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ker, Psychologen und Philosophen mühten sich in die geheimnisvolle Welt des Gebets einzudringen. Aber nur wenigen gelang es, das Sanctissimum des Betens zu betreten, in die Seele des Beters zu schauen, sein innerstes Bangen und Beben, Sehnen und Verlangen, Glauben und Vertrauen zu belauschen. Die meisten Forscher blieben im Vorhofe stehen und ahnten kaum die Wunder, die im Heiligtum der betenden Seele vor sich gingen. Die Historiker und Philologen sahen zumeist nur die äußeren Hüllen des Gebets, die stereotypen Formeln und prunkvollen Dichtungen, die konventionellen Gebärden und rituellen Handlungen; aber sie erfaßten nicht das Leben, das all diese Formen sich schuf. So sehr verkannten viele die Leidenschaft und Inbrunst des Gebets, daß sie seine Wurzel im Zauberspruch suchten, diesem größten aller religiösen Erstarrungsphänomene; im Tode suchten sie den Ursprung des kräftigsten und reinsten Lebens. Auch die Psychologen, die berufenen Interpreten der tiefen religiösen Erlebnisse, enthüllten uns nicht das Geheimnis des betenden Geistes. Die einen befragten nicht die großen Beter, sondern glaubten im Gebet moderner Durchschnittsfrommer zu erkennen, was Beten sei; andere profanierten mit ihrer mechanistischen Gesetzespsychologie das tiefste Mysterium der Religion. Nur wenige Forscheres waren nicht Fachpsychologen, sondern Theologen -sind mit genialem Blick in die Tiefen persönlichen Betens gedrungen: Köberle, Deißmann, Weinel, von der Goltz, A. Sabatier, Ménégoz, Tiele. Aber keiner von ihnen hat dem Gebet eine umfassende religionswissenschaftliche Untersuchung gewidmet. Ehe wir eine solche wagen, ist eine Besinnung auf die Aufgabe und Methode der Religionswissenschaft wie eine Umschau über die uns zur Verfügung stehenden Quellen unerläßlich. Nur so gewinnen wir in dem bunten Wirrwarr des Stoffs, der Methoden und Theorien eine sichere Orientierung.

III. Aufgabe und Methode der Religionswissen schaft 52.

1. Der Gegenstand der Religionswissenschaft.

Das Objekt der Religionsgeschichte, wie der Geschichte überhaupt, ist stets ein individuelles, örtlich und zeitlich scharf umgrenztes Gebilde. Die Religionsgeschichte untersucht mit den Mitteln der philologischen Wissenschaft die Religion eines bestimmten Volkes (der Ägypter, Babylonier, Chinesen), einer bestimmten Rasse (der Bantu, Semiten, Indogermanen), einer bestimmten Epoche (der vedischen Zeit, des nachexilischen Judentums, des Urchristentums, des Reformationszeitalters), einer bestimmten Kirchengemeinschaft oder Sekte (des japanischen Sukhâvati-Buddhismus, der Mithrasmysterien, des calvinischen Protestantismus, der Quäker), das Frömmigkeitsleben einer schöpferischen Einzelpersönlichkeit (Buddha, Plotin, Jesus, Paulus, Augustinus, Luther, Schleiermacher) oder eine viele Richtungen, Strömungen und Persönlichkeiten umfassende Weltreligion (den Buddhismus, Islam) oder Weltkirche (Katholizismus). Die Religionswissenschaft hat es hingegen im Unterschiede von der speziellen und allgemeinen Reli

