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Interessant ist dabei stets, wie äusserst langsam eine Kulturform von der nachfolgenden abgelöst wird, und wie äusserst kräftige Reste des Vergangenen sich bis in Kulturperioden erhalten, in denen die neue Idee anscheinend längst und vollständig obgesiegt hat. Wir haben vorhin ein auffälliges Beispiel an den Nairs gesehen, der vornehmen Kaste, bei der neben einer dem Namen nach anerkannten Einzelehe in Wahrheit der Hetärismus der Urzeit fortbesteht. Aber es handelt sich hier um ein durchgreifendes Naturgesetz, wie in der Erdgeschichte, wo wir einseitig entwickelte, gewissermassen abstrakte oder programmmässig scharf von einander abgegrenzte Zustände fast gar nicht, dagegen um so häufiger Übergangsformen und Mischzustände finden. Und daher gewahren wir nicht selten mitten in vorgeschrittener Kultur Anschauungen, die uns um Jahrtausende zurück versetzen. Dies ist auch die Erklärung der bekannten Tatsache, dass bei vielen Völkern die Einzelehe zwar vollständig durchgeführt ist, aber bis zu ihrer Eingehung die alte Gesamtehe fortbesteht. Mit anderen Worten: nach der Verheiratung wird von der Frau Keuschheit verlangt; bis dahin ist sie frei, ja — und hierin besonders tritt die uralte Idee der Gesamtehe scharf hervor häufig durch die Sitte zur Gewährung freier Liebe verpflichtet. Das Verzeichnis der Völker, bei denen dieser eigentümliche Mischzustand von Einzel- und Gesamtehe wohlbeglaubigt nachgewiesen ist, bei dem die Verheiratung mit dem einzelnen Mann eine

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chens mit dem Blumenstrauss. Bei den Kadva Kanbis (Provinz Bombay) besteht der den Liebenden ganz arge Satz, dass nur alle 10 bis 12 Jahre geheiratet werden darf. Man hilft sich hier damit, dass Witwenehen, weil etwas an sich in Indien ungern Gesehenes, auch in der verbotenen Zeit übersehen werden, und das Mädchen, das durchaus ihren Liebhaber heiraten will, ehelicht in aller Form Rechtens einen Blumenstrauss; welkt er, so ist sie Witwe und ihrer Wiederverheiratung mit dem Geliebten steht auch vor Ablauf des Decenniums kein Hindernis im Wege (vergl. KOHLER in Zeitschr., Bd. 10, S. 120).

klar scheidende Grenze bildet: bis dahin gehört das Weib allen, von da ab nur einem dies Verzeichnis ist so lang, dass ich fürchten kann zu ermüden. Aber die Erscheinungen kehren bei allen Völkern so typisch wieder, dass wir uns ganz kurz zusammenfassen können. Die Jungfrauenehre, die uns so hoch und heilig gilt, ist ihnen unbekannt; im Gegenteil gereicht es dem Mädchen zur Ehre, von vielen geliebt zu sein; je mehr Liebhaber ein Mädchen hat, desto mehr ist es von Freiern umworben und zur Ehe begehrt; und der Mann glaubt, eine Sicherheit für die Fruchtbarkeit der Frau zu haben und schätzt sie daher um so höher, wenn sie schon als Mädchen Kinder gehabt hat. Wir finden diese uns haarsträubend erscheinenden Verhältnisse, die sich aber als Ausläufer der alten Gesamtehe wohl erklären lassen, in Altertum und Neuzeit, an allen möglichen Teilen der Erde. Die Alten berichten uns von den lybischen Völkern der Gindaner 1) und Augiler 2), von sagenhaften Zeiten der Ägypter (Zeit der Könige Rhampsinit und Cheops)3), von den Lydern 4), Thrakern 5) und von den Mädchen von Cypern). Heute herrschen jene Zustände bei vielen Naturvölkern: so in Afrika bei den Ba-Ronga an der Delagoabai), wie überhaupt bei den ostafrikanischen Negervölkern), und in grossen Teilen Westafrikas), wie auch auf

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3) HERODOT 2, 121, 5; 2, 126.

4) HERODOT 1, 93; vergl. ATHENÄUS 12, 11, C. 515 ff.

5) HERODOT 5, 6.

