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Dichtertitanen hatten diesen schweren Kampf in sich selbst durchgekämpft. Die Besiegten waren zugleich die Sieger.

Goethe und Schiller sind nicht blos die dichterischen Befreier der Deutschen, sondern weit mehr noch die sittlichen. Die Ueberwindung der Sturm- und Drangperiode war die Zügelung der entfesselten dunklen Gemüthsmächte zu freier Selbstbeherrschung, der Uebergang von der Sophistik zur Sophrosyne, von der Freigeisterei der Leidenschaft zur versöhnten und in sich befriedigten Besonnenheit. Indem diese Dichter sich selbst erzogen, haben sie die Menschheit erzogen. Und ist vielleicht, wie es Menschenschicksal ist, die eigene Persönlichkeit zuweilen hinter diesem höchsten Ziel zurückgeblieben, der Begriff des reinen und freien Menschenthums war wiedererobert. Die Natur, welche Rousseau und die jungen Stürmer und Drånger so nachdrücklich gewollt und erstrebt hatten, ist gerettet; aber nicht die rohe und ungebårdig selbstsüchtige, sondern die geläuterte, die mit Freiheit sich selbst beherrschende, die mit den Gesetzen und Forderungen der sittlichen Vernunft übereinstimmende. Die Einseitigkeit des Zeitalters der Aufklärung und die Einseitigkeit der Sturm- und Drangperiode sind in einer höheren gemeinsamen Einheit versöhnt.

Es war die Eroberung des hehren Ideals vollendeter Bildungsharmonie, oder, wie die Schulsprache sagt, des Ideals vollendeter und reiner Humanitåt. Nach jahrhundertelanger willkürlicher Selbstentfremdung hatte sich der Mensch endlich selbst wiedergefunden.

Aber das Verhängnißvolle war, daß mit dieser stetig fort schreitenden inneren Bildung die äußere Gestaltung der Dinge nicht Schritt hielt. Im schneidenden Gegensatz zu diesem hohen und reinen Menschheitsideal blieb die Außenwelt nach wie vor eine idealitåtslose, kleinliche und philisterhafte, schwunglose, oft sogar unvernünftige. Und die Einwirkungen der französischen Revolution waren nur eine Verschlechterung der Zustände. Es

råchte sich, daß die deutschen Aufklärungskåmpfe nicht, wie die englischen und französischen, zugleich politische, sondern nur einseitig religiöse und sittliche gewesen. Selbst die Besten und Größten, nicht blos Goethe, sondern auch Schiller, fühlten sich zurückgeschreckt. Die politische Reaction wurde immer mächtiger und mächtiger. Nur allzu treffend sagte Madame Staël in dem geistvollen Buch über Deutschland (Thl. 3, Kap. 11), in ihrem Privatleben seien die Deutschen von erstaunlicher Tüchtigkeit und Gewissenhaftigkeit; ihre Schmiegsamkeit gegen die öffentliche Gewalt aber mache einen um so peinlicheren Eindruck, da doch ihre ganze Philosophie und Bildung auf die Vertheidigung und Pflege der unverbrüchlichen Menschenwürde gehe. Was naturnothwendig sich in innigster Einheit und Wechselwirkung durchdringen und bedingen, was einander heben und tragen soll, Theorie und Praris, die Idee reiner und schöner Menschlichkeit und das staats liche und gesellschaftliche Dasein derselben, stand sich fremd gegenüber, war durch eine jåhe unüberbrückbare Kluft getrennt.

„Ach, noch leben die Sänger, nur fehlen die Thaten, die Lyra
Freudig zu wecken.“

Niemand hat diesen tragischen Widerspruch tiefer empfunden und tiefer und mannichfaltiger ausgesprochen als Schiller. Die Kleinen und Zurückgebliebenen verfielen der schlechten Wirklichkeit; ihre Kunstschöpfung blieb eine roh naturalistische. Die Besten und Höchsten setzten ihr ganzes Denken und Empfinden und ihre ganze sittliche Kraft daran, der sie umgebenden ungünstigen und formlosen Natur zum Troh sich nichtsdestoweniger den tiefsten geistigen Gehalt und die schönste künstlerische Form zu gewinnen.

Die gesammte Entwicklung unserer großen Literaturepoche ist durch diesen Widerspruch des neugewonnenen Menschheitsideals und der widerstrebenden Wirklichkeit bedingt.

Hier einzig und allein liegt der Grund, warum Goethe Hettner, Literaturgeschichte. III. 3. 1.

