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Schäferdichtung und Poetik

im 18. Jahrhundert.

Die poetische Gattung, die dem Culturüberdruss complicirter Zeiten ihren Ursprung verdankt, weist nach Gegenstand und Behandlungsart charakteristisch verschiedene Entwickelungsformen auf.

Stofflich lösen darin Natur und Menschenwelt einander ab, deren letztere in zwiefacher Verwendung begegnet: das biblische Hohelied als erstmaliger bewusster Ausdruck idyllischer Stimmung1) verherrlicht in Sulamith und ihrem Geliebten zwei wirkliche Naturkinder; das erste eigentliche Hirtendrama der Weltlitteratur: Jayadevas Gîtâgovinda (der Kuhhirt im Liede') führt in schäferlicher Umgebung und pastoralem Gewande Krishna-Vishnu mit Râdhâ vor. Dort thatsächlich Repräsentanten einfacher Zustände, hier blosse Maskerade im Schäferkostüm. Wie Ritusanhâra (der 'Jahreszeitencyclus') ein indisches Gegenstück zu Thomsons Seasons und Kleists Frühling darstellt und die sehnsüchtige Naturmalerei eines Moschos oder das beschreibende Lob des römischen Landlebens bei Horaz und Vergil in

1) Vgl. hierzu wie zur gesammten Entwickelung von Idyll und Dorfgeschichte in Alterthum und Mittelalter den Aufsatz von Gosche in seinem Archiv für Litteraturgeschichte 1, 169-227. Den vollständigsten Überblick über die Production in Deutschland von Neidhart von Reuenthal bis zum Ende des 18. Jahrhunderts gewährt immer noch E. J. Koch, Compendium der Deutschen Litteraturgeschichte, Berlin 1798, 22, 170 ff.; vgl. S. 191 ff. Über Gottscheds Atalanta und ihr Verhältniss zu den romanischen Pastoralen wie zum Ritter-, Schäfer- und heroisch-galanten Roman handelt F. Rühle: Das deutsche Schäferspiel des 18. Jahrhunderts, Halle 1885 (Diss.), über Gessner und seine Nachfolger wenig fördernd W. Nagel: Die deutsche Idylle im 18. Jahrhundert, Züricher Diss. 1887.

Vierteljahrschrift für Litteraturgeschichte II

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Erinnerung ruft, erscheint diese Doppelbewegung im Spiegel der abendländischen Litteratur gleichfalls als eine typische. Dem urwüchsigen Leben in Theokrits Idyllen und dem pseudovergilischen Mörsergericht' (Moretum 2)) tritt mit Vergils Eklogen die Allegorie gegenüber: 'Maske') also auch in der europäischen Schäferdichtung, ein verhängnissvolles Erbe für die romanische Litteratur und durch diese auch der neudeutschen bis ins achtzehnte Jahrhundert hinein so verderblich!

Nach den glücklichen Anfängen der höfischen Dorfpoesie und der Dorfgeschichte des deutschen) Mittelalters war die Vorführung des Bauern in jene komische Derbheit versunken, die in Fastnachtspiel und Schwankbuch ihr Extrem erreicht. Wohl fehlte es im Gesellschaftsliede des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts auch an frischem Lobe des Bauernlebens nicht 5); Opitz erneuerte im Anschluss an Fischart 6) Horazens Preis der Landlust. Aber schon hatten die Neulateiner seit Eoban Hesse) die allegorische Ekloge mit Vorliebe angebaut und die Einflüsse des Auslandes sich geltend gemacht: auf Übersetzungen von Nicolas de Montreux Bergeries de Juliette (1595) °),

2) In Haupts Vergil, 2. Aufl., Leipzig 1873, S. 571-575. Vgl. Teuffel, Geschichte der römischen Litteratur, 4. Aufl., S. 468 f. (§ 230,3) und Bähr, Geschichte der römischen Litteratur 1a, 644 f.

3) Über den Unterschied von Maske und Rolle vgl. Scherers Poetik S. 244.

