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Schuldner, der Gläubiger und der Schuldthurm. Wo aber die Betreibung von Geldforderungen so schwierig ist, darf man mit Sicherheit auf eingetretene und zwar kürzlich eingetretene Verarmung schließen. Das Sorgen und Sagen, was werden wir essen, was werden wir hinken, womit werden wir uns kleiden, ist die gewohnte Lebensstimmung des gemeinen Mannes. In einem Gleichniß sind außer dem König alle Personen bankrutt. Der Verwalter schuldet dem König, der Knecht dem Verwalter.1 Selten sind die Reichen, die einem Schuldner fünfzig oder gar fünfhundert Denare nachlassen,2 um so häufiger die unbarmherzigen Eintreiber, die gleich den Büttel bei der Hand haben. Auf der Straße packt der Gläubiger den Armen und der Gerichtsdiener schleppt ihn in den Schuldthurm, aus dem er nicht herauskommt, ehe er den letzten Heller bezahlt hat,3 und wenn er nicht bezahlen konnte, so hieß der Herr ihn und sein Weib und seine Kinder, und Alles, was er hatte, verkaufen, daß er daraus bezahlt würde." Del und Weizen, die nöthigsten Lebensbedürfnisse, stehen auf Rechnung, angefangene Bauten bleiben liegen aus Mangel an Geld, 5 der Kaufmann steckt sein Vermögen, um es zu sichern, in eine einzige Perle; beim Graben im Acker findet Mancher einen Schatz, den ein anderer vor den gierigen Händen der Bedrücker retten wollte. Spe= culanten halten das Getreide vom Markt zurück und erweitern ihre Magazine. Mit der Verarmung hängt die Parcellirung der Güter zusammen. An die Stelle des Pflugs tritt auf dem kleinen Grundstück die Grabscheitwirthschaft. „Was soll ich machen, spricht der ruinirte Haushalter, graben kann ich nicht, zu betteln schäme ich mich".9 Die Folge der Geldnoth ist der Wucher. Die Wechselbank blüht, 10 in kurzer Zeit verfünffacht und verzehnfacht der Speculant sein Capital.11 Das ist der wirthschaftliche Hintergrund der evangelischen Geschichte, wie er an hundert Stellen zu Tag tritt. 12

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11 Luc. 19, 16. 18.

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12 Ganz ohne Rückwirkung auf Palästina wird auch

die große Finanzkrise im Reich vom Jahr 33 nicht geblieben sein. Alle Capitalisten hielten wegen verkehrter Maßnahmen des Tiberius ihr Geld zurück, Bankrutt folgte auf Bankrutt. Selbst die Staatskasse und der Fiscus hielten ihre Baarvorräthe inne. Tac. Ann. IV; 16. 17.

Der materielle Ruin, den Rom und seine Vasallen über das Land gebracht hatten, steigerte natürlich auch die religiöse Gereiztheir und die Banditen in den Bergen, die an den, von Haus und Hof vertriebenen, an den Bettelstab gekommenen Isracliten von Jahr zu Jahr Zuwachs erhielten,' waren selten verlegen, das Volk mit irgend einer von den Römern begangenen Gesetzesverletzung in Aufregung zu halten. Bald sollte es die Reinheit der Feste beeinträchtigen, wenn die hohenpriesterlichen Gewänder in der Antonia von den Römern bewacht wurden,2 bald hatte man ein römisches Feldzeichen in Jerusalem,3 oder ein heidnisches Emblem am Tempel oder gar eine Votivtafel an der Zionsburg, oder ein heidnisches Relief an einem öffentlichen Gebäude entdeckt, das die Reinheit des Landes bedrohte und Zusammenrottungen oder gar Aufstände herbeiführte. Dann ward wieder mit Entsetzen vernommen, daß ein Procurator sich am Tempelschat vergriffen habe, oder es hatte ein römischer Soldat das Gesetzbuch zerrissen, oder ein Heide den Zwinger überschritten, oder ein anderer war über unehrbares Verhalten im Tempel ergriffen worden, 10 oder irgend ein hellenischer Junge hatte in kindischen Spielen seiner Meinung von der unsaubern Herkunft der Juden Ausdruck verliehen.11 solche Vorkommnisse wurden mit einer unglaublichen Leidenschaft aufgegriffen, und selbst Josephus hat dieselben keineswegs der Vergessenheit übergeben, auf die sie die gerechtesten Ansprüche hatten, sondern seiner Geschichte einverleibt, weil die Tumulte und Aufstände, die sich an solche alberne Veranlassungen knüpften, oft Hunderte, ja Tausende von Opfern kosteten.

