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Untersuchung und Begrenzung des menschlichen Erkenntnißvermögens, deren Grundzüge Kant bereits 1766 in der geistvollen Schrift über die Träume eines Geisterschers angedeutet und vorgezeichnet hatte. Es war der Todesstoß der eitlen Glaubensund Gefühlsphilosophie, die dem Forschen und Denken die Träume und Phantasien des Herzens unterschob. Und für die nächste Zeit noch unmittelbarer griff die Kant'sche Sittenlehre ein. Man pflegt meist zu erzählen, Kant habe gar keinen Antheil an den Bewegungen der gleichzeitigen deutschen Dichtung genommen; die geschichtliche Wahrheit ist, daß seine Sittenlehre ganz ausdrücklich gegen deren Thorheit und Krankheit gerichtet war. Es geht gegen die Ueberstürzungen der Sturm- und Drangperiode, wenn Kant in der Kritik der Urtheilskraft (Rosenkranz, Bd. 4, S. 180) fagt: »Da die Originalitåt des Talents ein wesentliches Stück vom Charakter des Genies ausmacht, so glauben seichte Köpfe, daß sie nicht besser zeigen können, sie wåren aufblühende Genies, als wenn sie sich vom Schulzwange aller Regeln lossagen, und glauben, man paradire beffer auf einem kollerichten Pferde als auf einem Schulpferde«. Es geht gegen die Ueberstürzungen der Sturm- und Drangperiode, wenn es in der Kritik der praktischen Vernunft (Ebend. Bd. 8, S. 212) heißt, es sei Steigerung des Eigendünkels und eine windige überfliegende phantastische Denkungsart, wenn man sich nur immer mit der Gutartigkeit des Gemüths, das weder Sporn noch Zügel bedürfe und für welches gar nicht einmal ein Gebot nöthig sei, schmeichle und darüber seine Pflicht und Schuldigkeit vergesse; solche Gesinnung sei nicht Sittlichkeit, sondern nur eigenwillige Låndelei mit pathologischen Antrieben, und es komme darauf an, diese ihre Grenzen verkennende Eitelkeit und Eigenliebe zu den Schranken der Demuth, d. h. der Selbsterkenntniß zurückzuführen. Und unverkennbar geht es auf Werther, was ebenfalls in der Kritik der praktischen Vernunft (S. 304) gesagt

wird: »Leere Wünsche und Sehnsuchten nach unersteiglicher Vollkommenheit bringen nur Romanhelden hervor, die, indem sie sich auf ihr Gefühl für das überschwenglich Große viel zu gute thun, sich dafür von der Beobachtung der gemeinen und gangbaren Schuldigkeit, die alsdann ihnen nur unbedeutend klein scheint, freisprechen.« Daher der scharfe Gegensatz Kant's gegen die herrschende eudåmonistische Sittenlehre, die nur Wohlbehagen und Glückseligkeit kannte und sich in Wieland sogar bis zum leerften Epicuráismus verirrt hatte; daher sein scharfes Dringen auf das Sollen der Pflicht, auf das Handeln um des Gesetzes willen. Und ist es auch unbestreitbar, daß Kant, der völlig Leidenschaftslose, der bereits im hohen Alter Stehende, auch seinerseits nicht frei blieb von Einseitigkeit und Uebertreibung, so daß Schiller, der begeisterte Anhänger Kant's, grade gegen diese můrrische Möncherei und Entsagung tiefen und berechtigten Kampf führte, so war doch die Einwirkung Kant's auch nach der sittlichen Seite hin eine wahrhaft unermeßliche. Sokrates unter den Sophisten.

Und noch unmittelbarer und tiefgreifender wirkte das großartig fortschreitende Leben und Schaffen Goethe's und Schiller's, der beiden großen Dichterheroen.

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Je leidenschaftlicher und ungestümer das Jugendleben Goethe's von dem Kampf und Widerspruch zwischen dem überschwellenden Unendlichkeitsgefühl des heißblütigen Herzens und der undurchbrechbaren Enge der Wirklichkeit bewegt und durchglüht war, um so mehr wurde ihm die zunehmende Lebenserfahrung und der Eintritt in bedeutende Weltverhältnisse der Grund ernster Selbstprüfung und Selbstbesinnung. Die ersten Jahre in Weimar beginnen diese Entwicklung, die italienische Reise bringt sie zum Abschluß. Der dunkle Drang, den vollen und ganzen Menschen aus sich herauszubilden, begrenzte und vertiefte sich zu einer umfassenden Vielseitigkeit und Tiefe der Bildung, wie

kein anderer Mensch sie jemals erreicht hat, und zugleich zu einer sittlichen Maßbeschränkung und inneren Harmonie, zu einer Sophrosyne und Kalokagathie im schönen antiken Sinne des Wortes, die ihn, was die unverständige Menge auch sagen mag, zu einem der Größten und Weisesten aller Menschen, zu einem Urbild und Vorbild schönsten und reinsten Menschenseins macht. »Von der Gewalt, die alle Wesen bindet, befreit der Mensch sich, der sich überwindet«. Die Fortbildung und Versöhnung des Werther ist Tasso und Wilhelm Meister. Der willenskräftige und klar bewußte Künstler seines Lebens wird auf der heiteren und klaren Höhe seines sittlichen Ideals der Dichter der modernen Bildungskämpfe und, wie er sich gern selbst nennt, der Dichter der Herzensirrungen. Goethe kommt Shakespeare nicht gleich an fester Sicherheit und elementarer Kraft des dichterischen Gestaltens; aber an Tiefe und Weite des geistigen Gehalts, an Hoheit und Reinheit des Seelenlebens überragt er ihn, wie die neue deutsche Philosophie die Philosophie Bacon's überragt.

