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es gewesen, welcher die ersten Grundlagen zum Aufbau der vergleichenden allgemeinen Literaturgeschichte, des Erforschens der Poesie in allen Gestalten und Wandlungen, gelegt hat. In der Abhandlung über die »Aehnlichkeit der mittleren englischen und deutschen Dichtkunst« (Zur schönen Literatur und Kunst, Bd. 7, S. 52) ist diese hohe Aufgabe in folgenden Såßen ausgesprochen: »Die gemeinen Volkssagen, Märchen und Mythologien sind gewissermaßen Resultat des Volksglaubens, seiner finnlichen Anschauungen, Kräfte und Triebe, wo man träumt, weil man nicht weiß, glaubt, weil man nicht sieht, wo man mit der ganzen ungetheilten und ungebildeten Seele wirkt; also ein großer Gegenstand für den Geschichtschreiber der Menschheit, für den Poeten und Poetiker und Philosophen. Sagen einer und derselben Art haben sich mit den nordischen Völkern über viele Länder und Zeiten ergossen, jeden Ortes aber und in jeder Zeit sich anders gespaltet; wo sind die allgemeinsten und sonderbarsten Volkssagen entsprungen, wie gewandert, wie verbreitet und getheilt?«< Ferner (S. 63): »Die kriegerische Nation singt Thaten, die zårtliche singt Liebe; das Volk von warmer Leidenschaft kann nur Leidenschaft dichten, wie das Volk unter schrecklichen Gegenstånden sich auch schreckliche Götter dichtet. Eine Sammlung solcher Lieder aus dem Munde eines jeden Volks über die vornehmsten Gegenstände und Handlungen seines Lebens, in eigener Sprache, gehörig verstanden, erklärt und mit Musik begleitet, wie würde es die Artikel beleben, auf die der Menschenkenner bei allen Reisebeschreibungen doch immer am begierigsten ist, die Artikel von der Denkart und den Sitten der Nation, von ihrer Wissenschaft und Sprache, von Spiel und Tanz, Musik und Götterlehre. Wie die Naturgeschichte Kräuter und Thiere beschreibt, so schilderten sich hier die Völker selbst. Man bekame von Allem anschauenden Begriff; und durch die Aehnlichkeit oder Abweichung dieser Lieder an Sprache, Inhalt und Lönen und

insonderheit in Ideen der Kosmogenie und der Geschichte ihrer Våter ließe sich auf die Abstammung, Fortpflanzung und Vermischung der Völker wie viel und wie sicher schließen!« Und Herder ist es gewesen, welcher, so lückenhaft seine Kenntniß des Einzelnen war, auch die ersten Grundlagen zum Aufbau der altdeutschen Philologie gelegt hat, wenn anders dieselbe nicht blos Herausgabe und Kritik der Texte, nicht blos Grammatik, sondern in Wahrheit Wissenschaft des deutschen Alterthums ist. Besonders wichtig ist auch hier wieder die Abhandlung von der Aehnlichkeit der mittelalterlichen englischen und deutschen Dichtung. Unter der wärmsten Anerkennung der spurlos vorübergegangenen Bemühungen Bodmer's stellt sie das höchste Ziel dieser neu zu schaffenden deutschen Alterthumswissenschaft auf, indem sie (S. 51) verlangt, daß eine Geschichte des deutschen Mittelalters nicht blos eine Pathologie des Kopfes, d. h. des Kaisers und einiger Reichsstånde sein solle, sondern eine Physiologie des ganzen Nationalkörpers, der Denkart, Bildung, Sitte und Sprache. Herder seht (S. 50) mahnend hinzu: »Mir ist noch keine Geschichte bekannt, wo die deutsche Feudalverfassung recht charakte= ristisch für Deutschlands Poesie, Sitten und Denkart behandelt und in alle Züge nach fremden Låndern verfolgt wåre.« Såhe Herder die heutige Wissenschaft, freudig würde er in das Goethe'sche Wort einstimmen, daß, was man in der Jugend wünscht, man im Alter die Fülle hat.

Und diese hehre geschichtliche Auffassung gab Herder auch eine andere Stellung zu Shakespeare, als bisher die Zeitgenossen innegehabt hatten. Die wichtigste Urkunde seiner Shakespearebetrachtung ist jene inhaltsvolle und warmempfundene Abhandlung über den großen englischen Dichter (3ur schönen Literatur und Kunst, Bd. 20, S. 271), welche, wie aus einem Briefe Herder's (Nachlaß, Bd. 3, S. 81) hervorgeht, bereits 1771 begonnen, aber erst 1775 vollendet und veröffentlicht wurde; sie

