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fordert sie mit innerer Lebensnotwendigkeit unerbittlich den Primat im Geistesleben. Die Verflochtenheit der Religion im allgemeinen Kulturleben ist der primitiven Religion eigen. Die großen religiösen Genien erheben sich über die primitive Religion dadurch, daß sie die Religion aus der Umklammerung der Kultur losreißen und über sie erheben. Die hellenische Religion ist darum primitive Religion, freilich in ihrer reinsten und edelsten Form; aber sterbend gebar sie aus sich eine überkulturelle und übernationale Religion, die mystische Erlösungsreligion des Neuplatonismus.

E. Gebetskritik und Gebetsideale des

philosophischen Denkens.

Die primitive kultische Religion ist der Boden der religiösen Negation. Das philosophische Denken, mag es nun metaphysisch oder antimetaphysisch, ethisch oder erkenntnistheoretisch, idealistisch oder materialistisch, theistisch oder deistisch, pantheistisch oder atheistisch gerichtet sein immer steht es in einem inneren Widerspruch zu der naiven Frömmigkeit des primitiven Menschen. Der urwüchsige Eudämonismus, der alle Äußerungen primitiver Religion beseelt, wie der anthropomorphe Realismus, der die Gottesvorstellung des Primitiven beherrscht, fordern mit innerer Notwendigkeit die philosophische Kritik heraus. Diese Kritik schreitet aber nur selten zu einer völligen Absage an die Religion fort. Nur der konsequente Materialismus und Positivismus verwirft von vornherein alles Religiöse als Trug und Irrtum, doch sucht er zumeist dieses Verwerfungsurteil durch eine nachhinkende psychologische Ableitung der Religion zu stützen (Sophisten, Hume, Feuerbach). Die idealistische Philosophie hingegen mag nun ihr Idealismus ein metaphysischer, erkenntnistheoretischer oder ein ethischer sein hat trotz aller Gegensätze etwas mit der Religion, auch der primitiven, gemeinsam: den Glauben an eine Welt des Übersinnlichen hinter der Welt der Erscheinungen, an eine Welt höherer Werte über der Welt der profanen Alltagsinteressen. In dieser zwiespältigen Stellung zur Religion, dem Widerspruch gegen sie einerseits und ihrer Wertschätzung andererseits, gründet das Streben der idealistischen Philosophie nach einer Umgestaltung der empirischen Religion in eine Idealreligion. Das philosophische Denken sucht die traditionelle kultische Religion zu ethisieren und rationalisieren, indem sie den Eudämonismus aus der Frömmigkeit verbannt, die Gottesvorstellung von allen anthropomorphen Zügen reinigt und an die Stelle des Kults die Verwirklichung sittlicher Werte im individuellen und sozialen Leben rückt. Diese ethisch-rationale Idealreligion ist keine naive Religion, sondern eine Reformreligion, geboren aus der bewußten Kritik an der naiven Frömmigkeit, keine reine Religion, sondern eine philosophische Religion, eine Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft' (Kant), orientiert an den Normen der philosophischen Erkenntnistheorie, Metaphysik und Ethik. Die Beziehung der philosophischen Reformreligion zu der lebendigen Religion ist bald enger, bald loser; der Pietät eines Konfutse gegen die religiöse Tradition und der Anpassungsfähigkeit der Stoa an die Volksreligion steht gegenüber die schroffe Abweisung der naiven Frömmigkeit durch Xenophanes und Fichte; mit der religiösen Wärme und prophe

tischen Wucht eines Sokrates kontrastiert das abstrakte und nüchterne Religionsideal eines Seneca und Kant. Aber all diese Denker haben dies gemeinsam, daß sie der wirklichen Religion die von ihnen konstruierte Idealreligion als wahre, reine, echte und allgemeingültige Religion gegenüberstellen.

Der urwüchsige Eudämonismus und kräftige Realismus der naiven Religion offenbart sich nirgends so deutlich wie im Opfer und Gebet. Eben deshalb richtet sich die philosophische Religionskritik mit Vorliebe gegen das primitive Beten und Opfern. Schon der antiken Philosophie war das Gebet ein ernstes Problem. Seit den Tagen des Xenophanes ist in ihr die Frage, ob und wie man beten sollte, nicht zur Ruhe gekommen. Am Ausgang der Antike verfaßte der Philosoph Maximus Tyrius eine eigene Schrift mit dem Titel: el dei euxεoda (,,ob man beten darf"). Diese Frage nach dem philosophischen Recht des Betens beschäftigte die griechischen Kirchenväter sbenso wie die Pythagoreer, Stoiker und Platoniker. Auch in der Aufklärungsphilosophie und bei Kant wird dem Problem des Gebets Aufmerksamkeit geschenkt. 3 Die philosophische Gebetskritik führt jedoch fast nie zu einer radikalen Verwerfung des Gebets überhaupt, vielmehr wächst aus ihr ein positives Gebetsideal heraus; unter dem Gesichtspunkt der ethischen Werte und metaphysischen Erkenntnisse wird eine Gebetsnorm formuliert; dem naiven, spontanen wie dem rituell gebundenen Beten der Volksmassen und Priester wird das wahre und vollkommene Beten des Philosophen gegenübergestellt. Nach einem Wort der Pythagoreer ist der Weise,,der einzige Priester, der einzige Gottliebende, der Einzige, der zu beten versteht" (μόνος ἱερεὺς ὁ σοφός, μόνος θεοφιλής, μόνος εἰδὼς εὔξασθαι).

