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laß findet. Ob aber dadurch die Gränzmark des Tragischen weiter hinausgerückt, oder blos an eine falsche Stelle gerückt ist? Offenbar, nach der Darlegung des Dramaturgen das Leßtere!

5) Auch gegen das, was Aristoteles von der Unschicklichkeit eines ganz Lasterhaften zum tragischen Helden sagt, bringt Corneille seine Berichtigungen bei. Mitleid zwar, gesteht er zu, könne er nicht erregen, aber Furcht allerdings; und eines von beiden reicht nach seiner Auffassung schon hin. Ob sich auch keiner von den Zuschauern der Laster desselben fähig glaube, und folglich auch desselben ganzes Unglück nicht zu befürchten habe: so könne doch ein jeder irgend eine jenen Lastern ähnliche Unvollkommenheit bei sich begen, und durch die Furcht vor den zwar proportionirten, aber doch noch immer unglücklichen Folgen derselben gegen fie auf der Hut zu sein lernen. Auch dies erklärt Lessing für sophistisch; es beruhe auf dem falschen Begriffe, den Corneille von der tragischen Furcht und der Reinigung der in der Tragödie zu erweckenden Leidenschaften hatte. Die Erregung des Mitleids ist, wie früher entwickelt wurde, von der Erregung der Furcht unzertrennlich, und so müßte der Bösewicht, wenn es möglich wäre, daß er unsere Furcht erregen könne, auch nothwendig unser Mitleid erregen. Da dies nun nicht der Fall sei - so falle daher auch die tragische Furcht weg. Jener moralische Schrecken, den uns das Schicksal des Verruchten einflößen soll, ist etwas ganz Anderes, als die tragische Furcht. Er taugt nicht

dazu, unsere tragischen Affecte, sondern höchstens die jenen Lastern ähnlichen, verkehrten Neigungen zu reinigen, deren schwache Keime wir etwa auch an uns vorfinden dürften. Eine Absicht aber, die darauf hinausläuft, ist wieder nur eine moralisch-didaktische, keineswegs eine tragische; es ist ein Effect, den auch die öffentliche Ausstellung des zum Tode verurtheilten Verbrechers macht, aber auch nichts Anderes, als ein solcher.

6. Aristoteles verlangt als erste und wesentliche Eigenschaft eines Helden, daß seine Charakteranlage im Allgemeinen gut sei. „Gut ?" sagt Corneille -ja, wenn gut hier so viel als tugendhaft heißen soll: so wird es mit den meisten alten und neuen Tragödien übel aussehen, in welchen schlimme und lasterhafte, oder wenigstens in gewisser Richtung tadelnswerthe Personen vorkommen." Was folgt daraus? Unter der Güte, welche Aristoteles fordert, sei nicht eben die moralische Güte zu verstehen; es müsse eine andere Art von Vorzüglichkeit damit gemeint sein, die sich mit dem moralisch Bösen eben sowohl vertrage, als mit dem moralisch Guten. Und welche wäre dies? Mit einem Wort: der glänzende und erhabene Charakter irgend einer Neigung, eines vorherrschenden Affects, mag nun dieser tugendhaft oder strafbar jein; le caractère brillant est élevé d'une habitude vertueuse ou criminelle. So sei z. B. die Cleopatra in der Rodogune" wohl äußerst böse; aber alle ihre Verbrechen seien mit einer gewissen Größe der

Seele verbunden, die so etwas Erhabenes habe, daß man, indem man ihre Handlungen verdammt, doch die Quelle, woraus sie entspringen, bewundern muß. Diese Wendung bringt den Dramaturgen in ernsthafte, sittliche Entrüstung. „Wahrlich," ruft er aus, „einen verderblicheren Einfall hätte Corneille nicht haben können! Befolgt ihn in der Ausführung, und es ist um alle Wahrheit, um allen sittlichen Nugen in der Tragödie gethan! Denn die Tugend, die immer bescheiden und einfältig ist, wird durch jenen glänzenden Charakter eitel und romantisch; das Laster wird mit einem glänzenden Firniß überzogen, und erweckt durch die falsche Folie, die ihm unterlegt wird, Interesse und Mitleid, wo man keines haben sollte." Wie nun? heißt dies nicht die Poesie durch die Moral contumaciren? Spricht nicht weit mehr der ängstliche Moralist, als der unbefangene Aesthetiker aus dieser Stelle? Ja wohl und noch aus manchen anderen Stellen der Dramaturgie. Es ist dies nun so ein kleines Restchen der theologischen Eierschale, die an der Falkenschwinge des Lessing'schen Geistes, trog all' seiner Schärfe und Klarheit doch hängen geblieben ist.

