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Nur

Zauber und die Kraft des öffentlichen Gottesdienstes, eine Wurzel des lebendigen Gemeindegebets; wo das Primitive in prophetischer Schroffheit und nüchternem Ernst zerstört wird, versiegen bestimmte Quelladern des gottesdienstlichen Gemeindelebens. Wohl ist in der katholischen Kirche wie in den orthodoxen Kirchen des Ostens die altchristliche Liturgie zu einem komplizierten Ritual, das freie Gemeindegebet in heiligen Formeln, die lebendige Gebetssprache zu einer toten Sakralsprache erstarrt. Aber auch in den Reformationskirchen, die nach dem Beispiel des alten Christentums Gottesdienstordnungen in der Volkssprache schufen, ist, wie selbst evangelische Theologen bekennen,,,zu wenig Geist des Gebets und der Anbetung" (Theodosius Harnack) 145 b, ja nach dem (ungerecht verallgemeinernden) Urteil Vilmars ist in ihnen ,,das lebendige Gebet der Gemeinde fast überall erloschen" 146. in einzelnen engen Sektenkonventikeln und in den Hausgottesdiensten frommer evangelischer Familien lebt das altchristliche Kollektivgebet in seiner ursprünglichen Wärme und Kraft fort. Während die Liturgie der katholischen Kirche dem antiken Tempelritual und der synkretistischen Mysterienliturgie sich nähert, bedeutet der evangelische Gemeindegottesdienst eine Rückkehr zum synagogalen Gottesdienst des Judentums. Beide, die katholische wie die evangelische Form des Gemeindegottesdienstes haben sich in gleicher Weise - wenn auch in entgegengesetzter Richtung von der urchristlichen Form des Gemeindegottesdienstes entfernt und zu vorchristlichen Gottesdienstformen sich zurückgebildet. Aber während der evangelische Gemeindegottesdienst in seiner geistigen Nüchternheit und ethischen Herbheit in der Menge der Durchschnittsgläubigen nur schwer lebendige Kräfte individueller Gebetsfrömmigkeit zu entbinden vermag, ist die katholische Meẞliturgie in ihrem numinösen Mysteriencharakter und ihrem Reichtum an sinnlichästhetischen Reizen seit Jahrhunderten der Ausgangspunkt mystischen Betens und Kontemplierens gewesen. Es ist unzweifelhaft, daß im katholischen Sakramentsgottesdienst vor dem in der Eucharistie gegenwärtigen Gott, vor dem numen praesens, mehr und inniger gebetet und angebetet wird als im evangelischen Wortgottesdienst.

Aber trotzdem von dem katholischen Gottesdienst tieferes religiöses Leben ausstrahlt, trotzdem sein Mysteriencharakter bis in die Ürzeit des Christentums zurückgeht, steht das gottesdienstliche Ideal auf der Seite des evangelischen Christentums. Der evangelische Gemeindegottesdienst, d. h. die opferlose, geistige Anbetung Gottes durch eine Versammlung reifer christlicher Persönlichkeiten, ist die höchste und reinste Form des Kultus, der wahre Gemeindegottesdienst. Auf dieses Ideal kann und darf das evangelische Christentum nicht verzichten, mag auch die religiöse Massenpsychologie ihm widersprechen, mag auch das von ihm ausgehende religiöse Leben zumeist arm und dürftig sein. Die paradoxe Spannung, die zwischen dem hohen Ideal und der emprischen religiösen Wirklichkeit besteht, hat niemand treffender formuliert als der Straßburger Dogmatiker Fernand Ménégoz (in einem Brief an den Verfasser anläßlich des Erscheinens der Erstauflage dieses Werkes):

