ภาพหน้าหนังสือ
PDF
ePub

im späteren Leben eine reichere Entfaltung der Anlagen, ein reineres und klareres Wollen als bei dem früheren Saulus und dem jugendlichen Donnersohn, während aber bei dem erstern von der erreichten späteren Höhe aus der frühere Zustand als ein niedrigerer mit „natürlich“ bezeichnet werden kann, wird gewöhnlich bei dem letztern die ganze Entwickelung zur Einheit zusammengefasst, welche in ihrer harmonischen Stetigkeit ebensogut natürlich als sittlich zu heissen verdient.

Das Wort,,natürlich" wird in der Ethik ebenso häufig, wie es eine Vorstufe des Sittlichen bedeutet, auch zur Benennung eines den derzeitigen Zustand an Vollkommenheit überragenden, idealen Verhaltens gebraucht. Es erhebt sich periodisch nach Zeiten intensiven, systematischen, geistigen Schaffens der sehnsüchtige Ruf nach einer mehr natürlichen Entwickelung: Rückkehr zur Natur aus dem forcierten Culturleben! Die Geistesarbeit ist ihrer selbst überdrüssig geworden, sie zweifelt an der Erspriesslichkeit ihres Schaffens, sie sehnt sich nach Einfachheit und Ruhe oder auch nach einer übermächtigen Leidenschaft, kurz sie sucht sich selbst aufzugeben um in ihr Gegentheil umzuschlagen. Die Weltgeschichte hat 2 Perioden, in denen der Ruf der Sehnsucht nach Natur lautgeworden ist. Beide mal war Reaktion gegen ein Uebermass ästhetischen Genusslebens die treibende Kraft. Die erste war damals, als das gebildete Heidenthum im römischen Reich der Götter in Menschengestalt, der Personifikationen menschlicher Geisteskräfte und Begierden, überdrüssig ward und sich den finsteren Naturreligionen des alten Orients heils verlangend zuwandte. Es scheint ein offenbarer Rückschritt zu sein: Von Geistesreligion zu Naturreligion. Und doch hat dieser Schritt für die damalige Zeit einen Fortschritt in der sittlichen Gesammtverfassung bedeutet; es waren die kräftigsten und aufrichtigsten Naturen, welche sich zu den Mysterien der orientalischen Culte mit ihren Göttern in Tiergestalt, ihren blutigen Opfern und grausamen Büssungen hingezogen fühlten.

Die griechische Religion repräsentiert den frohen Lebensgenuss, den Cultus der schönen Geistes- und Leibesbildung. Sie stellt den Ertrag der sittlichen Arbeit des Griechenvolkes dar. Es ist sein Beruf in der Weltgeschichte gewesen, auf allen Arbeitsgebieten Natur und Geist ins Gleichgewicht zu setzen und dadurch eine harmonische Bildung der menschlichen Anlagen für eine gewisse Entwickelungsstufe zu schaffen. Eine Fülle von sittlicher Arbeit ist dabei gethan, welche für die gesammte Menschheitsentwickelung von unvergänglichem Wert bleiben wird. Die Umkehr zu der Anbetung der gestaltlosen Naturgötter des Orients hat diese Arbeit unterbrochen. Die plastische Kunst