I. Inhalt des philosophischen Gebets.

Das ethische Gebetsidea 1.

1. Der naive Mensch betet um Leben und Gesundheit, um Nahrung, Sonnenschein und Regen, um Besitz und Kinderreichtum, um Ehre und Ansehen, um Sieg und Verderben über seine Feinde. Dieser gesunde, kräftige Eudämonismns wird von den Philosophen als irreligiös und unsittlich gebrandmarkt. Eduard v. Hartmann sagt:,,Vom Standpunkt eines höheren religiösen Bewußtseins müssen die eudämonistischen Zwecke des Kultus als irreligiös erscheinen." 5 Fichte schrieb im Atheismusstreit:,,Das System, in welchem von einem übermächtigen Wesen Glückseligkeit erwartet wird, ist das System der Abgötterei und des Götzendienstes und so alt wie das menschliche Verderben." • Beten erscheint dem kraftvollen sittlichen Geiste als Schwäche; als ,Tröstung einer kranken Seele" (aegrae mentis solatia) hat Seneca das Gebet bezeichnet. Es gilt, alle Eigenkraft anzuspannen, nicht tatenlos die Hilfe von oben zu erwarten. ,,Quid votis opus est? Fac te ipsum felicem!" (,,Wozu braucht man Gebete? Mach dich selbst glücklich!") 8 Es erscheint klein, häßlich und unmännlich, sich nicht in sein Geschick zu fügen, sondern trotzig um Erfüllung seiner augenblicklichen Wünsche und Begierden zu flehen. Kant urteilt:,,Es ist ein ungereimter und

Das

zugleich vermessener Wahn, durch die pochende Zudringlichkeit des Bittens zu versuchen, ob Gott nicht von dem Plan seiner Weisheit zum gegenwärtigen Vorteil für uns abgebracht werden könnte." Die Güter, um die der gewöhnliche Mensch betet, sind keine wirklichen Werte. Der Kyniker Diogenes warf der Masse der Menschen vor, sie flehe die Götter nicht um wahre, sondern um scheinbare Güter an. 10 Sokrates erklärte, diejenigen, welche um Gold, Silber, Herrschaft oder dergleichen beteten, täten nichts anderes als wenn sie um ein Würfelspiel oder um eine Schlacht oder sonst etwas, dessen Ausgang ungewiß sei, beteten. 11,,Was das Schicksal geben kann und wieder nehmen, um solches darfst du nicht beten," mahnt ein anderer griechischer Weiser, 12 2. Das Beten um vergängliche eudämonistische Güter gilt dem nach dem sittlichen Ideal strebenden Philosophen als unwürdig. Nur um unvergängliche, ethische Werte darf der Mensch bitten. Das philosophische Gebetsideal beschränkt den Gegenstand des Gebets auf den Umkreis der geistigen und sittlichen Güter. Keiner hat dieses ethische Ideal so begeistert verkündet wie der Stoiker Epiktet.,,Nicht was du begehrst, erbitte von den Göttern, sondern daß du frei werdest von allem Begehren, das erflehe von ihnen. Dann werden dich die Götter erhören, wenn du nicht um das Angenehme, sondern um das Wertvolle betest (μὴ περὶ τῶν ἡδέων, ἀλλὰ περὶ τῶν καλῶν). Und dann werden sie dir das Wertvolle geben, wenn du nicht an der Lust, sondern an der Tugend dich erfreust. Gedenke von den Großen nur das Große zu erflehen; denn das Kleine werden sie wohl nicht geben. Nichts ist größer und erhabener als Gott, wenn du darum zu den Göttern betest, bitte um das Göttliche, das unberührt ist von aller fleischlichen und irdischen Leidenschaft." 13 Clemens von Alexandrien sagt ähnlich vom christlichen Gnostiker:,,Er betet, daß ihm die wahren, auf die Seele bezüglichen Güter (τὰ ὄντως ἀγαθὰ τὰ περὶ ψυχήν) zuteil werden und erhalten bleiben." 14

von

Die Philosophen beten zunächst um die Verwirklichung ethischer Werte im individuellen Leben. Xenophanes bittet um die Kraft, das sittlich Gute zu vollbringen (τὰ δίκαια δύνασθαι πρήσσειν) 15, Apollonius von Tyana betet um Besitz- und Bedürfnislosigkeit (ouuxoà exεiv καὶ δεῖσθαι μηδενός) 18. Epiktet fordert, daß man um die σωφροσύνη vans (Besonnenheit der Seele) bete 17. Maximus Tyrius nennt als Objekte des Betens:,,Tugend der Seele, Ruhe des Lebens, tadelfreien Wandel, hoffnungsvollen Tod, die wunderbaren den Göttern geschenkten Gaben." 18 Clemens von Alexandrien schreibt: ;,Der schon vollendete Gnostiker betet um Wachstum und Bewahrung der Erkenntnis (9ɛwoia), so wie der gewöhnliche Mensch um dauernde Gesundheit. Ferner wird er flehen, daß er nie von der Tugend abfallen werde." 19 Seneca mahnt:,,Roga bonam mentem, bonam valetudinem animi“ (,,Bete um guten Geist, um gutes Befinden der Seele") 20. Juvenal gibt in einer seiner Satiren eine echt stoische Gebetsregel.

