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und herber Bußgeist; aus Luthers Beten strömt frohe religiöse Zuversicht und Gottergebenheit, aus Calvins Beten opfermutige, welterneuernde, sittliche Tatkraft; in Luthers Beten entlädt sich ungehemmt der tiefe Drang und die heiße Leidenschaft des Herzens; in Calvins Beten ist die Glut des religiösen Affekts gedämpft durch den ehrfürchtigen Gedanken an Gottes unnahbare heilige Majestät. Luthers Beten ist naive Aussprache der Herzens- und Gewissensnot und inbrünstiges Flehen um Trost, Hilfe und Gnade; Calvins Beten umkreist stets das grandiose Heilsziel: Gottes Ehre. ,,Wir flehen zu Gottes Ehre" (in gloriam Dei petimus). „Wir erflehen zuerst, was allein seiner Ehre dient, dann erst was auch unserem Wohle frommt." Dieser reine und starke Gebetsgeist Calvins, der an Großartigkeit Luthers kindliche Gebetsfrömmigkeit überragt, aber an Gottinnigkeit weit unter ihr bleibt, lebt wieder auf in dem englischen Baptisten prediger John B u nyan, Englands größtem religiösen Genius, und in dem einsamen frommen Grübler Blaise Pascal, der all die Zweifel des Verstandes durch den irrationalen Trotz seines starken Gottesglaubens niederrang. Luthers und Calvins Einfluß auf das evangelische Frömmigkeitsleben wurde schon sehr bald durch die einströmende mittelalterlichkatholische Mystik zurückgedrängt. Um 1550 begann die mystische Gebetsweise aus der katholischen Gebetsliteratur ihren Einzug in die lutherischen Erbauungsschriften, am Ende des 16. Jahrhunderts hat sie bereits die unbestrittene Vorherrschaft in allen deutschen evangelischen Gebetbüchern 125. Ihren Höhepunkt erreichte die Verbindung der katholischen Bernhardinisch-Tauler'schen Mystik mit dem melanchthonisch gestimmten Luthertum in Johann Arndt. Das Luther'sche Flehen um Gottes Gnade verschmilzt mit der mystischen Sehnsucht nach wonniger Gotteinigung im Seelengrunde. Wie bei allen großen Frommen des Mittelalters hat aber in dieser Synthese von mystischem und biblischem Gebet das mystische Element das Übergewicht; auch sind die spezifisch evangelischen Momente stets mystisch verfärbt und verändert 126. Die Einwirkung der Arndt'schen Mystik auf die lutherische Gebetsfrömmigkeit reicht bis zur Periode des Rationalismus, welcher allen mystischen Tendenzen den Boden entzog. Die im 19. Jahrhundert einsetzende Erweckungsbewegung brachte mit der Wiederbelebung des lutherischen Frömmigkeitsgeistes auch eine erneute Wertschätzung evangelischer Mystik im Sinne Arndts. Für die reformierte Gebetsfrömmigkeit gewann Gerhard Tersteegen eine besondere Bedeutung, dessen Finfluß bis ins Luthertum hinein sich erstreckte. Er ist der hervorragendste Mystiker auf evangelischem Boden, ja einer der größten mystischen Beter und Sänger überhaupt. Seine Gebetslieder, von denen manche bis heute in den evangelischen Gemeindegottesdiensten ertönen, offenbaren eine unsagbare Gottinnigkeit, eine weiche Zartheit des Gemüts und stille Ruhe des Herzens. Das ehrfürchtige Erbeben und Verstummen der Seele vor der geheimnisvollen Nähe Gottes, das schweigende Kontemplieren und wortlose Anbeten des in den Tiefen der Seele gegenwärtigen Unendlichen ist selten in so schlichten und doch so beredten Dichterworten besungen worden

wie von diesem gottbegnadeten Handwerker. Taulers tiefe und ruhevolle Unendlichkeitsmystik bildet den Grundton seiner eigenartigen Frömmigkeit; aber all die verschiedenen Motive christlicher Mystik: mitleidstiefe Passionsbetrachtung, bräutliche Jesusminne, innige Sehnsucht nach dem sakramentalen Heiland, quietistische Gelassenheit, dazu Luthers herzliche Zuversicht zu Gottes schenkender und verzeihender Gnade, klingen mit und formen zusammen mit jenem Grundton einen religiosen Akkord von wundersamer Feierlichkeit und Harmonie. Wie Thomas von Kempen in seinem Betrachtungsbüchlein so hat Tersteegen in seinen Liedern die mannigfachen Formen des mystischen Gebets zu einer Einheit verbunden.