Alle

In der That waren solche Vorgänge denkwürdige Symptome der Volksstimmung. Freilich geben diese sprühenden Funken kaum eine Vorstellung von der Gluth, die im Innern wogte. Wie es in dieser feurigen Esse selbst aussah, das lehren uns erst die religiösen Schriften dieser Zeit, die unmittelbar aus dem Zeitbewußtsein ge= schöpft sind.

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4. Die messianische Hoffnung.

Es gehörte zu den Eigenthümlichkeiten des jüdischen Volkes, das ein leidenschaftlich tiefes Gefühl und eine südlich brennende Phantasie besaß, sich seine nationalen Leiden mit den grellsten Farben vorzumalen und den nationalen Schmerz durch die übertriebenste Rhetorik zu steigern.

Die Zeit des Antiochus hatte der Verfasser des ersten Makkabäerbuchs einst in den drastischen Worten geschildert: „Es kam große Trauer über Israel in allen seinen Wohnsitzen. Und es jammerten Oberste und Aelteste; Jungfrauen und Jünglinge erkrankten, und die Schönheit der Frauen war entstellt. Jeglicher Bräutigam erhob Klage, und die in der Brautkammer saß, war in Trauer und das Land bebte unter seinen Bewohnern". Aehnliche Schmerzenslaute schlagen auch jezt wieder an unser Ohr und bezeugen, daß die Stimmung in den Gemüthern einen nahen Sturm wie den gegen die Syrer erwarten ließ und ihn darum auch selbst erwartete und voraussagte. Der beste Gradmesser hiefür sind die messianischen Erwartungen, die bei großem äußern Druck immer den höchsten Stand weisen. Früherer Spuren nicht zu gedenken,2 hatte zuletzt die bewegte und doch auch durch des Königs starken Arm schriftstellerische Muße sichernde Zeit des Johannes Hyrkan noch vor Kurzem erst dieser messianischen Hoffnung zu literärischem Ausdruck verholfen.

Damals hatte der Verfasser des ersten Makkabåerbuchs darauf hingewiesen, daß Judas Makkabäus die Theokratie nur geordnet3 und Simon das Fürstenthum nur angenommen habe,4 bis der zuverlässige Prophet" komme, von dem Moses selbst ge= weissagt hatte: Propheten, wie ich bin, wird der Herr erwecken. Mit stärkeren Farben aber hat ein Unbekannter, dessen Buch ein fast kanonisches Ansehen gewann,6 der Verfasser der „Segensworte des Henoch" das Bewußtsein zum Ausdruck gebracht, daß die Zeit der definitiven, das ist der messianischen Ordnung der Theokratie nun

11 Mac. 1, 25 ff.

2 So die zahlreichen messian. Weissagungen der Sibylle, Fragm. 2. Ferner Buch 3, 286. 370. 620. 652. 670. 710. — 31 Mac. 4, 46. 41 Mac. 14, 14. 5 5 Mos. 18,

15.

6 Vgl. die Benüßung des

selben in den eschatologischen Stellen der Evangelien und die Citate Jud. 14. 2 Petri 2, 4. 11.

mehr nahe bevorstehe. Er schildert, wie Hyrkan, das Schaf mit dem großen Horn, die griechischen Adler, die syrischen Raben, die ägyptischen Weihen, die arabischen Geier und die philistäischen Hunde verscheucht, welche die verlornen Schafe vom Hause Israel zerfleischten, und stellt für die nächste Zukunft eine große Entscheidungsschlacht in Aussicht, in der Israel der Sieg über alle Heiden gegeben wird. Dann wird ein Thron aufgerichtet in dem „lieblichen Lande“, und der Herr der Schafe setzt sich, um die versiegelten Bücher zu öffnen. Alle Verführer Israels unter den Engeln, alle Dränger Israels unter den Fürsten, alle Verführten in Israel selbst werden hinabgestoßen „in einen tiefen Ort, voll von Feuer, flammend, und voll von Feuersäulen“. Jehova selbst erneuert dann den Tempel uud alle die zersprengten und verschmachteten Schafe sammeln sich um ihn. Aber nicht in dieser einen Stelle blos, sondern in gar zahlreichen Variationen schilderte der Verfasser die Zeit, da die Pflanze der Gerechtigkeit" er= scheinen, da der ewige große Himmel hervorsprossen wird aus der Mitte der Engel",3 der Tag des Gerichts, „da das Blut der Sünder dem Roß bis an die Brust gehen wird und der Tag der Herrlichkeit, da Legionen Engel am Himmel sichtbar werden und die Gerechten erwachen von ihrem Todesschlaf“.4

