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der Verpflichtung bestimmen oder auch, wenigstens gültig, teilweise oder ganz wieder aufheben.

Wir sagen: wenigstens gültig. Denn viele positive Geseze enthalten Forderungen, die schon im natürlichen Sittengesez enthalten und zum allgemeinen Wohl in jedem öffentlichen Gemeinwesen notwendig sind, so z. B. das Verbot des Mordes und Diebstahls und die Bestrafung derselben. Die Aufhebung solcher Verbote und Strafen wäre unvernünftig und unerlaubt. Übrigens würde die Beseitigung des positiven Gesezes das naturgesetzliche Verbot solcher Handlungen nicht aufheben.

Obwohl die positiven Gesetze geändert werden können, so sollen sie doch nicht leicht geändert werden. In dieser Beziehung geschieht vielleicht in unsern heutigen Volksvertretungen des Guten zu viel. Damit die Abschaffung eines Gesezes ratsam sei, genügt nicht, daß sich ein anderes, in etwa besseres darbiete. Ein in die Anschauungen und Gewohnheiten des Volkes übergegangenes Gesetz soll nur dann durch ein neues ersetzt werden, wenn dieses weit überwiegende große Vorteile verspricht. Denn jede derartige Veränderung gleicht einer chirurgischen Operation an einem lebendigen Organismus. Die Gewohnheit macht die Beobachtung eines Gesezes leicht und schüßt sie folg= lich. Ein Gesez erscheint auch dem Volke um so ehrwürdiger und unverleßlicher, je älter es ist. Häufige Änderungen vermindern das Ansehen des Gesetzes und erschweren auch die genaue Kenntnis desselben, die doch zu seiner Beobachtung erforderlich ist1.

2. Der Gesetzgeber kann, wie das Gesez aufheben oder verändern, so auch einzelne Untergebene von demselben dispensieren, d. h. sie von seiner Verpflichtung entbinden. Es kann ein allgemeines Gesez durchschnittlich dem Ge= samtwohl zuträglich, ja notwendig sein und doch für eine bestimmte Person unter besondern Umständen hinderlich oder nachteilig werden. Wollte man nun, außer im Falle einleuchtender und dringender Gefahr, das Urteil hierüber den einzelnen selbst überlassen, so wäre das aus naheliegenden Gründen allzu gefährlich. Deshalb ist es im Interesse der Gesamtheit, daß die Obrigkeit selbst von den gegebenen Gesetzen aus vernünftigen Gründen entbinden oder dispen= sieren könne.

3. Als dem Urheber steht dem Gesetzgeber im Zweifel über den Sinn des Gesetzes die Erklärung oder Interpretation desselben zu. Die Erklärung des Gesezes, welche der Gesetzgeber selbst oder der zu seiner Stellvertretung Bestimmte gibt, heißt die authentische, öffentliche oder autoritative, weil sie bindende Kraft hat. Hierdurch unterscheidet sie sich von der bloß doktrinellen Erklärung, welche von Privatgelehrten (Juristen, Kanoniften) ohne öffentliche Ermächtigung gegeben wird.

Verschieden von der Erklärung der Geseze ist die sogenannte Epitie (лeixeia), welche, geftüßt auf die allgemeinen Grundsäße der Billigkeit, das

1 Schön und weise ist das Wort, das Kaiser Friedrich in seinem Programm an Fürst Bismarck richtete (am 12. März 1888): „Die Verfassungs- und Rechtsordnungen des Reiches und Preußens müssen vor allem in der Ehrfurcht und in den Sitten der Nation sich befestigen. Es sind daher die Erschütterungen möglichst zu vermeiden, welche häufiger Wechsel der Staatseinrichtungen und Geseze veranlaßt."

positive Gesez in einem besondern Falle gegen seinen Wortsinn anwendet oder auslegt (S. 327). Weil der menschliche Gesetzgeber nicht alle einzelnen Fälle voraussehen kann, so ist es möglich, daß die buchstäbliche Befolgung eines an sich guten Gesezes in einem ausnahmsweisen Fall sich nachteilig erwiese. In einem solchen Fall wird mit Recht angenommen oder vermutet (präsumiert), der Gesetzgeber habe für diesen Fall nicht verpflichten wollen. Natürlich darf man sich nur dann durch eine solche Vermutung (Präsumtion) vom Gesetz entbinden, wenn entweder ein Entscheid des Obern nicht eingeholt werden kann oder das Gesez ungerecht und schädlich wird.

