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der gesammten jungen Dichterschule der Sturm- und Drangperiode war, im regen Wetteifer mit Shakespeare einen neuen, eigenartig und volksthümlich deutschen dramatischen Stil zu schaffen, der sich durch seine schärfere Naturwahrheit und Individualisirung von der hergebrachten Schablone der französischen Art und Kunst auf's bestimmteste unterscheide, kam im Egmont noch mehr als im Göß und Clavigo zu glänzendster künstlerischer Erfüllung und Vollendung.

Zu derselben Zeit, als Goethe in der antikisirenden Hoheit der Iphigenie einen Weg einschlug, der von dem durch Shakespeare vorgezeichneten Weg weit ablag, schuf er im Egmont, durch die Norm des ersten, aus früherer Zeit stammenden Entwurfs gebunden, eine der herrlichsten Schöpfungen jener Stilrichtung, die man im Gegensatz zu der idealen Typenhaftigkeit der Antike und der romanischen Renaissance mit Recht den realistisch germanischen Stil genannt hat.

Leider entspricht der Kunst der dramatischen Charakterzeichnung nicht die Kunst der dramatischen Komposition. Dies ist der unwiderlegliche Kern aller jener herben Vorwürfe, welche Schiller in seiner berühmten Recension gegen dieses Stück richtete.

Es rácht sich, daß Egmont kein wirklich tragischer Charakter, daß seine Schuld nur eine Unterlassungsfünde, nicht eine kühn eingreifende That ist.

Daher das Lockere und Lose der Handlung. Selbst in Shakespeare's Hamlet kann man es sehen, wie sehr der zwingenden Einheit und dem raschen Fortschritt Abbruch geschieht, wenn dem Helden die den Gang der Ereignisse bestimmende Thatkraft fehlt; auch in der leßten, jeht vorliegenden Fassung Hamlet's sind noch gar manche Scenen und Motive zurückgeblieben, die noch höchst störend an den Ursprung aus dem alten episirenden Historienstil erinnern. Wie also erst hier, wo der Held sich nicht wie Hamlet zuleht doch zu entschlossener That aufrafft,

sondern bis ans Ende seine ganze Natur darin sucht und findet, mit offenen Augen nicht sehen zu wollen? Wie also erst hier, wo der Dichter noch unter den Nachwirkungen der in der Sturmund Drangperiode allgemeingeltenden und von ihm selbst im Gög bethätigten Anschauung steht, daß das Drama nicht Einheit der Handlung, sondern nur Einheit der Person verlange? Schiller spricht dieses Gebrechen scharf, aber treffend aus, wenn er sagt, daß im Egmont keine Verwicklung und kein eigentlich dramatischer Plan sei, sondern nur eine äußerliche Nebeneinanderstellung mehrerer einzelner Handlungen und Gemälde, die beinah durch nichts zusammengehalten würden als durch die Person des Helden; die Einheit des Stücks liege weder in den Situationen noch in irgend einer Leidenschaft, sondern lediglich im Menschen. In dieser Hinsicht ist Egmont gegen Clavigo ein ganz entschiedener Rückschritt.

Und daher vor Allem auch das Untragische der Katastrophe. Egmont geht lediglich durch seine Sorglosigkeit zu Grunde. In argloser Unbefangenheit, voll übertriebenen Vertrauens zur gerechten Sache des Volks, wandelt er, wie Schiller sich ausdrückt, gefährlich wie ein Nachtwandler auf jåher Dachspitze. Der Gegner stört und überrascht ihn. Wehrlos fållt er in dessen Schlingen. Das ist traurig, nicht tragisch. Der Dichter hat im Gefühl dieser Schwäche seines Grundmotivs Alles gethan, um am Schluß den Helden noch möglichst zu heben und seinem Untergang jene tiefere und allgemeinere Bedeutung zu sichern, die die unverbrüchliche Bedingung achter Tragik ist. Es ist nicht gelungen. Ferdinand, der Sohn Alba's, kommt in Egmont's Gefängniß, getrieben von der begeisterten Bewunderung des Helden, der seinen Jugendidealen wie ein Stern des Himmels vorgeleuchtet. Die ganze Scene ist unwahr und phrasenhaft. Und zuletzt die Traumerscheinung Clärchen's als Göttin der Freiheit. »Ich sterbe für die Freiheit, für die ich

lebte und focht und der ich mich jetzt leidend opfere«, ruft Egmont bei dem Nahen der Trommeln aus, die ihm seine Abführung zum Schaffot verkünden. Schiller nennt dies allegorische Schlußtransparent einen jåhen Saltomortale in die Wunderwelt der Oper. Ueberläßt doch der Dichter einer am Schluß einfallenden Siegessymphonie zu sagen, was doch recht eigentlich die treibende Idee des Stücks håtte sein sollen!

Den eigensten Gehalt des gewählten Stoffes, das große politische Pathos der niederländischen Freiheitskämpfe, hatte der Dichter von sich gewiesen, weil dieses Pathos seinem Denken und Empfinden fremd war; er modelte seinen Helden einzig nach seinem Ebenbild. Die Folge war, daß er nicht eine große historische Tragödie schuf, sondern nur ein historisches Charaktergemålde.