,,Die Tragik des evangelischen Gottesdienstes liegt in seiner radikalen Wahrhaftigkeit. Diese (verbunden mit dem modernen naturwissenschaftlichen, nüchternen Erkennen) zwingt ihn zur offenen Leugnung des numinösen Mysteriencharakters sowie der magischen Wirkungskraft des sinnlichen religiösen Symbols. ,,Brot bleibt Brot Wein bleibt Wein" dieser Gedanke Luthers wird vom gegenwärtigen fortschrittlichen Protestantismus konsequent zu Ende gedacht. Für das neuzeitliche evangelische Gemeindebewußtsein gibt es daher ein religiöses Erleben, ein Zusammentreffen des Menschen mit Gott, eine,,Offenbarung" nur in der Tiefe des geistig-persönlichen Innenlebens. Erst von hier aus werden die Erfahrungen in der Außenwelt als Gottestaten gedeutet. Daraus folgt, daß, während der katholische sakral-dingliche Gottesdienst der prophetischen, persönlich-schöpferischen Frömmigkeit allzuenge Grenzen zieht, der evangelische ,,geistliche" Gottesdienst ihr einen zu weiten Raum gewährt, einen Raum, der in der idealistischen Übertreibung strenggenommen voraussetzt, daß jeder Prediger eine schöpferische, überragende Prophetenpersönlichkeit sein sollte. Da nun dies allermeist nicht der Fall ist, bleibt der größte Teil dieses Raumes fürs gewöhnliche leer, woraus sich der Eindruck der Öde ergibt, der so oft vom evangelischen Gottesdienst ausgeht. Wird aber einmal dieser Raum tatsächlich ausgefüllt, - man denke an gottbegnadigte Wortverkündiger wie Spurgeon oder Adolphe Monod, Charles Wagner oder John Mott dann ist allerdings der Eindruck, den der evangelische Gottesdienst machen kann, ganz groß. Dann ergreift die Gotteskraft unmittelbar die feiernde und betende Gemeinde. Aber solche Erlebnisse sind Ausnahmen. Was den evangelischen Gottesdienst zu exzeptioneller, unvergleichlicher Durchschlagskraft befähigt, ist_zugleich der Grund zu seiner gewöhnlichen Ohnmacht. Es ist, wie wenn er den Reichtum seltener seliger Stunden durch jahrelange Armut erkaufen müßte, und dies, weil er eines über alles andere stellt: die Wahrhaftigkeit.“

J. Das individuelle Gebet als religiöse Pflicht und gutes Werk in den Gesetzesreligionen.

1. Eigenart der Gesetzesreligion.

Einer der großen Typen der Religion ist die Buch- und Gesetzesreligion; sie reiht sich als selbständiger Typus neben die anderen Haupttypen: die primitive Religion, die Ritualreligion, die philosophische Reformreligion, die schöpferische individuelle Religion, die lebendige Gemeinschaftsreligion. Ihre Wurzel ist die persönliche prophetische Frömmigkeit und die lebendige Gemeindefrömmigkeit, in welcher sich die prophetische Frömmigkeit unmittelbar auswirkt. Das frischquellende religiöse Erleben der prophetischen Genien und der jungen von prophetischem Enthusiasmus beherrschten Gemeinde erstarrt zum unbedingt verpflichtenden Ideal und Gesetz. Religion und Frömmigkeit ist nicht mehr freies, schöpferisches Erleben, ein,,Getriebenwerden vom Geiste", sondern Gehorsam gegen das heilige Gesetz. Dieses Gesetz ist niedergelegt in einem inspirierten Buch, das die abgeschlossene Offenbarung Gottes enthält; es gibt keine fortwirkende Offenbarung in den Propheten und Heiligen. Wohl steht das religiös-ethische Ideal im ganzen auf der Höhe des ursprünglichen Lebens, aber dieses Leben selbst in seiner unmittelbaren Kraft und Frische ist versiegt. Nicht die tiefe Herzensnot und das bebende Schuldgefühl, nicht das innige Heilsverlangen und die frohe Zuversicht, sondern die Furcht vor der göttlichen Strafe und die Hoffnung auf göttlichen Lohn sind die Motive der Frömmigkeit und Sittlichkeit. Nicht auf eine radikale Sinnesänderung, sondern auf das Tun äußerer Werke kommt es an. Die pflichtmäßige religiöse Leistung sucht der Fromme noch zu steigern durch Häufung freiwilliger guter Werke'. Der Autoritätsgedanke erfährt die schärfste Hervorkehrung. Zwar ist dieser Gedanke schon der prophetischen Religion wesentlich; aber in der Gesetzesreligion tritt an die Stelle der persönlichen Autorität des religiösen Genius die überpersönliche Autorität des Gesetzes, des Buches, des kirchlichen Lehramts (vgl. o. S. 268).

Die Religionsgeschichte kennt vier große Gesetzesreligionen: den mazdaistischen Parsismus, das nachexilische Judentum, den Islam und den vollentwickelten Katholizismus, wie er um die Wende des 3. Jahrhunderts hervortritt. Es wäre jedoch verkehrt zu glauben, daß sich in dieser Charakteristik die Eigenart und geschichtliche Bedeutung dieser Religionen erschöpft. Im Judentum und Islam lebt unter der Decke eines starren Nomismus eine weiche, innige Mystik. Im Katholizismus aller Jahrhunderte blüht eine unvergleichlich tiefe mystische Frömmigkeit, auch ist in ihm der urchristliche Gemeindegeist niemals

erstorben, wenngleich er nur in verkirchlichter Form innerhalb der Orden fortlebt. Wenn wir diese Religionssysteme als Gesetzesreligionen bezeichnen, fassen wir lediglich ihre offizielle Gestalt, ihre äußere Gesamterscheinung ins Auge und lassen die mannigfachen religiösen Unterströmungen unberücksichtigt.