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Daß dieses etwa vierzig Jahre vor dem ersten Auftreten der Römer in Palästina geschriebene Buch zur Zeit Jesu bereits Gemeingut des Volkes war, das beweist der Vorstellungskreis, den die Evangelien überall voraussehen und die Gangbarkeit seiner Stichworte und seiner Verheißungen. Man muß in den Fischerdörfern am See Genezareth sich eindringlich mit der äußern Ausstattung des messianischen Reichs vertraut gemacht haben, wenn die Jünger Jesu die Plätze und Sitze in demselben unter sich vertheilen wollten. Auch die detaillirte Eschatologie der Apokalypse läßt sich nur aus einem intimen Umgang des Verfassers mit diesen und ähnlichen Büchern erklären.5

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2.

3 91, 16.

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1 Cap. 90, 1-20. 210, 16-11, * Cap. 100. Obige Stellen bleiben in Kraft, auch wenn man Henoch 37-71 für nachchristlichen Ursprungs erklärt. 5 Apoc. 2, 15; 3, 12. Vgl. Gal. 4, 26. Jud. 14. 2 Petr. 2. 4. 11. Namentlich aber Jubil. Cap. 4. Jahrb. 1849 und die häufigen Reminiscenzen aus der Lectüre des Buches Henoch in Cap. 4. 5. 10. 11 a. D.

In noch höherem Maße gilt das freilich von dem Buche Daniel, von dem uns ausdrücklich bezeugt wird, daß es das Lieblingsbuch dieser Zeit war,' und die lebhaften Schilderungen, die Josephus gerade von diesem Propheten macht, würden ohnedem beweisen, welche Vorliebe er selbst für Daniel hatte. Er nennt ihn den auserwählten Freund Gottes". „Alles, sagt er, ging bei ihm als einem der größten Propheten in's Außerordentliche, und so ward ihm nicht nur während seines Lebens die höchste Auszeichnung, sondern auch nach seinem Tode ein unsterbliches Andenken. Die Schriften, die er hinterließ, werden noch jetzt bei uns vorgelesen, und wir gewinnen noch jezt die Ueberzeugung, wie innig er mit Gott verkehrt habe. Er entfaltet nämlich nicht blos die Zukunft vor uns, wie andere Propheten, sondern bestimmt genau die Zeit, wann seine Verkündigung eintreffen wird; und während die übrigen Propheten Unglück verhießen, und deßwegen bei Fürsten und Volk verhaßt waren, ward Daniel ein Bote des Friedens für sie, so daß er durch die frohen Aussichten, die er eröffnete, bei Allen beliebt war; weil aber der Erfolg seine Vorhersagungen krönte, erlangte er beim Volk Glauben und göttliche Verehrung in gleichem Maaß“.? Diese Auseinandersetzung zeigt recht deutlich, wie man aus den Propheten eben nur Tag und Stunde des Endgerichts herauslesen wollte, und eben darum „haßt" das Volk die übrigen Propheten und liebt Daniel, weil er bestimmte Anhaltspunkte zu jener Berechnung gibt, während man aus dem religiösen und sittlichen Inhalt der andern die wahrsagerischen Stellen mühsam heraussuchen muß, um dann weit häufiger Strafe und Züchtigung als solche Aussichten verkündet zu finden, wie Daniel sie zeigt, den man wegen seiner evnuía als den süßesten der Propheten. werth hält. In ihm nun las die Schule, deren Ansichten der Römerfreund Josephus gewiß nur zögernd sich anschloß, daß Rom das lezte Reich vor dem messianischen sei, das vierte Thier fürchterlich und schrecklich und ausnehmend stark. Große eiserne Zähne hatte es, fraß und zermalmte, und das Uebrige zertrat es mit seinen Füßen“.3 Nach seiner evoquia fügte aber der Prophet sofort hinzu, daß dieses

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3 Ant X; 11, 7. Bell. VI; des A. T. in den Schr. des

Mose Proph. Cap. 8. Bei

1 Ant. X; 10. 11. 2 Ant. X; 10, 7. 5, 4, und 10, 4. Vgl. Gerlach, die Weissag. Josephus p. 53 ff. Außerdem 4 Esra 11, 38 ff. Volkmar pag. 42. Indirect bezeugt ist diese Auffassung durch Tac. Histor. 5, 13 und Suet. Vesp. 4.

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