Gewiß ist, daß uns nicht blos eine trotz aller ihrer Schwächen ewig bewunderungswürdige Dichtung, sondern auch ein sehr wesentlicher Zug im Jugendbild Goethe's fehlen würde, fehlte uns die hochherzige, leichtlebige, liebenswürdige Heldengestalt Egmont's.

3.

Die ersten zehn Jahre in Weimar.

Dem jungen Titanen wurde das enge Leben in Frankfurt auf die Dauer unerträglich. Goethe ließ es geschehen, daß sein Vater ihn täglich mehr in Rechtsgeschäfte und einflußreiche Ber

bindungen einzuspinnen suchte; aber nur darum, weil er, wie er an Kestner schreibt, Kraft genug in sich fühlte, jeden Augenblick mit einem gewaltsamen Riß alle diese siebenfachen Bastseile durchreißen zu können. Noch nach Jahren bekannte Goethe, an dem Mißverhältniß des engen und langsam bewegten bürgerlichen Kreises zu der Weite und Geschwindigkeit seines Wesens wåre er sicher zu Grunde gegangen.

Um so lockender war die Einladung des Herzogs von Weimar. Obgleich Goethe zunächst nur als Gast ging, ohne sich irgend zu binden, so war doch bereits von beiden Seiten die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit festen Zusammenbleibens in Aussicht genommen. Schon bei den ersten flüchtigen Begegnungen in Frankfurt und Mainz hatte die unwiderstehliche Liebenswürdigkeit Goethe's ganz und gar die Seele des jungen Fürsten erobert. Ueberdies war durch einen glücklichen Zufall die eben erschienene Sammlung der Patriotischen Phantasieen von Justus Möser der hauptsächlichste Gegenstand ihrer ersten Unterhaltun= gen gewesen; es hatte sich gezeigt, daß der gefeierte Dichter des Göt und des Werther nicht blos Schauspielen und Romanen, sondern auch solchen Schriftstellern seine Aufmerksamkeit zuwende, deren Talent vom thätigen Leben ausgeht und in dasselbe unmittelbar nüßlich wieder zurückkehrt. Welcher vielversprechende Gewinn für einen fürstlichen Jüngling, der erstrebte und wagte, auch als Fürst vor Allem ein voller und ganzer, reiner und natürlicher Mensch zu sein, und der den besten Willen und den festen Vorsatz hatte, an seiner Stelle entschieden Gutes zu wirken!

Am 7. November 1775, früh um fünf Uhr, traf Goethe in Weimar ein. Es ist einer der denkwürdigsten und bedeutungsvollsten Tage der deutschen Geschichte.

Wie mit Friedrich dem Großen der Geist des Aufklärungszeitalters, so war mit Karl August der Geist der deutschen

Hettner. Literaturgeschichte. III. 3. 1.

14

Sturm und Drangperiode auf den Thron gestiegen. Vom ersten Tage waren daher Goethe und sein junger fürstlicher Herr auf's innigste miteinander verbunden. Ein neuer Stern war über Weimar aufgegangen. Bald wurde Goethe die belebende Seele nicht blos des Hofes, sondern auch der Landesverwaltung. Ueber die Art, wie Goethe die unerwartete wichtige Aufgabe ergriff, hat Wieland das treffliche Wort: »>Goethe lebt und regiert und wüthet und giebt Regenwetter und Sonnenschein und macht uns Alle glücklich, er mache, was er wolle.«

Ein fröhlicheres und unbefangen menschlicheres Hofleben ist niemals geführt worden als in diesen ersten Regierungsjahren Karl August's. Alle in der blühendsten Jugend. Der Herzog und die Herzogin achtzehn Jahre alt; Goethe sechsundzwanzig, Einsiedel fünfundzwanzig, Knebel einunddreißig; die Herzogin Amalia, Karl August's Mutter, eine Frau von sechsunddreißig Jahren, von der zwanglosesten Heiterkeit und ausgesprochensten Lebenslust. Nach Goethe's eigenem Ausdruck, eine tolle Compagnie, wie sie sich auf so einem kleinen Fleck nicht wieder zusammenfindet. Daher allerdings zuerst noch viel geniale Ungebundenheit und Leichtfertigkeit, viel Ausgelassenheit, Derbheit und Thorheit, viel halsbrechende Jagden und Wettritte, lustige Wanderungen, unermüdliche Schlittschuhfahrten, gesellschaftliche Schwänke und Neckereien, heitere poesieverklärte Festlichkeiten in den Gårten von Tiefurt und Ettersburg, viel Redouten und Maskeraden. Es war gehässige Uebertreibung, wenn Wieland einmal årgerlich sagte, man wolle die bestialische Natur brutalisiren; aber geschichtliche Wahrheit war es, wenn er Goethe, der, um Goethe's eigene Worte zu gebrauchen, meist der Anstister all dieses Teufelszeugs war, mit einem Füllen verglich, das vorn und hinten ausschlage. Der rücksichtslose Naturdrang der Sturm und Drangperiode entfesselte sich um so übermüthiger und tumultuarischer, in je bewußterem Gegensaß er sich gegen

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