ภาพหน้าหนังสือ
PDF
ePub

Allmählich bildeten sich ganz bestimmte Regeln für Reinigungen und Enthaltungen. Es kann aber nicht nachdrücklich genug betont werden, daß alles dies zunächst mit Moral nichts zu tun hat. Moral ist nichts Fertiges, sondern mühsam Gewordenes. Das kleine Kind weiß nichts von gut und böse, und, wie es bei jedem einzelnen Menschen jezt noch geschieht, so ist auch der ganzen Menschheit die Erkenntnis des sittlich Guten und des sittlich Schlechten erst sehr allmählich aufgegangen. Wir dürfen uns nicht durch einzelne schöne Sprüche täuschen lassen. Wohl standen am Eingang des Asklepios-Tempels zu Epidauros die Verse:

,,Nur wer rein ist, betrete die Schwelle des duftenden Tempels;
Niemand aber ist rein, außer wer Heiliges denkt."

Aber solche Worte sind erst spät, vielleicht im 4. Jahrhundert, unter ganz anderen Einflüssen entstanden.

Tatsächlich ist es ein langer Weg, bis sich aus den Ceremonien äußerer Reinigungen die Forderung innerer Reinheit entwickelte. Diesen Weg gilt es zu verfolgen.

V. Die Sekte der Orphiker.

Bei Herodot lesen wir II, 81:

,,Die Ägyptier Heiden sich in leinene Gewänder, welche um die Beine her gefranzt sind und welche sie,Kalasiris' nennen; darüber aber tragen sie weiße wollene Kleider. Sie betreten aber nicht in wollenen Kleidern die Tempel; auch werden sie nicht in solchen begraben, weil das für unheilig gehalten wird. Hierin stimmen sie mit den sogenannten Orphikern und Bakchikern überein, deren Gebräuche aus Ägypten stammen, ebenso wie die Pythagoreische Geheimlehre. Denn, wer an diesen Orgien teil hat, darf nicht in wollenen Kleidern bestattet werden.“

Hier hören wir von den Orphikern. Was Herodot über den Zusammenhang derselben mit Ägypten sagt, wird mit Recht bezweifelt, und wir dürfen das auf sich beruhen lassen.

Über die Orphiker sagt Rohde: Was sich in Orpheus' Namen zu einem eigentümlichen Kult des Dionysos zusammentat, das waren Sekten, die in abgeschlossener Gemeinschaft einen Kultus begingen, den der öffentliche Gottesdienst des Staates nicht kannte oder verschmähte."

Wir beobachten hier eine merkwürdige Verbindung von Religion und philosophischer Spekulation. Es besteht ein

deutlicher Zusammenhang einerseits mit dem, was wir im vorigen Abschnitt über Weissagung und Reinigung gesagt haben, andrerseits mit der Philosophie des Pythagoras und des Plato.

Nach außen hin traten die Orphiker als Seher, Reinigungspriester und Ärzte auf. Wichtiger aber sind die Lehren, Vorschriften und Weihen, welche die Mitglieder im Inneren ihrer Genossenschaft ausbildeten und befolgten. Athen wurde Mittelpunkt der orphischen Sette.

Es ist eine Lehre, welche die Orphiker mitteilen wollen; aber sie sind noch nicht imstande, die mythische Schale abzuwerfen. Sie legen dem sagenhaften Sänger Orpheus geheimnisvolle, mythische Erzählungen in den Mund: wie in langer Reihe zahlreiche Mächte und Gewalten auseinander hervorgehen, einander überwinden, sich in Weltbildung und Weltregierung ablösen, bis der bei aller Mannigfaltigkeit einheitlich geordnete Kosmos fertig ist. Die Dichtung lief in die Erzählung von den Schicksalen des Unterweltgottes Zagreus aus.1)

