Auch die theogonischen und kosmogonischen Epen der antiken Völker, die, wie Wundt treffend bemerkt hat 27, nicht als selbständige Mythen entstanden, sondern aus der Hymnenpoesie herausgewachsen sind, dienen wie die Hymnen kultischen Zwecken. Die kosmogonischen Hymnen des Rigveda wurden, wie aus dem Text erschlossen werden kann, beim Opfer reduziert. Die babylonisch-assyrischen Mythen waren feste Bestandteile des Rituals. Das

babylonische Weltschöpfungsepos mußte beim Wiederaufbau eines Tempels vorgetragen werden; das Epos von Ischtars Hadesfahrt wurde am Tammuzfeste im Zusammenhang mit einem Totenweihopfer von einem Priester rezitiert. 28 So ist das mythische Epos wie der Hymnus zur Ritualliteratur zu zählen.

3. Verfasser.

Der Hymnus ist im Unterschied vom naiven Gebet kein spontaner und freier Herzenserguß in der Not oder im Glück, auch nicht eine gebundene Gebetsformel, in der ehedem freie Gebetsworte sich kristallisiert haben; er stellt auch nicht wie das Kultlied eine bloße Rhythmisierung und Versifizierung eines Prosagebets dar. Der Hymnus ist vielmehr von individuellen Persönlichkeiten absichtlich ersonnen, willkürlich verfaßt, künstlich komponiert. Der Dichter hat, wie ein treffendes Bildwort des Rigveda sagt, das Lied,,gezimmert wie ein geschickter Werkmeister einen Streitwagen"; er hat es sorgsam geprüft, von allen Kunstfehlern befreit,,,wie man Korn mit der Schwinge reinigt". 29 So ist der Hymnus ein Elaborat, ein Dichtwerk, ein Kunstprodukt. Die Verfasser der Hymnen sind jene Männer, denen die Regelung und Ausführung des gesamten Kultwesens obliegt, die Priester.,,Nur in den engen und abgeschlossenen Kreisen priesterlicher Opfertechnik konnte eine solche Poesie entstehen" (Oldenberg). 30 Nur Priester besitzen eine solche Vertrautheit mit dem komplizierten, theologischen, mythologischen und liturgischen System, das den Hymnen zugrunde liegt. Während das Kultlied Volksdichtung ist, ist der Hymnus Priesterdichtung. Die Dichterpersönlichkeiten, welche die Hymnen geschaffen haben, nennen sich fast nie mit Namen. Nur in dem Rigveda ist öfters von Familien und Geschlechtern wie denen des Vasishtha und Vicvâmitra die Rede, in welchen die Sängerkunst erblich war. 31 Wir dringen darum niemals zu der Persönlichkeit des Dichters vor; alle antiken Hymnen sind für uns unpersönliche, literarische Dokumente. 32

Nicht nur der Dichter der Hymnen, sondern auch die Vortragenden sind Priester. Während das Gebets- und Kultlied von einem Laienchor gesungen wird, wird der Kulthymnus von einem Priester rezitiert oder gesungen. Im brahmanischen Opferwesen, ist es der hotr (,Anrufer'), der die rcas, die Lobgesänge des Rigveda, vorträgt, während der udgâtr (,Sänger') bestimmte rigvedische Verse, die im Sâmaveda zusammengestellt sind, nach einer bestimmten Melodie singt. 33 Ob die altägyptischen Hymnen vom Priester gesprochen, gesungen oder melodramatischrezitiert wurden, ist nicht festgestellt. 34 Wir wissen nur, daß in den ägyptischen Isismysterien zu Rom beim täglichen Gottesdienst die Hymnen vom Priester angestimmt und von Flötenspielern begleitet wurden. 35 Die babylonischen Kulthymnen wurden von einem Priester bzw. Priesterchor unter Musikbegleitung vorgetragen, wie schon aus der stehenden Bezeichnung er-šem-ma (semitisch šigû hal-hallati), ,Flötenpsalm' zu schließen ist. 36 Welche Musikinstrumente beim Hymnenvortrag Verwendung fanden, verrät ein alter Text, in dem es heißt:,,Die Liturgen sollen eine Melodie zur Lyra singen; zu der heiligen

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