6) Bemerkenswert ist, dass diese vor Eingehung der Einzelehe der Göttin Venus ein Opfer darbrachten (JUSTINUS 18, 5) · also eine Sühnung für den Verstoss gegen die uralten Satzungen der Gottheit (JUSTINUS deutet es so direkt: pro reliqua pudicitia libamenta Veneri soluturas).

7) Zeitschr. Bd. 14, S. 465.

8) Zeitschr. Bd. 15, S. 14, über die Wanyamwesi Andree, Bd. 2, S. 215. 9) KOHLER in Zeitschr., Bd. 5, S. 401, Bd. 6, S. 341; PESCHUUELLÖSCHE in Zeitschr. f. Ethn. 1878, S. 25; KLEMM, Kulturgesch., Bd. 3, S. 282.

Madagaskar1); in Asien bei den wegen ihrer Pflege uralter Überlieferungen bekannten Dravidstämmen Indiens), desgleichen in Birma, wo die vorderindischen Rechtsanschauungen früh Eingang gefunden hatten3) und ferner bei den Ureinwohnern Chinas, die in verschiedenen Teilen des chinesischen Reichs noch heute leben und sich viel an uralten Sitten erhalten haben), und bei den Mongolen"); aber auch in Polynesien auf den Marschall-Inseln), ebenso wie auf dem australischen Kontinent bei den Australnegern'); in der Südsee bei den Palauern), auf Neu-Britannien 9), den Karolinen 10), auch bei den den Papuas stammverwandten Bewohnern der Andamanengruppe im Bengalischen Meerbusen 1), ebenso im nordöstlichen Asien bei den Kamtschadalen 12); auch in Europa bei den

1) FROBEVILLE, Voyage à Madagascar, 1840, S. 145; SIBREE, Madagascar, S. 252 ff.

2) JELLINGHAUS, in Zeitschr. f. Ethn. 1871, S. 365 ff. Dagegen finden wir strenge, ganz konsequent auf dem Boden der Einzelehe stehende Anschauungen im altindischen Gesetzbuch des Manu: Beleidigung der jungfräulichen Ehre wurde streng bestraft, und nur bei der Verehelichung einer Jungfrau durften die heiligen Hochzeitsgebete verlesen werden, die das notwendige Kennzeichen einer rechtmässigen Ehe waren (Buch 8, Vers 225 ff.; vergl. JOLLY, in Zeitschr. Bd. 3, S. 278 A. 1 zu V. 267).

3) KOHLER in Zeitschr., Bd. 6, S. 166.

4) KOHLER in Zeitschrift, S. 406.

5) PRSCHEWALSKI, Reisen in der Mongolei, S. 59. Auch das eheliche Band ist bei den Mongolen sehr locker.

6) Zeitschr., Bd. 12, S. 444, Bd. 14, S. 417.

7) KOHLER, in Zeitschr., Bd. 5. 354; WAITZ, Anthropologie, Bd. 6, S. 774.

8) HELLWALD, in Trewendt's Handwörterbuch der Zoologie. Bd. 2, S. 47, SEMPER, S. 66. An allem diesem zu rühren, verböte aber die alte ehrwürdige Sitte.

9) KOHLER in Zeitschr., Bd. 7, S. 379.
10) KOHLER in Zeitschrift, Bd. 6, S. 327.

11) KOHLER in Zeitschrift, Bd. 5, S. 335.

12) STELLER, Beschreibung v. dem Lande Kamtschatka (1774), S. 343 ff.

Wotjäkischen Finnen1) und in Nordamerika bei fast allen Indianerstämmen 2). Hierhin gehören auch die Probenächte bei der bäuerlichen Bevölkerung des Schwarzwalds und das sogenannte Kiltgehen in der Schweiz, die nach älteren Berichten mindestens bis zum Ende des 18. Jahrhunderts bestanden haben müssen 3).