Die individuelle Gebetsfrömmigkeit des christlichen Morgenlandes bleibt an Reichtum, Mannigfaltigkeit und Ausdehnung hinter der des Abendlandes zurück; sie beschränkt sich auf die weltabgeschiedenen Anachoreten- und Mönchskreise. Aus der Schar einsamer kontemplativer Seelen ragen drei große Beter hervor, die einen bestimmenden Einfluß auf das Gebetsleben der Mit- und Nachwelt ausgeübt haben. Makarius der Ältere, der als erster das ruhevolle innere Gebet als Ideal des Betens verkündet hat, Nilus Sinaita, der den gottsuchenden Anachoreten der Wüste eine mystische Gebetsanleitung gegeben hat, und endlich S y me on der Neue Theologe, der klassische Vertreter der byzantinischen Mystik. Im Gegensatz zu der Einförmigkeit die dem mystischen Gebetsleben im Mönchtum der Ostkirche anhaftet, enthüllen Symeons klangvolle Gebetslieder einen erstaunlichen Reichtum religiöser Innerlichkeit: herbe Weltverachtung und Lebensverneinung neben entzückter Gottbegeisterung, glühende, leidenschaftliche Gottsehnsucht neben zarter und ruhevoller Gottinnigkeit, staunende Kontemplation des unendlichen göttlichen Lichtes und demutsvolle Hingabe an den Gnade und Erlösung schenkenden HeilandChristus, geistiges Liebesverlangen nach der Lebens- und Wertfülle des ewigen Gottes neben inniger Versenkung in das eucharistische Mysterium, in dem der raum- und zeitlose unsinnliche Gott sich in unscheinbarer sinnlicher Hülle dem Frommen naht. In der harmonischen Verschmelzung dieser verschiedenartigen mystischen Stimmungen und Ideen liegt der eigenartige Zauber, der von Symeons Eowres twv deiwv juvwv ausstrahlt.

Aus dem unübersehbaren Chor christlicher Beter und Beterinnen erklingen kraftvoll und rein die hellen Stimmen dieser großen und größten Frommen heraus. Sie sind die Vorbeter und Vorsänger, denen die anderen Frommen nachgebetet und nachgesungen haben, sie sind die Lehrer und Führer, welche den anderen den Gebetspfad zu Gott zeigten und sie unterwiesen in der geheimnisvollen Gebetszwiesprache mit dem Ewigen. Wer auf ihre Gebetsmahnung achtet und ihrer Gebetsweisung folgt, wer auf ihre Gebetsworte ehrfürchtig lauscht, wer sie demütig und sehnsuchtsvoll nachspricht, dem wird sich wie ihnen das unergründliche Geheimnis des Göttlichen erschließen, dem wird sich wie ihnen der Unendliche in seiner Kraft und Herrlichkeit offenbaren.

II. Allgemeine Charakteristik der beiden Haupttypen der persönlichen Frömmigkeit. Mystik und prophetische Frömmigkeit.

In der individuellen Frömmigkeit der großen religiösen Geister treten mit deutlicher Schärfe zwei Haupttypen hervor. Die religionspsychologische und religionsphilosophische Forschung hat die beiden Typen erkannt, jedoch nicht ganz richtig charakterisiert.

James stellt unter dem Gesichtspunkt des religiösen Lebensgrundgefühls der,,religion of healthy mindedness" die Frömmigkeit der „,sick soul“ gegenüber; will man diese Termini mit landläufigen Schlagworten wiedergeben, so wird man von einer heiteren optimistischen und einer düsteren pessimistischen Grundfärbung der Frömmigkeit reden. Von einem anderen Gesichtspunkt aus unterscheidet James die Religion der Einmalgeborenen' von der der Zweimalgeborenen'; bei jenem entwickelt sich die Frömmigkeit harmonisch und geradlinig, bei diesen ist sie von einem einschneidenden Bekehrungserlebnis, einer ,Wiedergeburt' bestimmt. Höffding spricht von einem,disharmonischen' und einem,expansiven' Frömmigkeitstyp, einem,aktiven' und,passiven' Typ, einem,Kontinuitätstyp' und einem affektiven Typ, einem idiopathischen' sympathischen' Typ '. Eucken unterscheidet zwischen universeller Religion, d. h. dem Glauben an eine höchste, geistige Wirklichkeit, an den Sinn und Wert des Lebens, und,charakteristischer' Religion, d. h. einem verborgenen, individuellen Frömmigkeitsleben'.