„Dionysos, mit dem Namen des Unterweltgottes Zagreus benannt, war der Sohn des Zeus und der Persephone, dem in kindlichem Alter schon Zeus die Herrschaft der Welt anvertraute. Ihm nahen, von Hera angestiftet, in trüglicher Verkleidung die bösen Titanen, die Feinde des Zeus. Durch Geschenke machen sie ihn zutraulich; als er im Spiegel, den sie ihm geschenkt, den Widerschein seiner Gestalt betrachtet, überfallen sie ihn. Er entzieht sich ihnen in wechselnden Verwandlungen; zulezt wird er, unter der Gestalt eines Stiers, überwältigt und in Stücke zerrissen, welche die wilden Feinde verschlingen. Nur das Herz rettet Athene; sie bringt es dem Zeus, der es verschlingt. Aus ihm entspringt der neue Dionysos, des Zeus und der Semele Sohn, in dem Zagreus wieder auflebt.... Die Titanen aber, welche die Glieder des Gottes verschlungen hatten, zerschmetterte Zeus durch seinen Blizstrahl; aus ihrer Asche entsteht das Geschlecht der Menschen, in denen nun, ihrem Ursprung gemäß, das Gute, das aus Dionysos-Zagreus stammte, beigemischt ist dem bösen, titanischen Element."

Hieraus ergeben sich nun nach orphischer Lehre die Aufgaben für die Menschen. Zwei Entgegengeseztes ist verbunden: Der Leib ist titanischen, die Seele dionysischen, d. h. göttlichen Ursprungs. Die Seele ist im Leib gefesselt, wie der Gefangene im Kerker. Es gilt, die Seele zu befreien, sie von dem Leiblichen, dem Titanischen zu lösen, sie wieder ihrem Ursprung, d. h. Gott zuzuführen.

1) Vgl. Rohde, Psyche II, 116 ff.

Hier ist nun die Weiterbildung der Reinigungen von großer Bedeutung. Handelte es sich früher bei den Kultusgebräuchen um äußere Befleckungen, die abgewaschen werden mußten: so wird hier die Vereinigung der Seele mit dem Leib als eine Befleckung aufgefaßt, und alle orphischen Reinigungsriten haben den Zweck, die Seele von dem Leibe zu befreien. Das gelingt nur wenigen. In der Regel ist die Seele genötigt, nach dem Tode einen neuen Leib aufzusuchen; die Orphiker lehrten die Seelenwanderung.

Überhaupt ist der Mensch nicht imstande, aus eigener Kraft sich frei zu machen. Der Gott Dionysos und sein Prophet Orpheus müssen helfen. Es tritt uns hier zum ersten Mal eine Erlösungsreligion entgegen, die gar verschieden ist vom sonstigen griechischen Wesen, das sich auf sich selbst verläßt. Den Anhängern der orphischen Sekte wurde verheißen, daß der Gott und sein Prophet denen, die sich weihen ließen und die Reinigungen und asketischen Vorschriften beobachteten, die ewige Seligkeit und die Lösung der Seele von der Leiblichkeit gewähren werde. Zu den asketischen Vorschriften gehörte vor allem die Enthaltung von Fleischspeise.

D. Religion und Philosophie.

I. Die ältesten Philosophen bis auf
Anaxagoras.

Ewig denkwürdig, einzigartig, stets von neuem unser staunendes Interesse weckend ist die gewaltige Geistesbewegung, welche um 600 v. Chr. in den jonischen Kolonien Kleinasiens, besonders Milet, entstand und von dort aus nach den Griechen= städten Unteritaliens verpflanzt wurde; erst in der 2. Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. wurde auch das griechische Mutterland davon ergriffen, und sie erreichte ihre höchste Kraft und Vollendung in Athen.

=

Es war ein gewaltiges Suchen und Ringen nach Wahr heit, nach den Ursachen alles Geschehens; man machte sich

dabei mehr und mehr frei von der mythisch-religiösen Denkund Vorstellungsweise; ohne Führung des altüberlieferten Glaubens wollte man allein mit dem Verstand das Ziel erreichen. Welche Fragen nur denkbar sind über die dunkeln Rätsel der Welt und des menschlichen Lebens: sie wurden damals gestellt. Man hat die mannigfachsten Antworten und Lösungen versucht: Lösungen, an welche die moderne Wissenschaft immer von neuem anknüpfen muß: Monismus, Pantheismus, Monotheismus, Dualismus, Materialismus, Spiritualismus, Leugnung jeglicher Unsterblichkeit, daneben hier eine persönliche Unsterblichkeit, dort ein Aufgehen in die Alkraft. Es ist, als wenn der Menschengeist sich damals zum ersten Male seiner gewaltigen Kraft bewußt geworden wäre und sie in jugendlich-begeisterter Schaffensfreude nach allen Seiten erprobt hätte.

