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vorausgesetzt, dass er unbetheiligter Zuschauer ist (a calm bystander. princ. of eth. phil. p. 58), so widerlegt ihn die Denkweise der frühern Bewohner seines eigenen Vaterlandes. Die Achtung, deren sich bei den Bogos der Räuber, der Schreck der Nachbarschaft erfreut, der des Blutes und Raubes nie satt wird, widerlegt Adam Smith, der behauptet: seines Nächsten Glück zu zerstören, weil es dem eigenen im Wege steht; ihm fortzunehmen, was nützlich für ihn ist, blos weil es von gleichem oder grösserm Werth für mich ist, eine solche Handlungsweise kann kein unparteiischer Zuschauer billigen (Theory of mor. sent. p. 180). Die Neigung dieses Philosophen, zu verallgemeinern, ist so stark, dass er selbst die Begriffe von Schicklichkeit, welche in seinem Stande herrschen, für allgemein menschliche hält. Gierig zu essen, meint er, gilt überall für unschicklich (ib. p. 51).

Versprich irgend Jemandem, sagt Hutcheson, alle Belohnungen der Welt oder drohe ihm mit allen Strafen, du wirst ihn nicht dahin bringen können, Achtung vor einem Menschen zu haben, der grausam ist (princ. of beauty and virt. p. 135). Diese Achtung würde dem Grausamen ungezwungen von jenem Häuptling gezollt werden, welcher vollendete Grausamkeit zu den Tugenden seines Sohnes zählte.

Der Satz,,dieser Mensch ist tugendhaft, aber er kennt kein Mitleid" klingt, nach Schopenhauers Meinung, jedem ungereimt (Eth. p. 236). Dort indessen würde man sogar sagen: Dieser Mensch ist tugendhaft, denn er kennt kein Mitleid; er ist grausam, unerbittlich; wegen einer geringen Beleidigung hat er den Beleidiger selbst und dessen ganze Familie erschlagen.

Der Irrthum dieser Philosophen besteht darin, dass von ihnen ein Theil für das Ganze genommen worden ist. Ihre Kirchspielmoral haben sie für diejenige des Erdkreises ge

halten.

Auch die Behauptung Kant's: ein Sittengesetz, welches Handlungen verbietet, deren Allgemeinwerden man nicht wollen kann, dränge sich dem Bewusstsein jedes Menschen auf, wird durch die Moral der Menschenfresser drastisch widerlegt. Kaum von irgend einer Handlung kann der Handelnde ernstlicher wollen, dass sie nicht allgemein werde, als von der Menschenfresserei (denn sonst könnte einmal an ihn die Reihe kommen, gefressen zu werden). Keine Handlung wird somit energischer vom kategorischen Imperativ verboten, von dem Sittengesetz, welches, nach Kant, in dem Bewusstsein jedes Menschen a priori vorhanden ist, gleichwie die Formen des Raums, der Zeit. Da nun das sittliche Bewusstsein der Kannibalen Menschenfresserei trotzdem für eine löbliche Handlungsweise erklärt; da ihr Gerechtigkeitsgefühl selbst im Jenseits dafür Belohnung fordert, so entsteht die Frage: wo ist, wenn ihr Gewissen sich in diesem Sinne äussert, der kategorische Imperativ, dessen sich jeder, wie Kant meint, unmittelbar bewusst wird, dessen Stimme selbst den kühnsten Frevler zittern macht und ihn nöthigt, sich vor seinem Anblick zu verbergen; dessen Bewusstsein ein Faktum der Vernunft zu nennen ist, weil es sich für sich selbst uns aufdrängt, und zwar der gemeinsten Menschenvernunft ebensowohl, wie der im höchsten Maasse spekulativen; dessen Uebertretung auch in dem verruchtesten Menschen eine Verabscheuung seiner selbst bewirkt? (Grdl. z. Met. d. Sit. p. 22; Met. d. Sitten p. 211; Kr. d. prakt. Vern. p. 33, 36, 96 Kirchm.).

Aber, wird man einwenden, Kant hat doch auch gewusst, dass es Menschenfresser nicht blos giebt, sondern dass sie mit gutem Gewissen fressen. Folgt hieraus nicht weiter, dass das Sittengesetz auch nach Kant ein Produkt der Geschichte ist? Nein. Wir stellen es in Abrede, dass Kant das Moralische historisch aufgefasst habe. Denn der Schwierigkeiten, eine solche Auffassung im Uebrigen mit der Kant'schen Ethik zu reimen, sind so zahlreiche und offenbare, dass Kant, wir können nicht daran zweifeln, auf ihre Beseitigung bedacht gewesen wäre. Er hätte uns nicht rathlos vor selbstgeschaffenen Räthseln stehen lassen. Diese Schwierigkeiten sind:

1) Wenn das Sittengesetz, welches Handlungen verbietet, deren Allgemeinwerden man nicht wollen kann, nach Kant's Meinung nicht immer, nicht in jedem Menschen vorhanden war, so sind die Stellen unverständlich, in welchen Kant ausdrücklich sagt, dass es sich dem Bewusstsein jedes Menschen aufdränge. Den oben citirten Stellen fügen wir noch die folgende hinzu: ,,Das moralische Gesetz drängt sich auch dem ärgsten Menschen kraft seiner moralischen Anlage unwiderstehlich auf" (Rel. innerh. d. Gr. d. bl. V. p. 39 Kirchm.).