und

Die religionswissenschaftliche Typisierung wird sich besser an den von der vergleichenden Religionsgeschichte herausgestellten Entwicklungslinien orientieren (s. o. S. 233 f.). Nathan Söderblom der zuerst diese beiden Hauptrichtungen der individuellen Religion klar und scharf unterschieden hat, charakterisiert sie als persönlichkeitsverneinede' und persönlichkeitsbejahende' Mystik, Unendlichkeits- und Persönlichkeitsmystik', Gefühlsmystik' und,Willens- oder Berufungsmystik',,akosmische Erlösungsreligion' und,prophetische Religion' oder ,Offenbarungsreligion' 5. (Der Terminus Offenbarungsreligion' bedeutet hier keine metaphysisch-religiöse Wertung, sondern eine historisch-psychologische Charakteristik.) Ähnlich unterscheidet Reinhold Seeberg zwischen einer spekulativ-kontemplierenden und einer ,voluntaristischen' Mystik". Das Wort,Mystik' wird hier im weiteren Sinne gefaßt als der im Innersten der Seele sich abspielende Gottesumgang, als,,eine Gewißheit, welche nicht den gewöhnlichen Weg durch die Sinne und die Reflexion passiert hat."7 Diese weite, die gesamte höhere Frömmigkeit umfassende Verwendung des Begriffes Mystik' empfiehlt sich aber deshalb nicht, weil sie zu verschiedenartige Phänomene umspannt, sodann deshalb, weil sie der Etymologie und dem älteren Sprachgebrauch des Wortes widerspricht.

Mystik leitet sich her von dem griechischen Wort μveiv, verschließen, das auch das Stammwort des bekannten Terminus μvotýlov, Geheimlehre‘,,Geheimkult' bildet. Weil die Teilnehmer religiöser Geheimbünde, wie der eleusinischen Mysterien, strengstes Stillschweigen bewahren mußten, weil sie den Mund verschließen, mußten, nannte man diese Riten und Lehren Mysterien. Wie die Riten der Mysteriengenossenschaften, so sind auch die Erfahrungen der Mystik ein verborgenes Geheimnis, das der Fromme vor der Masse verschließt und nur einem Gleichgesinnten und aufrichtig Suchenden enthüllt. Mystik ist also jene Religiosität, welche den Mund,verschließt, welche ihr unaussprechliches Geheimnis vor profanen Augen und Ohren hütet. Die spätantike Reli

giosität, vor allem die neuplatonische, gebraucht jedoch das Wort uvɛiv noch in einem andern Sinne b. Nicht allein den Mund sollten die Frommen verschließen, sondern die Sinne überhaupt, und nicht nur dem ,profanum volgus‘ der Nichteingeweihten sollten sie sich verschließen, sondern der äußeren Welt überhaupt; denn in der Abwendung von den sinnlichen Dingen und in dem Rückzug in das eigene Innere sucht diese Religiosität Heil, Erlösung und Seligkeit. Die geheimnisvolle Lehre von diesem seelischen Prozeß des Sichverschließens, der Loslösung von der Welt und dem eigenen Ich, die gekrönt wird von der wunderbaren Gottesschau und Gotteinigung, nennt Dionysius Areopagita, ein christlicher Theologe des 5. Jahrhunderts, der die neuplatonische Frömmigkeit in das Christentum überführte, die μvorizǹ Geoloyla, die,mystische Theologie'. Diesen Terminus, der den Titel einer seiner Hauptwerke bildet, verwendete auch die abendländische Frömmigkeit und Theologie als Gesamtbezeichnung für jene eigenartigen Erfahrungen, die sich in der Tiefe der weltabgeschiedenen Seele abspielen. In der neueren Zeit wurde von dem Terminus mystica theologia nur das Adjektiv in substantivischem Sinne beibehalten; so entstand das Wort,Mystik' als Abkürzung für,mystische Theologie'. In diesem engen und präzisen Sinne gebraucht auch die Ritschl'sche Schule den Terminus Mystik, während die neuere evangelische Theologie ihn in einem weiteren Sinn anwendete. Neuerdings hat Wilhelm Koepp in seiner hochbedeutsamen Schrift,,Johann Arndt, Eine Untersuchung über die Mystik im Luthertum" (1911) mit Entschiedenheit jene engere Verwendung des Wortes Mystik vertreten.

Wir tun gut daran, der Wesens bestimmung der Mystik die Etymologie und Wortgeschichte zugrunde zu legen. Mystik ist jene Form des Gottesumganges, bei der die Welt und das Ich radikal verneint werden, bei der die menschliche Persönlichkeit sich auflöst, untergeht, versinkt in dem unendlichen Einen der Gottheit. Der der Mystik polar gegenüberstehende hohe Frömmigkeitstypus fällt nicht unter diese Wesensbestimmung, er wird darum besser nicht als Sonderform der Mystik, sondern als völlig selbständige Größe behandelt. Eine eindeutige Bezeichnung dieses Typs, in der seine Wesensart klar umschrieben wird, ist schwierig. Am besten wird er durch die von Söderblom gebrauchten Termini,prophetische Religion' und,Offenbarungsreligion' charakterisiert, wobei freilich immer nur eine bestimmte Seite durch den ersten Terminus die religiöse Berufswirksamkeit, durch den zweiten die Eigenart der Gottesvorstellung beleuchtet wird. Weil dieser Frömmigkeitstypus vor allem durch das Alte und Neue Testament repräsentiert wird, und im Evangelium Jesu und von Jesus seine klassische Form besitzt, kann er auch schlechthin als,biblische oder evangelische Religion benannt werden.

