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ja auch die Philosophen den Mikrokosmus nennen. Der Feind, der die Stadt belagert, ist der Teufel. Der weise Mann, deß Niemand gedenkt, ist das Gewissen“.1

Dieser populäre Lehrton, der hier noch durchklingt, ist ohne Zweifel in der Zeit, in der die Rede der Lehrer dem Volk im Großen galt, noch weit mehr gebräuchlich gewesen, wie ja auch Jesus denselben mit Vorliebe anschlug.

4. Die Schriftgelehrsamkeit.

Neben der hervorragenden Stellung, die die Rabbinen im öffentlichen Leben einnahmen, ist es für das Verständniß unserer Zeit nur noch von nebensächlicher Bedeutung, welches ihre im engeren Sinn gelehrte Thätigkeit gewesen sei. Wir greifen daher aus diesem weitschichtigen Gebiet nur Das heraus, was geeignet ist, die neutestamentliche Literatur von irgend einer Seite her zu erläutern.

Philo's Abhandlungen, die Alterthümer des Josephus und die Jubiläen beweisen, daß in den Schulen damals schon die Resultate einer in frühere Jahrhunderte hinaufreichenden Arbeit des Schriftstudiums und der Schrifterklärung sorterbten. Manche Schwierigkeiten und manche Lücken der Erzählung der heiligen Geschichte waren ent= deckt und durch künstliche Erklärung oder durch neu erdichtete oder von andern Völkern gelernte Fabeln gelöst und ausgefüllt worden. Manches dogmatisch Anstößige wurde wegerklärt. Es hatte sich bereits eine gewisse Ueberlieferung in der Auslegung und eine Anzahl Sagen über die Vorzeit gebildet, die zum Theil schon eben so willig geglaubt wurden, wie die kanonischen Erzählungen selbst.

So hatte man, wie die Jubiläen beweisen, sich die Frage aufgeworfen, wer denn dabei gewesen, als Gott die Welt geschaffen habe, da man jedes Tagwerk aufzuzählen wisse, und getröstete sich einer Offenbarung, in der der Engel des Angesichts Mose die Schöpfungsgeschichte mitgetheilt habe. Derselbe Verfasser weiß, seit welchem Tage den Thieren der Mund verschlossen worden ist, so daß sie nicht mehr

Hieron. Cohel. 9, 14 f.

sprechen können, wie die Schlange gesprochen hatte. Er weiß, wie der Teufel sich mit Gott in die Welt getheilt. Er weiß genau, woher die Erzväter ihre Weiber haben, mit wessen Hülfe Noah die Thiere in seine Arche brachte, wie der hamitische Stamm der Kanaanäer und der japhetitische der Meder in semitisches Stammgebiet kamen; warum Rebekka eine so große Vorliebe für Jakob hatte, warum Esau, bei einer Hungersnoth, seine Erstgeburt so wohlfeil verkaufte, warum Aunan sich weigerte, die Tamar zu ehelichen, warum das Kind Mose in dem Kästchen erhalten bleiben konnte und was sonst für einen grübelnden Rabbinen wichtige Dinge sind. Auch die Namen der Weiber von Adam bis auf Terach und die Weiber der Söhne Jakobs sind ihm bekannt, und nicht minder das Land, wohin Adam aus dem Paradiese kam. Deßgleichen der Name der Spitze des Ararat, wo die Arche Noah aufiaß. Auch erzählt er Abrahams Jugendthaien, wie er sich in der zweiten Jahrwoche von seinem Vater absondert, um die Götzen zu meiden, wie er als Kind von 14 Jahren den Rabenschwärmen verbot, sich auf frischbesäten Feldern niederzulassen, wie er den Chaldäern Pflüge und Säemaschinen erfand und gleich Herkules in 10 Versuchungen sich als Held erwies.1 Namentlich romantisch ist der letzte Kampf Esau's gegen Jakob in den Jubiläen ausgemalt und, in Form einer Familiengeschichte, das Verhältniß der Erzväter zu ihren Enkeln und Großvätern, zu ihren Kindern und Schwiegereltern dargelegt, kurz alle Beziehungen derselben vorwärts, rückwärts und zu Gleichzeitigen ausgesponnen. Ein besonders reicher Sagencyklus hatte sich namentlich um das Leben Mose geschlungen, das wir bei Philo und Josephus ziemlich übereinstimmend erzählt finden. Philo z. B. weiß zu berichten, warum Gott gerade zehn Plagen über die Aegypter verhängt habe, er weiß, welche Jehova durch Aaron, welche er durch Moses vollzogen und welche er sich selbst vorbehalten habe und auch die Gründe solcher Vertheilung macht er einleuchtend.2 Allen diesen Schriftstellern sind diese interpretirenden Ausschmückungen, die ihren ersten Ursprung der ausmalenden homiletischen Verarbeitung in der Synagoge verdanken, so objectiv geworden, daß sie dieselben ohne Weiteres als Theil der heiligen Geschichte berichten. schuldigende Irrthümer der Töchter Loth's, Jugendabenteuer des Gesetz

