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von dem Zorn des Gerichts, von der gewaltsamen Ueberwindung des Satans zu reden. Das aber war das Resultat, nicht der Ausgangspunkt seiner Predigt. Als er auftrat in der fröhlichen galiläischen Frühlingswelt, schwellte die freudige Ahnung seine Brust: die Heilszeit ist angebrochen, das Reich ist da, die Himmel gehen ein in die Erde, und der Samen des Worts, das Netz des Menschenjohns, der Sauerteig der Predigt, der Funke der Rede wird auch ohne Johannis Art und das fressende Feuer Jesajas einen Zustand des Volks einleiten, des Gottes würdig, der es heimsuchen will.

Gemäß diesem Vertrauen auf die treibenden Kräfte, die dem guten Samen des Wortes innewohnen, hat denn Jesus auch schlechthin nichts gethan, um das Gottesreich äußerlich zu verfassen. Weder die Denkzettel der Pharisäer, noch die Taufe des Johannes, noch das Gemeinschaftsleben der Essäer sollte die Kinder des Reichs unterscheiden von den Kindern der Welt. Man sollte nicht äußerlich schon erkennen, wer zum Reich gehört und wer nicht. „Lasset Beide miteinander wachsen bis zur Ernte", sagte er, und fürchtete nichts mehr, als die Absonderung der Seinen, die das Licht unter den Scheffel stellen, der Welt das Salz entziehen könnte.

8. Aeußere Anknüpfungspunkte.

Religiöse Vorstellungen sind in dem Maß zukunftsvoll als sie es verstehen, die leidenschaftlichen Interessen der Gegenwart zu allgemein menschlichen zu verklären, so daß jede Generation ihre Bedürf nisse in diesen Vorstellungen befriedigt findet. Nur durch ihre Beziehung zu den lebendigen Fragen der Gegenwart ziehen sie die Lebenden an sich und nur durch die Zurückführung derselben auf ihren rein menschlichen Inhalt bleiben sie den Kommenden theuer. Diese Vergeistigung des geschichtlich Bestimmten zum Idealen ist aber nicht Sache klug ausgedachter Formeln, sondern des Genius, der die Interessen und Vorstellungen seiner Zeit theilt, aber nach der Hoheit der eigenen Empfindung sie reinigt von ihren zufälligen Bestandtheilen. So hatte

1 Vgl. Keim, Jes. v. Naz. 2, 415 f.

Jesus sich zur Lehre vom Reiche Gottes verhalten. Er bleibt ein Sohn seines Jahrhunderts, indem er dieses Reich sich überall vorbereiten sieht, indem ihm alle Zeichen der Zeit auf das Kommen dieses Reiches deuten, indem er die Wehen beobachtet, unter denen das Reich durchbrechen will durch die irdische Hülle aber er schildert auf der anderen Seite das Reich auch so rein geistig, er stellt es so ausschließlich auf die ewigen Bedürfnisse des menschlichen Herzens, daß dieser Reichsgedanke noch in Geltung bleibt, wenn alle den Tod ge= schmeckt haben, denen er das Reich verheißen. Jener Anschluß an die Hoffnungen seiner Zeitgenossen war aber nicht zum wenigsten Ausdruck der innigen Liebesbande, die ihn mit seinem Volk verflochten. In gewissem Sinn zwar wird der Genius immer einsam und heimathlos sein in der Zeit, in der er lebt. Aber Jesus war doch nicht ein einsamer Denker, der der Menschheit gleichviel welcher Jahrhunderte richtige Anschauungen voraus dachte, sondern er stand Arm in Arm mit seinem Volke, ganz hingegeben der kleinen Heerde zu seinen Füßen. Nicht Denken, Retten war seine Aufgabe.

Wie das Charakteristische in seinem Verhältniß zu Gott das Kindschaftsbewußtsein, das Sohnesbewußtsein war, so ist in seiner Richtung auf die Menschheit die erbarmende Liebe, der Hirtensinn, die Grundstimmung seines Gemüths, der Accord, der die einzelnen Töne trägt. Es wird berichtet, wie dieser Genius sich mächtig in ihm regte beim Anblick der geistigen Verwahrlosung des Volks. Dieses Erbarmen ist der Drang, aus dem er handelt, und der doppelt stark in ihm erwacht angesichts der Zustände Israels, wie er sie vorfindet. Das Priesterthum saß zu Jerusalem und die Schriftgelehrten disputirten in den Schulen. Um die Massen kümmerte sich Niemand. Da er das sah, jammerte ihn des Volks, denn sie waren geplagt und vernachlässigt wie Schafe, die keinen Hirten haben". Wie das Aufwallen eines mütterlichen Gefühles beschreibt er selbst die Empfindung, die ihn bei diesem Anblick dem Volk gegenüber ergreift.1 Dabei hat er das selige Bewußtsein, ihnen Allen helfen zu können, wenn sie selbst nur wollen, und aus diesem Vollbewußtsein der Seligkeit des Gebens und Gebenkönnens, aus der Ueberzeugung zu wissen, wie sie Ruhe finden werden für ihre Seelen, entsprang der Ruf: „Kommet her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken".