4. Nicht nur durch den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, sondern auch durch gegenteilige Gewohnheit kann ein Gesetz abgeschafft oder verändert werden. Doch hiervon wird weiter unten beim Gewohnheitsrecht die Rede sein.

Sechstes Buch.

Das Gewissen.

Erstes Kapitel.

Begriff und Arten des Gewissens.

Damit der Mensch die Geseze befolgen und in seinem Leben gewissermaßen ausprägen könne, genügt die Kenntnis derselben nicht. Denn das Gesez ist ein allgemeiner, von den besondern Umständen absehender Grundsay. Dieser muß erst auf die einzelnen konkreten Fällen und Umstände angewendet werden, damit er als unmittelbare Richtschnur des Verhaltens diener. könne. Diese Anwendung geschieht durch das Gewissen.

§ 1. Begriff des Gewissens.

1. Die Sprachen der bedeutendsten Kulturvölker bezeichnen das Gewissen mit Ausdrücken, die auf ein Erkennen oder Wissen hindeuten. Beim deutschen Gewissen liegt dies zu Tage, ebenso beim griechischen ovverdós und ovveidŋos (avveidévα) und beim lateinischen conscientia (von conscire) 1. Schon hierin liegt ein deutlicher Hinweis, daß wir das Gewissen im Verstande zu suchen haben. Auf den Verstand deuten auch die Tätigkeiten hin, die wir dem Gewissen zuschreiben: das Gewissen klagt den Menschen an, hält ihm das Böse vor, macht ihm Vorwürfe, zeigt ihm seine Pflicht, manchmal ist das Gewissen ein irriges usw.

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Das Gewissen kann ferner nicht in der bloßen habituellen Erkenntnis der sittlichen Grundsäge (synderesis habitus principiorum practicorum) bestehen, die manchmal auch in einem gewissenlosen Menschen sehr entwickelt ist 2.

1Jm Lateinischen ist übrigens conscientia zweideutig, da es nicht bloß Gewissen, sondern auch Bewußtsein bedeutet.

2 Es ist unrichtig, wenn neuere Schriftsteller, z. B. Jodl (Geschichte der Ethit I 73), die scholastische synderesis als identisch mit dem Gewissen ansehen.

Es kann nur in einer Betätigung unserer praktischen Vernunft bestehen, und zwar in einer solchen, durch welche der Verstand die einzelnen konkreten Handlungen im Lichte der allgemeinen sittlichen Grundsäße beurteilt. Man kann also das Gewiffen im weitesten Sinne definieren: das unmittelbar praktische Urteil über den sittlichen Charakter (Wert) unserer Handlungen1.

2. Wir sagen: das unmittelbar praktische Urteil, um es von dem allgemeinen, abstrakten Urteil über die Gutheit oder Schlechtheit einer Handlung zu unterscheiden. Wenn ich bloß im allgemeinen urteile: Die Lüge ist unerlaubt, so ist das noch kein Urteil des Gewissens. Erst wenn ich auf Grund dieses allgemeinen Urteils oder Gesezes mir sage: Was du geredet hast oder reden willst, ist unerlaubt, weil es eine Lüge ist, habe ich ein Urteil des Gewissens. Das Gewissen hat es mit den einzelnen, konkreten Handlungen zu tun. Es gleicht in dieser Beziehung dem Richter, der nicht Handlungen im allgemeinen verurteilt, sondern nur konkrete, bestimmte Vergehen. Ähnlich wie der Richter, gelangt auch das Gewissen zu seinem Urteil durch eine Art Schlußfolgerung. Der Richter wendet die allgemeinen Geseze auf einen konkreten Fall an oder subsumiert die Handlungen unter ein allgemeines Gesez. So macht es auch das Gewissen oder genauer gesprochen: der Verstand beim Gewissen. Er urteilt z. B.: Was du sagen willst, ist eine Lüge; nun ist aber die Lüge unerlaubt; also darfst du nicht sagen, was du sagen willst 2.