1 Ebenso Targ. Hieros. zu Gen. 22, 1. Vgl. auch die ersten Bücher der Antiquitäten des Josephus. 2 Philo, Mos. I, Mang. 96.

gebers, Prophezeiungen auf ihn von ägyptischen Weisen, werden mit der gleichen Zuversicht berichtet, wie irgend eine in der Torah selbst ent= haltene Erzählung. Und so wurden diese rabbinischen Lehrstücke wohl allgemein in den Schulen behandelt. Auch Paulus zweifelt nicht, daß der Fels, der die dürftenden Israeliten in der Wüste getränkt habe, der Messias gewesen sei, welcher dem wandernden Volke in Gestalt eines Felsen nachfolgte.2 Ebenso weiß Johannes, daß die Bundeslade sowohl als der Mannatopf, die im Allerheiligsten des alten Tempels gestanden hatten, bei Zerstörung desselben durch die Chaldäer in den Himmel entrückt worden seien, um erst im messianischen Reich wieder zum Vorschein zu kommen,3 und es ließen sich leicht noch andere Beispiele dafür auffinden, wie die Tradition den Werth wirklicher Schriftmäßigkeit mit der Zeit erlangt hatte.

Neben dieses kühne Spiel der Phantasie stellte sich aber doch auch wieder eine überaus engherzige Werthschätzung des Buchstabens, die bei dem mechanischen Inspirationsbegriff der Rabbinen freilich unvermeidlich war. Derselbe brachte es mit sich, daß man in allen Zufälligkeiten des Tertes oder der Schreibweise ein besonderes Geheimniß suchte, da man auch die äußerliche Beschaffenheit der Schrift aus keinem Zufall, sondern nur aus einem wohlbewußten göttlichen Willen glaubte erklären zu dürfen.

Aus der rhetorischen Wiederholung Jes. 40, 1 „Tröstet, tröstet mein Volk", schließt das Midrasch, daß nunmehr doppelte, schwer wiegende Prophezeiungen beginnen. Das Wort Gen. 2, 7 7" hat zwei", weil Gott dem Menschen zwei 13, einen guten und einen bösen Trieb anerschaffen hat.4 So wurde nichts Auffälliges übergangen oder etwa aus der Unvollkommenheit alles menschlichen Schriftwesens erklärt, sondern in jeder ungewöhnlichen Wendung, in jeder unnöthigen Wiederholung, ja selbst in jeder Auslassung eine genauere Bestimmung des Gesetzes gesucht, der der Gelehrte auf den Grund zu kommen habe. Es entsprang daraus eine Gewohnheit, den Buchstaben zu pressen, der sich kein Schriftgelehrter dieser Zeit entzog. Selbst Paulus beweist, daß die Verheißung von Abraham, 1 Mos. 22, 18, mit Deinem Namen werden sich segnen alle Völker", nicht von Israel rede, sondern von Jesu, damit, daß er in seiner Septuaginta

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1 Ant. II; 9, rachot, bab. 61, a.

2.

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2 1 Cor. 10, 4. 3 Apoc. 2, 17. 11, 19. Philo, de profugis I, Mang. 554.

4 Be

iv τ onéquari oov in der Einzahl las, woraus er folgert, daß von Einem die Rede sei und nicht von einem Volk.1

Bei dieser Vorstellung von der Wichtigkeit jedes einzelnen Buchstabens lassen sich auch die charakteristischen Eigenthümlichkeiten der rabbinischen Masoreten begreifen. Es lag nämlich, wie schon gesagt, die Vervielfältigung der Terte noch immer den Schriftgelehrten ob, und bei dieser intensiven Beschäftigung mit dem für inspirirt gehaltenen Schriftbuchstaben war man damals schon stark in jenen rein äußerlichen Observationen, wie sie die später schriftlich firirte Masorah in so großer Anzahl erhalten hat. Man zählte ab, welches der mittelste Buchstabe der Torah sei, wie oft ein Wort defective oder plene, mit diesem oder jenem Vocale oder Lesezeichen geschrieben, mit oder ohne Artikel stehe. Man konstatirte, daß nur zwei Verse der Torah mit D anfangen (2 Mos. 32, 8 und 4 Mos. 14, 19), man registrirte die einzelnen Vorkommnisse nach Kategorien und Classen und dgl. mehr. Zu der Reinerhaltung des Terts haben diese Künste allerdings viel beigetragen.