*) Die ersten lateinischen Eklogen des Mittelalters s. bei E. Dümmler: Poetae latini aevi Carolini, Berolini 1881, 1, 270 ff. 360 ff. 382 ff.; über die Schäfernamen in der aus Karls d. Gr. Hofschule erwachsenen Akademie vgl. Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter 15, 147 f.

5) Vgl. z. B. bei Hoffmann von Fallersleben: Die deutschen Gesellschaftslieder des 16. und 17. Jahrhunderts, 2. Aufl., Leipzig 1860, Nr. 339. 350.

*) Vgl. hierüber Opitz, Zeitschrift für deutsche Philologie 8, 477 ff. 7) Das Bucolicon Eobani Hessi Magistri Erphurdiensis erschien zuerst 1509 zu Erfurt in 4o, die zweite auf 17 Idyllen vermehrte Ausgabe: Helii Eobani Hessi, Bucolicorum Idyllia XII recognita et ex recenti editione Idyllia V 1528 zu Hagenau in 8o. Vgl. C. Krause, Helius Eobanus Hessus, Gotha 1879, 1, 79 ff. 398. 402 f. 404. 2, 20 f. 101.

8) Die Schäffereyen Von der schönen Juliana . . . durch Ollenicem du Mont-Sacré [Anagramm von Nicolas de Montreux] einem Mayni

Guarinis Pastor Fido) und d'Urfés Astrée 1o) (1619) war 1624 unter dem Eindruck des letztgenannten berühmten pastoral allégorique die Gründung einer Académie de vrais amants im Schoose der Fruchtbringenden Gesellschaft gefolgt.11) Die deutschen Renaissancepoeten Weckherlin und Opitz 12) werden als solche die Begründer einer allegorischen Hirtendichtung, die sich in Nürnberg selbst zum 'Rahmen für Feuilletons in Poesie und Prosa' 13) gestaltet. Der Schäferroman tritt um die Mitte des Jahrhunderts gegen den heroisch - galanten zurück, und das ganz oder theilweise componirte Schäferstück theilt das Schicksal der Oper überhaupt, um erst im späteren Singspiel 14) wieder aufzuleben;

schen Edelmann. Nun aber auss dem Frantzösischen in Teutsch gebracht durch F. C. V. B... Getruckt zu Mümpelgart in verlegung Petern Fischers 1595.

9) Pastor Fido. Ein sehr schön, lustige vnd nützliche TragicoComoedia. Erst in italiänischer Sprach... Beschriben und Dedicirt Von Baptista Guarino. Jetzo aber in vnser Teudsche Sprach mit fleiss vertirt vnd in Reimen verfasset, Durch Eilgerum Mannlich. Mühlhausen, bey Joh. Stang. 1619.

10) Von der Lieb Astreä vnd Celadonis Einer Schäfferin vnd Schäffers.. durch den Herrn von Urfée in Frantzösischer Sprach an Tag gegeben vnd. . den Teutschen Liebesley denten in Teutsche Sprach versetzt durch J. B. B. V. B. Gedruckt zu Mümpelgart, durch Jacob Foilet vnd zu verkaufen bei Paul Ledertz, Buchhandl. Anno M.DC.XIX. -Über die damalige culturelle Bedeutung Mümpelgarts vgl. Höpfner, Reformbestrebungen auf dem Gebiete der deutschen Dichtung des XVI. und XVII. Jahrhunderts, Berlin 1866, S. 31.

11) Barthold, Geschichte der Fruchtbringenden Gesellschaft, Berlin 1848, S. 138 ff. und desselben Verfassers: Die geschichtlichen Persönlichkeiten in Jacob Casanovas Memoiren, Berlin 1846, 2, 21 f. Das Original des Stiftungsbriefes, d'Urfés Antwort wie das Begleitschreiben des Vermittlers Herrn von Borstel ist jetzt neu gedruckt durch H. Welti: Zeitschrift f. neufranz. Sprache und Litteratur 5, 107 ff.