Wundt nennt diese Lehre, derzufolge das Gewissen die Schlußfolgerung aus einem Syllogismus ist, eine „gekünftelte Theorie", welche eine nachträgliche Reflexion über den Gegenstand in den Gegenstand selbst hineintrages. Dieser Vorwurf könnte in etwa berechtigt erscheinen, wenn wir behaupteten, der Ver= stand müsse jedesmal einen eigentlichen, formellen Syllogismus bilden. Dem ist aber nicht so. Aus den allgemeinen Grundsägen geht der Verstand oft unmittelbar und ohne förmlichen Syllogismus zur konkreten Anwendung über. Aber immerhin bleibt wahr, daß das Gewissen durch Anwendung allgemeiner Grundsäge auf konkrete Handlungen entsteht. Darin liegt nichts Außerordentliches. Auf allen praktischen Gebieten bestimmt der Verstand, was man tun solle, durch Anwendung allgemeiner Regeln auf konkrete Fälle. Man frage den Landmann, warum er seinen Acker im Herbst oder Frühling und nicht erst im Sommer bestelle, warum er die Bäume nicht im Frühling, sondern im Winter beschneide, er wird gleich mit einem allgemeinen Erfahrungssage antworten. Man frage die Eltern in Deutschland, warum sie ihre Kinder im bestimmten Alter zur Schule schicken, sie werden gleich antworten: Das ist Gesetz. Die Gesetzgebung stellt allgemeine Regeln auf. Die praktische Anwendung auf sich selbst muß der einzelne machen, und sie ist nur durch einen wenigstens virtuellen Syllogismus möglich.

1 S. Thom., S. th. 1, 2, q. 19, a. 5: Conscientia nihil aliud est quam applicatio scientiae ad aliquem actum.

2 S. Thom., S. th. 1, 2, q. 90, a. 1 ad 2: Ratio etiam practica utitur quodam syllogismo in operabilibus; De Veritat. q. 17, a. 2: Conscientia perficitur quasi quodam syllogismo particulari. Vgl. Aristot., Ethic. Nic. VII, c. 5.

3 Ethit. 481.

Cathrein, Moralphilosophie. I. 4. Aufl.

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3. Die konkreten Handlungen, welche den Gegenstand des Gewissens bilden, können zukünftige oder vergangene sein. Dementsprechend wird das Gewissen eingeteilt in das vorhergehende (conscientia antecedens) und das nachfolgende Gewissen (conscientia consequens). Jenes hat die zu künftigen, dieses die vergangenen Handlungen zum Gegenstand; jenes wird auch das leitende oder verpflichtende, dieses das richtende oder rügende Gewissen genannt. Wir teilten die Handlungen in zukünftige oder vergangene ein. Gibt es nicht auch gegenwärtige? Allerdings, doch kommen fie als gegenwärtige nicht in Betracht, denn das Urteil richtet sich zunächst und unmittelbar auf den Willen oder auf die Handlung, sofern sie vom Willen ausgeht. Für die Beurteilung des Gewissens ist aber der Willensentschluß entweder schon vorhanden oder steht erst bevor. Im ersten Fall ge hört er der Vergangenheit, im zweiten der Zukunft an.

§ 2. Das nachfolgende Gewissen.

Das nachfolgende Gewissen beurteilt die geschehene Tat an dem Maßstabe des Gesezes und erkennt auf Schuld oder Verdienst. Man kann es mit Schopenhauer das „Protokoll“ unseres sittlichen Verhaltens nennen. Haben wir ein erkanntes Gesetz übertreten, so rügt es die Tat; haben wir es befolgt, so billigt und lobt es unser Verhalten. Das ist das Zeugnis des Gewissens.

Je nachdem das nachfolgende Gewissen unser Verhalten lobt oder tadelt, heißt es gut oder böse. Wir reden auch von einem ruhigen, reinen, fleckenlosen Gewissen, wenn wir uns keiner Schuld bewußt sind.

Die Wirkungen des guten und bösen Gewissens bleiben natürlich nicht im Verstande stehen, sondern spielen auf die Affekte des Begehrungsvermögens über und treten hier als Freude, Trost, Ruhe oder Angst, Mißbehagen, Unruhe zu Tage. Gerade wegen dieser Folgen reden wir auch von Gewissens bissen, denn die Verurteilung des Gewissens gleicht einem Biß, der Unbehagen, Angst und Schmerz zur Folge hat.

