ÀҾ˹éÒ˹ѧÊ×Í
PDF
ePub

apokalyptische Literatur dieser Zeit. Ihrem Glauben an einen feststehenden und Einzelnen bereits geoffenbarten Verlauf der Zukunft entsprach denn auch ihr von Josephus erwähntes Dogma der menschlichen Unfreiheit. Wer ein so bis in's Einzelne festgestelltes Bild der Zukunft hatte, wie der Verfasser des Henoch oder vierten Esrabuchs, wie sollte der Raum finden für eine menschliche Freiheit? Welchen Einfluß sollte der freie Mensch noch üben, wenn die Zukunft schon feststand, sowohl die seines Volks als seine eigene? Der von den Propheten geschaute Gang der Geschichte, der unverrückt seinem Ziel zuschreitet, trotz des guten oder bösen Willens derer, durch die er sich vollzieht, ist jene essäische siμaguérŋ, die ehern über dem Einzelnen waltet und bereits das Gleis für sein Handeln gezogen hat, in dem sein Leben weiter rollt. Das von Gott gesprochene Wort steht fest. Er hat die Vielen zur Sünde bestimmit und ganze Völker unter die Ungerechtigkeit beschlossen. Es kann nichts Gutes oder Uebles geschehen, jagt Josephus, was die Propheten nicht prophezeit hätten".2 Damit hört aber die Freiheit des Einzelnen auf, denn wie könnte sonst Henoch weissagen, daß alle siebzig Hirten, die Israel haben wird, zur Hölle fahren werden, wie hätte er sprechen können: „Ich weiß, daß ein Zustand der Gewaltthätigkeit überhand nehmen wird auf Erden und abermals wird die Ungerechtigkeit sich wiederholen und alle Thaten der Ungerechtigkeit und die Thaten der Gewaltthätigkeit und des Frevels werden zum zweitenmale vollführt werden auf der Erde".+ Wenn die Vielen nun nicht fündigten, wo bliebe der Prophet? Gilt aber die Prophezeiung, wo bleibt die Freiheit? So war diese Debatte, die Josephus so sehr in den Vordergrund rückt, eine durchaus abgeleitete und hatte wesentlich den Charakter einer Apologie des modernen Prophetenthums.

1 Ant. XIII; 5, 9. XVIII; 1, 5. 2 Ant. X; 2, 2.

[ocr errors]
[ocr errors]

3 90, 24. + 91, 4-7. 5 Dieser Zusammenhang allein ermöglicht es, den Glauben an ein sogenanntes Fatum" innerhalb der jüdischen Weltanschauung unterzubringen. Eine Mittheilung aus der Debatte mit den Sadducäern, die dieses „Fatum“ läugnen, Ant. X am Schluß, beweist aber auch, daß die ganze Streitfrage lediglich diesen Sinn hatte. So redet auch die jüdische Sibylle (III, 568 f.) von einem Fatum, das der Prophezeiung entspringt:

es wird das Geschlecht der gottlosen Männer bis dahin Währen, wenn dieses Ende der Tag des Schicksals genommen. Was der alleinige Gott beschließt, daß es sich erfülle,

Das wird Alles erfüllt; es liegt ein gewaltiger Zwang darauf.

Die gemeinsamen Erfahrungen des Ordens sowohl als jene hellseherischen Zustände einzelner Bevorzugter hatten nun mit der Zeit eine Summe geheimer Wissenschaften zusammengebracht, die in den Büchern der Sekte niedergelegt war. Obgleich er als Novize mit furchtbaren Eiden geschworen, diese Geheimnisse Niemanden zu verrathen, hat Josephus sich doch nicht enthalten, wenigstens anzudeuten, worin dieselben bestanden. Die Namen der Engel geheim zu halten, war nach ihm eine Hauptverpflichtung, die der Novize übernahm. Der Name war aber, wie wir oben gesehen, mehr als blos die unterscheidende Benennung, er schloß Wesen und Eigenschaft der Personen ein und gab bei höheren Wesen die Möglichkeit, sie selbst mit theurgischen Mitteln vom Himmel herabzuziehn.1 Solche Engelslisten, wie sie demnach die essäischen Bücher enthielten, finden wir bei Henoch, der sie in seinem Verkehr mit den himmlischen Regionen erkundet hatte: Uriel, der Engel des Donners und Lebens; 2 Rafael, der Engel der Menschengeister; Raguel, der die Rache übt an der Welt und an den Lichtern; Michael, der Engel der Frommen; 3 Saraquel, der Engel der Sünder; Gabriel, der über die Schlangen, das Paradies und über die Cherubim gesetzt ist". Neben dieser Kunde war denn auch die Kenntniß der geheimen Kräfte der Steine und Pflanzen, die Wissenschaft der Heilkunde und ihrer Geheimmittel ein Besitz des Ordens, der mit Andacht behütet und nach Kräften vermehrt ward. So haben wir uns die Bücher der Secte ähnlich dem Buch Henoch vorzustellen, das auch in seinen Anschauungen den Essäern nahesteht, indem es das Unglück der Welt von der Sünde der Engel ableitet, die nach ihrem Fall anfingen sich zu versündigen an den Vögeln und den Thieren und dem, was sich regt, und den Fischen, und ihr Fleisch untereinander aufzufresser und das Blut zu trinken".5 Von ihnen rührt auch die Ueppigkeit und das Zauberwesen. Sie lehren Zaubermittel, Beschwörungen, die Verfertigung von Schwertern, Messern, Schilden und Panzern, den Gebrauch von Spiegeln, Kunstwerken und Lurusgegenständen, kurz alles Das, was auch den Essäern verboten

