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fällt und das Reich selbst nur von ferne schaut, Mose ähnlich, neben dem er begraben ist. Sein Versuch, das Gottesreich zu gründen, hatte letztlich auch nur zu äußerer Askese statt zu innerer Wiedergeburt geführt. Allerdings war der Anfang der Taufbewegung so nicht gemeint gewesen, aber indem der Täufer das Jordanwasser und die Wüste, indem er Fasten und harte Kleidung zu Mitteln wählte, die Menge zu erschüttern, hatte er es selbst verschuldet, wenn seine Jünger nach der Weise der Essäer das Mittel zum Zweck machten und das Gottesreich in äußeren Gebräuchen suchten. Darum wirft Jesus der Schule des Johannes vor, sie habe den neuen Wein in alte Schläuche gefaßt; da plaßten die Schläuche und der Wein ward verschüttet. Sie habe den Lappen ungewalkten Tuches auf den alten Rock gesezt und den Riß nur vergrößert. Mit ihrem Fasten und ihren von Askese abgehärmten Zügen glichen des Johannes Anhänger Leidtragerden, als cb das Kommen des Gottesreichs ein Leichenbegängniß sei, während seine Jünger wie die Hochzeitleute sind, die den Bräutigam begrüßen.2 Klar liegt in solchen Aeußerungen Jesu Stellung zu Johannes ausgesprochen. Der Täufer hatte die Kunde des Gottesreichs und wollte es schaffen, aber seine Mittel waren verkehrte gewesen. Das Gottesreich läßt sich in den alten Mitteln und Formen nicht herstellen. Der Versuch vernichtet nur das Alte, ohne das Neue zu gründen. Die mürben und morschen theokratischen Formen werden zerfallen, wenn man ihnen einen neuen Geist und Sinn unterlegt, aber auch die neuen Gedanken werden verloren gehen, indem man sie in Formen. preßt, die ihnen fremd sind. Die Buße, die das Gottesreich verlangt, läßt sich nicht in den Bußformen des Judenthums erweisen, der Wein wird verschüttet, der Riß wird ärger. Daraus folgt eben: Faßt nicht den neuen Most in alte Schläuche, seht ab von der Tradition und laßt den neuen Geist sich selbst Gewand und Form suchen, wie sie ihm tauglich sind.

Dazu scheint der finstere Ton der johanneischen Schule Jesu wenig sympathisch gewesen zu sein. Er sieht keinen Grund, warum die Kinder des Gottesreichs trauernd einhergehen sollen wie Leidtragende. Die Stimmung, in der er das vom Himmel herabsteigende Gottesreich begrüßt, hat nichts gemein mit den Bußpsalmen und Schreckensworten der Propheten, die Johannes so geläufig waren. Sein Gemüth ist

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2 Mth. 9, 14-17. Mr. 2, 18-22. Luc. 5, 33-39.

voll Jubel und Festfreude über die Liebe des Vaters, die er überall über die Welt ausgegossen sieht, und vollkommen zu werden, wie er, das allein ist die Regel, die Sahung, das Gebet und die Askese, die den Seinen obliegt. Damit aber hat er eine so bestimmte Grenze zwischen seinem Arbeitsfeld und dem des Johannes gezogen, daß auch die ausdrücklichsten Anknüpfungen an die von ihm hochherzig anerkannten Bestrebungen des Täufers ihn doch nicht als den Fortseter der Taufbewegung erscheinen lassen können.

Von allen Anknüpfungspunkten, die die Zeit bot, nahm Jesus vielmehr nur den allergewöhnlichsten auf; er trat, was Niemanden auffallen konnte, weil es alltäglich war, in die Gewohnheiten der galiläischen Lehrer ein, sprach in der Synagoge und lehrte in der Gemeinde. Er predigte das Gottesreich, aber nicht zwischen den hehren Felswänden der Wüste, sondern auf dem schlichten Lehrgerüst der Synagoge. Er trat vor das Volk nicht in Prophetentracht, sondern im gewohnten Gewand des jüdischen Mannes, dem an den vier Enden die übliche Quaste nicht fehlte.1 Hatten Pharisäer, Essåer und Johannes die Rhetorik asketisch abgehärmter Vienen, breiter Denkzettel und einer gewaltigen Natur zu Hülfe gerufen, um die Herzen zu rühren, so that Jesus das Allergewöhnlichste, er meldete sich zum Midrasch, wenn die Torah verlesen war.