bezeugt sattsam, daß sie zwar Lessing's Dramaturgie zur Vorausseßung hatte, zugleich aber deren schöpferische Fortbildung war. Lessing hatte seinem nächsten Zweck gemäß vorzugsweise die tief innere Verwandtschaft Shakespeare's mit den Alten hervorgehoben; Corneille komme ihnen freilich in der mechanischen Einrichtung, Shakespeare aber, so sonderbare und ihm eigene Wege er wähle, im Wesentlichen nåher. Weil Leffing die antike Tragödie und die Tragödie Shakespeare's in gleichem Abstand von dem Zopf des französischen Classicismus erblickte, so meinte er Sophokles und Shakespeare in der That unter sich selbst gleich und übereinstim= mend; wir wissen aus der Geschichte seines Bildungsganges, wie seine ersten eingehenden Sophokles- und Shakespearestudien genau in dieselbe Zeit fallen. Herder dagegen betonte auf's schårfste den tiefen, durch die Verschiedenheit des Volksnaturells und des Zeitalters bedingten geschichtlichen Gegensaß. Aus den von Grund aus verschiedenartigen Ursprüngen des griechischen und des nordischen Theaters suchte er (S. 273) zu erweisen, daß Sophokles' Drama und Shakespeare's Drama zwei Dinge seien, die in gewissem Betracht kaum den Namen gemein haben. Die griechische Tragödie sei gleichsam nur aus Einem Auftritt, aus dem Impromptu der Dithyramben, des mimischen Tanzes, des Chors, entstanden; dieser habe allmålich Zuwachs und Umschmelzung bekommen; aus solchem Ursprung habe sich das griechische Trauerspiel zu seiner Größe emporgeschwungen und sei Meisterstück des menschlichen Geistes, Gipfel der Dichtkunst geworden. Jene Simplicitat der griechischen Fabel, jene Nüchternheit griechischer Sitten, jenes Kothurnmåßige des Ausdrucks, die Musik, die Gestalt der Bühne, die Einheit des Orts und der Zeit, welche die eigensten Merkmale der griechischen Tragik seien, liege daher ganz ohne Kunst und Zauberei natürlich und wesentlich im Ursprung der griechischen Tragik selbst; diese Eigenheiten seien die Schlaube, in welcher die Frucht gewachsen. Wie ganz anders, fährt Herder

fort, war der Ursprung des englischen Dramas! Shakespeare (S. 285) fand keinen griechischen Chor vor, sondern Staatsund Marionettenspiele; er bildete also aus diesen Staats- und Marionettenspielen, dem so schlichten Lehm', das herrliche Ge= schöpf, das da vor uns stehet und lebt. Er fand keinen so einfachen Volks- und Vaterlandscharakter, sondern ein Vielfaches von Stånden, Lebensarten, Gesinnungen, Völkern und Spracharten; er dichtete also Stånde und Menschen, Völker und Spracharten, Könige und Narren. Er fand keinen so einfachen Geist der Geschichte, der Fabel, der Handlung; er nahm die Geschichte, wie er sie fand, er sehte mit Schöpfergeist das Verschiedenartigste zusammen. Und hatte Shakespeare den Göttergriff, eine ganze Welt der disparatesten Auftritte zu einer Begebenheit zu erfassen, so gehörte es natürlich zur Wahrheit seiner Begebenheiten, auch Ort und Zeit jedesmal zu individualisiren, daß sie mit zur Tâuschung beitrugen. »Nimm dem Menschen Ort, Zeit und indivi duelle Bestandheit und Du hast ihm Odem und Seele genommen!«< Die antike und moderne, oder wie Herder in seiner, spåter auch von Jean Paul beibehaltenen Sprechweise zu sagen pflegte, die griechische und die nordische Tragödie mußten verschieden sein, weil die Entwicklungsbedingungen, aus welchen eine jede hervorging, so durchaus verschieden waren.

Betrachten wir den nächsten Thatbestand, so hatte Herder wohl nur die Absicht, hauptsächlich gegen Diejenigen Einspruch zu erheben, welche troß ihrer Verehrung Shakespeare's noch immer an seiner Verlegung der sogenannten drei Einheiten Anstoß nahmen; wenigstens hat Herder Diese vor Augen, wenn er am Eingang seiner Betrachtungen (S. 272) klagt, daß selbst die kühnsten Freunde Shakespeare's sich meist nur begnügten, ihn zu entschuldigen und zu retten, seine Schönheiten nur immer gegen seine vermeintlichen Verstöße zu wågen und ihn desto mehr zu vergöttern, je mehr sie über Fehler die Achseln ziehen müßten.

Gleichwohl hat Herder aus dieser scharfen Gegenüberstellung der Entwicklungsbedingungen antiker und moderner Tragik zugleich eine Reihe anderer Folgerungen gezogen, welche über die Auffafsungsweise Lessing's hinaus ein sehr bedeutender Fortschritt waren. Obwohl auch Herder noch ebensowenig wie Lessing sich zum Bewußtsein gebracht hatte, daß der eigenste und tiefste Unterschied der antiken und modernen Tragödie vor Allem in dem tiefgreifenden Gegensatz liege, daß die moderne Tragödie mit ihrem gesteigerten und verinnerlichten Freiheitsgefühl die Katastrophe, den Untergang des Helden, nicht wie die antike Tragödie aus einem åußeren unentrinnbaren Götterverhängniß, sondern vielmehr aus der verantwortlichen tragischen Schuld des Handelnden felbst ableite, so war doch Herder in der That der Erste, welcher, mehr als es Lessing jemals vermocht hätte, die Größe und Eigenthumlichkeit Shakespeare's auf ihre geschichtlichen Grundlagen zurückführte und ihn rein aus sich selbst erklärte. Nimmt es Wunder, daß Lessing niemals irgendeine Tragödie Shakespeare's einer genaueren Zergliederung unterworfen hat, wie er in seiner Jugend doch selbst mittelmäßige Trauerspiele der römischen Kaiserzeit im Einzelnen betrachtet und zergliedert hatte, so ist es eine sehr bedeutsame Thatsache, daß uns in dieser kleinen Abhandlung Herder's solche Zergliederungen in reichster Fülle entgegentreten; noch jekt wird Niemand Herder's Worte über Lear, Othello, Macbeth und Hamlet ohne die innigste Befriedigung lesen. Und glaubte Leffing, wie Philotas und besonders einzelne seiner unausgeführten dramatischen Entwürfe (Lachm., Bd. 2, S. 515, Bd. 11, S. 390) beweisen, Sophokles noch ganz unmittelbar nachahmen und für die moderne Bühne nußbar machen zu können, so predigte Herder in jeder Zeile, daß einzig und allein in Shakespeare das maßgebende Muster des modernen Dramatikers liege, und daß jede einseitige Anlehnung an die Antike ihn von dem einzig möglichen Wege ablenken müsse. Dabei ist freilich

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