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Achseln

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aber, was schlimmer ist, sie machen ihn zu einem armseligen Gesellen ihres Gleichen. Erst wenn sie ihn in ihrer Erklärung verdreht und verfälscht haben, wenn sie den großen Spiegel des Lebens, den er aufgestellt, in Scherben geschlagen, und sich daraus fleine Taschenspiegel ihrer eigenen Schulweisheit zurecht gemacht haben dann fühlen sie sich mit ihm in Uebereinstimmung, dann bewundern sie in ihm dasjenige, was sie in ihn selbst von dem Jhrigen hineinlegten und hineindeuteten. Diese moderne ästhetische Scholastik, diese Heuchelei des Geschmacks bleibe uns ferne! Treten wir lieber in den Dom der Shakespeare'schen Dichtung ohne Führer ein, lassen wir die fühnen Strebebögen dieser Wölbungen allein auf unsere Phantasie wirken, als daß wir uns von der schnarrenden Stimme eines unberufenen Küsters die Merkwürdigkeiten dieses Heiligthums einzeln erklären lassen.

Doch wozu diese Entrüstung, zu der ich mich gele= gentlich hinreißen ließ? Es giebt so wenig Zeiten, wo wirklich das Starke, das unverfälscht Große und Ewige im Menschen zu reiner Schägung, zu vollem Ausdruck gelangt - und es wäre gewagt zu behaupten, daß wir eben in einer solchen Zeit leben. Nur Epochen der eben bezeichneten Art sind die Höhepunkte der poetischen Cultur; diese hat eigene Pulsschläge für sich, und hält feineswegs mit den Fortschritten der intellectuellen Bildung, der Erfindungen, der Aufklärung sc. gleichen Gang. Der Fortschritt in der Literatur ist kein allmäliges Aufsteigen von Stufe zu Stufe er beruht

nicht auf demselben continuirlichen Gange wie die stetige, durch Generationen sich fortsegende Bienenarbeit der Wissenschaft er ist immer eine Revolution, ein plöglicher Durchbruch, ein großes Naturereigniß im Culturleben. Dann werden die conventionellen Modebegriffe beseitigt, dem eitlen Schulgeschwäg wird das Wort entzogen, damit der Genius allein spreche und die Mysterien des Menschlichen auf's Neue enthülle. Dann quillt es mächtig aus der Tiefe empor, dann rauschen mit einem Male die stockenden Quellen, dann offenbart sich das Innerste, tief Verschlossene in gewaltigen Accenten. Aber es währt nicht lange und das Verständniß für diese Prophetensprache geht wieder verloren. Ganze Jahrhunderte folgen, die in künstlichen Conventionen, in gemachten Anschauungen leben, die die Mode von den Kleidern und Umgangsformen bis zu den leisesten Bebungen ihres Gehirns beherrscht, und der Sinn für das Ursprüngliche, für das Großartig-Natürliche ist verklungen und verschollen gleich einer fremden, unverständlichen Sprache.

dies

Und die Zeit, von der wir jegt sprechen, halbschläfrige, halbwache Morgengrauen der deutschen Literatur vor dem hellen, scharfen Weckruf Lessings — war sie nicht weiter, als jede andere, von der wahren. Natur entfernt? Wenn damals auch nur eine Ahnung, ein Dämmerlicht des Verständnisses für echte Poesie in ein Gemüth fiel so wahr dies mehr werth, als heutzutage ein ganzes System der Aesthetik. Wie schwer war es damals, die Naturlaute eines starken Affectes, einer

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mächtig erregten Stimmung in der Poesie zu verstehen! Die Dichtung war da nicht ein Waldquell, der mit reichen Erguß aus geheimnißvoller Tiefe hervorbrach, sie war eine mit sauberen Steinplatten eingefaßte Fontaine in einem französischen Garten, die ihre Wasserstrahlen selbstgefällig in die Höhe trieb, um ab und zu die hohlen Messingkugeln wißiger Einfälle spielend in die Höhe zu werfen . . . Was Phantasie, Gemüth, Leidenschaft in der Poesie bedeute, das wußte man dazumal nicht; man sah in ihr nichts Anderes als lediglich eine ,,Belustigung des Verstandes und Wiges", und wenn die Dichtung sich eine höhere Würde geben wollte, so mußte sie sich dieselbe von der Moral, von der Schulweisheit borgen.

