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Dabei hat er aber die ernstere, wissenschaftliche Pflicht des Literaturforschers keineswegs aus dem Auge gelassen. Insbesondere war er bemüht, gewisse Uebergangserscheinungen der Literaturgeschichte, die oft weniger beachtet werden, gründlicher zu würdigen und in die richtige Beleuchtung zu stellen. So ist 3. B. unter den Vorgängern Lessing's Joh. Elias Schlegel, der durch seine hellen Einblicke in das Wesen der dramatischen Kunst wie kein Anderer jene Kluft ausfüllt, die zwischen Gottsched und Lessing sich aufthut, mehr in den Vordergrund gestellt, und ebenso unter den Jugendgenossen Göthe's Reinhold Lenz in jener eingehenden Weise behandelt worden, wie es diese geniale, wenn auch frühzeitig zerrüttete Begabung um ihrer selbst willen, wie auch wegen ihrer vielfachen geistigen Beziehungen zu Göthe längst verdient hat.

Von der Schilderung der allgemein literarischen Zustände, die über das engere Gebiet der dramatischen Production hinausgreifen, wurde so viel hereingezogen, als nothwendig schien, um dem Gesammtbilde die richtige Perspective zu geben.

Häufiger noch mußte auf die Bildungsprocesse der einzelnen Dichter eingegangen werden. Der Ursprung unserer classischen Dramen ist nicht aus volksthümlichen Culturzuständen zu erklären, die zu einer dramatischen Production im großen Styl hingedrängt hätten; es sind zunächst subjective Stimmungen, individuelle Bildungs

phasen, die sich in ihnen abspiegeln. Wenn später auch jene allgemein nachempfunden, diese in ein Gemeingut der nationalen Bildung umgewandelt wurden: so bleibt es doch immer Sache der literaturgeschichtlichen Darstellung, die Wurzeln bloszulegen, aus denen jene Schöpfungen in der That entsprossen sind.

Der künstliche Ursprung des deutschen Drama's erklärt es ferner, daß hier die productive Thätigkeit und die schrittweise Entwicklung der ästhetischen und dramaturgischen Ansichten an einem Stamme wuchs. Neben einem so durchaus bewußten Schaffen ließ sich auch die Reflexion hierüber selbstständig vernehmen, wie der Meister in Schiller's Glocke alle einzelnen Momente des Glockengußes mit seinen Betrachtungen begleitet. Schon Lessing that den für ihn so charakteristischen Ausspruch, daß, wer richtig raisonnirt, auch erfinde, und wer erfinden will, auch raisonniren können müsse. Und von da ab geht unablässig die kritische Beleuchtung, der ästhetische Essay gleichen Schrittes neben der dichterischen Production einher. Nicht nur ein Lessing und Schiller verbinden die schaffende Thätigkeit mit der kritisch ästhetischen, selbst die Stürmer und Dränger beeilen sich, neben ihre ungestümen Producte eine förmliche Doctrin des Sturmes und Dranges hinzustellen. Soweit es die bescheidenen Gränzen dieses Werkes zuließen, hat der Verfasser auch diesen Theil seiner Aufgabe in's Auge gefaßt, und nicht nur dasjenige, was in unserer classischen

Periode auf dramatischem Gebiete geschaffen, sondern auch das, was über das Drama da gedacht wurde, in das Bereich seiner Darstellung gezogen.

Damit begränzte sich aber auch seine Aufgabe. Jene dramatische Praktik, deren Dramaturgie das Cassabuch ist, und die in der classischen Periode, wie jezt, ihr Terrain fand, blieb dieser Darstellung fern. Selbst einflußreichere und talentvollere Beherrscher der Tagesbühne, wie Jffland und Kozebue konnten in derselben nicht ihre Stelle finden. Eigentlich gehören ihre Leistungen mehr in die Geschichte der deutschen Gesellschaft, deren Sitten sie schildern und in deren Geschmack sie einschlugen, als in jene der Literatur im höheren Sinn.

Mit diesen einführenden Worten mag denn die neue Ausgabe des Buches der freundlichen Beachtung des Lesers empfohlen sein. Die Zusäße und Ergänzungen, die einem jeden Theile beigefügt sind, dürften wesentlich zur Vervollständigung des Inhaltes beitragen. Es sind Früchte sorgsam fortgesetter Literaturstudien, in denen · der Verfasser sich wiederholt zu der hier geschilderten Periode zurückgewendet hat.

Prag, im September 1868.

I.

Sinleitung.

Ein durchgehender Zug der deutschen Literatur im 18. Jahrhundert ist die schmerzlich sehnsuchtsvolle Abkehr von der Gegenwart, die Flucht aus der Wirklichkeit in eine ideale Traumwelt. Dieses Schattenreich des Ideals wechselt allerdings die Scenerie. Jezt öffnet sich die Glorie des Klopstock'schen Himmels Gottvater thront in ewiger Majestät, und unaussprechliche Entzückungen rauschen durch die Harfen der Seraphim. Gleichzeitig mit den Engelshymnen der seraphischen Poesie vernehmen wir das mystische Rauschen im Haine der Barden; über der schäumenden Quelle schwebt die Erscheinung Thuiskon's heran, Bragor, der deutsche Apoll, sigt finnend da im Dunkel des Haines, auf die Telyn, seine Lyra gestügt. Plöglich Lärm im heiligen Walde! Es ist das Räuberlied: „Ein freies Leben führen wir!" Die Schatten find fort wilde phantastische Gestalten, wie von Salvator Rosa gemalt, drängen sich heran, eine kühne titanische Gestalt in der Mitte es ist der Räuber Carl Moor. Auf den Traum von der deutschen Vorzeit folgen die Zukunftsträume von

Bayer: Von Gottsched bis Schiller.

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der allgemeinen Freiheit wie Klopstock ein Ge= nosse des mythischen Bardenhains, war Schiller gleich Leinen, Helden Carl Moor und Marquis Posa ein Bürger jener Zeiten, welche kommen werden. Lange, lange Zeit vegt sich kein Blatt in dem deutschen Hain— dafür schattet der Lorbeer auf dem Parnaß und die fühle Ruhe der hellenischen Kunstform drängt den überwallenden Blutstrom der heißen Gefühle ins innerste Herz zurück. Endlich nach längerer Pause flüstert das träumerische Lied von der Waldeinsamkeit“ und der ,,mondbeglänzten Zaubernacht“ durch den Hain, in dem es früher so toll zugegangen; der Mondenschein gießt sein mildes Licht durch die Zweige - Phantasus, der kindische Alte, taucht aus dem Dickicht empor, breitet seinen Mantel aus, und schüttet aus den dunklen Falten seine bunte Weihnachtsbescheerung zur Erde nieder. Es ist dies der narkotische Traum der Romantik, der auf die helle, clasfische Zeit der deutschen Literatur folgte.

Woher diese traumhafte Richtung? diese der Wirklichkeit abgewandte Anschauung? Das Zeitalter, die realen Verhältnisse, wenn wir sie genauer ins Auge fassen, erklären dies hinreichend. Die Dichtung war dem Leben vorangeeilt, die innere Welt hatte sich, gleich einer schwellenden Knospe, trog des äußeren Druckes und Widerstandes entfaltet. Die politische und sociale Wirklichkeit des deutschen Volkes war weit hinter der Bildung und dem Ideengehalt zurückgeblieben, der inzwischen in der Stille des tieferen Gemüths gereift war und so mußte sich die Poesie, da sie keinen festen Boden unter den Füßen fand, ins Reich der Träume zurück

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