stieg alsbald von ihrer Höhe herab; das Gesetz, in welches der Menschengeist die Natur gezwungen hatte in Philosophie, Baukunst, Dichtung und Wissenschaft, wurde gesprengt; der Grundsatz: „der Mensch ist das Mass der Dinge", verlor seine Geltung. Und doch liegt in diesem Umschwung, obwohl er die überlieferte Cultur zerstört und die neuplatonische Philosophie etwa ausgenommen, selbst nichts Eigenes Bleibendes geschaffen hat, ein gewaltiger und notwendiger sittlicher Fortschritt. Die griechische Bildung krankte an Selbstgefälligkeit, die Maxime: Der Mensch ist das Mass der Dinge, musste notwendig dahin führen, die menschliche Bildung als das Höchste und Wertvollste in der Welt hinzustellen und damit den Menschen selbst zu vergöttern. Dagegen trat mit psychologischer Notwendigkeit eine Reaktion ein. Der menschliche Geist ist nicht imstande, die geheimen Tiefen der Wirklichkeit zu durchdringen und die elementaren Kräfte unter sein Gesetz zu bändigen. Auch in der Menschenbrust selbst wohnen Leidenschaften, welche der verständigen Ueberlegung spotten und dem Willen nicht gehorchen. Als diese in der wilden, stürmischen Zeit des Zerfalls des Römerreichs zum Leben erwachten, sehnte man sich nach einer stärkeren Macht, um sich ihr unterzuordnen, da die griechischen Götter zu schwächlich waren, um die wilden Leidenschaften der Menschennatur im Zügel zu halten. Daher wandte der Blick der Zeit sich heilsverlangend den orientalischen Kulten zu; die grausame Aufopferung des blühenden Lebens und der das bewusste Geistesleben im Rausch und Taumel der Sinne unterdrückende Gottesdienst schienen die geeigneten Mysterien zu sein, um dem lebensüberdrüssigen und an geregelter Fortentwickelung verzagendem Zeitgeist Ersatz für seine frühere Weltanschauung zu geben.

Die Rückkehr zur Naturreligion war damals ein Sehnen, von sich selbst und dem armseligen Gesetz des Geistes, dem man bisher gehorcht hatte, loszukommen, es war ein Seufzen nach Erlösung von einer verkehrten und verderbten sittlichen Bildung und ist auch nach Gottes Fügung eine Vorbedingung der Erlösung geworden. Hier ist also die Umkehr zur Natur im Gegensatz zu der früheren geistig-sittlichen Richtung nicht ein Abfall von der Aufgabe der sittlichen Entwickelung, sondern der Anfang eines wertvolleren sittlichen Processes.

Dasselbe lässt sich nachweisen bei der Richtung, welche in der 2. Hälfte des vorigen Jahrhunderts Rückkehr zur Natur und zu natürlicher Bildung gefordert hat, deren Stimme auch bis jetzt noch nicht verstummt ist. Es war eine sittliche Regung, welche diesem Wunsche Ausdruck gab. Dies geht aufs Deutlichste hervor aus der Rousseau'schen Beantwortung der von der

Akademie zu Dijon 1750 gestellten Preisfrage: Ob der Fortschritt der Wissenschaften und Künste beigetragen hat, die Sitten zu veredeln? Rousseau beantwortete nach den Eindrücken, welche die Bildung seiner Zeit bei ihm gewirkt hatte, die Frage mit einem runden „nein." Die gesteigerte Cultur habe die Herrschaft des eitlen Scheins, die schmeichlerische Anbetung der königlichen und fürstlichen Macht in die Welt gebracht, weil sie im Dienst der herrschenden Kreise jede Ungerechtigkeit, jedes Laster in einem glänzenden Licht darzustellen wisse. Die Hoffnung, dass überhaupt eine gesunde Culturentwickelung möglich sei, hat in seinem Bewusstsein nicht Eingang gefunden. „Die Künste und Wissenschaften verdanken ihr Entstehen unsern Lastern. Die Verkehrtheit ihres Ursprungs ist auch in die Gegenstände selbst allzutief eingedrungen. Was sollten wir mit den Künsten beginnen ohne den Luxus, der sie in Nahrung setzt? Wozu würde die Rechtswissenschaft dienen ohne die Ungerechtigkeit der Menschen? Was sollte aus der Geschichtswissenschaft werden, wenn es weder Tyrannen, noch Kriege, noch Verschwörer gäbe ?" Ebendeshalb redet Rousseau der Rückkehr zu einer natürlichen, den Körper stählenden und unmittelbare Empfindung begünstigenden Lebensweise das Wort. Von der Civilisation ist kein Heil zu erwarten, darum Rückkehr zum Naturzustand, zu dem verlorenen Paradies!

