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hervorrief, wenn Wieland (Ausgewählte Briefe Bd. 2, S. 283), nachdem er soeben die Fragmente gelesen, an Zimmermann schreibt: »Haben Sie je einen Kopf gekannt, in welchem Metaphysik und Phantasie und Wiß und griechische Literatur und Geschmack und Laune auf eine abenteuerlichere Weise durcheinandergåhrt? Ich bin begierig zu sehen, was noch aus ihm werden wird, ein sehr großer Schriftsteller oder ein ausgemachter Narr«. Man war befremdet und überrascht durch das Neue und von allen gewohnten Anschauungen und Zielen Abweichende, das in der Erschei= nung und Denkweise Herder's lag; und doch fühlte und ahnte man unabweisbar ihre innere Wahrheit und Berechtigung.

Wer unmittelbar vom Studium Lessing's zum Studium Herder's übergeht, hat noch heut dasselbe zwiespältige Gefühl. Lef= fing wurzelt noch durchaus in den Gedanken und Bestrebungen des deutschen Aufklärungszeitalters, obgleich er als deren höchste Spitze dieselben bereits weit überragt; Herder dagegen steht am Eintritt jenes neuen Zeitalters, dessen gåhrende Entwicklungskämpfe man die Sturm- und Drangperiode zu nennen pflegt.

Schon früh hat sich daher die deutsche Literaturforschung mit der Frage nach dem geschichtlichen Ursprung Herder's beschåftigt. Und nach Goethe's Vorgang ist es allgemein üblich geworden, Herder auf die Anregungen Hamann's zurückzuführen. Allein diese Hinweisung auf Hamann ist doch nur eine sehr unzulängliche Antwort. So unleugbar es ist, daß auch in Hamann das Drången nach dem Ursprünglichen und Naturwüchsigen der Grundzug seines Wesens war, und daß Hamann und Herder ihr ganzes Leben hindurch einander treu verbunden gewesen, so war doch die Wurzel ihrer Bildung von Grund aus verschieden. Hamann's Gefühlsweise ging ganz und gar in den ausgespro chensten pietistischen Ansichten und Neigungen auf, Herder hat vom ersten Anbeginn niemals diese Enge und Befangenheit ge= theilt. Es ist bekannt, wie bitter Hamann an Herder tadelte,

daß dieser in seinen sprachlichen Untersuchungen den Ursprung der Sprache nicht als unmittelbar göttliche Eingebung betrachtete, und daß er seine Ideen zur Philosophie der Geschichte auf die Grundlage der Naturwissenschaft, statt auf die Grundlage der Offenbarung stellte. Erst die Briefe und Schriftstücke aus Herder's Jugendzeit, welche in dem von seinem Sohn herausgegebenen Lebensbild Herder's (1846. Drei Bde.) veröffentlicht wurden, haben uns das Werden und Wachsen Herder's klar und urkundlich dargelegt. Der bestimmende Lehrer und Leiter seiner ersten Bildung war nicht Hamann, sondern Rousseau.

Von armen Eltern geboren, hatte auch Herder, gleich Rousseau, eine äußerst gedrückte Jugend verlebt; noch in seinem Alter (vergl. Lebensbild, Bd. 1, 1. S. 15) fagte er, daß er manche Eindrücke der Sclaverei, wenn er sich ihrer erinnere, mit theueren Blutstropfen abkaufen möchte. Und wie in Rousseau, so hatte auch in Herder dieses schwerempfundene Mißverhältniß zwischen den Anforderungen und Bedürfnissen seines hochstrebenden Geistes und zwischen dem Druck der äußeren Umgebung eine grüblerische Reizbarkeit des Gefühlslebens erzeugt, die für immer der Grundton seiner Seele, der mächtige Antrieb seiner geschichtlichen Größe und zugleich seine tragische Schwäche wurde. Wie natürlich also, daß der begabte Jüngling, sobald er Rousseau kennen lernte, sich von diesem auf's unwiderstehlichste angezogen und durchdrungen fühlte?

Herder's erste Bekanntschaft mit Rousseau fållt in die Zeit feiner Königsberger Studienjahre. Kein Geringerer als Kant war es, welcher (Lebensbild, Bd. 1, 2. S. 193) ihn zuerst in die Gedankenwelt Rousseau's einführte. Lange Jahre war Rousseau sein unausgesehter Verkehr, die begeisterte Schwärmerei seiner einsamen Studien und seiner lehrreichen Gespräche mit vertrauten Freunden. Ein beachtenswerthes Gedicht jener Zeit (ebend. Bd. 1, 1. S. 252) schließt mit den Worten: »Mich selbst will ich suchen,

daß ich mich endlich finde und dann mich nie verliere; komm, sei mein Führer, Rousseau!« Und auch als allmålich zu Rousfeau noch Hume und Shaftesbury (ebend. Bd. 1, 2. S. 298), Leibniz, Plato und Baco (3ur Philosophie und Geschichte, Bd. 18, S. 13) hinzugetreten waren, erweiterte sich zwar sein Gesichtskreis, aber das innerste Wesen seiner Empfindungs- und Anschauungsweise blieb unverändert dasselbe.