[blocks in formation]

ist. Der Besit solcher heiliger Bücher, die nicht verrathen werden. durften der Verrath der himmlischen Geheimnisse ist auch Henoch das schwerste Verbrechen schloß den Bund der Natur der Sache nach mit der Zeit strenger gegen außen ab. Noch mehr trug dazu die Erkenntniß bei, daß es einer Gemeinschaft, die sich selbst des Fleisches vollständig enthalte, nicht anstehe, im Tempel Schlachtopfer darzubringen. Stellvertretende Weihegeschenke an den Tempel sollten beweisen, daß man darum um nichts weniger an der Theokratie festhalte, konnten aber doch nur nothdürftig den Graben überbrücken, den man durch Lossagung vom Tempelleben zwischen der Gemeinschaft und dem Volk gezogen hatte.2 Jetzt gewann auch das essäische Mahl selbst jenen feierlichen Charakter einer täglichen Opfermahlzeit, bei der das Brod Jehova als Opfer dargebracht ward.3 Ueberhaupt lag es in der Natur aller Gesellschaftsbildung, daß, nachdem man sich als einen gesonderten Verband hatte fühlen lernen, das Gemeinschaftsleben sich immer eigenthümlicher ausprägte und seine Ränder gegen außen sich verhärteten. So ward dem heilsbegierigen Jünger, der in den Orden eintreten wollte, vor der Aufnahme ein furchtbares Gelübde abverlangt: „den Brüdern nichts zu verheimlichen, Andern aber nichts zu verrathen, auch wenn es das Leben kosten sollte. Die Lehre der Ge ellschaft den Jüngern nicht anders mitzutheilen, als sie von den Aeltern gelehrt worden sei. Die Bücher des Ordens aber und die Namen der Engel heilig zu bewahren". Das war der Eid, mit dem man in den Orden eintrat, um sich dann nie mehr zu einem Schwur herbeizulassen.

Jener Schwur hatte aber auch einen ethischen Inhalt, der immerhin eine Wendung nach dem Innern und die Erkenntniß des Ordens bezeugt, daß neben der levitischen Reinheit auch ein gereinigtes Herz von dem Geseze verlangt werde, denn der Novize schwur zugleich, „Gott zu ehren, gegen Menschen Gerechtigkeit zu üben, Niemanden, weder aus eigenem Antrieb, noch auf fremden Befehl zu ver= letzen, stets den Ungerechten zu hassen und dem Gerechten beizustehen; Treue gegen Jedermann, besonders gegen die Obrigkeit üben zu wollen, denn Niemand habe Gewalt, sie sei ihm denn von Gott gegeben. Auch die Wahrheit zu lieben, Lügner zu entlarven, die Hände von Diebstahl

[merged small][ocr errors][merged small][merged small][merged small][merged small]

und das Gewissen ven unrechtem Erwerb rein zu halten". Diese Wendung nach Innen ist es, um deretwillen man das Essäerthum immerhin die Morgenröthe des Christenthums nennen mag, weil trot der fanatischen Uebertreibung der äußern Reinheit sich hier doch stärker als sonst in dieser Zeit das Bewußtsein offenbart, das Sittliche sei außer jener Summe von Leistungen vor Allem auch eine Verfassung des Gemüths. Troß der eigenthümlich materiellen Anschauung von der Beschaffenheit des Bösen übertrifft der Orden damit Alles, was an wahrer Sittlichkeit in den letzten Jahrhunderten im Kreis des jüdischen Lebens producirt worden war. Auch gibt ihrer sonst rohen Askese das doch einen höheren Werth, daß sie nicht blos ein Lohndienst um äußern Preis war, wie bei den Pharisäern, sondern daß sie ein vollkommenes Gleichgewicht des innern Menschen schaffen und die geistige Welt mit starken Dämmen sicher stellen wollte vor dem Hereinfluthen des sinnlichen Lebens, um so das menschliche Herz zum Empfang der göttlichen Nähe würdig zu bereiten und jene vollkommene Windstille der Seele herbeizuführen, bei der der Mensch die leise Stimme göttlicher Offenbarungen zu vernehmen im Stande sei. Die Beschaffenheit des innern Menschen war zum ersten Mal zum Ziel der Religion erflärt und das war immerhin ein großer Gedanke. Während die Pharisäer alle höchsten Heiligthümer der Theokratie in ihrem Parteikampf hin und her zerrten, keimte hier abseits von den Heerstraßen ein anderes Leben, das reinere Früchte brachte, weil es sich auf die innere Wiedergeburt und die Beschneidung der Herzen bezog und nicht auf Theokratie, Tempel und Politik. Die Aehnlichkeit mit dem Christenthum liegt demnach nicht in den Institutionen, aber der stille und andächtige Geist, der die Gemeinschaft durchweht, die priesterliche Weihe und liturgische Feierlichkeit des Lebens, das „tägliche Sabbathfeiern", das auch das Ideal der ersten christlichen Gemeinden war, leiht ihnen eine gewisse Aehnlichkeit mit denen, die nach ihnen die Stillen im Lande waren, wenn auch ihre dogmatischen Voraussetzungen von denkbar entgegengesetztester Beschaffenheit sind.

Von einer Seite her freilich hat die evangelische Ueberlieferung selbst beide Erscheinungen recht nah an einander gerückt, indem Markus sein Evangelium mit den Worten beginnt: „Das Evangelium von Jesus Christus, dem Sohn Gottes, nahm damit seinen Anfang, daß Johannes in der Wüste taufte". So wird uns der Verlauf dieser Geschichte nochmals in die Wüste Juda zurückführen.

Vierter Abschnitt.

Zeitlage und Zeitbewußtsein seit Beginn der Römerherrschaft.

« ¡è͹˹éÒ´Óà¹Ô¹¡ÒõèÍ
 »