Aehnlich die Entwicklung Schiller's. Was für Goethe die bedeutende åußere Lebensstellung, die Anschauung der alten Kunst, die erziehende Kraft Italiens war, das wurde für Schiller das Studium der alten Dichter, besonders Homers und der Tragiker, das Studium der Geschichte, das Studium Kant's. Das Ergebniß war dieselbe innere Vertiefung und Begrenzung, dasselbe hohe und reine Menschheitsideal.

Daher fortan das tiefe und innige, in der gesammten Geschichte beispiellose Freundschaftsbündniß Beider. Es war der Gewinn und der Ausdruck der innigsten Gesinnungseinheit und Strebensgemeinschaft.

Es giebt eine bedeutungsvolle Sage des Alterthums, daß die wilden Titanen gestürzt wurden und den heiteren Göttern des Lichtes und der Ordnung weichen mußten. Die jungen

Dichtertitanen hatten diesen schweren Kampf in sich selbst durchgekämpft. Die Besiegten waren zugleich die Sieger.

Goethe und Schiller sind nicht blos die dichterischen Befreier der Deutschen, sondern weit mehr noch die sittlichen. Die Ueberwindung der Sturm- und Drangperiode war die Zügelung der entfesselten dunklen Gemüthsmächte zu freier Selbstbeherrschung, der Uebergang von der Sophistik zur Sophrosyne, von der Freigeisterei der Leidenschaft zur versöhnten und in sich befriedigten Besonnenheit. Indem diese Dichter sich selbst erzogen, haben sie die Menschheit erzogen. Und ist vielleicht, wie es Menschenschicksal ist, die eigene Persönlichkeit zuweilen hinter diesem höchsten Ziel zurückgeblieben, der Begriff des reinen und freien Menschenthums war wiedererobert. Die Natur, welche Rousseau und die jungen Stürmer und Drånger so nachdrücklich gewollt und erstrebt hatten, ist gerettet; aber nicht die rohe und ungebårdig selbstsüchtige, sondern die geläuterte, die mit Freiheit sich selbst be= herrschende, die mit den Gesehen und Forderungen der sittlichen Vernunft übereinstimmende. Die Einseitigkeit des Zeitalters der Aufklärung und die Einseitigkeit der Sturm- und Drangperiode find in einer höheren gemeinsamen Einheit versöhnt.

Es war die Eroberung des hehren Ideals vollendeter Bildungsharmonie, oder, wie die Schulsprache sagt, des Ideals vollendeter und reiner Humanitåt. Nach jahrhundertelanger willkürlicher Selbstentfremdung hatte sich der Mensch endlich selbst wiedergefunden.

Aber das Verhängnißvolle war, daß mit dieser stetig fort= schreitenden inneren Bildung die äußere Gestaltung der Dinge nicht Schritt hielt. Im schneidenden Gegensatz zu diesem hohen und reinen Menschheitsideal blieb die Außenwelt nach wie vor eine idealitåtslose, kleinliche und philisterhafte, schwunglose, oft fogar unvernünftige. Und die Einwirkungen der französischen Revolution waren nur eine Verschlechterung der Zustände. Es

rächte sich, daß die deutschen Aufklärungskämpfe nicht, wie die englischen und französischen, zugleich politische, sondern nur einseitig religiöse und sittliche gewesen. Selbst die Besten und Größten, nicht blos Goethe, sondern auch Schiller, fühlten sich zurückgeschreckt. Die politische Reaction wurde immer mächtiger und mächtiger. Nur allzu treffend sagte Madame Staël in dem geistvollen Buch über Deutschland (Thl. 3, Kap. 11), in ihrem Privatleben seien die Deutschen von erstaunlicher Tüchtigkeit und Gewissenhaftigkeit; ihre Schmiegsamkeit gegen die öffentliche Gewalt aber mache einen um so peinlicheren Eindruck, da doch ihre ganze Philosophie und Bildung auf die Vertheidigung und Pflege der unverbrüchlichen Menschenwürde gehe. Was naturnothwendig sich in innigster Einheit und Wechselwirkung durchdringen und bedingen, was einander heben und tragen soll, Theorie und Praxis, die Idee reiner und schöner Menschlichkeit und das staatliche und gesellschaftliche Dasein derselben, stand sich fremd gegenüber, war durch eine jåhe unüberbrückbare Kluft getrennt.

„Ach, noch leben die Sänger, nur fehlen die Thaten, die Lyra
Freudig zu wecken.“

Niemand hat diesen tragischen Widerspruch tiefer empfunden und tiefer und mannichfaltiger ausgesprochen als Schiller. Die Kleinen und Zurückgebliebenen verfielen der schlechten Wirklichkeit; ihre Kunstschöpfung blieb eine roh naturalistische. Die Besten und Höchsten setzten ihr ganzes Denken und Empfinden und ihre ganze sittliche Kraft daran, der sie umgebenden ungünstigen und formlosen Natur zum Trot sich nichtsdestoweniger den tiefsten geistigen Gehalt und die schönste künstlerische Form zu gewinnen.

Die gesammte Entwicklung unserer großen Literaturepoche ist durch diesen Widerspruch des neugewonnenen Menschheitsideals und der widerstrebenden Wirklichkeit bedingt.

Hier einzig und allein liegt der Grund, warum Goethe Hettuer, Literaturgeschichte. III. 3. 1.

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