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Profeffor Clodius aus griechischen und römischen Wortsproffen zusammenzimmerte. Die Betrachtung des bewegten Lebens, das er mit seinen Genossen selbst so gern führte, die psychologische Ergründung der Leidenschaften, die er in sich selbst theils empfand, theils ahnte, wurde nun auch das Studium des Dichters. Der Religion und den wichtigsten metaphysischen Fragen gegenüber bildete er sich eine aus Glauben und Schauen entsprungene Ueberzeugung, die er seinem sittlichen und literarischen Lebensbau zu Grunde legte, und noch in spätern Jahren als ein wohl angelegtes reichlich wucherndes Capital ansehen durfte. Während er sich der deutschen Literatur entfremdet fühlte, wendete er sich in seinem autodidaktischen Kreisgange den geliebten Alten zu, die noch immer, wie ferne blaue Berge, deutlich in ihren Umrissen und Massen, aber unkenntlich in ihren Theilen und innern Beziehungen, den Horizont seiner geistigen Wünsche begränzten, aber ihm bald näher und näher rücken sollten. Das homerische Licht ging ihm in neuer Weise auf: nicht als eine Offenbarung der Kunst, sondern der reinen Natur. Er sab in jenen Epen nicht mehr, wie man es vom Heldengedichte nach der schulmäßigen Auffassung zu erwarten pflegt, ein angespanntes und aufgedunsenes Heldenwesen, sondern die abgespiegelte Wahrheit einer uralten Gegenwart, und suchte sich dieselbe nun möglichst heranzuziehen. Durch Herder insbesondere wurde er in Straßburg mit der Poesie von einer Seite bekannt, die seinem ganzen auf Ursprünglichkeit gerichteten Wesen auf's Innerste zusagen mußte. Die hebräische

Dichtkunst, die Herder so geistreich behandelte, die Volkspoesie, deren Ueberlieferung er Göthen und seinen Freunden auch in der nächsten Umgebung des Elsaß aufzusuchen antrieb, die ältesten Urkunden, als Poesie aufgefaßt, gaben das Zeugniß, daß die Dichtkunst überhaupt eine Welt- und Völkergabe, nicht ein PrivatErbtheil einiger feiner gebildeten Männer sei. Gegen-. über der ewigen Jugendfrische, die Göthe in der volksthümlichen Dichtung fand, mußte ihm um so mehr die französische Uebercultur des 18. Jahrhunderts als tief gealtert vorkommen; Voltaire insbesondere erschien ihm mit seiner verneinenden, herunterziehenden, mißredenden Kritik so recht bejahrt und eitel vornehm, wie die französische Literatur überhaupt. Das Système de la nature" in welchem der kahle Begriff der bewegten Materie" an die Stelle des lebendigen Inbegriffs der Natur gesegt wird, kam ihm vollends vor, wie die wahre Quintessenz der Greisenheit, so grau, cimmerisch und todtenhaft, daß er vor diesem Buche wie vor einem Gespenst zurückschauderte.

Auch sonst wurde ihm bei den Encyklopädisten nicht wohl. Wenn er einen Band ihres ungeheuren Werkes aufschlug, war ihm zu Muthe, als wenn er zwischen den unzähligen, bewegten Spulen und Webestühlen einer großen Fabrik hinginge: Das Schnarren und Rasseln eines einförmigen Verstandes - Mechanis. mus verwirrte ihm Aug' und Sinne, da sein ganzes Wesen auf eine gefühlte Auffassung, auf ein lebendiges Anschauen der Dinge gestellt war.

So wurde er denn in Straßburg, an der Gränze

von Frankreich, alles französischen Wesens auf einmal bar und ledig. Fast stand er mit den übrigen Sturmund Dranggenossen auf dem Punkte, sich der rohen Natur wenigstens versuchsweise hinzugeben, wenn ihn nicht ein anderer Einfluß schon seit längerer Zeit zu höheren, freieren, und ebenso wahren als dichterischen Weltansichten und Geistesgenüssen vorbereitet und ihn erst heimlich und mäßig, dann aber immer offenbarer und gewaltiger beherrscht hätte. Es war Shakespeare, dessen Schatten in den jugendlich strebenden Kreis der Straßburger Societät mit einem Male als eine großartige und doch vertraute Erscheinung eintrat. Bei ihm wurde es Göthe so recht inne, daß das, was ein vorzügliches, hohes Individuum hervorbringe, auch wieder ganz Natur sei, ebenso wie jene naive Poesie, die nach Herder's Auffassung, als heilige Völkergabe aus der Vorzeit ergreifend zu uns spricht.

