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FERDINAND LASSALLE
Tagebuch des Leipziger
Handelsschülers
Mai 184
I 840 bis Mai I 8 4 I

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Berlin-Wilmersdorf 1918 Verlag der Wochenschrift DIE AKTION (Franz Pfemfert)

Alle Rechte vorbehalten

Copyright 1918 by Franz Pfemfert, Berlin-Wilmersdorf Dieses Buch wurde als Doppelband 6/7 der Sammlung DER ROTE HAHN von der Buchdruckerei F. E. Haag,

Obwohl ich immer gewünscht hatte, aus Breslau wegzukommen, so wurde mir doch sehr weh ums Herz, als ich von meiner guten, zärtlichen Mutter, von meiner geliebten Schwester, von allen meinen Tanten, Onkeln und Cousinen, die alle gekommen waren, noch einmal mich zu sehen, mich trennen mußte, als ich Abschied nahm von unseren Leuten, die ebenfalls fast Thränen vergossen. Auch von Isidor mußte ich Abschied nehmen, auch meinen Pylades mußte ich zurücklassen, nur mein geliebter Vater blieb bei mir. ,,Aber auch er begleitet mich nur bis an meinen Bestimmungsort, dann muß ich mich auch von ihm trennen," dachte ich, und meine Augen wurden feucht.

Ich übergehe meinen Aufenthalt zu Berlin, der reich an Vergnügungen aller Art war. Ich führe nicht die Sehenswürdigkeiten auf, die ich in Augenschein genommen. Ich sage blos, daß ich noch keine so seligen Tage verlebt habe, wie diese in Berlin. Ich flog von Amüsement zu Amüsement, von einem Theater ins andere. Wichtig ist, daß Joel Meier, ein ungemein reicher und sehr renommierter, als ausnehmend klug bekannter Seidenfabrikant den Vater permovirte, mich nach Leipzig zu geben.

Ich begleitete also meinen Vater nach Leipzig. Den vierten Tag unserer Ankunft ging ich zu Herrn Direktor Schiebe, mich einschreiben zu lassen. Doch hatte der Vater noch keine ihm zusagende Pension gefunden. In der Klasse selbst ist es sehr leicht, fortzukommen, und es gelang mir schon, mich in Einigem auszuzeichnen. Alles trägt das Gepräge der Freundlichkeit und scheint

die bösen Prophezeihungen Adolf Dyhrenfürths, die er mir auch in Leipzig wiederholte, Lügen zu strafen.

Übrigens amüsiere ich mich bis jetzt recht gut in Leipzig, und ich begreife gar nicht, wie mir Samuel davor so bange machen konnte. Unter Anderem wurde meinem Vater auch vorgeschlagen, mich zu einem gewissen Herrn Hander, Director einer Realschule zu Leipzig, in Pension zu geben. Wir waren draußen in seinem Logis (er wohnt in einem herrlichen Garten vor dem Thore), und Alles, was wir sahen, der Herr selbst, seine Frau, die Kinder, die Stuben, entzückte uns. Bis jetzt hatte ich noch zu keiner der vorgeschlagenen Pensionen sonderliche Lust gefühlt. Diese aber gefiel mir ausnehmend. Der Herr Rector versprach, meinem Vater in Hinsicht des Preises zu schreiben, und so schieden wir. Am andern Tage erschien ein Billetchen des Herrn Directors, der die ungeheure Summe von vierhundert Thalern verlangt. Herr Rothe, den der Herr Director Schiebe dem Vater empfohlen hatte, veriangte blos zweihundertfünfzig Thaler, und dies war Vater schon zu viel. Aber da ihm die Pension bei Herrn Hander ausnehmend gefiel, und er mich da mit Recht am Besten aufgehoben glaubte, so that er, was ich gar nicht erwarten konnte; seine Zärtlichkeit siegte über das Bedenken, und so schwer sie ihm auch werden, er einigte sich mit Herrn Director auf den Preis von dreihundert Thalern. Jeden Tag lerne ich mehr einsehen, wie gut mein Vater ist, den ich so sehr gekränkt habe. Ich bin bereits an zehn Tage bei Herrn Director Hander, wo ich mir sehr gut gefalle. Die Frau

Director ist eine ungemein gemüthliche, wirklich herzensgute und dabei eine kluge und geistreiche Frau, Herr Director auch ein sehr guter Mann. Meine Stellung in diesem Hause ist wirklich ausgezeichnet. Ich werde nicht betrachtet, wie anderswo ein Knabe von fünfzehn Jahren, sondern wie ein erwachsener junger zwanzigjähriger Mann. Das Geld, das mir mein Vater gelassen, ist ausgegeben, und ich habe um neues gebeten. Von jetzt an will ich wieder Tag für Tag einschreiben.

Donnerstag, 21. Mai 1840

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Abends beendete ich die Wahlverwandtschaften". Ich weiß nicht, ich kann diese Ottilie nicht lieb gewinnen, so sehr sie auch der Dichter herausstreicht. Ich sehe in ihr blos einen ganz gewöhnlichen Charakter.

Später las ich Frau Director „Clavigo“ vor. Es ist doch seltsam, daß sich die Natur so sehr in Extremen gefällt, daß sie es so sehr liebt, Wesen zu schaffen, die so stark und so schwach sind. Dieser Mann, der sich blos durch eigene Geisteskraft vom Staube so hoch hinaufgeschwungen hatte, der durch sein Genie die Bewunderung eines Königsreichs erregte, der sich durch seine Thaten als großer Mann legitimierte, dieser ist auf der andern Seite so schwach, so kleinlich, so ganz ohne eigenen Willen. Wahr sagt der Franzose: ,,Les extrêmes se touchent."

Abends brachte mir der Bruder von Madame Directo den Bericht über die Juden in Damascus.

es ist schrecklich zu lesen, schrecklich zu hören, ohne daß die Haare starren und sich alle Gehle des Herzens in Wuth verwandeln. Ein

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