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Die Mystik ist nur selten in ihrer vollen Konsequenz durchgeführt worden, so in den Upanischaden, im Vedânta des Sankara, im hinayânischen Buddhismus, bei Plotin, dem Areopagiten, bei Eckehart, Tauler, Angelus Silesius und Molinos. Sie verliert zumeist unter dem Einfluß der prophetischen Erfahrung oder der Volksreligion ihren unpersönlichen Charakter und nimmt persönlichere Farben an. Die Tao-Mystik Laotses, die hinduistische Bhakti-Mystik (wie sie in der Bhagavadgîtâ und noch deutlicher bei Râmânuja, Tulsi Dâs und den Tamilmystikern hervortritt), die Kultmystik der hellenistischen Mysterienreligionen, die mystische Frömmigkeit Philos des Juden, die sûfistische Mystik des Islam, die christliche Gottesmystik aller Jahrhunderte zeigen gegenüber der Nüchternheit, Kühle und Monotonie der reinen Mystik

persönliche Wärme und Innigkeit, enthusiastische Kraft und Hingabe. Gleichwohl hebt sich auch diese persönlichere Mystik in ihrer inneren Struktur deutlich von der reinen prophetischen Frömmigkeit ab und stimmt mit der konsequenten Mystik im Endziel alles Heilsstrebens überein. Die Strukturunterschiede der beiden Typen müssen zunächst herausgearbeitet werden, damit die Verschiedenheit des mystischen und prophetischen Betens besser verständlich wird. Hierbei ist es auch nötig, bestimmte religiöse Grundbegriffe, die in unserer Darstellung des mystischen und prophetischen Betens immer wiederkehren (z. B. Glaube, Liebe, Ekstase, Sünde, Heil usw.), zu klären.

1. Die historische Genesis.

Die Mystik entstand innerhalb der großen antiken Kulturreligionen in Griechenland (Orphismus) und Indien (Upanischaden), in China (Taoismus) und Ägypten; doch nur der griechischen und indischen Mystik war eine große geschichtliche Fortentwicklung beschieden. Die Mystik stellt in ihrer Entstehung eine negative Reaktion gegen die entwickelte Kulturreligion dar. Die prophetischen Religionen des Zarathuschtra, des Mose (und in gewissem Sinne auch Muhammeds) wuchsen unmittelbar aus der wenig entwickelten primitiven Religion nomadisierender Stämme heraus: durch schöpferische Erlebnisse, in denen diese Prophetenpersönlichkeiten von dem sich offenbarenden Gott überwältigt wurden, schnellte die primitive Religion auf die Höhe des individuellen, monotheistischen Gottesglaubens empor. Nur an die mosaische Offenbarung schließt sich eine lange Entwicklungslinie an, während die zarathuschtrische Religion wie der Islam sich bald zu einer gebundenen Gesetzesreligion verhärteten. 2. Das psychische Grunderlebnis a) Mystik.

In Zeiten eines hochentwickelten, aber bereits im Niedergang be findlichen Kulturlebens (in der altindischen Kultur, der hellenistischrömischen, der germanisch-mittelalterlichen, der spanischen und französischen Kultur des 16. und 17. Jahrhunderts) erschlafft in feinfühligen und begabten Menschen das naive Lebens- und Selbstgefühl, der gesunde Wille zum Leben erlahmt, der zukunftsfrohe Glaube an konkrete Lebenswerte, -Ziele und -Aufgaben bricht zusammen; es erfaßt sie ein ungestümer Ekel an der Welt und Kultur, ein brennendes Verlangen nach einem unendlichen Wert quält sie und drängt sie mit Gewalt zur Loslösung von Welt, Kultur und Gesellschaft. Tersteegen hat dieses psychische Motiv der Weltflucht und Inneneinkehr in treffenden Worten ausgesprochen.

Ich bin so satt der fremden Dingen,

So müd der Mannigfaltigkeit;

Es kann doch nichts als Plage bringen:
Wie enge wird mir's in der Zeit!

O Ewigkeit, ich sterbe schier,

Laß doch dem Geiste Luft in dir!

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