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Familienkreis (ebd.) entspricht durchaus dem Goetheschen Werther, welcher den unruhigsten Vagabunden 'in seiner Hütte, an der Brust seiner Gattin, in dem Kreise seiner Kinder und der Geschäfte zu ihrer Erhaltung all die Wonne' finden lassen will, 'die er in der weiten öden Welt vergebens suchte'.

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Damit in Zusammenhang steht die Hypochondrie, welche die vorliegenden Briefe in unvergleichlich grösserer Ausbreitung begriffen zeigen als alle bisher über Jerusalem erschlossenen Quellen. Diese unglückliche Neigung ebenso wie den Hang zum philosophischen Speculiren erweisen schon unsere ersten Briefe als von jeher tief in seinem Wesen begründet. So hat doch Goethe diesen seelischen Grundzug divinatorisch erkannt, wenn er nach seinen an Schönborn gerichteten Worten im Werther einen jungen Menschen darstellen will, 'der, mit einer tiefen, reinen Empfindung und wahrer Penetration begabt, sich in schwärmende Träume verliert, sich durch Speculation untergräbt'. Ähnlich wie Baron Kielmannsegge, 'einer der wenigen, denen er (Jerusalem) sich genähert', dem Dichter erklärt hatte (Goethes Werke Hempel 22, 377): 'Das ängstliche Bestreben nach Wahrheit und moralischer Güte hat sein Herz so untergraben'. In der That ist dem jungen Jerusalem zur Quelle des Verderbens geworden gerade was Lessing als demselben nicht im mindesten fürchterlich' bezeichnet: 'das Ermattende, Abzehrende, Entnervende, womit kränkelnde oder um ihre Gesundheit allzu besorgte Geister diese Art von Untersuchung, diese Entwickelung unserer Gefühle, diese Zergliederung des Schönen so gern verschreien'.

Richtig erkannte Goethe, dass eine so zart besaitete Seele durch rein mechanische Arbeit zur Verzweiflung gebracht werden musste (s. Brief 3). Auch die in der That charakteristischen Schreibfehler (Brief 6) hat der Dichter in 'verklärter' Gestalt durch den Brief vom 24. December verewigt. - Über den im Roman erwähnten gesellschaftlichen Verdruss des empfindsamen Jünglings — wie inzwischen festgestellt war, im Hause des Grafen Bassenheim finden wir in Brief 4 zum ersten Male eine directe

Äusserung des Betroffenen, sogleich mit dem von Goethe stark herausgearbeiteten Zusatz, dass die Verbreitung der peinlichen Nachricht ihn fast mehr empört als der Vorfall selbst.

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Nun das Zerwürfniss mit dem Gesandten, welches, durch Kestners Bericht angedeutet, neuerdings durch Koldeweys Actenauszüge im einzelnen objectiv belegt, hier von Fall zu Fall worauf es im wesentlichen ankommt in subjectiver Wirkung auf den unglücklichen Jüngling erscheint. Wenn Goethe von Napoleon I. u. a. vorgeworfen wurde, dass er das Motiv gekränkten Ehrgeizes in die Liebesgeschichte Werthers hineingearbeitet habe, so sehen wir, dass für Jerusalem, das Vorbild Werthers im zweiten Romantheile, gerade umgekehrt verletztes Ehrgefühl als wesentlichster Grund zum Selbstmord anzunehmen ist. Über die unglückliche Liebe schweigt sich der Jüngling gegen den Vater aus; jedenfalls zeigen ihn schon die seelische Stimmung und die äussere Lage, in welche ihn der Verfolgungseifer des Gesandten gesetzt, zu dem entsetzlichen Schritte genügend disponirt. Der wahre Entwickelungsgang seiner Melancholie scheint in der ursprünglichen Fassung des Romans noch hervor: durch den Verdruss bei der Gesandtschaft hält Werther seine Ehre 'unwiederbringlich gekränkt', und dieser Vorfall gibt ihm eine Abneigung gegen alle Geschäfte und politische Wirksamkeit'. Erst daher wird es auch für Jerusalem erklärlich, dass er sich einer 'endlosen Leidenschaft' hingab, 'worüber noch endlich alles, was thätige Kraft an ihm war, verlöschen musste'.