Allen Gesetzesreligionen ist gemeinsam eine neue Auffassung des Gebets: das Gebet gilt als Leistung des einzelnen Menschen gegenüber Gott, zunächst als Pflicht, sodann als verdienstliches gutes Werk. Damit ist jedoch keineswegs gesagt, daß dies die einzige Gebetsart in diesen Religionen sei; es laufen vielmehr dem gesetzlich gebotenen und verdienstlichen Gebet das primitiv-naive Beten der Volksmassen, das individuelle Beten einzelner großer Heiligen und das gottesdienstliche Gemeindegebet zur Seite. Am stärksten tritt die gesetzliche Gebetsweise im Islam hervor; das individuelle Gebet (du'a) wie das gottesdienstliche Gemeindegebet treten hinter das, Pflichtgebet (salât) zurück. Im talmudischen Judentum spielt das Pflichtgebet ebenfalls eine wichtigere Rolle als das synagogale Gemeindegebet. Der Vertiefung des Gebetslebens durch das Christentum entspricht es, daß das gesetzliche und verdienstliche Beten im Katholizismus nur eine untergeordnete Stelle einnimmt und sich meist auf die breiten Volksmassen beschränkt, die von dem mystischen Gebetsleben der Heiligen und von dem liturgischen Kirchengebet nur wenig beeinflußt sind.

2. Geschichtlicher Überblick.

Das jüdische Pflichtgebet1 geht letzten Endes auf die deuteronomische Reform zurück. Das Deuteronomium (6, ff.) gebietet, daß jeder Israelite täglich, wenn er sich erhebt oder niederlegt (mag er nun zu Hause sein oder auf Reisen) die Worte sich einschärfe:,,Höre (šma), Israel, Jahwe ist Gott, Jahwe allein." Der 55. Psalm (18) und das Buch Daniel (611) setzen die Verpflichtung zum dreimaligen täglichen Gebet voraus. Josephus Flavius (Ant. IV 8, 13) erwähnt, daß es Pflicht eines jeden Juden sei, zweimal täglich, morgens und abends zu beten; er charakterisiert den Inhalt dieses Gebets als ein,,Bekenntnis der Gnadengaben, die Gott den Israeliten nach dem Auszug aus Ägypten gewährte." Nach den Bestimmungen der Mischna (Ber. III 3) hat jeder männliche Jude täglich zweimal zu den erwähnten Zeiten das Schma zu rezitieren. Es ist eine Erweiterung des kurzen vom Deuteronomium vorgeschriebenen Textes, eine Komposition von drei Thoraabschnitten (Dt 6; 11 18-21; Nm 15 37-1), in denen eingeschärft wird, daß Jahwe allein Israels Gott ist, es wird umrahmt von Preis- und Dankgebeten, die dem liturgischen Gemeindegottesdienst entstammen. Wann das vollständige Schma, d. h. die von der Mischna vorgeschriebene Formel in Gebrauch kam, läßt sich mit Bestimmtheit nicht entscheiden; es ist möglich, daß die erwähnte Stelle bei Josephus den von der Mischna gebotenen Text des Schma im Auge hat. Sicher fällt seine Entstehung noch in die Zeit vor Christus. Etwas jünger als die Schma-Rezitation ist der pflichtmäßige, private Gebrauch des Schmone 'Esre, des allgemeinen Synagogengebets, das auch Tefilla, d. h. Gebet" schlechthin genannt wird. Er ist mit Sicherheit erst im ersten christlichen Jahrhundert nachzuweisen, wo ihn Gamaliel vorschreibt. Während das Schma zweimal täglich und nur von jedem männlichen Juden rezitiert werden muß, ist das Achtzehngebet täglich dreimal, morgens, mittags und abends, und zwar von jedem Israeliten, auch von Frauen, Sklaven und Kindern zu verrichten (Berach 4, 1). Neben dem von Gott gebotenen Pflichtgebet steht seit der nachexilischen Zeit das verdienstliche Privatgebet; das Gebet rückt auf eine Linie mit dem Fasten und Almosengeben (Tob 12, 8) und wird zum guten Werk.

Die Sitte des mehrmaligen täglichen Gebets übernahm Mohammed aus dem Judentum. Die Erhebung dieser Sitte zum streng verpflichtenden Gebot scheint

noch vor dem Tode des Propheten erfolgt zu sein. Die älteste Form des m ó ha mmedanischen Pflichtgebets (salât) ist der Zikr, d. h. das,,Gedenken" Gottes, das in einem Ausrufen des Namens Allah oder in kurzen lobpreisenden Formeln besteht. Nachdem der Korân zum allgemeingültigen, inspirierten Religionsbuch geworden war, verwendete man bestimmte Abschnitte desselben als Gebetsformeln bei der salât, so die Eingangssure und die beiden Schlußsuren. Die erste Sure kann als ein typisches Beispiel für die Gebetsweise des Propheten gelten, die beiden Schlußsuren hingegen sind altarabische Beschwörungsformeln, welche Aischa, Mohammeds Lieblingsfrau, diesem beim Todeskampf zuflüsterte. Der Formalismus des islamischen Pflichtgebets übertrifft noch den jüdischen: die Gebetszeiten, die Gebetsvorbereitung, die Gebetsworte und die Gebetsstellungen alles ist bis ins minutiöseste Detail festgelegt.

