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Die andere Tatsache. Nach dem Greis der junge Mann. Drei Jahre später, 1765, hebt man in Abbeville am Tage nach einer stürmischen Gewitterracht auf einer Brücke ein altes Kruzifix aus wurmstichigem Holz vom Boden auf, das seit drei Jahrhunderten am Geländer befestigt war. Wer hat dieses Kruzifix heruntergeworfen? Wer hat diese Schändung des Heiligtums begangen? Man weiß es nicht. Vielleicht ein Vorübergehender, vielleicht der Wind. Wer ist der Schuldige? Der Bischof von Amiens erläßt ein Monitorium. Ein Monitorium ist ein Befehl an alle Gläubigen unter Höllenstrafe zu sagen, was sie von dieser oder jener Sache wissen oder zu wissen glauben, ein mörderischer Ansporn der Unwissenheit durch den Fanatismus, Das Monitorium des Bischofs von Amiens wirkt; der größer werdende Klatsch führt zur Denunziation. Die Justiz entdeckt oder glaubt zu entdecken, daß in der Nacht, als das Kruzifix heruntergeworfen wurde, zwei Leute, beides Offiziere, La Barre der eine, der andere d'Etallonde mit Namen, über die Brücke von Abbeville gingen, daß sie trunken waren und ein Wachtstubenlied sangen. Das Tribunal ist das Gericht von Abbeville. Die Gerichtsherren von Abbeville sind den Ratsherren von Toulouse ebenbürtig. Sie sind nicht weniger gerecht. Man erläßt zwei Haftbefehle. D'Etallonde entkommt. La Barre wird ergriffen. Man liefert ihn der richterlichen Untersuchung aus. Er leugnet, über die Brücke gegangen zu sein, er gesteht, das Lied gesungen zu

haben. Das Gericht von Abbeville verurteilt ihn; er appelliert an das Parlament von Paris. Man bringt ihn nach Paris, das Urteil wird richtig befunden und bestätigt. In Ketten wird er nach Abbeville zurückgebracht. Ich fasse mich kurz. Die ungeheuerliche Stunde naht. Man beginnt, den Chevalier de la Barre der gewöhnlichen und außerordentlichen Folter zu unterwerfen, um ihn zur Angabe seiner Mitschuldigen zu bringen. Seiner Mitschuldigen von was? Über eine Brücke gegangen zu sein und ein Lied gesungen zu haben. Man zerbricht ihm ein Knie bei der Folter; sein Beichtvater wird ohnmächtig, als er die Knochen krachen hört; am folgenden Tage, den 5. Juni 1766, schleppt man La Barre auf den Marktplatz von Abbeville, dort brennt ein glühender Scheiterhaufen; man liest La Barre das Urteil vor, dann schneidet man ihm die Hand ab, dann reißt man ihm mit einer eisernen Zange die Zunge heraus, dann, aus Gnade, schneidet man ihm den Kopf herunter und wirft ihn in den Scheiterhaufen. So starb der Chevalier de la Barre. Er war 19 Jahre alt. (Lang anhaltender und tiefer Eindruck.) Da, Voltaire, stießest Du einen Schreckensschrei aus, und dies wird Dein ewiger Ruhm sein. (Beifallsstürme.)

Da begannst Du den fürchterlichen Prozeß der Vergangenheit, Du plaidiertest gegen die Tyrannen und die Ungeheuer für die Sache des Menschengeschlechts, und Du gewannst sie. Großer

Mann, sei auf immer gesegnet! (Neuer Beifalt.)