Selbst in das Volk war derartiges Wissen so tief eingedrungen, daß Jesus bei der im Tempel versammelten Menge ohne Weiteres die Kenntniß voraussetzen kann, welches der erste und welches der letzte Mord in der Bibel sei,2 und ihm selbst stand der Tert mit seinen Buchstaben, Ringchen und Häkchen so deutlich vor Augen, daß er in einer Rede, sich steigernd, ausrief: „Kein Buchstabe wird verloren gehen, ja kein Häkchen"!3

Neben der Vervielfältigung der Schrift, die zu solchen Wahrnehmungen Gelegenheit bot, war es nächstdem Aufgabe des Schriftgelehrten, für den Gebrauch der Synagogen Targumim zu fertigen, die der Turgman auswendig zu lernen hatte, damit nicht der Schein entstehe, als wolle man eine zweite Schrift neben die Schrift stellen. Bei der eminent praktischen Richtung der Rabbinen auf die Verwirklichung des Gesetzes im Leben war aber selbstverständlich auch das Lehrhaus voll Disputationen über Anwendung der Schriftstellen auf wirkliche Fälle und der Lehrvortrag wesentlich praktische Eregese. Auch hier handelte es sich immer auf's Neue wieder darum, aus den Schriftstellen weitere Consequenzen zu ziehen, Begriffe zu spalten, Vorschriften

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2 Mth. 23, 35, nämlich Gen. 4, 8 und 2 Chron. 24,

mit einander zu combiniren und andere daraus abzuleiten, casuistische Probleme zu erörtern und zu lösen, kurz um alle jene Controversen, deren literärischer Niederschlag schließlich im Talmud zusammenfloß. Rabbi Hillel hatte für den Zweck, traditionelle oder auch neue Vorschriften oder Wahrheiten aus der Torah abzuleiten, sieben Deutungsregeln aufgestellt, vermittelst deren man für die im Gesetz implicite enthaltenen Vorschriften den Schriftbeweis herzustellen vermöge. Nach ihm sollte man schließen, 1) vom minder Wichtigen auf das Wichtige und umgekehrt; 2) nach Analogie; 3) aus einem ein Mal vorkommenden allgemeinen Satz der Schrift auf besondere Fälle; 4) aus einem Satz, der sich aus mehreren Stellen ergibt; 5) aus dem Gegensatz des Allgemeinen und Besonderen; 6) nach der innern Verwandtschaft der Fälle; 7) nach dem Zusammenhang des Tertes. Ein so vermitteltes Schlußverfahren machte es leicht, die abenteuerlichsten Beweise zu führen, und auf ihm beruhte vornehmlich die sprüchwörtlich gewordene Spitzfindigkeit der rabbinischen Schriftbeweise. Wie sehr aber eine solche Methode in der Zeit lag und für eine Cultur Vedürfniß war, die den Bestimmungen ihrer ererbten heiligen Urkunden entwachsen, sich dennoch aus ihnen rechtfertigen wollte und rechtfertigen mußte, das beweist der Beifall, mit dem Hillels Deutungsregeln aufgenommen wurden, deren Verfasser man ihretwegen als zweiten Esra pries. Selbst seinere Geister wie Philo und Josephus, und ernstere Gemüther wie Paulus konnten dieser Methode sich nicht entziehen, sie konnten sie nur in ihrer Anwendung beschränken und durch ihren religiösen Tact zum Erweis sittlicher Wahrheiten statt zur Begründung rabbinischer Einfälle verwenden.

6. Die Geheimlehre.

Noch wird es nöthig sein, über diejenige Seite der Schriftgelehrsamkeit etwas zu sagen, die mehr als Geheimlehre der Eingeweihten behandelt wurde, die aber doch mit der ganzen Auffassung der Schrift, wie sie in den Schulen gebräuchlich war, zusammenhing. Wie die ganze Tradition im Schrifttert enthalten sein sollte für die

1 Succa 10. a. Grätz, 3, 175. Hausrath, Zeitgeschichte. I. 2. Aufl.

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