Der Dramaturg bricht diese Materie hier ab, und wir haben keinen Anlaß, sie weiter fortzuspinnen. Corneille hat Recht darin, daß er ebensowohl die Zulässigkeit von ganz tadellosen Helden wie von großartigen Verbrechernaturen vertritt; er hat überhaupt Recht in dem Bestreben, das Terrain des Tragischen über die allzuengen Gränzen des antiken Canons hinauszuführen.

Nur in der Methode seiner Dialektik ist er ein arger Sünder; er geht krumme Wege, um das theilweis mit richtigem Gefühl Erfaßte auch theoretisch zu stügen und zu begründen. Muß er erst durch eine Verdrehung des Aristotelischen Tertes sich den Rechtstitel für seine moderne Dramatik erschleichen? Als ob dazu eine Nothigung da wäre! Man durfte damals nur den Franzosen zurufen: warum wollt ihr denn heimlich stehlen, was ihr euch doch frei und offen nehmen dürft die Freiheit der Neuerung? Wozu dieser Unterschleif, diese Schmuggelei? Und diese Unredlichkeit rächt sich nur an euch selbst, indem ihr darüber gerade die wes sentlichsten Puncte, das eigentlichste Ziel der tragischen Wirkung verfehlt und verkennt! Lessing ging freilich noch viel weiter, indem er gegenüber den Kniffen der französischen Auslegekunst mit eigensinniger, deutscher Ehrlichkeit jenen alten Coder der Poetik Wort für Wort vertrat; es war dies eine seiner geistvollsten Grillen, aber auch nicht viel mehr als dies.

2) „Emilia Galotti“ (1772); — „Nathan der Weife“ (1779).

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Nachdem wir der kritischen und ästhetischen Forschung Lessing's auf ihren steilsten Wegen gefolgt sind, sei es uns nun vergönnt, auch der freien Aussicht von dem Gipfel jener Kunsthöhe zu genießen, die er endlich auf diesem mühsamen Pfade gewonnen.

Wieder tritt das Leben an uns beran mit seiner ganzen erwärmenden und ergreifenden Wirkung, nachdem wir uns lange genug in Abstractionen und subtilen logischen Unterscheidungen ergangen; wir fühlen jegt die tiefste Gewalt des Tragischen, nachdem wir dasselbe mit dem Dramaturgen denkend zu erfassen gesucht. Zum ersten Male führt uns nun ein deutscher Dichter in das innerste, ehrwürdig düstere Heiligthum der Schicksalsmächte, das durch den Geist der Alten, durch den Genius Shakespeare's geweiht ist, während alle die anderen ärmlichen Versuche bis dahin kaum in den äußersten Vorhof dieses Heiligthums vordrangen...

Wir stehen vor dem Meisterwerke Lessing's, seiner Tragödie,,Emilia Galotti.“ „Nach langem, vieljäh. rigen Ringen stieg dieses Stück," nach Göthe's Ausdruck, wie die Insel Delos aus der Gottsched-GellertWeiße'schen Wasserflut empor, um eine freißende Göttin barmherzig aufzunehmen." Das Sujet der „Emilia“ beschäftigte ihn schon frühe. Die erste Anregung dazu erhielt er durch ein spanisches Trauerspiel: „Virginia“ von Don Montianoy Luyando, einem Dichter aus der Periode, wo der französische Rococogeschmack auch in Spanien herrschte. Schon 1758, da er einen Augenblick gesonnen war, sich um einen von Nicolai für das beste Trauerspiel ausgeseßten Preis zu bewerben, spricht er von dem Entwurf zu einer „bürgerlichen Virginia," der er den Namen „Emilia Galotti“ gegeben. Er habe," sagt er schon damals, „die Ge

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