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Israel nur dieses neue Herz an die Stelle seines steinernen Herzens zu setzen, dann war ohne das blanke Schwert des Gaulaniten das Himmelreich der Welt gegeben, wie es mit seinem Frieden Jesum selbst schon jetzt umfing. So sollte denn an die Stelle des jüdisch gesetzlichen Menschen der Bürger des Gottesreich treten, von dem nicht die Erfüllung äußerer Satzungen, sondern Larmherzigkeit, Herzensreinheit, Friedfertigkeit, Sanftmuth, Demuth, ein Trauern über die jezige Lage der Welt, und Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit verlangt wird.

Das sind die Gebote, deren Erfüllung nicht mit dem Gottesreiche belohnt werden sollte, wie die Pharisäer glaubten, sondern deren Erfüllung selbst schon der Beginn des Reiches ist. Das war es auch, was Jesus von Johannes schied. Jener hatte das Reich vorbereiten wollen in der unklaren Erwartung einer nachfolgenden Theophanie, in der Hoffnung, der treuen Arbeit schenke Gott das Reich zum Lohn. Jesus brachte es selbst und wußte, daß er es hatte. Auf keine äußere Mithülfe, nicht auf die Legionen von Engeln, um die er den Vater hätte bitten können, war gerechnet. Ohne jene Hoffnungen der Frommen Lügen zu strafen, im Gegentheil sie bestätigend, konnte er doch jezt schon das zu gründende Reich auf sein eigenes Gewicht stellen, auf die innere Wahrheit seines Gedankes, auf die Natur der Sache es gründen. Diese Vorbereitung des Reichs war schon seine Gegenwart. In der Verfassung des Gemüths, die er in sich trug, lag, wie er erfahren, das Gottesreich. So bedurfte es nur der gleichen Verfassung bei den Andern und das Gottesreich war für Israel da, wie es für ihn jezt schon da ist. „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles Uebrige von selbst zufallen".1 Um die Nation zu einem solch geistigen Reich zu einen, fonnte er denn allerdings nicht irgend einen neuen Brauch, eine neue Uebung, wie die Essäer oder wie Johannes, aufstellen. Es gab kein äußeres Mittel als sein Wort und der Anschluß an seine Person. Wer an ihn glaubte, konnte zum Reich gelangen, Niemand sonst. Die nächste Aufgabe seines Wortes und seiner Predigt war daher die, im Volk das Bewußtsein für den Unterschied zu wecken zwischen der äußern Gesezesgerechtigkeit, mit der die Pharisäer das Reich Gottes verdienen wollten, und der innern Rechtfertigung, die das Gottesreich selbst

1 Mth. 6, 33.

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schon ist. Wenn eure Gerechtigkeit, heißt es, nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmel reich eingehen." Die bessere Gerechtigkeit“, das „neue Gebot“, das größte Gebot, das alle andern enthält", ist immer das Innere der Gesinnung. Nicht die Handlung ist die Hauptsache, sondern die Quelle der Handlung. Ihr habt gehört, sagt er und die Haltung seiner Worte zwingt uns, sie in der Synagoge gesprochen zu denken — daß zu den Alten gesagt ist, Du sollst nich tödten; wer aber tödtet, soll dem Gericht verfallen sein. Ich aber sage euch, Jeder, der mit seinem Bruder zürnet, ist dem Gericht verfallen . . . Ihr habt gehöret, daß gesagt ist, Du sollst nicht ehebrechen. Ich aber sage euch, Jeder, der eines Andern Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon die Ehe gebrochen in seinem Herzen . . . . . Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist, Du sollst keinen falschen Eid thun, Du sollst aber dem Herrn Deine Eide halten. Ich aber sage Euch, daß Ihr überhaupt nicht schwören sollt. . Eure Rede sei ja ja, nein nein, was darüber ist, ist vom Bösen."1 Ueberall in diesen neuen Geboten geht Jesus zurück von der That auf ihren Grund, von der rohen Aeußerung der Gesinnung auf die Gesinnung selbst. Auf sie kommt es an, in ihr liegt der Schaden. „Man kann nicht Feigen lesen von den Disteln, noch Trauben von den Dornen, ein guter Baum bringt gute Früchte, ein fauler Baum bringt faule Früchte". - Wenn das Gesetz Früchte verlangt, so verlangt Jesus vor Allem gesunde Wurzeln. Das Sittliche ist nicht eine Summe von Leistungen, es ist eine Verfassung des Gemüths. Die einzelnen Gebote des Zudenthums treten darum zurück neben dieser Forderung an den Zustand des ganzen Menschen. Der Spruch des Propheten Hosea: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer," wurde oft aus seinem Munde vernommen, und einem Schriftgelehrten, der die Liebe Gottes höher stellte als Brandopfer und Speisopfer, sagte er, er sei nicht weit entfernt vom Reiche Gottes.3 Gegen andere so gesinnt sein, wie gegen sich, „das ist das Gesetz und die Propheten."4 Nicht die Speise verunreinigt, sondern die argen Gedanken. Ihm, dem Kämpfer gegen den von der Zeit und den Alten" betretenen Weg der Gerechtigkeit, erscheint darum Niemand weiter entfernt vom Reiche Gottes als die, die sich an der