1 Mth. 23, 37.

Da nun aber Jesus jene innere Normalität der menschlichen Verhältnisse, in welcher er allein die Hülfe sah, durchaus nur in der concreten, der nationalen Form erwartete und wollte, in der Form nämlich der messianischen Zeit oder des Reiches Gottes, die nunmehr anbrechen soll, so hätte es nahe gelegen, auch äußerlich anzuknüpfen an die zeitgeschichtlichen Verhältnisse der Volksgemeinde, die zunächst auf den Weg des Friedens geleitet werden sollte. Je weniger er daran dachte, die nationale Grundlage des alten Gottesbundes abzubrechen, je concreter er das neue Reich als das von der Vergangenheit seines Volks vorbereitete messianische dachte und erstrebte, um so näher lag es auch, dasselbe an die geschichtlichen Fäden der Gegenwart anzuknüpfen, beziehungsweise die Reform der Theokratie durch die Theofratie, der Gottesvorstellung durch die Schule, der öffentlichen Zustände durch die öffentlichen Gewalten zu bewirken. Das Nächste war für eine Absicht, wie die seine, gewiß, sich an das officielle Judenthum, wie es in der Theokratie, in den Lehrern, in den Schulen organisirt war, zu wenden, um durch sie die Besserung herbeizuführen, und nicht an die Atome dieser Volksgemeinde. Auch war in Jeju Stellung zu seinem Volk von Haus aus kein Hinderniß, in die Bahnen des nationalen Lebens, wie er sie nun eben vorfand, einzutreten. Im Gegentheil läßt ein sehr starker patriotischer Zug sich bei ihm gar nicht verkennen. Auch er hat geglüht für sein Volk, und mit den Worten des patriotischsten aller Psalmen nennt er Jerusalem eines großen Königs Stadt. Er hat es nicht verschmäht, Weisungen zu geben über die Gemüthsverfassung, mit der man vor den Altar des Tempelhofs treten solle,2 und hat geheilte Aussäßige zum Priester geschickt, um den Ordnungen der Theokratie zu entsprechen.3 Das Synedrium ist ihm das höchste Gericht, über dem ihm nur noch das Feuer der Gehenna steht, und Tempel und Altar sind ihm ein heiliger Plaz, da Jehova's Ehre wohnet.5 Selbst die negative Seite alles Patriotismus fehlt nicht ganz. Er verbietet bei der ersten Aussendung der Jünger, die Botschaft vom Reich in der Samariter Städte und der Heiden Länder zu tragen, und in den Gleichnissen bedeuten nach Sprachweise seines Volks Hunde und Säue die Völker, die draußen sind." Dafür weiß er, daß auch dem Lezten seines Volkes an der Wiege

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schon eine große Verheißzung ward, weil er Abrahms Sohn ist,1 und noch in den letzten Tagen tönt der tiefe Schmerz eines patriotischen Herzens in der Klage aus: „Jerusalem! Jerusalem! wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt!" 2 Demnach wird sich die Frage, warum Jesus nicht vom Sitz der Theokratie aus und mit den Mitteln, die sie an die Hand gab, seinem Gottesreich Bahn brach, nicht mit irgend welchen principiellen Gründen, sondern einfach damit beantworten, daß er ein Galiläer war und das geistige Reich, das er zu verkündigen hatte, von jedem Punkte aus seinen Anfang nehmen konnte. Jesus blieb einfach in den Verhältnissen, in die ihn Gott gestellt hatte. Er lehnte die theokratischen Wege nicht ab, aber er suchte sie auch nicht auf. Innerhalb der geordneten Einrichtungen des galiläischen Synagogenwesens hat er die Botschaft vom Reich verkündet, bis die Synagoge dem Bedürfniß zu eng ward, oder sich selbst ihm versagte. Dagegen war er auch darin, wie Einer, der selbst Macht hat, und nicht wie die Schriftgelehrten,3 daß er das Bündniß des Synedriums in Jerusalem nicht begehrte und noch weniger natürlich sich auf die dermaligen Machthaber Galiläas einließ. Im Gegentheil, er mied Antipas, der nur zwei Stunden von Kapernaum sein Wesen trieb, und wenn wir das glänzende Tiberias bei den Synoptiken nie erwähnt finden, so beweist das nicht etwa, daß Jesus die Vorurtheile der Rabbinen gegen diesen unreinen Boden getheilt habe, wohl aber, daß er dem weltlichen, halbheidnischen Leben daselbst gern aus dem Wege ging.

