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Juden, lagen gebeugt über ihrem Buche und merkten nichts von der wilden Jagd der Zeit, die über ihre Häupter dahinzog!

Wie der Prophet des Morgenlandes sie „das Volk des Buches" nannte, so hat sie der Prophet des Abendlandes 1) in seiner Philosophie der Geschichte als „das Volk des Geistes" bezeichnet. Schon in ihren frühesten Anfängen, wie wir im Pentateuch bemerken, bekunden die Juden ihre Vorneigung für das Abstrakte, und ihre ganze Religion ist nichts als ein Akt der Dialektik, wodurch Materie und Geist getrennt, und das Absolute nur in der alleinigen Form des Geistes anerkannt wird. Welche schauerlich isolierte Stellung mußten sie einnehmen unter den Völkern des Altertums, die, dem freudigen Naturdienste ergeben, den Geist vielmehr in den Erscheinungen der Materie, in Bild und Symbol, begriffen! Welche entsetzliche Opposition bildeten sie deshalb gegen das buntgefärbte, hieroglyphenwimmelnde Ägypten, gegen Phönizien, den großen Freudetempel der Astarte, oder gar gegen die schöne Sünderin, das holde, süßduftige Babylon und endlich gar gegen Griechenland, die blühende Heimat der Kunst!

Es ist ein merkwürdiges Schauspiel, wie das Volk des Geistes sich allmählich ganz von der Materie befreit, sich ganz spiritualisiert. Moses gab dem Geiste gleichsam materielle Bollwerke gegen den realen Andrang der Nachbarvölker; rings um das Feld, wo er Geist gesäet, pflanzte er das schroffe Zeremonialgesez und eine egoistische Nationalität als schüßende Dornhecke. Als aber die heilige Geistpflanze so tiefe Wurzel geschlagen und so himmelhoch emporgeschossen, daß sie nicht mehr ausgereutet werden konnte, da kam Jesus Christus und riß das Zeremonialgesetz nieder, das fürder keine nüßliche Bedeutung mehr hatte, und er sprach sogar das Vernichtungsurteil über die jüdische Nationalität . . Er berief alle Völker der Erde zur Teilnahme an dem Reiche Gottes, das früher nur einem einzigen auserlesenen Gottesvolke gehörte, er gab der ganzen Menschheit das jüdische Bürgerrecht Das war eine große Emanzipationsfrage, die jedoch weit großmütiger gelöst wurde, wie die heutigen Emanzipationsfragen in Sachsen und in HanFreilich, der Erlöser, der seine Brüder vom Zere

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1) Hegel" steht in der französischen Ausgabe.

monialgesez und der Nationalität befreite und den Kosmopolitismus stiftete, ward ein Opfer seiner Humanität, und der Stadtmagistrat von Jerusalem ließ ihn kreuzigen und der Pöbel verspottete ihn . . .

Aber nur der Leib ward verspottet und gekreuzigt, der Geist ward verherrlicht, und das Märtyrtum des Triumphators, der dem Geiste die Weltherrschaft erwarb, ward Sinnbild dieses Sieges, und die ganze Menschheit strebte seitdem, in imitationem Christi, nach leiblicher Abtötung und übersinnlichem Aufgehen im absoluten Geiste . . .

Wann wird die Harmonie wieder eintreten, wann wird die Welt wieder gesunden von dem einseitigen Streben nach Vergeistigung, dem tollen Frrtume, wodurch sowohl Seele wie Körper erkrankten! Ein großes Heilmittel liegt in der poli= tischen Bewegung und in der Kunst. Napoleon und Goethe haben trefflich gewirkt. Jener, indem er die Völker zwang, sich allerlei gesunde Körperbewegung zu gestatten; dieser, indem er uns wieder für griechische Kunst empfänglich machte und solide Werke schuf, woran wir uns, wie an marmornen Götterbildern, festklammern können, um nicht unterzugehen im Nebelmeer des absoluten Geistes 1)

Helgoland, den 18. Julius.