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und Schiller auf der höchsten Höhe ihres großartigen Bildungsganges mit so tiefer innerer Wahlverwandtschaft zu den Griechen. gezogen wurden. In jenem denkwürdigen Briefe vom 23. August 1794, in welchem Schiller das Wesen und Streben Goethe's mit so meisterhafter Klarheit und Schärfe gezeichnet hat, schreibt Schiller an Goethe: »Wären Sie als ein Grieche, ja nur als ein Italiener geboren worden, und håtte schon von der Wiege an eine auserlesene Natur und eine idealisirende Kunst Sie umgeben, so wäre Ihr Weg unendlich verkürzt, vielleicht ganz überflüssig gemacht worden. Schon in die erste Anschauung der Dinge håtten Sie dann die Form des Nothwendigen aufgenommen, und mit Ihren ersten Erfahrungen håtte sich der große Stil in Ihnen entwickelt. Nun, da Sie als ein Deutscher geboren sind, da Ihr griechischer Geist in diese nordische Schöpfung geworfen wurde, so blieb Ihnen keine andere Wahl als entweder selbst zum nordischen Künstler zu werden oder Ihrer Imagination das, was ihr die Wirklichkeit vorenthielt, durch Nachhülfe der Denkkraft zu ersehen und so gleichsam von innen heraus und auf einem rationalen Wege ein Griechenland zu gebåren.« Und dies tiefsinnige Wort gilt nicht blos von Goethe, sondern mit geringer Einschränkung auch von Schiller selbst. Weil Goethe und Schiller die Entfaltung und Bethätigung der reinen und schönen Menschennatur, die ihr sittliches und künstlerisches Ideal, der Gewinn und das Ziel ihrer Bildung war, in ihrer eigenen Gegenwart und Wirklichkeit nicht fanden, suchten sie sich von dieser Gegenwart und Wirklichkeit möglichst loszulösen und auf die schöne Menschlichkeit der alten Welt und deren einfach hohe Kunst und Dichtung zurückzugehen. Es ist eine der wunderbarsten Thatsachen, in welcher großartig freien und lebendigen Weise diese beabsichtigte künstlerische Wiedergeburt hellenischer Art und Kunst ihnen gelang. Vor Allem Iphigenie, Tasso, die römischen Elegieen, Hermann und Dorothea und die gleichzeitigen

kleineren Idyllen Goethe's sind die unvergånglichen Denkmale dieses gewaltigen Strebens. Schiller stellt sich mit seinen Ele gieen und Epigrammen und mit seiner großen Wallensteintragödie würdig zur Seite. Goethe und Schiller sind in der Geschichte der Dichtung, was Rafael und Michelangelo und die großen Italiener der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts in der Geschichte der bildenden Künste sind. Hier wie dort ist die Reinheit und Hoheit der alten Kunst höchstes Muster; aber hier wie dort behålt der lebendige Herzschlag des eigensten heimischen Denkens und Empfindens seine unverbrüchlichen Rechte und führt zu den reizvollsten Erfindungen. Die Dichtung Goethe's und Schiller's ist Renaissance im höchsten und schönsten Sinn. Wer hier von willküre lichem und gewaltsamem Abfall von der Macht und Frische des Volksthümlichen spricht, ahnt und weiß nicht, daß in der vollendeten Kunst Gehalt und Gestalt unbedingt eins sind. Aber fühlbar macht es sich doch, daß diese hohe Idealität unserer größten Geister nicht, wie es naturgemäß sein soll, von der Welt, in welcher sie lebten und wirkten, gehoben und ge= tragen, sondern unaufhörlich von derselben gehemmt und durchkreuzt wurde. Die naive Sicherheit des Stilgefühls wurde beirrt. Es war schwer und fast unvermeidlich, daß, was zuerst tief innerliche lebendige Nachbildung gewesen, allmålich in äußerliche Nachahmung und in allerlei blos philologische Experimente und Spielereien entartete. Goethe dichtete die kalte verkünftelte Achilleis und verfiel in der Natürlichen Tochter, in Pandora und in den dramatischen Festspielen aus dieser Zeit, in eine wirre Symbolik und Allegorik, von welcher sich seine dramatische Gestaltungskraft nie wieder erholt hat. Schiller verlor sich in seinen spåteren Dramen mehr und mehr in die trüben Irrgånge falscher Schicksalstragik und fand erst im Tell wieder die sichere Bahn des unmittelbar Volksthümlichen.

Auch in Maximilian Klinger, einem der wenigen Stürmer und Drånger, die gleich Goethe und Schiller durch Größe und Ernst des Charakters sich zu fester und månnlicher Klarheit herausarbeiteten, und in Jean Paul ist dieser klaffende Widerspruch zwischen dem unverbrüchlichen Menschheitsideal und der idealitätslosen Wirklichkeit das stete Thema; nur daß bei ihnen die Lösung nicht eine freie und harmonische Versöhnung ist, sondern in dem Einen herbe menschenverachtende stoische Entsagung, in dem Andern das bunte Farbenspiel humoristischer Weltbetrachtung.

Und in demselben tiefgreifenden Widerspruch haben wir auch den Schlüssel für die Entwicklungskåmpfe der gleichzeitigen bildenden Kunst. In innigster Uebereinstimmung mit den großen dichterischen Bestrebungen Goethe's und Schiller's und von diesen auf's tiefste angeregt und gefördert, erblüht die bildende Kunst in Carstens und sodann in Thorwaldsen und Schinkel zur wunderbarsten Wiedergeburt reinsten und schönsten Hellenenthums, wie so geniales und lebendiges Antikisiren nur dem Zeitalter der Goethe'schen Iphigenie möglich war. Aber gar bald zeigte sich, daß diese hohe und ideale Formenwelt, weil nicht aus dem eigensten Geist der Zeit herausgeboren, in ihrer strengen Ausschließlichkeit dem modernen Gefühl und Bedürfniß zu eng und zu fremd war. Die einseitigste Anlehnung an die mittelalterliche Kunst stellte sich zu der antikisirenden Richtung in erbittertsten und erfolgreichen Gegensatz. Und noch heut haben wir keinen allgemein bindenden Stil gefunden, und werden ihn nicht finden, bevor nicht die Wirklichkeit selbst wieder eine künstlerisch schöne geworden.

Nur die Musik in der Tiefe ihres elementaren Gefühlslebens bleibt von diesen Schwankungen und Befangenheiten un= berührt. Es ist die Zeit Mozart's und Beethoven's.

Es kann und wird dereinst gelingen, diesen Zwiespalt zwischen

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