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Erfüllung der Gesetzeswerke genügen lassen. Die Satten, für deren Bedürfniß der äußere Gesetesdienst ausreicht, werden die Forderungen des Gottesreichs nie verstehen. Darum preist er die selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, die Leid tragen, die geistig Armen, denn ihrer ist das Himmelreich. Durchaus gilt hier das Wort, daß nur die, die strebend sich bemühen, erlöst werden können. Darum erscheint ihm, wie jenes Lob des weislich redenden Schriftgelehrten beweist, die Erkenntniß des untergeordneten Werths der rituellen Vorschriften schon als ein erster Schritt zum Gottesreich. So sezt er denn den Seinen auch eine ganz andere Aufgabe, als die der Erfüllung einer bestimmten Zahl einzeln zu formulirender Vorschriften. „Jhr sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist", heißt sein einziges Gebot, bei dem das Streben und Sehnen, das Hungern und Dürsten, das sich Strecken und Bangen nie aufhören wird, und bei dem nie wieder ein Gemüth in dem selbstzufriedenen Bewußtsein und mit dem satten Wort jenes jungen Pharisäers soll ausrufen können: „Das habe ich Alles gehalten, was fehlt mir noch ?"1

Wenn es nun ewig wahr bleibt, daß der natürliche Mensch überhaupt nichts vernimmt von der Botschaft einer geistigen Welt, so traf doch diese Vergeistigung des Begriffs des Gottesreichs gerade bei dem an grölere Leistungen gewöhnten und nach derberem Lohn begierigen Judenthum auf besonders schwerhörende Schüler. Darum durfte Jesus nicht müde werden, in immer neuen Bildern und immer neuen Ansätzen zur Verdeutlichung den Zeitgenossen dieses Gottesreich einer höheren Sphäre als ein gänzlich übersinnliches darzustellen. ,,Wann, fragen bei Lucas die Pharisäer, kommt das Reich Gottes ?“ „Das Reich Gottes kommt nicht, erwidert Jesus, daß man es beobachten kann; man wird auch nicht sagen, siehe, hier ist es, siehe, da ist es. Das Reich Gottes ist mitten unter Euch." Es ist ein geistiger Proceß, der schon begonnen hat, wiewohl ihn Keiner mit Händen greift. Es ist das Erwachen der Gottesliebe, der Menschenliebe, die Einkehr des Friedens von oben, die Verfassung der Gemüther, in der Gott regiert.

Nicht einmal, wie dem Einzelnen das Gottesreich zufällt, will Jesus ein für alle Mal angeben. Er kennt keinen Methodismus

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des Heilswegs, und will der Aeußerlichkeit keine Handhabe bieten. durch Bezeichnung der Symptome der Bekehrung. Das Reich kommt für den Einen so, für den Andern anders. Es ist für den Einen dem gleich und abermal ist es für den Andern etwas Anderem gleich. Kann es dem Israeliten wie eine Erbschaft zufallen als die Mitgift eines frommen Hauses,' so wird es ein Anderer als einen Schaz im Acker finden zu seiner eigenen Ueberraschung,2 in den Geschäften der Erde wühlend, wird ihm plötzlich des Lebens wahrer Sinn und Inhalt aufgehen. Wie ein Kaufmann, dem Edelsten und Besten nachspürend, wird es ein Anderer gewahren als die Perle, neben der jede sonstige Herrlichkeit erbleicht.3 Sein Pfund verwerthend, wird ein Vierter erkennen, wie es am besten wuchert, und wird im Himmelreich seinen Einsatz thun. „Der Wind weht, wo er will, so beschreibt das Johannesevangelium dieselbe Thatsache, du hörest sein Sausen wohl, aber du weißt nicht, von wannen er kommt und wohin er fährt: so ist ein Jeglicher, der aus dem Geiste Gottes geboren ist." Ueberblickt aber das Auge die große Vollzahl derer, die Bürger des Reiches werden, dann ist das Reich Gottes, wie wenn ein Mensch den Samen auf's Land wirft und steht auf Tag und Nacht; und der Same sproßt und wächst auf, wie er nicht weiß. Die Erde bringt von sich selbst zum ersten den Halm, darauf die Aehren, darnach ist voller Waizen in den Aehren. Wenn es aber die Frucht gestattet, läßt er alsbald die Sichel anlegen, denn die Ernte ist da.“s