gionsgeschichte nicht mit den einzelnen Religionen und religiösen Persönlichkeiten zu tun, sondern mit der Religion überhaupt. Sie sucht zu ergründen, was Religion ist, wie sie im Seelenleben des Menschen entsteht und im Gemeinschaftsleben der Menschen sich fortbildet, was sie für unser Geistes- und Kulturleben bedeutet. Auf zwei völlig verschiedenen Wegen sucht die heutige Religionswissenschaft in das Geheimnis der Religion einzudringen: auf dem Wege der Völkerpsychologie und Religionsvergleichung wie auf dem Wege der individualpsychologischen Analyse. Gegenstand der völkerpsychologischen (anthropologischen, ethnologischen, soziologischen) und_vergleichend-historischen Religionsforschung sind die Anfänge und die Entwicklung der Religion. Die psychologische Genesis und die historische Weiterbildung des religiösen Phänomens wird konstruiert auf Grund des generellen Vergleichs der Daten, welche die religiösen Vorstellungen und Riten der heutigen Naturvölker und der antiken Kulturvölker liefern. Gegenstand der individual-psychologischen Religionsforschung ist das reichdifferenzierte religiöse Innenleben individueller Persönlichkeiten einer hochentwickelten Kulturepoche sowohl religiöser Genien wie religiöser Durchschnittsmenschen, die spontan oder auf Grund psychologischer Befragung ihre religiösen Erlebnisse in Selbstzeugnissen niedergelegt haben. Keiner der beiden Forschungsmethoden gelingt es, des religiösen Phänomens vollständig habhaft zu werden. Die eine Methode geht gerade an den reichsten und reinsten Ausprägungen des Religiösen achtlos vorüber, die andere abstrahiert das religiöse Erleben von allen historischen und soziologischen Voraussetzungen. Gewiß werden durch beide Methoden wertvolle wissenschaftliche Erkenntnisse zutage gefördert. Aber nur eine Untersuchung aller Erscheinungsformen und Typen des Religiösen vermag das Fundament einer Religionsphilosophie, einer Wesensbestimmung und Wertung der Religion abzugeben.

Den Ausgangs- und Mittelpunkt der Religionswissenschaft muß stets die reine, naive Religion bilden. Die Religion muß vor allem an ihren Quellen und Höhepunkten studiert werden, dort, wo sie spontan und frei mit produktiver Kraft aus starken seelischen Erlebnissen hervorbricht, wo sie noch nicht erstarrt ist in stabilen, konventionellen Kultformen und noch nicht überwuchert durch das ausdeutende mythologische Denken oder die klärende philosophisch-theologische Spekulation. Naive Religion ist mit urwüchsiger Lebendigkeit wirksam im Kult der heutigen primitiven Völker, deren Ursprünglichkeit im Denken und Leben durch geschichtliche Fortschritte und Rückbildungen relativ wenig berührt worden ist. Naive Religion lebt ebenso in der Volksfrömmigkeit aller Jahrhunderte und aller Kulturen. Denn,,die Frömmigkeit der Massen ist unveränderlich wie das Wasser in den Tiefen des Meeres, sie wird von den Oberströmungen weder mitgerissen noch erwärmt" (Cumont)53. Die kanaanäisch-israelitische, die griechische, die hinduistische, die christlich-mittelalterliche Volksreligion sind Beispiele dafür, wie unter der Decke hoher Kulturen und Religionen die religiösen Urtriebe mit unüberwindlicher Gewalt fortleben. Ja noch in der katholischen und evangelischen Volksfrömmigkeit unserer Tage

Das Gebet

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ist der primitive religiöse Realismus mit unverminderter Kraft lebendig; die großen Bewegungen der Reformation, des Pietismus und Rationalismus, die über die protestantischen Kirchen gegangen sind, haben an der urwüchsig-primitiven Religion der Bauern so wenig geändert, daß evangelische Geistliche, die sich eingehend mit religiöser Volkskunde beschäftigten, allen Ernstes die Frage aufwarfen:,,Ist denn unser Volk überhaupt jemals zum Christentum bekehrt worden?" 54 Wertvolle Ergänzungen zu dem lebendigen Bild von naiver Religion, das aus dem Kult primitiver Völker und der Volksfrömmigkeit zu gewinnen ist, bieten die in literarischen oder monumentalen Dokumenten fragmentarisch überlieferten antiken Kulte, in deren festen und sakrosankten Ritualhandlungen und -worten die primitiven religiösen Schöpfungen prähistorischer Zeiten sich versteinert haben. Lehrreiche Analogien zur primitiven Religion bietet schließlich die Frömmigkeit des Kindes, soweit sie sich spontan äußert und nicht auf dem Wege der Nachahmung und Unterweisung von den Erwachsenen übernommen ist. Wie im Denken und Reden, im Gestus und Handeln, im Spiel und im künstlerischen Schaffen, so vollzieht sich auch im religiösen Vorstellen und Tun des Kindes die Genesis und Fortbildung des Ursprünglichen, Primitiven von neuem. Alle diese Äußerungen und Niederschläge primitiver Religion ermöglichen uns eine blasse Ahnung von der Urschöpfung des Religiösen, die sich in der Urmenschheit vollzogen haben muß.

