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ausübt, so darf doch der logischen Geschlossenheit und Unbedingtheit des Systems zu Liebe die unbefangene natürliche und geschichtliche Betrachtung der wirklichen Welt nicht suspendiert werden. Es herrscht hier dasselbe Verfahren wie in der römischen Kirche, welche auch, um die unbedingte sittliche Autorität ihrer Institution aufrecht zu erhalten und den formalen Charakter der Unfehlbarkeit zu wahren, sich ohne Bedenken über die Thatsachen der Geschichte und die Grundsätze der modernen wissenschaftlichen Forschung hinwegsetzt. Mag ihr dieses entschlossene, durch keinerlei Gewissensbedenken beirrte, angeblich dem höchsten sittlichen Zweck dienende Vorgehen auch grosse Schaaren von Bewunderern und Anhängern zuführen, so kann sie dies doch nicht davor bewahren, je länger je mehr als die den Fortschritt und die Ausbreitung des Sittlichen hemmende Gewalt offenbar zu werden.

Auch in dem Kants Spuren folgenden Herrmannschen System hat die sittliche Idee, obwohl ihr Gebot mit unbedingtem Rigorismus geltend gemacht wird, dennoch das starke Fundament, auf dem allein sie sich erbauen kann, eingebüsst. Nachdem Kant dem theoretischen auf die Welt bezogenen Erkennen die Rolle zugewiesen hat, den Causalnexus, welchen es in sich selbst trägt, auf die Aussenwelt zu übertragen und alle Erscheinungen derselben darunter zu ordnen, ohne dass aber das Subjekt hierbei von dem Wert der einzelnen Dinge berührt, noch zu einem befriedigenden Abschluss geführt zu werden vermöchte, weist er in der praktischen Vernunft im Menschen selbst eine Causalität auf, welche ihre Realität in sich selbst besitzt, nicht in Beziehungen zu anderen Dingen, und die daher der Persönlichkeit Freiheit und Autonomie verleiht. Kant hat den Forderungen der praktischen Vernunft, dem Sittengesetz, unbedingte Giltigkeit zugesprochen, obwohl doch die Erfahrung beweist, dass der empirische Wille der Person keineswegs die unbesiegbare Kraft zum Guten in ungetrübter Klarheit in sich trägt, wie seine Freiheitslehre dies voraussetzt. Er kommt zu diesen Sätzen durch dieselbe Abstraktion, welche er vorher bei der Aussonderung des theoretischen Erkennens angewendet hat. Die Unbedingtheit des sittlichen Wollens, welches als Sittengesetz in jedem vernünftigen Wesen lebt, lässt sich nicht unmittelbar empfinden, sondern man muss durch das Denken zu der notwendigen Einsicht kommen, dass der menschliche Wille, welcher der Natur in manchen Stücken übergeordnet und daher von ihrem Causalnexus frei ist, einem unbedingten Gesetz der eigenen Causalität unterworfen ist (158). Da die Persönlichkeit sich als eine selbstständige Grösse von eigenem Wert gegenüber der Natur erkennt, welche letztere ihren Lebensansprüchen Widerstand leistet, jeden

falls in keiner Weise denselben sich förderlich erweist, so soll sie daraus ihre Zugehörigkeit zu einer anderen Welt, der der Freiheit, erkennen: „Unabhängigkeit von den bestimmten Ursachen der Sinnenwelt ist Freiheit. Mit der Idee der Freiheit ist nun der Begriff der Autonomie unzertrennlich verbunden, mit diesem aber das allgemeine Princip der Sittlichkeit, welches in der Idee allen Handlungen vernünftiger Wesen ebenso zu Grunde liegt, als Naturgesetz allen Erscheinungen" (186). Diesen die Unbedingtheit des Sittengesetzes behauptenden Argumenten gegenüber wird der kritische Verstand einwerfen, dass, da thatsächlich diese absolute apriorische Macht der Freiheit in dem Willen keines einzigen Menschen gegeben sei, auch Bedenken an seiner Existenz überhaupt und damit an der Wahrheit der Kant'schen Formel sich erhöben.