Auch hatte seine auf das Innere dringende Predigt des Gottesreichs überhaupt wenig äußere Anknüpfungspunkte. Der Mangel an Beziehungen auf zeitgenössische Vorgänge ist vielmehr ein sicheres Zeichen, daß die politische Welt ihm nur selten den Boden für die Verkündigung desselben abgab. Dem Gleichniß von den Talenten hat er den Hintergrund der Archelauszeit geliehen, die jetzt bei dem Streite der Herodäer um das Erbe des Philippus in der Grinnerung neu aufleben mochte. Die Rede über die gemordeten Galiläer und den Thurm von Sileah ist durch Pilatus veranlaßt. Wer will, mag in dem Baumeister, dem das Geld ausgeht, und dem König, dem die Truppen mangeln,4 Antipas, den unermüdlichen Baumeister und vor

1 Luc. 19, 9.2 Mth. 23, 37. 38.

3 Mth. 7, 29. 4 Luc. 14, 28-32.

sichtigen Diplomaten erkennen, aber nirgends sehen wir Jesum von einem der damaligen Machthaber Impulse empfangen, oder in der Consequenz irgend eines Tagesereignisses handeln. Freilich ist viel die Rede von den Zeichen der Zeit, die das Nahen des Reichs so deutlich künden, wie das Abendroth den schönen Tag, und die nur die ewig Blinden nicht zu deuten vermögen. Ihr Heuchler, läßt er die Pharisäer an, das Angesicht der Erde und des Himmels wisset ihr zu prüfen, wie kommt's daß ihr die Zeichen dieser Zeit nicht prüfet ?" Aber es ist keineswegs seine Meinung, an die Zeichen anzuknüpfen, die damals gerade am politischen Horizont auftauchten. Wie der Staatsmann die Zeit verstand, hatte nichts in ihr Boden, was sich nicht auf den großen Kampf der Nation gegen das Heidenthum bezog. Gegenüber dieser großen, der blutigen Entscheidung zudrängenden Frage, mußten alle andern Interessen verstummen. Wohl lag auch für ihn in den Verhältnissen selbst schon die Aufforderung, sich diesen Bewegungen anzuschließzen. Andere waren an dieser Versuchung zu Grund gegangen. Auch Judas den Gaulaniten hatte der Satan genommen, und ihn auf einen sehr hohen Berg gestellt, da man sah alle Reiche der Welt: die Araber im Krieg mit den Römern, die schwärmenden Heere der Parther, die wilden Söhne Peräas im Kampf mit den Legionen und die Aussicht des Siegs. Er und Andere waren der Versuchung erlegen, batten den messianischen Gedanken vermischt mit weltlichen Interessen, hatten den Fürsten der Welt angebetet und waren dahingefahren. Es ist sogar an sich sehr glaublich, daß im Jahr 34, als die Hufe der Parther unter Artabanus durch die Steppe dröhnten und Aretas in verletztem Vaterstolz seine Beduinen rüsten bieß, der Gedanke, Israels Heil durch's Schwert zu schaffen, mehr als je in der Luft lag. Jesus aber sprach zu diesem Gedanken: „Hebe dich weg von mir Satanas, denn es steht geschrieben, du sollst anbeten Gott, deinen Herrn, und ihm allein dienen!" Wenn die zweite Versuchung, wie jetzt vielfach angenommen wird, diesen Sinn hat, daß zu irgend einer Zeit an Jesum die Aufforderung herantrat, sich zunächst den Mächten dieser Welt dienstbar zu machen, um sie dann später sich zu unterwerfen, so ist doch sicher der Reiz dazu, wie die Gemüthswelt Jesu vor uns liegt, nicht aus ihm gekommen, sondern wurde durch die Verhältnisse an ihn heran gebracht. In der That

1 Luc. 12, 51.

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