Die primitiven Äußerungen des religiösen Erlebens reichen allein nicht aus, um ein vollständiges und zutreffendes Bild von naiver Religion zu gewinnen. Einmal sind zahlreiche religiöse Handlungen bei den Naturvölkern wie in den Volksreligionen bereits zur konventionellen, bisweilen sogar unverständlichen Sitte geworden, die um ihrer selbst willen geübt wird. Es darf keineswegs jede kultische Handlung als spontane religiöse Äußerung interpretiert werden. Schon innerhalb der primitiven Welt, geschweige denn in der antiken Kulturwelt, muß mit umfassenden Verkümmerungsprozessen ebenso gerechnet werden wie mit Höherbildungen. Ferner sind die Dokumente der primitiven Religion immer nur objektiver, äußerer, niemals subjektiver Natur; sie enthüllen uns nie das eigentliche religiöse Erleben; dieses selbst müssen wir erst aus den kultischen Handlungen, den sie begleitenden Worten und der sie veranlassenden Situation erschließen. Endlich ist, entsprechend der Undifferenziertheit des ganzen Kulturlebens, die primitive Religion so unauflöslich verbunden und vermengt mit der mythischen Weltanschauung, mit den sozialen Institutionen, vor allem aber mit dem Zauberwesen, daß die moderne Religionswissenschaft sie fortgesetzt mit diesen heterogenen Bestandteilen der primitiven Kultur verwechselte. Um deshalb das eigentlich Religiöse aus dem Knäuel primitiven Denkens und Handelns herauszulösen, um das Naive, Spontane von dem Übernommenen, Gebundenen, Konventionellen zu scheiden, um das in den Kulthandlungen, Kultworten und in den religiösen Vorstellungen sich äußernde seelische Erleben zu enträtseln, müssen wir uns an die großen religiösen Genien wenden, die uns ihre reichen und feindifferenzierten,

schöpferischen Erfahrungen in direkten und indirekten Selbstzeugnissen eröffnet haben. Erst durch die Untersuchung ihres Frömmigkeitslebens gelingt es uns, die naive Religion des primitiven Menschen, sein innerstes religiöses Fühlen ganz zu verstehen. Die Psychologie nennt dieses Verfahren die,umformende Analyse', die darin besteht, daß die Keimform eines Erlebnisses aus der voll entwickelten, durchsichtigen Form desselben Erlebnisses gedeutet wird. Solange die Religionswissenschaft die primitive Religion aus dieser selbst, ohne den Vergleich mit dem Frömmigkeitsleben der großen religiösen Persönlichkeiten verstehen und erklären will, wird sie stets im Dunkeln tappen und außerstande sein, Licht in die Fragen von der Entstehung der Religion und ihrem Verhältnis zur Magie zu bringen.

Unter großen religiösen Persönlichkeiten sind jene Persönlichkeiten zu verstehen, deren geistiges Wertleben im religiösen Erleben aufgeht oder gipfelt und denen in der Geschichte der Religion schöpferische Bedeutung zukommt: die Mystiker und Seher, die Propheten, Prediger und Missionare, die Reformatoren und Stifter. Obenan stehen jene Persönlichkeiten, die, hervorgegangen aus der bildungsarmen Unterschicht, im religiösen Gedanken völlig aufgehen, die keinerlei Bedürfnis fühlen, ihre religiösen Ideen mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen und den Kulturidealen ihrer Zeit zu versöhnen, die über alles philosophische Begreifenwollen des Weltzusammenhanges schlechthin erhaben sind: die alt- und neutestamentlichen Persönlichkeiten, Franziskus von Assisi, Luther, John Bunyan, George Fox, die mystischen Nonnen, die dichtenden Sûfî. Wenn einzelne von ihnen philosophische Begriffe verwerten, so geschieht es nur zur begrifflichen Klärung und dialektischen Behauptung des religiösen Wahrheitsbesitzes. Die absolute religiöse Selbstgewißheit steigert sich häufig zu einer schroffen Absage gegen alles metaphysische Philosophieren: man denke an Pauli harte Worte gegen die Weisen und Verständigen, an Luthers überlegenen Spott über die,Närrin' und,Hure' Vernunft, an Pascals Irrationalismus, Kierkegaards Paradox, Buddhas Agnostizismus. Es ist tief bedeutsam, daß die Frömmigkeit der größten religiösen Genien eine völlig naive, unreflektierte, untheologische Laienfrömmigkeit_war. Gerade der Handwerker- und Bauernstand war an großen Frommen stets reich gesegnet: Amos der Rinderhirt, Jesus der Zimmermann, Paulus der Zelttuchweber, Muhammed der Schafhirt, Kâbir der Weber, Bunyan der Kesselflicker, Fox der Gerbergeselle, Tersteegen der Seidenbandwirker. Neben diesen ganz schlichten, von aller metaphysischen Problematik unberührten Frommen stehen die großen reflektierenden religiösen Persönlichkeiten, die von einem starken philosophischen Drang beseelt sind, ohne daß deshalb ihre Herzensfrömmigkeit an Tiefe, Lebendigkeit und Innigkeit etwas einbüßt. Trotz des gewaltigen Hanges zur metaphysischen Spekulation und zur logischen Durchdringung des religiösen Gedankengehaltes rückt niemals das Religiöse von seiner Stellung als höchster Wert herab, so daß an seine Stelle die reine, begriffliche Wahrheit als letztes Ideal träte. Es sind dies die großen spekulativen Mystiker, die Männer der Upanischaden, ein