Diesen Einwand sucht Herrmann mit folgender Erwägung zu widerlegen: „Aber wenn man glaubt, dass man mit dieser Thatsache psychologischer Beobachtung den sogenannten Rigorismus der kantischen Ethik widerlegen könne, so übersieht man dabei Eines. Indem man das Urteil ,,unbedingt wertvoll" über die bestimmte Willensrichtung ergehen lässt, deren eigenthümliche Lust man erfährt, so spricht man ja ebendamit den Wert jener Bestimmtheit des Willens von der Abhängigkeit los, in welcher er zunächst zu der Lusterfahrung steht. Das heisst aber nichts weiter als: man vollzieht die Anerkennung eines unbedingten Gesetzes, dem man dieses ganze von der verschiedenartigsten Lust durchzitterte Selbst in seinem Wollen unterwirft, mag nun die Stimme des Gefühls für die Forderungen des Gesetzes sprechen oder dagegen" (159). Gleichwohl kommt er mit dieser Argumentation aus dem Cirkel nicht heraus. Im Gegensatz zu jeder durch natürliche Eindrücke vermittelten Lustempfindung nennt er die Wirkung, durch welche das Sittengesetz seine Ueberlegenheit bezeugt, eine unbedingt wertvolle". Die Erfahrung weist zwar nur nach, dass unter besonderen Umständen bei hervorragenden Persönlichkeiten die Lust am Guten die niederen Regungen der Seele schlechthin unterdrückt, so dass die sittliche Wertempfindung ebenso relativen Charakter trägt, als die natürliche; aber was der Wirklichkeit abgeht, muss die Voraussetzung der Kritik der reinen Vernunft ersetzen. Ist das Weltganze, wie es von der transcendentalen Aesthetik vorausgesetzt wird, von logischen Gesetzen beherrscht, mithin eine vernünftige, in sich abgeschlossene, einheitliche Grösse, und sind die Gesetze, welche die Welt beherrschen, in unserer vernünftigen Natur niedergelegt, so muss die letztere auch ganz und gar der Welt der Freiheit angehören und darum dem Causalnexus der empirischen Erscheinungen entnommen sein. Die natürlichen

Dinge der Welt sind allein dem theoretischen Erkennen zur Wahrnehmung und Vorstellungsbildung überliefert.

Indessen da dieses gegen jede durch die Dinge etwa bewirkte Empfindung, mithin auch gegen jeden von daher ausgehenden versucherischen Reiz unempfänglich ist, ja ganz davon absieht, wenn nicht gar leugnet, dass den Erscheinungen sinnliche Qualität eignet, so ist es freilich leicht, sich eine absolute Welt zu denken, in welcher auf das moralische Ich überhaupt keine Einwirkung von seiten der empirischen Welt ausgeübt wird, so dass es sich daher ungestört nach seinem eigenen unbedingten Gesetz bewegen kann. Nur schade, dass die Gewissheit von dieser Welt der Freiheit von der kritischen Philosophie nicht aus den Elementen der Erfahrung als notwendig bewiesen, sondern als gegeben vorausgesetzt wird. Wenn angesichts der Widersprüche, welche dem sittlichen Subjekt in seiner natürlichen Entwickelung entgegentreten, sowohl der besonderen Versuchungen als der besonderen Förderungen, welche in und mit Zeit und Raum auf dasselbe mit oft unwiderstehlicher Macht einstürmen, wenn angesichts dieses Thatbestandes die natürliche Welt nur als Objekt des theoretischen Erkennens behandelt wird, für welches es Lust und Unlustempfindungen überhaupt nicht giebt, und daneben nur die Welt der Freiheit als Realität anerkannt wird, so ist damit die Endlichkeit, Beschränktheit und Sündlichkeit der Welt überhaupt ignoriert. Das von dem theoretischen Erkennen in Gemeinschaft mit den sittlichen Ideen construierte transcendente Weltbild, welches Kant vor Augen steht, ist ein so wohl geordnetes und in sich unbedingt wertvolles, dass es der über dasselbe reflektierenden Vernunft leicht ist, aus den Spuren der Freiheit, welche sie in sich findet, zu folgern, dass sie ganz und gar dieser Welt des Unbedingten angehöre. Die Wirkungen des Bösen, welche gegen diese Annahme ein Veto einlegen könnten, sind bei dieser idealen Welt überhaupt nicht in den Blick gefasst. Und wenn Kant in anderm Zusammenhange von dem radikalen Bösen redet, welches einen logischen Widerspruch gegen die gesammte Transcendental philosophie bildet, so wird der Widerspruch wohl von ihm constatiert, aber seine Kraft kommt nicht zu solcher Wirksamkeit, dass er die Fundamente des Systems erschüttern könnte. Das Böse findet überhaupt in dem System Kants keinen Ort, an dem es haften könnte. Die vernünftige Natur des Menschen ist gezwungen, sobald sie ihrer Freiheit sich bewusst wird, das Sittengesetz als das Gesetz ihres Wirkens zu denken; da ferner das auf die natürlichen Erscheinungen bezogene theoretische Erkennen nicht danach fragen kann, was die Dinge abgesehn von ihrer Beziehung zu einander sind, und ob ihnen eine innere Qualität

eignet, so kann auch an ihm das radikale Böse nicht haften. Wie es in das menschliche Bewusstsein zu gelangen vermag, bleibt ein Rätsel.