Der Parsismus besitzt wie das Judentum mehrere Gebetsformeln, welche der treue Mazdaanbeter bei den verschiedensten Anlässen verrichtet 3; ihre häufige Rezitation gilt als höchst verdienstlich. Sie werden von den Mazdayasna ebenso oft heruntergesagt wie das Vaterunser und Ave vom katholischen Volk. Wie das jüdische Schma enthalten sie keine eigentliche Anrufung Gottes, sondern stellen vielmehr eine Selbstvergegenwärtigung und Selbsteinschärfung der höchsten religiösen Pflichten dar.

Das alte Christentumübernahm vom Judentum das mehrmalige tägliche Pflichtgebet; an die Stelle des Schma und Schmone 'Esre trat das Gebet des Herrn. Schon die Didache schreibt ein dreimaliges Rezitieren des Vaterunser vor. (8) Die ägyptische Kirchenordnung schreibt ein fünfmaliges tägliches Gebet vor: morgens, um die dritte, sechste, neunte Stunde und vor dem Schlafe". Das Gebot des Morgen-, Abend- und Tischgebets hat die katholische Kirche durch alle Jahrhunderte aufrecht erhalten; doch gilt die Pflicht des täglichen Gebets nicht so strenge wie im Gesetzesjudentum und Islam; auch sind keine bestimmten Formeln vorgeschrieben lauter Zeichen für den freieren und lebendigeren Charakter der christlichen Gebetsfrömmigkeit. Während die Gebetspflicht der Laien sich auf diese täglichen Gebete beschränkt, sind die,,Religiosen“, die Ordensangehörigen sowie die Weltgeistlichen zum regelmäßigen Stundengebet verpflichtet. Die kirchlichen ‚Tagzeiten' stellen jedoch ein gemeinsames gottesdienstliches Gebet dar; sie wurden relativ spät zu einem individuellen Pflichtgebet, das alle Säkulargeistlichen und jene Ordensgeistliche, die am Chorgebet teilzunehmen verhindert sind, für sich verrichten. Es ist jedoch bedeutsam, daß das Breviergebet den Namen „,officium“ trägt.

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Dem Judentum entstammt die Idee der Verdienstlichkeit des Gebets. In dieser Idee gründet die Verwendung des Gebets als kirchliche Bußleistung, als „,satisfactio operis", die der Beichtvater dem Pönitenten auferlegt. Die Anfänge dieser Verwendung des Gebets fallen in jene Zeit, in der das altkirchliche öffentliche Bußinstitut sich auflöste und von der Privatbeichte endgültig verdrängt wurde. Die schweren altkirchlichen Bußstrafen verschwanden allmählich, an ihre Stelle traten als Ersatzmittel die guten Werke, Beten, Fasten, Almosengeben, Schenkungen an die Kirche, Wallfahrten. In der heutigen Bußpraxis dient nahezu ausschließlich das Beten bestimmter Formeln (Vaterunser, Ave, Rosenkranz, Litaneien) als,,Genugtuung". Auch außerhalb des Bußwesens wird seit Beginn des Mittelalters das formelhafte Beten eifrig geübt; das Gebet gilt dem katholischen Volk als ein verdienstliches Werk, das reiche irdische und himmlische Belohnung nach sich zieht. Eine Steigerung erfuhr dieser Gebetseifer durch die Ausbreitung des Ablaßwesens, das seinerseits aus dem Bußwesen herauswuchs. Die Rezitation bestimmter Gebetsformeln ist mit Ablässen verbunden, d. h. sie führt die Nachlassung diesseitiger bzw. jenseitiger Sündenstrafen herbei.

3. Die Form des gesetzlichen Gebets.

Das gesetzliche Gebet ist streng formelhaft; es ist keine freie Herzensaussprache, sondern die Rezitation eines religiösen Textes, dessen Wortlaut festgelegt ist. Die Masse der Laien, die zum täglichen Beten durch Gebote gezwungen werden müssen, bedürfen einer stereotypen Formel. Das jüdische Schma und Schmone 'Esre, die Korantexte der muhammedanischen salât, die parsischen Gebetsformeln, das Vaterunser und Ave im katholischen Christentum sind alle wörtlich

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