Meine Herren, die schrecklichen Dinge, an die ich soeben erinnert habe, vollzogen sich inmitten einer feinen Gesellschaft; das Leben war froh und leicht, man ging und kam, man sah weder über sich noch unter sich, die Gleichgültigkeit löste sich auf in Sorglosigkeit; anmutige Dichter, Saint-Aulaire, Boufflers, Gentil-Bernard machten hübsche Verse, der Hof war voller Feste, Versailles strahlte, Paris wußte von nichts; und währenddessen ließen die Richter aus religiöser Blutgier einen Greis auf dem Rad sterben, und die Priester rissen einem Kind wegen eines Liedes die Zunge heraus. (Lebhafte Bewegung.) Vor dieser frivolen und düsteren Gesellschaft war Voltaire allein und hatte alle diese vereinten Kräfte vor Augen: den Hof, den Adel, die Finanz; diese unbewußte Macht, die blinde Menge, diese fürchterliche Justiz, die so schwerfällig für die Untertanen ist und dem Herrn so folgsam, die vernichtet und schmeichelt, auf dem Volk kniend vor dem König (Bravo!); diese Geistlichkeit, ein unheilvolles Gemisch von Heuchelei und Fanatismus. Voltaire allein, ich wiederhole es, erklärte diesem Bündnis aller sozialer Ungerechtigkeiten, dieser ungeheuren und schrecklichen Welt den Krieg und er nahm die Schlacht an. Und welches war seine Waffe? Was die Leichtigkeit des Windes und die Macht des Blitzes hat. Eine Feder. (Beifall.)

Mit dieser Waffe hat er gekämpft, mit dieser Waffe hat er gesiegt.

Meine Herren, grüßen wir dieses Andenken.

Voltaire hat gesiegt, Voltaire hat den strahlenden Krieg aufgenommen, den Krieg eines einzelnen gegen alle, das heißt, den großen Krieg. Den Krieg des Gedankens gegen die Materie, den Krieg der Vernunft gegen das Vorurteil, den Krieg der Gerechtigkeit gegen die Ungerechtigkeit, den Krieg des Unterdrückten gegen den Unterdrücker, den Krieg der Güte, den Krieg der Sanftmut. Er hat die Zärtlichkeit einer Frau und den Zorn eines Helden besessen. Er ist ein großer Geist und ein ungeheures Herz gewesen.

Er hat den alten Kodex und das alte Dogma besiegt. Er hat den Feudalherrn, den mittelalterlichen Richter, den römischen Priester besiegt. Er hat den Pöbel zur Würde des Volkes erhoben Er hat gelehrt, Friede gestiftet und zivilisiert. Er hat für Sirven und Montbailly gekämpft, wie für Calas und La Barre; er hat alle Drohungen, alle Schmähungen, alle Verfolgungen, die Verleumdung, das Exil auf sich genommen. Er ist unermüdlich und unerschütterlich gewesen. Er hat die Gewalt durch das Lächeln besiegt, den Despotismus durch den Sarkasmus, die Unfehlbarkeit durch die Ironie, die Starrköpfigkeit durch Ausdauer, die Unwissenheit durch die Wahrheit.

Ich habe soeben das Wort „Lächeln" ausge

sprochen, ich halte mich dabei auf. Das Lächeln, das ist Voltaire.

Sagen wir es heraus, meine Herren, denn die Besänftigung ist die starke Seite des Philosophen, in Voltaire stellt sich immer wieder das Gleichgewicht her. Welches auch immer sein gerechter Zorn sei, er geht vorüber, und der erzürnte Voltaire macht immer dem beruhigten Voltaire Platz. Dann erscheint in diesem tiefen Auge das Lächeln.

Dieses Lächeln ist die Weisheit. Dieses Lächeln, ich wiederhole es, ist Voltaire. Dieses Lächeln geht bisweilen bis zum Lachen, doch die philosophische Trauer mäßigt es. Auf der Seite der Starken ist es spöttisch, auf der Seite der Schwachen ist es schmeichlerisch. Es beunruhigt den Unterdrücker und gibt dem Unterdrückten Sicherheit. Gegen die Großen der Spott; für die Kleinen das Mitleid. Ach, seien wir bewegt von diesem Lächeln! Es hat die Klarheit des Sonnenaufgangs besessen. Es hat das Wahre erleuchtet, das Gerechte, das Gute und was ehrenhaft im Nützlichen ist; es hat das Innere des Aberglaubens aufgeklärt; es ist gut, wenn diese Häßlichkeiten gesehen werden, es hat sie aufgezeigt. Da es lichtvoll war, ist es fruchtbar gewesen. Die neue Gesellschaft, das Verlangen nach Gleichheit und Rechten und dieser Anfang von Brüderlichkeit, der sich Duldsamkeit nennt, die gegenseitige Gutwilligkeit, die Ausgleichung der Menschen und der Rechte, die als oberstes Gesetz erkannte Ver

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