Die wichtigste Urkunde der Bildungsgeschichte Herder's ist das überaus denkwürdige Reisetagebuch, welches er größtentheils auf den Fluthen der Ostsee schrieb, als er 1769 als vierund= zwanzigjähriger Jüngling sich von seinem einförmig engen Lehrerund Predigeramt in Riga losriß und zur Gewinnung neuer und größerer Lebenseindrücke auf gut Glück in die weite Welt fuhr. Wie ist es so ganz im Sinne Rousseau's, wenn Herder (Lebensbild, Bd. 2, S. 158) hier auf's tiefste beklagt, nur ein Tintenfaß von gelehrter Schriftstellerei, nur ein Wörterbuch von Kúnsten und Wissenschaften, ein Repositorium voll Papier und Bůcher zu sein, und wenn er sich mitten in diesen Klagen in den feurigsten Ausdrücken gelobt, fortan nur dem werkthätig handelnden Leben gehören zu wollen! Spielt er doch sogar zu Zeiten (S. 182) mit dem hochfliegenden Gedanken, dereinst als erfahrener und wagender Staatsmann der rettende Genius Liefland's zu werden! Und am wårmsten schlågt sein Herz und am vollsten und nachdrücklichsten erströmt seine begeisterte Rede, wenn er, seine weitgreifenden Reformplåne zunächst auf die Reform von Schule und Haus beschränkend, darauf sinnt (S. 195), »den menschlich wilden Emil Rousseau's zum Nationalkind Liefland's zu machen und das, was der große Montesquieu für den Geist der Gesetze ausdachte, auf den Geist der Nationalerziehung einer friedlichen. Provinz anzuwenden.« Er will ein Werk stiften, das Ewigkeiten dauern und Jahrhunderte und Länder umgestalten soll. »Und warum,« ruft sich Herder (S. 241) mit muthvollem Stolz zu,

-könnte ich eine solche Stiftung nicht ausführen? War es den Lykurgen und Solonen möglich, eine Republik zu schaffen, warum nicht mir, eine Republik für die Jugend? Ihr Zwinglis, Calvins, Oekolampadius, wer begeisterte Euch und wer soll mich begeistern? Zweck, großer Zweck, nimm alle meine Kräfte und Begierden! Ich gehe durch die Welt; was habe ich in ihr, wenn ich mich nicht unsterblich mache?«

Und aus dieser lebendigen Rousseaubegeisterung Herder's erwuchsen auch alle jene gewaltigen Ideen zur Umgestaltung und Verjüngung der Wissenschaft und Dichtung, welche seine eigensten und bleibendsten Thaten geworden sind. Das Große in Herder ist, daß er vom ersten Anbeginn den Anregungen Rousseau's eine durchaus neue und selbständige Wendung gab, wie sie Rousseau selbst niemals geahnt und versucht hatte. Während Rousseau aus seiner Grundanschauung nur die auf Staat und Gesellschaft bezüglichen Folgerungen zog, diese aber mit seltener Unerschrockenheit bis in ihre kühnsten Spihen verfolgte, verharrte Herder dagegen in åcht deutscher Art mit der ausgesprochensten Vorliebe im stillen Bereich innerer Beschaulichkeit, und führte mit bewunderungswürdigster Schöpferkraft die Ideen Rousseau's in die Betrachtung und Erforschung des innersten Wesens der Poesie, Religion und Geschichte. Es eröffnet einen tiefbedeutsamen Blick in die Bildungswege und Gedankenentwicklungen Herder's, wenn er in jenem Tagebuche (S. 185) trok seiner innigen Verehrung für Rousseau es eine thörichte Ausschweifung der Phantasie nennt, fich an eitle Romanbilder wegzuwerfen und mit Rousseau Zeiten zu preisen, die niemals gewesen. In Herder's schöpferischem, feinsinnigem und leicht beweglichem Geist wandelt sich Rousseau's Ruf nach Natur und Ursprünglichkeit sogleich in das rastlose kräftige Streben, den Ursprüngen menschlichen Daseins und Schaffens zu lauschen und die höchste Bildung wieder zu diesen lauteren Quellen schlichter Einfalt und Lebensfrische zurückzulenken

Wie Rousseau in seiner Stellung zu Voltaire und den französischen Encyklopådisten, ist daher auch Herder in seiner Stellung zu Lessing und den Helden des deutschen Aufklärungszeitalters zugleich ein Fortschritt und ein Rückschritt. Wie Rousseau, so erschließt auch Herder den erstaunten Zeitgenossen ungekannte Tiefen und Geheimnisse der Empfindung und Anschauung. Und wie in Rousseau ist auch in Herder seine Größe zugleich seine Schwäche. Im schwankenden Dämmerungston erregter Gefühlsinnerlichkeit, im schillernden Nebelkleide geistvoller, aber eigensinniger Geniesucht verschwimmen und schwinden nicht selten wieder die klaren Begriffsbestimmungen, welche von den großen Vorgångern långst unumstößlich festgestellt waren. Besonders von seinen Jugendschriften gilt, was Herder einmal selbst sagt, daß die Jugend lieber empfinden als wissen wolle. In seinen spåteren Schriften werden die Umrisse zwar fester und schårfer, aber auch in ihnen überwächst doch noch oft die Empfindung den Gedanken, die Ueberschwenglichkeit der Begeisterung die Ruhe der Untersuchung. Wie Plato's Philosophiren oft durch die Mythe, wird Herder's Dialektik oft durch Allegorie und Dichtung unterbrochen. Herder hatte das Bedürfniß, sich nach allen Seiten auszubreiten; aber er hatte nie das Bedürfniß, eine Sache endgiltig abzuschließen.

Herder's eigentliche Urthat, die treibende Kraft und Lebensseele seines gesammten Empfindens und Denkens, war seine geniale Einsicht in Wesen und Ursprung der Volkspoesie, wie sie in dieser Tiefe und Lebendigkeit noch Niemand erschaut und erkannt hatte.

Zwar war schon Leffing von der naiven Naturfrische der alten Volkslieder auf's tiefste ergriffen, und wir wissen, wie scharf er Nicolai abfertigte, als dieser die Lust an Volksliedern plump verhöhnte; zwar lenkten eben jeht auch Gerstenberg und Klopstock die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Edda; zwar war namentlich durch die Engländer, durch Lowth's Untersuchungen

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