Râmânuja, Plotin, Eckhart, Böhme und die großen Theologen, ein Origenes, Augustinus, Thomas v. Aquin, Calvin und Schleiermacher, Newman und Schell, ein Algazâlî im Islam. In ihren Predigten, besonders aber in ihren Selbstbekenntnissen und Gebeten lebt naive Religion; das spekulative Moment, das ihre Lehrschriften beherrscht, tritt zurück. Die Divergenz des persönlichen Frömmigkeitslebens von der theologischen Doktrin ist unverkennbar, wenn wir den Hymnus des Thomas von Aquin,,Adoro te devote" den nüchternen Beweisen und Deduktionen der Summa oder die Lieder der altlutherischen Theologen ihren polemischen und scholastischen Schriften gegenüberstellen. Aufgabe der Religionspsychologie ist es, bei den großen Theologen und Dogmatikern immer wieder den Zugang zu finden zum Menschen, Helden, Dichter und Kind in ihnen.

Die moderne Religionspsychologie hat zum Teil Selbstzeugnisse von allen möglichen anonymen Durchschnittsmenschen und exaltierten Psychopathen aufgehäuft und aus ihnen die Gesetzmäßigkeit des religiösen Erlebens zu erfassen gesucht. Sie hat dabei ohne weiteres Methoden, die zur Erforschung des generellen Psychischen äußerst fruchtbar sind, auf die Untersuchung von Phänomenen angewandt, die der allgemeinen Psychologie nicht mehr zugänglich sind. Alle seelischen Vorgänge aber, aus denen die höchsten geistigen Kulturwerte geboren werden, das religiöse Erleben ebenso wie das philosophische Denken und das künstlerische Schaffen, müssen erstlich und letztlich an den schöpferischen Persönlichkeiten studiert werden. Darum kann, wie Söderblom mit Recht gesagt hat,,,die Religionspsychologie nicht vorwärtskommen, ohne sich auf die großen Genien und die tiefen Geister im Reich der Frömmigkeit zu konzentrieren" 55. Es ist ein unter Psychologen weit verbreiteter Irrtum zu glauben, daß die durch detaillierte (schriftliche oder mündliche) Fragen gewonnenen Selbstzeugnisse eine reichere, ergiebigere und zuverlässigere Quelle seien als die geschichtlichen, literarischen Dokumente der Frömmigkeit der großen Persönlichkeiten. Freilich sind nicht alle Dokumente von gleichem psychologischen Wert; hier gilt es vor allem den Wert der mannigfachen literarischen Selbstund Fremdzeugnisse abzustufen. Sodann genügt niemals ein willkürliches Herausgreifen von bestimmten Persönlichkeiten, sondern es müssen möglichst alle großen Genien herangezogen werden, da naturgemäß die literarischen Dokumente über einzelne Persönlichkeiten nie ein religiöses Phänomen vollständig und nach allen Seiten beschreiben, somit die von verschiedenen Geistern stammenden Zeugnisse sich gegenseitig ergänzen müssen.

Auf naive, unreflektierte Religion stoßen wir auch im Leben solcher Persönlichkeiten, deren produktives Schaffen einer anderen Sphäre von Werten angehört als der religiösen. Gerade die großen Dichter und Künstler (Dante und Goethe, Michelangelo und Dürer, Beethoven und Haydn), aber auch geniale Staatsmänner (Gustav Adolf, Cromwell, Bismarck), Entdecker (Columbus), Naturforscher (Newton) und Strategen (Tilly, Ziethen, Hindenburg) offenbaren eine unmittelbare Herzensfrömmigkeit, die ganz überraschende Parallelen

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