Dieselbe Reaktion gegen eingetretene Verbildung erscheint in Deutschland bei Lessing, Göthe, Schiller, den Romantikern in Philosophie und Dichtung. Auf allen Gebieten des geistigen Lebens und Arbeitens erschallt die Losung: Rückkehr zur Natur! Und es lag darin trotz des Protestes gegen die methodische Geistesarbeit von Jahrhunderten ein Fortschritt zu einer höheren Stufe der Sittlichkeit. Die unmittelbare Berührung mit der Wirklichkeit schaffte reine, tiefe Empfindungen und Willensantriebe, sie führte in eine vollkommnere Kenntnis der Wirklichkeit ein, als sie von der methodischen Arbeit der Vergangenheit erreicht war. Auch hier haben freilich die Abkehr von der überlieferten Cultur und die Hinwendung zur Natur auf manchen Gebieten des sittlichen Lebens den Trieb zur Arbeit lahm gelegt und technisches Können untergehen lassen, aber selbst in dem Betonen des „göttlichen Rechtes der Faulheit" bei den Romantikern war stärkeres Verlangen nach Sittlichkeit, als in den Bemühungen des gleichzeitigen Rationalismus, alle Probleme der Welt methodisch zu zergliedern und zu erklären. Da die Allwirklichkeit, davon wir selbst einen Teil bilden, die Gesammtheit der sittlichen Güter befasst, so lässt sich sagen, dass jedes tiefere Erfassen eines sittlichen Gutes eine Hinkehr zur Natur bedeutet.

Deshalb ist auch in Jesus Christus, welcher in seiner Person die sittliche Vollendung darbietet, nirgends ein Gegensatz zur Natur. Die dem Naturleben entnommenen Gleichnisse erläutern das sittliche Verfahren Gottes in seinem Reiche. Wenn Christus auf die liebevolle Fürsorge Gottes hinweist, welche in der Natur zu Tage tritt, in dem Farbenschmuck der Blumen und in der Ausstattung auch der geringsten Tiere, deren jedes die Bedingungen zur Erhaltung und Fortpflanzung seines Lebens findet, so ist das nicht eine willkürliche, subjektive Lehre über das ethische Verhalten Gottes, sondern die Gesetze des natürlichen Geschehens sind, wie Christus hervorhebt, selbst sittlicher Art. Er hebt nur den in der Natur selbst liegenden sittlichen Gehalt heraus und zeigt, dass er das Verhalten der Menschen, ja selbst den Gehalt des alttestamentlichen Gesetzes an Tiefe und Wert weit überragt. Darum ist es keine Paradoxie, wenn das Verhalten Christi gegenüber der mosaischen Gesetzesreligion und ihrer Verbildung als Rückkehr zur Natur bezeichnet wird.

Dadurch wird nicht ausgeschlossen, dass Jesus die äusserste Strenge gegen natürliche Empfindungen und Bestrebungen vorschreibt, welche das Gesammtleben der Persönlichkeit zu zerstören drohen: „Aergert dich dein rechtes Auge, so reiss es aus und wirf es von dir. Es ist dir besser, dass eines deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde." In diesem Gebot liegt keine Unnatur. Es ist jedem organischen Körper das Gesetz vorgeschrieben, gegen fremdartige Bestandteile, welche in ihn eindringen, zu reagieren, um dieselben zu beseitigen. Ein in den lebendigen Körper gedrungener Splitter ruft eine Eiterung hervor, welche den Ausscheidungsprocess des Fremdkörpers bezweckt. Die sich hier vollziehende scheinbare Störung der Natur und ihrer Ordnung ist in Wahrheit die erhaltende Kraft derselben und die Garantie ihres Bestandes. Je feiner eine Organisation ist, um so empfindlicher ist auch ihre Eigenart und mit um so grösserem Ernst muss sie gegen alle ihr fremden Eindrücke reagieren, wenn sie ihr eigenes Leben erhalten will. Dies gilt naturgemäss am meisten von dem Organismus, welcher einerseits am feinsten und individuellsten gebildet ist und andererseits am meisten Empfänglichkeit und Assimilationsfähigkeit für Fremdartiges besitzt, von der menschlichen Persönlichkeit. Nicht alles Beliebige, was in der Welt geschieht, ist natürlich, vielmehr hat die Natur ihre eigenen Gesetze, durch welche ihre Harmonie und Entwickelungsfähigkeit garantiert werden. Nur wenn dieselben unverletzt bleiben, ist Naturwahrheit vorhanden, andernfalls tritt Zerstörung und Rückschritt zu niederen Organisationen ein. Der sich gegenwärtig in Kunst und Literatur breit machende Naturalismus ist die Ver