Dieser Zustand, bei welchem die Gesamtehe der Einzelehe vorausgeht, wird aber bei weiterem Fortschreiten des Gedankens der Einzelehe unhaltbar. Und wie so oft in der Entwickelung des Rechts zu beobachten man schafft die uralten Satzungen nicht formal ab, schon aus religiöser Scheu, weil man dies als einen Frevel gegen die Götter als die Hüter der Urvätersitten betrachtet; aber, was man nicht rundweg zu beseitigen wagt, dem bricht man die Spitze durch Vorkehrungen ab. Dies wurde hier bei vielen Völkern durch die weit über den Erdball verbreitete Sitte der Kinderverlobungen erreicht. Das Mädchen, das verlobt wurde, galt bei den meister. Völkern als der Gesamtheit entzogen und nunmehr nur einem, dem Bräutigam, gehörig. Sie wurde, wie die Neuseeländer es derb und bezeichnend ausdrücken, getabut4), d. h. mit der Schutzmarke des Einzeleigentümers versehen; sie unterstand also nicht mehr. der Gesamtehe. Diese Verlobungen 5) werden oft in sehr frühem

1) Zeitschr., Bd. 12, S. 212, Bd. 5, S. 335; Buch im Ausland 1882, S. 91. Die Wotjäken haben übrigens das bezeichnende Sprichwort: >Liebt der Bauer ein Mädchen nicht, liebt auch Gott es nicht«.

2) Zeitschr., Bd. 12, S. 326 ff., Globus Bd. 29 (1876), S. 327; ebenso bei den südamerikanischen Kariben (WAITZ, Anthropologie, Bd. 3, S. 382). Weitere Nachweise bei POST, Anfänge, S. 24 ff., BANCROFT, Bd. 1, S. 123. 3) MEINERS in dem Göttinger historischen Magazin, Bd. 3, (1788), S. 510 ff.

4) KOHLER in Zeitschr., Bd. 5, S. 356.

5) Ich besinne mich, in meiner Kinderzeit als Kuriosum von KinderVerlobungen in polnischen Judenfamilien gehört zu haben. Doch vermag ich darüber gegenwärtig nichts Sicheres zu ermitteln und stelle daher nur die Möglichkeit hin.

Alter abgeschlossen; ja, es kommt vor, dass die Kinder schon vor ihrer Geburt mit einander verlobt werden, wobei man beide Möglichkeiten der Geburt eines Sohnes oder einer Tochter vorsorglich von vornherein ins Auge fasst. Im Altertum muss die Sitte sehr verbreitet gewesen sein; denn noch die Römer der späteren Kaiserzeit gehen von der Möglichkeit einer Verlobung mit vollendetem 7. Lebensjahre aus1). In Indien bilden die Kinderverlobungen noch heute die Regel) und zwar in allen Teilen, besonders im Nordwesten 3) und so auch im Pendschab4), desgleichen auch im Süden 5) und insbesondere im Dekan) und bei dem schönen und athletischen Gebirgsvolk der Tuda in den blauen Bergen (Nilgherry)). Aber auch sonst können wir unter den heutigen Naturvölkern eine weite Verbreitung der Kinderverlobungen feststellen. So sind sie im Schwang in Polynesien), so auf Neu- Britannien und den Salomonsinseln), wie auch in Neu-Seeland ). Wir finden sie ferner bei den Papuas anf Neu-Guinea 11) und auf dem Konti

1) Vergl. 1. 14 D. 23, 1.
2) Zeitschr., Bd. 4, S. 343,

(1871), S. 366.

PAULLI, Sententiae receptae II, 19, § 1.
Bd. 10, S. 100 ff.; Zeitschr. f. Ethn., Bd. 3,

3) Hier mitunter schon vor der Geburt, KOHLER in Zeitschr., Bd. 11, S. 164.

4) Hier zumeist im 5., 6. oder 7. Jahr, bei einem Bergstamm sogar in der Regel schon vor dem 5. Jahr; KOHLER in Zeitschr., Bd. 7, S. 231, A. 8.

5) Hier auch schon vielfach vor der Geburt, KOHLER in Zeitschrift, Bd. 3, S. 358.

6) KOHLER in Zeitschrift, Bd. 8, S. 115.

7) RITTER, Bd. IV1, S. 1036; MARSHALL, A Phrenologist, S. 221.

8) Zeitschr., Bd. 14, S. 417.

9) KOHLER in Zeitschrift, Bd. 7, 378, 379; hier schon vor der Geburt

der Kinder.

10) KOHLER in Zeitschrift, Bd. 5, S. 356.

1) Zeitschr., Bd. 7, S. 372, Bd. 14, S. 345; HASSEL, in Zeitschr. f. Ethn. 1876, S. 180.

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