2) Wenn das Sittengesetz in der Zeit geworden ist, so entsteht die Frage: in welchem Zeitpunkt hat es zuerst sich gezeigt? Offenbar nicht erst seit und durch Kant. Denn es war, nach Kant's eigenen Worten, längst vor ihm in aller Menschen Vernunft und ihrem Wesen einverleibt (K. d. p. V. p. 126). Aber wie lange vor ihm? In welches Jahr, in welchen Monat fällt der Geburtstag des kategorischen Imperativs?

3) Auf welchem Wege ist dieses Gesetz zur Welt und in das Bewusstsein der Menschen gekommen? Haben Einzelne

es entdeckt und den übrigen davon Mittheilung gemacht? oder liegt es auf einer gewissen Bildungsstufe der Menschheit in der Luft und wird von allen, welche auf ihr sich befinden, percipirt?

Diese Schwierigkeiten, welche bei der historischen Auffassung seines Sittengesetzes entstehen, würde Kant nicht. wortlos übergangen haben. Da ist noch eher anzunehmen, dass die historische Auffassung des Moralischen überhaupt nicht in den Kreis seiner Ideen fiel; dass ihm der kategorische Imperativ wirklich von vornherein in allen Menschen, also auch in den Kannibalen vorhanden war; dass dieselben, seiner Meinung nach, nicht mit gutem, sondern mit bösem Gewissen fressen.

Hierfür spricht noch die folgende Stelle: Kant sagt von den Philosophen des Eudä monismus, dass sie dreist genug seien, sich gegen die himmlische Stimme des kategorischen Imperativs taub zu machen (K. d. p. V. p. 41 Kirchm.). Wenn Kant nun meinen konnte, dass Epicur und Helvetius ihre Systeme unter Gewissensbissen aufgestellt und vertreten hätten, wird er dann nicht erst recht gemeint haben, dass die Menschenfresser ihr Mahl unter Gewissensbissen verzehren?

Auf ähnliche Schwierigkeiten würde die Annahme stossen, dass das Sittengesetz, nach Kant, bei den niedrig kultivirten Völkern korrumpirt und zwar bis zur Austilgung korrumpirt worden sei. Wann und wodurch ist diese Korruption eingetreten? Wann und wodurch wird sie beseitigt? Ausserdem: durch Anwendung welcher Mittel kann ein Begriff a priori getilgt werden? Der kategorische Imperativ ist ja ebenso a priori, wie Raum, Zeit, Kausalität (cf. p. 11 u. 12). Ist es nun die Meinung Kant's, dass die Anschauungsform a priori des Raums oder

die Verstandesbegriffe a priori der Kausalität, der Substanz irgendwodurch aus dem Erkenntnissvermögen entfernt werden können? Offenbar nicht. Vielmehr ist Unaustilgbarkeit gerade das Wesen der Begriffe a priori, also auch, sollte man denken, des Sittlichkeitsbegriffs.1

Wie wir nun oben schlossen: Kant hat den kategorischen Imperativ bei den unkultivirten Völkern schon vorhanden geglaubt; sonst hätte er seine Entstehungsgeschichte erörtert; so schliessen wir hier: Kant glaubte sein Sittengesetz dort noch vorhanden; sonst hätte er sich mit der Art und mit der Möglichkeit der Austilgung dieses Begriffes a priori beschäftigt.

Für diese Auffassung der Ethik Kant's spricht endlich noch folgende Stelle: Auch der ärgste Mensch thut auf das

1 Wohlverstanden: unvereinbar scheint es uns mit dem Charakter eines a priori in jedem vorhandenen Sittengesetzes auf ganzen Kulturstufen nicht vorhanden zu sein.

Hingegen ist es mit der Apriorität des Gesetzes vereinbar, keinen Gehorsam zu finden (cf. p. 12). Diesen Widerstreit zwischen dem, was wir unserm Bewusstsein nach sein sollen und dem, was wir wirklich sind, meint Kant, wenn er sagt: Gesetzt, dass man auch in der Erfahrung kein Beispiel, da das moralische Gesetz genau befolgt wäre, auftreiben könnte, so ist dasselbe doch gleichsam ein Faktum der reinen Vernunft“ (K. d. p. V. p. 56 Kirchm.) Und: „alle Hochpreisungen, die das Ideal der Menschheit in ihrer moralischen Vollkommenheit betreffen, können durch die Beispiele des Widerspiels dessen, was die Menschen jetzt sind, gewesen sind oder zukünftig sein werden, an ihrer praktischen Realität nichts verlieren und die Anthropologie, welche aus blossen Erfahrungskenntnissen hervorgeht, kann der Anthroponomie, welche von der unbedingt gesetzgebenden Vernunft aufgestellt wird, keinen Abbruch thun“ (Met. der Sitt. p. 242 Kirchm.). Aber, wie dieser Nomos der reinen gesetzgebenden Vernunft von ganzen Völkern nicht nur nicht befolgt werden, sondern in ihrer Vernunft fehlen kann; wie es denkbar ist, dass statt seiner andere Sittlichkeitsbegriffe thronen, die Frage hätte Kant gestellt und beantwortet, wenn der kategorische Imperativ, seiner Meinung nach, aus dem Bewusstsein des unkultivirten Menschen getilgt wäre.

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