Nicht bedeutungslos ist es, den Brief an Abr. Kaestner (13) heranzuziehen: nachdem der Unglückliche die amtliche Laufbahn in Unehren sich verschlossen sieht, will er sich vielleicht eine wissenschaftliche Existenz begründen, die seinem Selbstbewusstsein und Ehrgeiz Genüge thut. Ob Kaestner eine den jungen Autor nicht befriedigende Antwort ertheilt hat?

Unter dem Einfluss all dieser Misserfolge und von vertrauteren Freunden entfernt, wird Jerusalems Empfindung für Frau Elisabeth Herd ihm als Planke erschienen sein, an welche sich der Ertrinkende klammert, als der letzte

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Versuch, seinem unbefriedigten Selbstgefühl Nahrung und Halt zu geben, und so mag er sich aber jedenfalls erst im letzten Stadium seiner Krankheit (denn von einer solchen müssen wir sprechen) - in die Liebesleidenschaft hineingebohrt haben: der Gedanke konnte noch allenfalls seinem überall zurückgewiesenen, tödtlich verletzten Ehrgefühl und Selbstbewusstsein neue feste Grundlage geben, dass das geliebte Weib, alle Schranken nichtachtend, seinen Manneswerth höher anschlug als die heiligsten äusseren Bande! Da auch diese Planke sank, sah der Schiffbrüchige keine Stütze mehr, welche ihn über Wasser hielt.

Jerusalem lebt also nicht dauernd von einer Leidenschaft allein, er gehört nicht zu denen, die da 'liebten und thaten weiter nichts mehr'; vielmehr ist die unglückliche Liebe allenfalls nur der letzte Act in seiner Lebenstragödie, und Goethe hat Recht gethan, wenn er seinen Helden nicht in blinder Verzweiflung scheiden, sondern ihn thatsächlich aus der Welt hinausgedrängt werden lässt: 'Er fand sich durch alles dieses wie zur Unthätigkeit berechtigt, er fand sich abgeschnitten von aller Aussicht, unfähig, irgend eine Handhabe zu ergreifen, mit denen man die Geschäfte des gemeinen Lebens anfasst, und so rückte er endlich, ganz seiner wunderbaren Empfindung, Denkart und einer endlosen Leidenschaft hingegeben, in dem ewigen Einerlei eines traurigen Umgangs mit dem liebenswürdigen und geliebten Geschöpfe, dessen Ruhe er störte, in seine Kräfte stürmend, sie ohne Zweck und Aussicht abarbeitend, einem traurigen Ende näher'.

Gerade also um zu zeigen, dass seinem Werther die Liebesleidenschaft alles, zum einzigen Besitzthum geworden ist, musste der Dichter ihm Stück für Stück sämmtliche sonstigen Lebensgüter sichtbarlich rauben.

Noch eine Bemerkung drängt sich auf: Goethes ursprünglicher Verdacht, dass der verfluchte Pfaff sein Vater' an Jerusalems Selbstmord die Hauptschuld trüge, wird durch die vorstehenden Briefe entkräftet. Wohl lässt des Vaters hohe Stellung unserm Jüngling die ihm gewordene Ehrverletzung besonders empfindlich erscheinen (s. Brief 7: 'Mit was für einem demüthigen Gesichte' bis zu Ende);

wohl mag die verzärtelnde Erziehung, auf welche sich auch aus der Art schliessen lässt, in welcher der Vater von ihm spricht (Brief 14), beigetragen haben zu übertreiben und verderben die Kräfte' wie Goethe seinen Verdacht unter anderm erläutert ; aber als wahren Schuldigen erweisen die hier vorliegenden Nothschreie des Gehetzten den braunschweigischen Subdelegaten (Gesandten) Höfler. Die Documente sprechen in dieser Hinsicht für sich selbst. Goethe hatte bald durch schriftlichen und mündlichen Bericht Kenntniss von der traurigen Rolle erhalten, welche Höfler gespielt. Koldewey wirft schon nach Veröffentlichung der diese Misshelligkeiten behandelnden Ministerialacten die Frage auf, weshalb wohl Goethe von allen Betheiligten nur eine Gestalt, eben Höfler, ungenutzt gelassen: 'Ob die Rücksicht auf die hohe Stellung des Mannes den Dichter dazu bewogen?' Goethe hatte doch kaum einen braunschweigischen Subdelegirten zu scheuen; und warum schont er dann nicht den vielvermögenden Abt Jerusalem in seinem Sohne? 'Oder ob', fragt Koldewey weiter, 'er daran verzweifelt hat, der vertrockneten Seele des störrischen Bureaukraten eine poetische Seite abzugewinnen?'