Im Alten Testamente habe ich das erste Buch Mosis ganz durchgelesen. Wie lange Karawanenzüge zog die heilige Vorwelt durch meinen Geist. Die Kamele ragen hervor. Auf ihrem hohen Rücken sizen die verschleierten Rosen von Kanaan. Fromme Viehhirten, Ochsen und Kühe vor sich hintreibend. Das zieht über kahle Berge, heiße Sandflächen, wo nur hie und da eine Palmengruppe zum Vorschein kommt und Kühlung fächelt. Die Knechte graben Brunnen. Süßes, stilles, hellsonniges Morgenland! Wie lieblich ruht es sich unter deinen Zelten! O Laban, könnte ich deine Herden weiden! Ich würde dir gerne sieben Jahre dienen um Rahel, und noch andere sieben Jahre für die Lea, die du mir in den Kauf giebst! Ich höre, wie sie blöken,

1) bes Spiritualismus“ steht in der französischen Ausgabe.

die Schafe Jakobs und ich sehe, wie er ihnen die geschälten Stäbe vorhält, wenn sie in der Brunstzeit zur Tränke gehn. Die gesprenkelten gehören jezt uns. Unterdessen kommt Ruben nach Hause und bringt seiner Mutter einen Strauß Dudaim1), die er auf dem Felde gepflückt. Rahel verlangt die Dudaim, und Lea giebt sie ihr mit der Bedingung, daß Jakob die nächste Nacht bei ihr schlafe. Was sind Dudaim? Die Kommentatoren haben sich vergebens darüber den Kopf zerbrochen. Luther weiß sich nicht besser zu helfen, als daß er diese Blumen ebenfalls Dudaim nennt. Es sind vielleicht schwäbische Gelbveiglein. Die Liebesgeschichte von der Dina und dem jungen Sichem hat mich sehr gerührt. Ihre Brüder Simeon und Levi haben jedoch die Sache nicht so sentimentalisch aufgefaßt. Abscheulich ist es, daß sie den unglücklichen Sichem und alle seine Angehörigen mit grimmiger Hinterlist erwürgten, obgleich der arme Liebhaber sich anheischig machte, ihre Schwester zu heiraten, ihnen Länder und Güter zu geben, sich mit ihnen zu einer einzigen Familie zu verbünden, obgleich er bereits in dieser Absicht sich und sein ganzes Volk beschneiden ließ. Die beiden Burschen. hätten froh sein sollen, daß ihre Schwester eine so glänzende Partie machte, die angelobte Verschwägerung war für ihren Stamm von höchstem Nußen, und dabei gewannen sie außer der kostbarsten Morgengabe auch eine gute Strecke Land, dessen sie eben sehr bedurften . . . Man kann sich nicht anständiger aufführen, wie dieser verliebte Sichemprinz, der am Ende doch nur aus Liebe die Rechte der Ehe antizipiert hatte . . . Aber das ist es, er hatte ihre Schwester geschwächt, und für dieses Vergehen giebt es bei jenen ehrstolzen Brüdern keine andere Buße, als den Tod . . . und wenn der Vater sie ob ihrer blutigen That zur Rede stellt und die Vorteile erwähnt, die ihnen die Verschwägerung mit Sichem verschafft hätte, antworten sie: „Sollten wir etwa Handel treiben mit der Jungferschaft unserer Schwester ?"

Störrige, grausame Herzen, diese Brüder. Aber unter dem harten Stein duftet das zarteste Sittlichkeitsgefühl. Sonderbar, dieses Sittlichkeitsgefühl, wie es sich noch bei anderen Gelegenheiten im Leben der Erzväter äußert, ist nicht Resultat einer

1) Nicht Judaim," wie in allen bisherigen Ausgaben steht. Vgl. I. Mose, 30. 14 ff., und über das Folgende I. Mose, 34, 1 ff.

Heine. VII.

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nein,

positiven Religion oder einer politischen Gesetzgebung damals gab es bei den Vorfahren der Juden weder positive Religion, noch politisches Gesetz, beides entstand erst in späterer Zeit. Ich glaube daher behaupten zu können, die Sittlichkeit ist unabhängig von Dogma und Legislation, sie ist ein reines Produkt des gesunden Menschengefühls, und die wahre Sittlich keit, die Vernunft des Herzens, wird ewig fortleben, wenn auch Kirche und Staat zu Grunde gehen.