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In einer solchen Zeit darf man immer eine Erscheinung wie die J. E. Schlegel's mit tieferem Antheil begrüßen, und ich stehe nicht an, ihn als denjenigen Schriftsteller zu bezeichnen, der mitten in der Gottsched'schen Schule vorbereitend auf Lessings große Gestalt hinweist. Der Frühlingsregung muß ein Thauwind vorangehn, der lösend über die starren Eisflächen hinweht; und ich glaube, daß wir in den mitgetheilten Stellen aus diesem vergessenen Autor einen Anbauch dieser Art gefühlt haben.

IV.

Leffing.

A. Allgemeines Charakterbild. Erste Periode seiner Entwick lung: die Jugendstücke; die „Beiträge zur Geschichte des Theaters und die „theatralische Bibliothek"; das Trauerspiel „Miß Sara Sampson." 1747-1758.

Nach manchen vorbereitenden Fingerzeigen, mit denen ich bereits wiederholt auf Lessing hingedeutet, treten wir jezt unmittelbar an die Gestalt des großen Reformators der deutschen Literatur heran. Hell und klar, so wie der Ton einer Morgenglocke in reiner Luft, tönt Lessing's Name in unsere Gegenwart herein, während die meisten anderen Namen aus jener Zeit flanglos und verschollen sind, oder doch nur eine schattenhafte literargeschichtliche Existenz baben. Sobald wir Lessing nennen, da denkt und fühlt sich etwas dabei, selbst das größere Publicum wird durch diesen Namen bewegt, wenn auch die Gestalt des großen Mannes nur halbenthüllt, wie in unflarem Helldunkel vor seinen Augen emporsteigt. So viel weiß doch Jeder: daß die glänzenderen Erschei

nungen Göthe's und Schiller's ohne ihn fast ebenso wenig zu denken wären, wie der Segen der Ernte ohne die harten Mühen am Pfluge und an der Egge. Lessing war es, der nicht blos so obenhin einige Gartenerde auf den vernachlässigten Boden unserer Literatur legte, damit eine nothdürftige Pflanzung in ihr fortkommen könne er war es, der vielmehr die ersten tiefen Furchen durch das Feld derselben zog, der ihren Boden mit der Pflugschar der Kritik durchwühlte und auflockerte, damit wieder einmal der Same großer, befruchtender Gedanken in ihm gedeihen und aufsprießen könne. Die Gipfel seiner künstlerischen und seiner forschenden Thätigkeit, seine drei classischen Dramen, die Dramaturgie und der Laokoon stehen noch leuchtend da am Horizonte unserer Literatur; freilich sind nur dem Literaturhistorifer von Fach die Vermittelungen und Uebergänge näher bekannt, die von der einen jener höchsten Leistungen zu der anderen hinüberführen. Dem Bilde des literarischen Wirkens Lessing's fehlt jene klare Anschaulichkeit und Abgeschlossenheit, wie wir sie bei Schiller und Göthe finden. Dennoch blickt die Nation, obgleich sie Lessing nur theilweise kennt, mit ungetheilter Achtung und Verehrung zu ihm empor so stark wirkt aus der Ferne noch der lebendige Anhauch eines großen Geistes.

Lessing war bekanntlich der älteste Sohn eines wackeren Landpfarrers aus der Oberlausig, ehrenfesten, frommen Mannes vom alten Schlag. Bezeichnend für seine strengere, männliche Natur ist

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