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,,Orandum est, ut sit mens sana in corpore sano.
Fortem posce animum mortis terrore carentem,

21

Qui spatium vitae extremum inter munera ponat
Naturae, qui ferre queat quoscumque labores,
Nesciat irasci, cupiat nihil"
(,,Bet', daß gesunder Geist in gesundem Körper mög' wohnen.
Fiehe um tapferen Mut, der trotzt allen Schrecken des Todes,
Der als das letzte Geschenk der Natur langes Leben betrachtet,
Der Kraft hat, mit Geduld zu ertragen jegliche Mühsal,

Der frei ist von Zorn und frei von aller Begierde.")

Die ethischen Ideale, die für den Philosophen der einzige Gegenstand des Betens sind, beschränken sich jedoch nicht auf das individuelle Leben, sondern umfassen das Leben aller Menschen. Pythagoras fordert, daß die Weisen für die Toren um das Gute beten, da diesen das wahrhaft Gute unbekannt sei. 22 Apollonius von Tyana betet,,,daß es viele weise Männer gebe, daß Gerechtigkeit herrsche, daß die Gesetze nicht aufgelöst würden, daß die Weisen arm, die übrigen reich seien, aber ohne Ungerechtigkeit". 23 Aus den Gebeten Voltaires spricht das weltbürgerliche Humanitätsideal der fränzösischen Aufklärer.

,,Du hast uns nicht ein Herz gegeben, damit wir uns hassen, und Hände, damit wir uns erdrosseln, sondern daß wir uns gegenseitig helfen die Last eines mühevollen, flüchtigen Lebens zu tragen; daß die kleinen Unterschiede zwischen den Kleidern, die unsere schwachen Körper bedecken, zwischen unseren ungenügenden Sprachen, zwischen unseren lächerlichen Bräuchen, zwischen all unseren unvollkommenen Gesetzen, zwischen all unseren unsinnigen Meinungen, zwischen unseren Standesverhältnissen, die so verschieden sind in unseren Augen und so gleich vor dir, daß all die kleinen Nuancen, welche die Atome, ,Menschen' genannt, unterscheiden, nicht Anlässe zum Haß und zur Verfolgung seien.",,Erhalte in unseren Herzen die Unterwerfung (unter deinen Willen), erhalte in ihnen deine reine Religion; entferne von uns allen Aberglauben; wenn man dich durch unwürdige Opfer verhöhnen kann, schaffe diese ruchlosen Mysterien ab; wenn man die Gottheit durch törichte Fabeln entebren kann, mögen diese Fabeln für immer zugrunde gehen; wenn die Tage des Fürsten und der Beamten nicht von aller Ewigkeit her gezählt sind, verlängere die Dauer ihrer Tage; bewahre die Reinheit unserer Sitten, die Freundschaft, die unsere Brüder hegen, das Wohlwollen, das sie gegen alle Menschen haben, ihren Gehorsam gegen die Gesetze, ihre Weisheit im Privatleben; mögen sie leben und sterben in der Anbetung des einen Gottes, des Vergelters des Guten und Rächers des Bösen." 24

Das allgemeine Fürbittegebet der christlichen Kirche ist in diesen antiken und neuzeitlichen Philosophengebeten schattenhaft angedeutet. In allen diesen Fällen ist die ethische Gebetsbitte konkret gefaßt; der Weise bittet um mehr oder weniger genau umschriebene ethische Werte. Häufig aber ist die Bitte generell und abstrakt formuliert, wie dies dem Fehlen konkreter Gebetsmotive entspricht. Die generelle Form der Bitte begegnet uns schon beim primitiven Menschen; aber während dieser um,Glück', um göttliche,Gunst und,Gnade' betet, betet der Philosoph schlechthin um,das Gute'; dort hat die generelle Bitte rein eudämonistischen, hier rein ethischen Charakter. Pythagoras schon sagte, man dürfe im Gebete nur um das Gute bitten (dεiv ev tais εὐχαῖς ἁπλῶς εὔχεσθαι τἀγαθά) und warnte vor einem Namhaftmachen konkreter Wünsche (xarà μégos óvoμáεiv) 25. Sokrates bat die Götter lediglich, das Gute zu geben, da sie am besten wüßten, was gut sei, 26 Apollonius von Tyana sagte, er fasse alles in das eine Gebet zusammen: ,,O ihr Götter, gebt mir das Gebührende" (rà ¿œɛikóμeva) und er versteht hierunter,das Gute' (rȧyaỹá). 27

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