9. Die erste messianische Gemeinde.

Das zu begründen, was er geschichtlich begründet hat, einen Kreis von Gemeinschaften, in denen die Grundsätze des Gottesreichs verwirklicht sind, aus welchen kleinen Kreisen sich dann Zelle für Zelle schließlich das große Gottesreich zusammenweben soll, hat Jesus einen so unscheinbaren Weg eingeschlagen, daß sich wohl begreift, wie den ferner stehenden Volkstheilen, wie den Kreisen des Geschichtsschreibers Josephus, Jesu ganze Wirksamkeit unbekannt bleiben konnte. Für die Welt aber, in ter er lebte, mußte seine zunächst auf das Wort beschränkte Thätigkeit dennoch einen gewaltigen Eindruck machen.

1 Mth. 9, 20. Mr. 6, 56. Luc. 8, 44.

Die geistige Dede der damaligen Synagoge und ihre dürre Kost der Gesetzespredigt erläutert am besten den Sat: „Sie erstaunten über seine Lehre, denn er lehrte wie Einer, der eine Vollmacht hat, und nicht wie die Schriftgelehrten“. Wir kennen ja diese Predigt der Schriftgelehrten, von der die Synagoge wiederhallte, beispielsweise aus den Jubiläen. Da werden die kleinlichsten Sabbathvorschriften eingeschärft als die eigentlichen Grundlagen der sittlichen Weltordnung, da werden die Sorten und Qualitäten des Opferholzes, der Umfang der Zehntpflicht, die Verderblichkeit des Blutgenusses, die Unerläßlichkeit der Beschneidung am achten Tage mit einem Eifer gepredigt, als ob in ihnen die rechten Bedingungen eines menschenwürdigen Daseins lägen. Das war die Sittlichkeit und die Religion der Zeitgenossen; so erklärt denn allerdings schon das aus den tiefsten Tiefen schöpfende Wort Jesu allein die Bewegung der Geister, die nun in Kapernaum erwachte. Die Synoptiker berichten von einem gewaltigen Zustrom der Massen, der zwar niemals die Höhe der Taufbewegung erreichte und sich wesentlich auf Galiläa beschränkte, aber doch so bedeutend ist, daß Jesus schlechthin der Prophet der Galiläer genannt werden konnte. Sobald es ruchbar wird, daß Jesus in Kapernaum ist, drängen so Viele nach dem kleinen Hause des Petrus, daß der enge Hofraum sie nicht zu fassen vermag.2 Er muß seine Jünger anweisen, daß sie ihm einen Nachen bereit halten, damit er sich dem drängenden Volk entziehen könne, oder er entweicht durch die hintere Thüre nach dem Gebirg, um dort einsame Nächte im Gebet zuzubringen.4 Selbst ein ganz specieller Zug aus dieser Zeit des Volkszulaufs ist bei Marcus erhalten. Als sie in's Haus gingen, heißt es, kam abermals das Volk zusammen, also daß sie nicht einmal essen konnten“.5

Der Grund dieses Zudrangs war allerdings nicht allein die Kunde von seiner Predigt, sondern noch mehr die von seinen Thaten. Es ist eine durch sämmtliche Zweige der evangelischen Tradition bezeugte Thatsache, daß Jesus die Heilungen und Dämonenaustreibungen, die das damalige Judenthum von seinen Rabbinen verlangte, die die essäischen Propheten und Kabbalisten durch Geheimmittel, Exorcismen und allerlei Zauberkünste zu üben pflegten, seinerseits auch vollbrachte, aber durch die bloße Gewalt seiner persönlichen Einwirkung und die

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1 Mr. 1, 32. 33. 45; 2, 2. 4. 15; 3, 7-10; 9, 15 u. s. w.

3 Mr. 3, 9. 4 Mr. 1, 45. 5 Mr. 3, 20.

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2 Mr.