Wir gebrauchen allerdings den Ausdruck Gewissen zuweilen auch, um den Gegenstand oder die Wirkungen und Begleiterscheinungen des Gewissens zu bezeichnen. So reden wir von Reinigung des Gewissens, von Gewissenserforschung. Sein Gewissen erforschen heißt sein vergangenes Verhalten überdenken, um zu erkennen, ob und wie man gut oder schlecht gehandelt habe. Solange der Mensch seine Aufmerksamkeit auf äußere Dinge richtet, kann ihm manche Gesezesübertretung, wenigstens in unwichtigeren Dingen nur halb zum Bewußtsein kommen. Erst wenn er sich sammelt und sein ganzes Tun überschaut, gewinnt er ein klares Urteil über dasselbe. Wir haben es also hier mit einer übertragenen Bedeutung des Gewissens zu tun, indem diese Benennung vom Gewissen auf seinen Gegenstand übergeht. Derartige Übertragungen sind sehr häufig1 und beweisen nicht, daß das Gewissen im eigentlichen Sinn nicht das praktische Verstandesurteil sei.

1 So wird oft der Ausdruck Wissen und Wissenschaft vom Erkenntnisakt auf den Gegenstand desselben übertragen. Inquinatio, sagt der hl. Thomas (1, q. 79, a. 13

§ 3. Das vorhergehende Gewissen.

1. Das vorhergehende Gewissen zeigt uns, wie wir unser Verhalten einrichten sollen, weshalb es auch das verpflichtende Gewissen heißt. Es befaßt sich nur mit zukünftigen Handlungen, weil nur in Bezug auf diese von einem Sollen die Rede sein kann. Die Vergangenheit steht nicht mehr in unserer Gewalt. Es läßt sich definieren als das unmittelbar prak= tische Urteil über den sittlichen Charakter unserer zukünftigen Handlungen. Sobald eine Handlung in Frage kommt, beurteilt unser Verstand dieselbe im Lichte der allgemeinen sittlichen Grundsäße mit Berücksichtigung aller konkreten Umstände. Dieses unmittelbar praktische Urteil ist das vorhergehende Gewissen. Zuweilen wird auch die habituelle Fertigkeit zu solchen Ur= teilen Gewissen genannt.

2. Die Betätigungen des vorhergehenden Gewissens lassen sich auf vier Arten zurückführen: a) Zuweilen gebietet das Gewissen oder sagt uns, wir seien zu einer Handlung durch das Gesez verpflichtet. b) Zuweilen verbietet es ein Tun oder verpflichtet uns zu einer Unterlassung. c) Andere Male rät uns das Gewissen eine Tat als gut und verdienstlich an, obwohl sie nicht strenge Pflicht ist. d) Endlich erlaubt es uns manche Handlungen als in sich sittlich gleichgültig.

Das Gewissen besteht also nicht bloß in der Anwendung der Geseze auf konkrete Fälle, sondern in der Anwendung jeder Art von Grundsägen, die sich auf das sittliche Verhalten des Menschen beziehen. Es wendet nicht bloß das natürliche Sitten gesez, sondern auch die positiven göttlichen und menschlichen, kirchlichen und staatlichen Geseze, ferner alle Gebote und Verordnungen der verschiedensten Vorgesezten, endlich alle Räte (consilia), die uns zeigen, was lobenswert und verdienstlich, auf das praktische Ver= halten an. Alle Geseze und Gebote können eben nur durch Vermittlung des Gewissens unser Verhalten im einzelnen regeln. Wie der Brennspiegel alle Sonnenstrahlen in einem Punkte vereinigt, so sammelt das Gewissen alle gött= lichen und menschlichen Sagungen und Gebote, beleuchtet durch dieselben die konkreten Handlungen und hält so dem Willen die unmittelbare Richtschnur des Verhaltens vor.

3. Diese Lehre vom Gewissen beweist sonnenklar die Unrichtigkeit des Sokratischen Sazes, der bei den Gegnern der Willensfreiheit so großen Anklang findet: niemand sei freiwillig böse (oùòεìç éxàv пovηρós). Wer möchte leugnen, daß man gegen das Gewissen handeln kann und leider häufig genug handelt? Das sezt aber voraus, daß man im Augenblick der Tat die Verwerflichkeit derselben erkennt, sich jedoch über diese Stimme des Gewissens hinwegseßt. Der Wille tritt also in bewußten Gegensaz zu dem, was der Verstand ihm als das schlechthin Bessere vorhält. Wie oft sieht der Trunkenbold, daß er durch seine schmähliche Leidenschaft Gesundheit, Ehre, Familienglück untergräbt, sich für Zeit und Ewigkeit unglücklich macht, und doch folgt er dem Sirenengesang

ad 2), dicitur esse in conscientia, non sicut in subiecto, sed sicut cognitum in cognitione, in quantum scilicet aliquis scit se esse inquinatum.

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