zerrung der Natur des Menschengeistes: Indem er alle Empfindungen und Anschauungen, welcher Art sie auch sein mögen, qualitativ gleich stellt, räumt er den gemeinsten, grobsinnlichen Begierden den ersten Rang ein; neben ihnen können die Willensrichtungen, welche ihre Kraft nicht aus einem übermächtigen augenblicklichen Impuls schöpfen, sondern durch Geisteszucht und Rücksicht auf das Wertvollste und Erprobteste bestimmt werden, nicht mehr sich behaupten. Das die Wirklichkeit beherrschende Princip der Selektion und des Schutzes des Vortrefflichsten wird vom Naturalismus verachtet und aufgehoben, deshalb werden auch seine Leistungen je länger je mehr Unnatur.

Das Resultat der bisherigen Untersuchung lässt sich also dahin zusammenfassen: Wenn der Sprachgebrauch natürlich und sittlich gegenüberstellt, so ist damit kein absoluter oder qualitativer, sondern nur ein relativer, quantitativer Gegensatz gemeint. Die natürliche Stufe kann ebensogut eine höhere als eine tiefere Stufe im Verhältnis zu dem sittlich genannten Zustand bezeichnen.

Nunmehr ist es möglich, über den weiteren Grund, welchen Kaftan für die Notwendigkeit der Scheidung des natürlichen und sittlichen Handelns anführt, ein Urteil zu fällen. Er sagt: Wie der natürliche Wille auf Leben und der sittliche auf vollkommenes Leben gerichtet sei, letzterer also einen engeren Kreis einnehme als der erstere, so sei auch in den Objekten, auf welche sich der Wille in jedem Fall bezieht, ein entsprechender Unterschied gegeben. „Die moralischen Urteile treffen immer nur ein menschliches Wollen und Handeln, während nichts davon ausgeschlossen ist, in seine Beziehung zu dem Anspruch auf Leben, den wir machen, aufgefasst zu werden. Auf die Objekte gesehen, ist also ein engerer Kreis innerhalb des weiteren Gegenstand der sittlichen Beurteilung" I, 52-53. Wenn wir das Leben um uns in 2 grosse Gebiete zu teilen pflegen, in Natur und Geschichte, so ist damit nach Kaftan (p. 54) die Ethik vor eine Alternative gestellt: Räumt sie der Natur Einfluss ein auf die Bildung sittlicher Güter, so ist sie nach Kaftan auf einem Irrwege. Sie löst dann das sittliche Leben in natürliche Strebungen auf und verwischt seine Eigenthümlichkeit. „Hingegen ist die Geschichte das Gebiet, auf welchem sich in der Menschheit überall aus natürlicher Nötigung heraus sittliches Leben entwickelt." „Innerhalb der Entwickelung der Geschichte kann. man daher eine Erklärung des sittlichen Bewusstseins aus natürlichen Faktoren versuchen, ohne die Eigenthümlichkeit desselben aufzuheben". (p. 55).

Hiergegen ist folgendes zu erinnern: Wir kennen die Natur

« ก่อนหน้าดำเนินการต่อ
 »