Macht seines Wortes. Dieselbe heilskräftige Erregung, die die Rabbinen durch Besprechung und Beschreiung, durch wunderbare Manipulationen und geheimnißvoll schauerliche Formeln hervorbrachten, erzeugt hier schon die bloße Gegenwart des Meisters, dessen Wort die Kranken gewiß macht, daß er von Gott Vollmacht habe. Der seine Jünger vom Netz und Pflug nach sich zog, vor dem die Sünderin in Thränen schmolz, dessen Einkehr Zacchäus und härtere Zöllnernaturen umwandelte, dessen Anblick Maria in starrer Andacht festhielt, und zu dessen Füßen Hunderte Ruhe fanden für ihre Seelen, sollte der nicht die gleiche geistige Wirkung üben wie der Zauberstab des Kabbalisten und der rabbinische Heilspruch? Vielmehr war auch diese Thätigkeit eines Propheten den Zeitgenossen so selbstverständlich, daß sie nicht warteten, bis er seine Hülfe anbot, sondern sie kamen zu ihm. Die Einen drängen sich an ihn, die Anderen werden ihm zugetragen. Verschämt streckt die heimlich Kranke von hinten ihre Hand nach seinem Kleide und offen bekennt ein Anderer Sünde und Strafe. Wagt der Eine nicht, seinem Hause Jesu Besuch zu erbitten, so bringt man den Anderen ihm in's eigene Haus, damit er nicht anders könne als ihm helfen. Die Blinden schreien am Wege: Sohn David's, erbarme dich unser und die Kanaanäerin verfolgt ihn, nachdem er sie mit harten Worten von sich gewiesen. Zumal die dämonisch Kranken empfinden die Größe dieser von der Begeisterung ihrer ganzen Umgebung ge= tragenen Prophetengestalt. Ein Zittern geht durch alle ihre Glieder, sie wollen fliehen und fühlen sich festgehalten, sie schreien gegen den Peiniger und werden doch in seinem Willen wieder des eigenen Willens bewußt, der allein über den bösen Geist Gewalt hat. Jesus erscheint dabei meist in gehobenem Affekt. „Er ist außer sich gerathen“, sagten Mutter und Brüder, als sie ihn zum ersten Mal so sahen. „Er treibt die Teufel aus durch den größeren Dämon, der in ihm ist“, lästerten die Pharisäer, und von einer Bedrohung der bösen Geister reden auch die Jünger. So ist es bald ein Machtwort, das er den Kranken zuschleudert: „Verstumme unsauberer Geist und fahre aus von ihm!" "Ich sage dir, stehe auf!" "Nimm dein Bett und wandle!" -bald, nach Lage des Falls, ist es ein Trostwort, das den Kleinmuth löst und durch heiße Rührung erreicht, was dort der jähe Schrecken wirkte. Dir geschehe, wie du geglaubt hast!" Weib, du bist gelöst von deiner Schwachheit!" Habe Muth, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben". Die magische Kette, die zwischen ihm

sich bei den Einen als Wo Tausende glauben,

und dem Kranken liegt, ist der Glaube, der Schreck, bei den Andern als Vertrauen äußert. da glaubt der, der Hülfe will, tausendfach. So war sein Wille im Stande wieder so viel Willen zu wecken, als zur Genesung vor Allem Noth that. Wie weit nun die überkommenen Wundererzählungen geschichtlich sind, läßt sich aus Quellen, deren älteste dreißig Jahre jünger ist als die berichteten Ereignisse, und die im Einzelnen sich vielfach widersprechen, nicht mehr feststellen. Im Ganzen wird, das synoptische Bild dieser Wunderthätigkeit doch treu sein. So haben die Augenzeugen Jesum beschrieben und für sie ist er sicher so gewesen. Doch liegen auch konkretere Erinnerungen darüber vor, wie Jesus zum Wunderthäter ward und einige Erzählungen sind besser bezeugt als andere.

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In der Darstellung des ältesten Evangeliums 2 erscheint die wunderbare Wirkung auf die Besessenen und Leidenden zum ersten Mal im Gefolge einer großen geistigen Erweckung, die durch ihn Kapernaum ergriffen hat. Der erste Auftritt trägt sich am Sabbath in der Synagoge zu. Während Jesus redet und ein Staunen über seine Worte durch die Versammlung hinläuft, kreischt plöglich ein Besessener laut auf: Was haben wir mit dir zu schaffen, Jesus von Nazareth? Du bist gekommen, uns zu verderben! Ich weiß, wer Du bist, der Heilige Gottes!" Und Jesus bedräute ihn und sprach: Verstumme, und fahre aus von ihm! Und der unsaubere Geist zerrete ihn und schrie laut, und fuhr aus von ihm". Da löste sich in ungeheuerem Staunen die Versammlung auf. „Das ist eine neue Lehre“, sagten die Kapernaiten. „Gebietet er nach seiner Gewalt auch den unsauberen Geistern und gehorchen sie ihm?" Und es kam das Gerücht von ihm alsbald aus in der ganzen umliegenden Gegend“.3 Wie nun Jesus nach seinem Hause zurückkehrt, da streckt ihm die fieberkranke Schwiegermutter Petri die Arme entgegen und als er sie bei der Hand ergreift, da fühlt auch sie sich gesunden, das Fieber verließ sie alsbald und sie dienete ihnen". Wie ein Lauffeuer verbreitet sich des Meisters neue That in Kapernaum. Das Volk versammelt sich des Abends in Haufen vor der Thüre des Petrus. Man bringt alle Besessenen und Kranken und Siechen des Städtchens zu ihm. „Jesus aber half vielen Kranken, die mit mancherlei Seuchen beladen waren,

"

1 Keim, Leben Jesu 2, 125-162. 2 Mr. 1, 21-34.

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