So hat Jesus sich selbst am liebsten dem Säemann verglichen, der das Wort ausstreut und dann langsam nachforscht, welches Schicksal die gestreuten Körner haben. Der Same ist gut, die Saat wird schon aufgehen. Auf die innere Entwicklung ist ihm darum Alles gestellt, auf das stetige. innere, organische Wachsen. Aber an dieses ist auch ein fester Glaube. Das Reich wird zunehmen, so gewiß der Same aufgeht, so gewiß das Senfforn zum Baum wird, so gewiß der Sauerteig den ganzen Teig durchdringt, so gewiß der Funke als Flamme sich fortpflanzt. Da bedarf es keiner gewonnenen Schlachten, keiner gewaltsamen Umwälzungen, denn er weiß, daß die Welt, die er in sich trägt, schon selbst die Kraft besißt, die äußere Welt umzugestalten. Aber allerdings stand der Gedanke des Reichs nicht lediglich in dieser

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abstrakten Form vor dem Bewußtsein Jesu, sondern gleichzeitig in einer konkreten, praktischen. Er glaubte an ein ethisches Reich, das schon ist, er glaubte aber zugleich an eine im Durchbrechen begriffene, bessere Welt, wie die Propheten und Johannes sie vorhergesagt und das Reich, das er verkündete, lag nicht am Ende einer fernen, fernen Zeit, sondern er glaubte wie Johannes, daß es demnächst Gestalt gewinne. Das Reich Jesu will das Reich sein, dessen Israel wartet, darum ist es von dieser Seite gesehen doch auch wieder der Glaube an eine demnächst kommende, auch den äußeren Zustand der Welt ändernde Theophanie. Bei den Gleichnissen vom Senftorn, vom Sauerteig, von der selbstwachsenden Saat freilich könnte man glauben, Jesus seve schon in der Idee das Reich selbst, das auch als Gedanke, in sich selbst des Sieges gewiß, ruhig den Jahrtausenden die Realisirung überläßt. Allein der That nach hat Jesus so lange Termine nicht in Aussicht genommen und hat die Prophetie der Väter und den Glauben der Frommen nicht Lügen gestraft, daß Gott selbst es sei, der Ziel und Abschluß des heiligen Werks zu schaffen habe.2 An sich freilich bedürfte sein Reich einer solchen Nachhülfe nicht und hat darum auch das Ausbleiben derselben überdauert. Aber jenes Eintreten Gottes gehörte nun ein Mal zu der Ueberlieferung der Schrift, an die Jesus glaubte, und zu den heiligsten Ueberzeugungen aller Besten seiner Zeitgenossen. Darum lautet die Predigt bald dahin, daß das Reich nahe sei, daß es kommen werde, daß der Gerichtstag bevorstehe, bald ist es ideell gefaßt schon jetzt mitten unter den Menschen und hat seinen Einzug gehalten, ohne daß die Menschen sein gewahr wurden. In tiefsinniger, ahnungsvoller Weise aber sind das gekommene Reich und das kommende, die stetige Entwicklung und die plötzliche Katastrophe ineinander verflochten, so daß lebende und zukünftige Geschlechter beide in dieser Form zu denken vermochten. Das sinnliche Gottesreich, das hereinbrechende Gericht Gottes, die glänzende Gnadenzeit waren eben die festen Formen der frommen Anschauung, der Horizont des Volks, des Täufers, der Propheten, der auch Jesum umschloß. Aber erst als sich der Widerstand Israels gegen seinen Reichsgedanken verfestigte, als der Umsatz der schlechten Welt in die bessere sich immer langsamer vollzog, als der Herr dieser Welt mehr Siege errang als der Menschensohn, fing Jesus an, ausführlicher von den kommenden Thaten Gottes,

1 So Keim, Jes. v. Naz. 2, 416. 2 Keim, a. a. O.

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