Ich wünschte, wir besäßen ein anderes Wort zur Bezeichnung dessen, was wir jezt Sittlichkeit nennen. Wir könnten sonst verleitet werden, die Sittlichkeit als ein Produkt der Sitte zu betrachten. 1) Die romanischen Völker sind in demselben Falle, indem ihr morale von mores abgeleitet worden. Aber wahre Sittlichkeit ist, wie von Dogma und Legislation, so auch von den Sitten eines Volkes unabhängig. Lettere sind Erzeugnisse des Klimas, der Geschichte, und aus solchen Faktoren entstanden Legislation und Dogmatik. Es giebt daher eine indische, eine chinesische, eine christliche Sitte, aber es giebt nur eine einzige, nämlich eine menschliche Sittlichkeit. Diese läßt sich vielleicht nicht im Begriff erfassen, und das Gesetz der Sittlichkeit, das wir Moral nennen, ist nur eine dialektische Spielerei. Die Sittlichkeit offenbart sich in Handlungen, und nur in den Motiven derselben, nicht in ihrer Form und Farbe liegt die sittliche Bedeutung. Auf dem Titelblatt von Golowins Reise nach Japan 2) stehen als Motto die schönen Worte, welche der russische Reisende von einem vornehmen Japanesen vernommen: Die Sitten der Völker sind verschieden, aber gute Handlungen werden überall als solche anerkannt werden."

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Solange ich denke, habe ich über diesen Gegenstand, die Sittlichkeit, nachgedacht. Das Problem über die Natur des Guten und Bösen, das seit anderthalb Jahrtausend alle große Gemüter in quälende Bewegung gesezt, hat sich bei mir nur in der Frage von der Sittlichkeit geltend gemacht

Aus dem Alten Testament springe ich manchmal ins Neue, und auch hier überschauert mich die Allmacht des großen Buches. Welchen heiligen Boden betritt hier dein Fuß! Bei dieser

1) Der folgende Sat fehlt in der französischen Ausgabe.
2) W. M. Golowin: Reise nach Japan" (Leipzig 1817).

Lektüre sollte man die Schuhe ausziehen, wie in der Nähe von Heiligtümern.

Die merkwürdigsten Worte des Neuen Testaments sind für mich die Stelle im Evangelium Johannis, Kap. 16, Vers 12 u. 13. „Ich habe euch noch viel zu sagen, aber ihr könnet es jezt nicht tragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit leiten. Denn er wird nicht von sich selbst reden, sondern, was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen." Das lehte Wort ist also nicht gesagt worden, und hier ist vielleicht der Ring, woran sich eine neue Offenbarung knüpfen läßt. Sie beginnt mit der Erlösung vom Worte, macht dem Märtyrtum ein Ende, und stiftet das Reich der ewigen Freude: das Millenium. Alle Verheißungen finden zulezt die reichste Erfüllung.

Eine gewisse mystische Doppelsinnigkeit ist vorherrschend im Neuen Testamente. Eine kluge Abschweifung, nicht ein System sind die Worte: „Gieb Cäsarn, was des Cäsars, und Gott, was Gottes ist." So auch, wenn man Christum frägt: „Bist du König der Juden?" ist die Antwort ausweichend. Ebenfalls auf die Frage, ob er Gottes Sohn sei? Muhammed zeigt sich weit offener, bestimmter. Als man ihn mit einer ähnlichen Frage anging, nämlich, ob er Gottes Sohn sei, antwortete er: Gott hat keine Kinder.

Welch ein großes Drama ist die Passion! Und wie tief ist es motiviert durch die Prophezeiungen des Alten Testaments! Sie konnte nicht umgangen werden, sie war das rote Siegel der Beglaubnis. ) Gleich den Wundern, so hat auch die Passion als Annonce gedient . . . Wenn jezt ein Heiland aufsteht, braucht er sich nicht mehr kreuzigen zu lassen, um seine Lehre eindrücklich zu veröffentlichen ... er läßt sie ruhig drucken, und annonciert das Büchlein in der Allgemeinen Zeitung“ mit sechs Kreuzern die Zeile Inserationsgebühr.

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Welche süße Gestalt, dieser Gottmensch! Wie borniert erscheint, in Vergleichung mit ihm, der Heros des Alten Testaments! Moses liebt sein Volk mit einer rührenden Innigkeit; wie eine Mutter sorgt er für die Zukunft dieses Volks. Christus

1) testamentum," steht hier noch in der französischen Ausgabe.

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