In der That, sollte Goethe sich mit der episodischen Charakteristik 'der pünktlichste Narr' u. s. w. (Brief vom 24. December) begnügt haben? Im Brief vom 12. August stellt Werther den extremen Gegensatz zu seinem Gefühlswesen in Albert als Typus dar: 'Ach ihr vernünftigen Leute', 'ihr sittlichen Menschen', ihr Nüchternen', 'ihr Weisen Ihr steht so gelassen, so ohne Theilnehmung da, ihr sittlichen Menschen, scheltet den Trinker, verabscheuet den Unsinnigen, geht vorbei wie der Priester, und dankt Gott wie der Pharisäer, dass er euch nicht gemacht hat wie einen von diesen', während 'man alle ausserordentliche Menschen, die etwas Grosses, etwas unmöglich Scheinendes wirkten, von jeher für Trunkene und Wahnsinnige ausschreien müsste'. Nun hat Goethe seinem Freunde Kestner ausdrücklich bekannt (21. November 1774): 'Wenn ich noch lebe, so bist Dus, dem ichs danke bist also nicht Albert'. Und Kestner äussert gegen Hennings (7. November 1774): 'Wenn ich von ihr (Lotten) hätte

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lassen müssen, so stehe ich nicht dafür, ob ich nicht Werther geworden wäre. Darin erkenne ich mich in Albert nicht'. Allerdings konnte nun Brentano, der Mann Maximilianens, nach der Seite der Nüchternheit Züge für den Albert herleihen. Indessen scheint Goethe von dem 'angesehenen Handelsmann' ein Erheben über die Alltäglichkeit von Anfang an nicht erwartet zu haben: 'Ihr Künftiger', schreibt er über Maximiliane an Betty Jacobi (31. December 1773), 'scheint ein Mann zu sein, mit dem zu leben ist und also, heisa!! wieder die Anzahl der braven Geschöpfe vermehrt, die nichts weniger als geistig sind, wie Sie freilich vermuthen müssen'. In Wahrheit ist es die überall triumphirende nüchterne Vernünftigkeit, durch welche sich Werther aus der Welt gedrängt sieht. Sollte nicht derjenige Mann, welcher für Werthers Urbild jene tödtlich nüchterne Vernünftigkeit repräsentirte, den Dichter darauf hingewiesen haben, in Werthers Nebenbuhler zugleich die extrem entgegengesetzte Gemüthsanlage zu verkörpern?

Wie dem auch sei, in der Lebenstragödie Jerusalems, dessen Charakter Goethe (im Gegensatz zu Lessing) mit Recht als Typus der Zeitsentimentalität auffasste, stellt die unglückliche Liebe nur den letzten Act dar, während der Dichter sie zur Haupthandlung erhebt, um den Inhalt der vorhergehenden Lebensacte geschickt in dieselbe zu verwickeln. Derjenige, welcher zuerst die Seelenentwickelung des unglücklichen Jünglings treffend auffasste, war sein Freund Eschenburg. Er schreibt, wahrscheinlich an den Pastor Goetze zu Warberg bei Helmstädt, einen Verwandten Jerusalems (Abschrift von R. Abeken im Kestnerschen Familien-Archiv):

15.

Ich glaube es gern, dass die ganze Lage, worin er sich dort befand, zu seinem Missvergnügen viel beigetragen, dass der Mangel eines vertrauten Freundes ihm das Leben gleichgültiger gemacht. hat; aber in seinem Temperamente, das wirklich, wie Sie selbst, bester Herr Pastor, bemerkt haben müssen, viel melancholische Mischung hatte, in seiner unglücklichen Fertigkeit, eine schwarze Idee unverrückt zu verfolgen, sich ihr Widriges eher zu vergrössern als zu zerstreuen, und alles nur von der unangenehmen Seite anzusehen, und nicht anders ansehen zu wollen, dann in seiner oft

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