Nun regte sich mählig das Ursprüngliche, das Naturartige auch in Göthe's eigener Brust, um sich im Göz von Berlichingen, in Werther's Leiden gleich in überraschender Fülle auszusprechen. Es drängte ihn nur geradezu zu schaffen, ohne erst nach den Principien ängstlich zu suchen, nach denen er sich beim Schaffen richten sollte. Was half es auch, auf Theorien, auf überlieferte ästhetische Ariome zurückzugeben? Allerdings hatte Lessing in der Dramaturgie die Poetik des Aristoteles für ein ebenso unfeblbares Werk erklärt, als es die Elemente des Euklides nur immer sind; aber wenn auch Göthe weder Aristoteles, noch Cicero, Quintilian und Longin unbeachtet

ließ, es half doch nichts: denn alle diese Männer segten eine Erfahrung voraus, die dem deutschen Dichter, der deutschen Poesie überhaupt noch abging. Die Kunsttheorien der Alten führten Göthe'n in eine an Kunstwerken unendlich reiche Welt; sie entwickelten die Verdienste der trefflichsten Dichter und Redner und überzeugten ihn nur allzu lebhaft, daß erst eine große Fülle von Gegenständen vor uns liegen müsse, ehe man darüber denken könne; daß man selbst erst etwas leisten, ja daß man fehlen müsse, um seine eigenen Fähigfeiten und die der anderen kennen zu lernen. Die Theorie der Kunst kann erst auf die unmittelbare Kunstübung folgen, nicht ihr vorangehen; das Richtige, das Schöne, das Würdige, läßt sich hier nicht lehren, man muß es finden, indem man sich schaffend versucht. Die berühmten Dichter und Redner hatten sich immer im Leben gebildet, durch das Leben allein trat Natur und Kunst seit jeher in Berührung, und so blieb das

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die innere und äußere

Resultat von allem Sinnen und Trachten unseres Dichters jener alte Vorsag Natur zu erforschen, und jene nach ihren Eigenheiten gewähren, diese nach ihren Eigenschaften auf sich einfließen zu lassen. So suchte er sich denn innerlich von allem Fremden zu entbinden, das Aeußere liebevoll zu betrachten, und alle Wesen, vom menschlichen an, so tief hinab, als sie nur faßlich sein mochten, jedes in seiner Art auf sich wirken zu lassen. Dadurch entstand ihm eine wundersame Verwandtschaft mit den einzelnen Gegenständen der Natur, und ein inniges Anklingen, ein Mitstimmen in's Ganze, so daß ein jeder Wechsel,

es sei der Ortschaften und Gegenden, oder der Tagesund Jahreszeiten, oder was sich sonst ereignen mochte, ihn auf's Innigste berührte. Die reiche Liebeserfahrung, die sich Göthe schon damals gesammelt, hob und schwellte wie ein warmer Hauch die knospenden Triebe seiner Poesie; sie gab jezt seinem Gemüth die feine, erhöhte Reizbarkeit zum Empfangen der leisesten Eindrücke, ließ jeden weicheren Anklang in ihm nachbeben und sich zu einer dichterischen Melodie formen und entfalten. Als Göthe den Göz und den Werther schrieb - da fonnte er fürwahr mit Franz, dem Knaben Weislingens in Göz selbst auch sagen: „Jegt fühl' ich es, was den Dichter macht, ein volles, ganz von Einer Empfindung volles Herz!" Wie dieser sinnige, ganz an die Erscheinungen sich hingebende Naturalismus bei Göthe allmälig zu reiner künstlerischer Bildung sich läuterte, das werden wir erst später sehen; vorläufig ließ er sein Wesen, seine Individualität in voller, ungebrochener Eigenthümlichkeit, in dem natürlichen Wohllaut einer edlen, reichlich strömenden Empfindung sich aussprechen. Sein Wissen hing nicht zusammen, die Geschichte der Welt, der Wissenschaften, der Literatur hatte ihn nur epochenweise, die Gegenstände selbst nur in einzelnen Theilen, oder in allgemeinen, ungesonderten Massen angezogen. Aber so fragmentarisch seine Bildung war, seine Natur blieb dagegen ganz und ungetheilt, während sonst gar oft eine zu früh errungene correcte Abgeschlossenheit der Bildung die freie Selbstständigkeit des eigenen Wesens niederdrückt oder gar völlig aufhebt.

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