Diese dem Kantschen System zu Grunde liegende fertige transcendente Weltanschauung, welche für ein Werden der sittlichen Persönlichkeit keinen Raum lässt, sondern durch Selbstbesinnung dieselbe nötigt, in ihrer geistigen Ausrüstung die Formen des absoluten sittlichen Lebens zu erblicken, ist die verhängnisvolle Voraussetzung, welche zur Entleerung des theoretischen Erkennens, wie zur Forderung des Sittengesetzes als des die Vernunft notwendig beherrschenden Gesetzes der Freiheit geführt hat. Es ist daher auch gleichgiltig, ob man die Ideen der praktischen Vernunft nach der Cohen'schen Auslegung (Kants Begründung der Ethik) aus den Kategorien des theoretischen Denkens herauswachsen lässt, oder mit Herrmann das Sittengesetz aus einem praktisch normierten Eingriff des Menschengeistes in den Ablauf des theoretischen Erkennens, aus einem Akt der Selbstbehauptung der Persönlichkeit gegenüber ihrer Verflechtung in den causal bedingten Naturlauf ableitet und hierbei treuer in Kants Spuren zu bleiben meint (193/4). Für den Inhalt der sittlichen Idee ist es einerlei, ob dieselbe in logischem Fortschritt aus der theoretischen Vernunft zur praktischen Vernunft sich entfaltet, oder ob die praktische Vernunft sich im Gegensatz zum theoretischen Welterkennen des Sittengesetzes als der ihr eigenthümlichen Causalität der Freiheit bewusst werden muss. Beidemal ist das Sittliche ausschliesslich in eine bestimmte Funktion des menschlichen Subjekts verlegt, während die demselben gegenüberstehende Aussenwelt ausdrücklich jedes sittlichen Inhalts entleert ist und weder im Guten noch im Bösen auf das Subjekt zurückzuwirken vermag. Der Unterschied zwischen beiden Auslegungen besteht nur darin, dass Cohen dem theoretischen Erkennen eine grössere Bedeutung beimisst und in demselben bereits die Tendenz zu einer ethischen Funktion erblickt, während bei Herrmann das reine Erkennen in so düsteren, hoffnungslosen Farben gemalt wird, dass es mehr als eine Wirkung des radikalen Bösen, denn als das Mittel unserer Weltherrschaft und Voraussetzung unseres Selbstbewusstseins erscheint.

Nachdem durch die transcendentale Aesthetik die wirkliche Welt der Dinge ihres selbstständigen Wertes beraubt worden ist, bleibt nur der vernünftige Wille als das gesetzgebende vernünftige Princip der Welt übrig: die Einzelpersönlichkeit bedarf zu ihrer Selbstbehauptung des Gedankens des Sittengesetzes als der Möglichkeit, ihr Verhalten vor sich selbst zu rechtfertigen und zu begründen. Es liegt ein Prometheischer Trotz und Stolz in dem Gedankenflug des Kant'schen Systems: die Sittlichkeit

an

beruht, von der Gebundenheit durch natürliche Gesetze und ebenso von jeder etwa aus der natürlichen Welt ihr kommenden Förderung losgelöst, allein auf dem Selbstsein wollen der Persönlichkeit gegenüber der Natur (156); der persönliche Wille ist die alleinige unbedingte Realität. Wenn Kant in seinen praktischen Forderungen vor den libertinistischen Auswüchsen, welche dem Stamm einer derartigen Anschauung hervorwachsen müssen, sich freigehalten hat, so ist dies, abgesehn von seiner persönlichen Ehrenhaftigkeit und Aufrichtigkeit dem Optimismus und der pedantischen Gesetzlichkeit des 18. Jahrhunderts zu danken, welches mit naiver Ernsthaftigkeit für Freundschaft und Brüderlichkeit schwärmte und die Liebe zur Tugend in den Herzen Aller, wenigstens aller Gebildeten, als gegebene, unverlierbare Grösse annahm. Nachdem die geschichtlichen Umwälzungen am Ende des vorigen und am Anfang des jetzigen Jahrhunderts den Glauben an die vollkommene sittliche Qualität der unbedingt sich selbst behauptenden Persönlichkeit erschüttert haben, ist die Stimmung, welche man gegenwärtig den Ansprüchen der Einzelperson auf unbedingte Selbstbehauptung entgegenbringt, in meisterhafter Darstellung von Hamerling zum Ausdruck gebracht: (Ahasver in Rom (159/60).

„Der Eigenwille, sagst du, sei dein Ich?

O bettelarmes Ich, das nichts besitzt,

Als sein unbändig, masslos eignes Selbst!

Dein Geist, dein Herz, dein Sinn ist leergebrannt
Bis auf das nakte Wollen, und das poltert
Nun im Ruinenhaufen als Gespenst.
Hinausgerissen aus der Bahn, in der
Geschaffnes ewig tanzt den sichern Reigen
Um einen unbekannten Mittelpunkt,
Hat dich des Lebensdranges Ueberschwang!
Nun schweifst du hin, ein feuriger Komet,
Halt-bahn und ziellos ins Unendliche,

Und steckst die Welt in Brand, und nennst dich Gott!" Wenn Herrmann das Erkennen aus der Sfäre des Sittlichen aussondert, um dadurch die Unbedingtheit der sittlichen Forderung aufzurichten, so hat er endlich damit der Theologie einen bösen Dienst erwiesen. Dieselbe leitet die Erkenntnis Gottes von der geschichtlichen Person Jesu Christi ab, welche nur durch das Medium des theoretischen Erkennens von uns aufgefasst werden kann. Dabei muss sie sich aber sagen lassen, dass durch die Erkenntnis Christi als einer einzelnen Erscheinung überhaupt kein sittlicher Eindruck auf uns ausgeübt werden kann, und die von Jesus verkündigte religiöse Idee der Freiheit der Kinder Gottes nur dann als sittliche Vernunftidee anerkannt

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