12) Weckherlins Eklogen stehen in der Ausgabe von 1684, Amsterdam, Jansson, S. 753-797, Opitzens schäferliche Liebeslieder im 4. Buch der Poetischen Wälder, in Fellgibels Ausgabe, Breslau 1690, 2, 183 ff. Über die ungedruckten Eklogen des Casseler Medicus Johannes Rhenanus vgl. Höpfner a. a. O. S. 39.

13) Borinski, Die Poetik der Renaissance, Berlin 1886, S. 231. 14) Interessant ist es, dass 1774 J. W. Schöpfel seinen Palämon (ein Schäferspiel mit Gesängen in zween Akten von J. W. A. Sch. Frankfurt u. Leipzig bei Christian Gottlieb Hertel 1774) eingestandener

dauernd erhält sich dafür die Beliebtheit bukolischer Einkleidung der Lyrik, selbst der des geistlichen Liedes (Spee, Scheffler), die durch litterarische Gegensätze und Modenwechsel wenig berührt wird. Wie in Frankreich eine Vorstufe der galanten Lyrik, mit welcher sie gegenüber dem Volks- und Gesellschaftsliede vor allem den frauenfreundlichen Zug gemein hat 15), und in dieselbe als Hirtencantate fest eingegliedert 16), erobert die Schäferpoesie doch auch in volksthümlichen Liedersammlungen ihren Platz. Wie die galante Lyrik eine Doppelströmung aufweist 17), dichten Marinisten sowohl als Gegner des Schwulstes in bukolischer Form. Wenn von den letzteren Christian Weise bis auf ein vereinzeltes schäferlich-mythologisches 'Sangspiel' 18) auf die pastorale Poesie überhaupt Verzicht leistet, kleidet sich zuweilen die Ovationsdichtung der Hofpoeten gleich der

massen (S. XVII f. der Vorrede) mit Gesängen untermischt, damit das Stück 'unter der Gestalt der Operette bey dem Theater nun den Zutritt finde, den man ihm im entgegengesetzten Falle noch viele Jahre lang verweigert haben würde'. Über Ch. F. Weisses ländliche Singspiele als Vertreter des Schäferstücks vgl. auch E. Schmidt, Anzeiger f. deutsches Alterth. u. deutsche Litt. 7, 79.

15) Vgl. von Waldberg, Die galante Lyrik, Strassburg 1885, Quellen und Forschungen 56, 5. 30. 33 f. 60 f. Anm. 100 f. Über den Zusammenhang von d'Urfés Astrée mit den späteren Bestrebungen des Hôtel de Rambouillet s. Lotheissen, Geschichte der französ. Litteratur im XVII. Jh., Wien 1878, 1, 146. 153 ff.

16) Johann George Neukirch, Anfangs-Gründe zur Reinen Teutschen Poesie Itziger Zeit u. s. w., Halle 1724, S. 887. [Neumeister und Hunold-] Menantes, Die allerneueste Art zur Reinen und Galanten Poesie zu gelangen, Hamburg 1722, S. 347 f. Hinsichtlich der Einordnung der sonstigen Formen scheint Schwanken zu bestehen: B. Neukirch bringt in seiner Sammlung: Herrn von Hoffmanns waldau und andrer Deutschen auserlesene und bisher ungedruckte Gedichte (Bd. 1-6, Leipzig 1695-1709) die Schäfergedichte nicht nur unter die einander gleichartigen Rubriken der Verliebten Gedichte (1, 50 ff. 67 ff. 72 ff. 3, 63 ff.), Galanten Gedichte (2, 11 ff.) oder Galanten und verliebten Gedichte (z. B. 4, 81 ff.), sondern scheint einzelnen, oft in demselben Bande, eine Sonderstellung unter den Vermischten Gedichten (vgl. z. B. 2, 330 ff. 3, 357 ff. 4, 317 ff. 6, 207 ff.) anweisen zu wollen. Schäferliche Hochzeitsgedichte (wie z. B. 3, 151 ff.) wurden natürlich eben so wenig als die sonstige Gelegenheitsdichtung je zur galanten Poesie gerechnet. 17) von Waldberg a. a. O. S. 25.

18) Die betrübte und getröstete Galathee (1674).

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