Im Vordergrund stand die Frage nach dem Werden und nach dem Sein, nach der Kraft, die alles bewegt: Was ist das wahrhaft Seiende, aus dem alle Einzeldinge geworden sind? Das erste philosophische Problem war „der Anfang“ (dox), das Prinzip, der Urstoff, das Urelement. Die drei Philosophen Thales, Anaximenes, Anaximander aus Milet (6. Jahrhundert) fanden ihn der eine im Wasser, der andere in,,einem Unbestimmten", der dritte in der Luft.

Dann traten zwei entgegengesezte Ansichten auf, von denen die eine allen Nachdruck auf das unaufhörliche Werden, die andere auf ein unveränderliches Sein legte:

πάντα ῥεῖ.

a) Heraklit von Ephesos (um 500 v. Chr.) leugnete ein bleibendes Sein und ließ nur ein ewiges Werden gelten: návra gɛł. Die Kraft des Werdens selbst, die absolute Lebendigkeit war ihm der „Anfang“, das Prinzip, der Urgrund der Mannigfaltigkeit aller Erscheinungen. Und weil man damals noch nicht imstande war, sich irgend etwas immateriell zu denken, so nannte er diese lebendige Kraft das Feuer. Der ewige Kreislauf des Werdens und Vergehens besteht darin, daß das Feuer aus sich heraus alle Dinge erzeugt und sie wieder in sich zurücknimmt.

Seele, Geist ist Feuer. Und so ist dem dichtenden Philosophen die Kraft des Werdens, das Urfeuer zugleich die

Weltvernunft, die er lóyos nennt. 1) Der Logos lenkt das ewige Werden und Vergehen, so daß Gesezmäßigkeit, Maß, Ordnung und Harmonie besteht.

Auch die Seele des Einzelmenschen ist ein Teil des Urfeuers, des Logos, der Weltvernunft. Ein persönliches Fortleben der Seele gibt es nicht; sie kehrt zum Urfeuer zurück.

"

b) In scharfem Gegensaß zu Heraklit stehen die sogenannten Eleaten": Xenophanes, der aus Jonien vor den Persern nach der unteritalischen Griechenstadt Elea geflüchtet war, und sein Schüler Parmenides; und doch laufen die Endansichten zusammen. Heraklit sprach von einer Welt, die nie ist, sondern immer wird; die Eleaten von einer Welt, die nie wird, sondern immer ist. Sah Heraklit in der stetigen Veränderlichkeit, in dem Kreislauf der werdenden und vergehenden Dinge die wahre Realität: so erklärten die Eleaten die ganze Welt der Erscheinungen für ein Trugbild, die Mannigfaltigkeit der Einzeldinge für eine Illusion; dahinter steht ihnen das wahre eine Sein, die Allgottheit, die unveränderlich ist.

Interessant sind die Keßereien des Xenophanes, der gegen die polytheistische Volksreligion ankämpft:

„Alles, was den Menschen als schimpflich und unsittlich gilt, haben Homer und Hesiod den Göttern zugeschrieben: Diebstahl, Ehebruch und Betrug."

,,Daß die Götter in Menschengestalt gedacht werden, ist menschliche Erfindung: hätten Rinder und Löwen Hände und könnten schaffen wie der Mensch, so würden sie die Götter in ihrer Gestalt darstellen.“

[ocr errors]

Ein Gott ist unter Göttern und Menschen der höchste, den Sterblichen weder an Gestalt gleich noch an Sinnen.“

,,Die Gottheit ist ganz Auge, Ohr und Sinn; sie herrscht auch nicht über andere Götter; denn sie genügt sich selbst und bedarf keiner fremden Dienste. Niemanden gibt es und wird es geben, der klar erfassen könnte, was ich über die Götter und über das All rede; sagte er es auch noch so genau, so wüßte er selbst es doch nicht; denn der Schein ist über alles gebreitet."

Parmenides stellt in aller Schärfe der Welt der sinnlich wahrgenommenen Erscheinungen das reine Sein als eine sich nie ändernde Einheit gegenüber.

1) Vgl. den Anfang des Johannesevangeliums: „Im Anfang war der Logos (das Wort')".

« ก่อนหน้าดำเนินการต่อ
 »