ภาพหน้าหนังสือ
PDF
ePub

bezeugt sattsam, daß sie zwar Leffing's Dramaturgie zur Vorausseßung hatte, zugleich aber deren schöpferische Fortbildung war. Lessing hatte seinem nächsten Zweck gemäß vorzugsweise die tief innere Verwandtschaft Shakespeare's mit den Alten hervorgehoben; Corneille komme ihnen freilich in der mechanischen Einrichtung, Shakespeare aber, so sonderbare und ihm eigene Wege er wähle, im Wesentlichen nåher. Weil Leffing die antike Tragödie und die Tragödie Shakespeare's in gleichem Abstand von dem Zopf des französischen Classicismus erblickte, so meinte er Sophokles und Shakespeare in der That unter sich selbst gleich und übereinstimmend; wir wissen aus der Geschichte seines Bildungsganges, wie seine ersten eingehenden Sophokles- und Shakespearestudien genau in dieselbe Zeit fallen. Herder dagegen betonte auf's schårfste den tiefen, durch die Verschiedenheit des Volksnaturells und des Zeitalters bedingten geschichtlichen Gegensaß. Aus den von Grund aus verschiedenartigen Ursprüngen des griechischen und des nordischen Theaters suchte er (S. 273) zu erweisen, daß Sophokles' Drama und Shakespeare's Drama zwei Dinge feien, die in gewissem Betracht kaum den Namen gemein haben. Die griechische Tragödie sei gleichsam nur aus Einem Auftritt, aus dem Impromptu der Dithyramben, des mimischen Tanzes, des Chors, entstanden; dieser habe allmålich Zuwachs und Umschmelzung bekommen; aus solchem Ursprung habe sich das griechische Trauerspiel zu seiner Größe emporgeschwungen und sei Meisterstück des menschlichen Geistes, Gipfel der Dichtkunst geworden. Jene Simplicitât der griechischen Fabel, jene Nüchternheit griechischer Sitten, jenes Kothurnmäßige des Ausdrucks, die Musik, die Gestalt der Bühne, die Einheit des Orts und der Zeit, welche die eigensten. Merkmale der griechischen Tragik feien, liege daher ganz ohne Kunst und Zauberei natürlich und wesentlich im Ursprung der griechischen Tragik selbst; diese Eigenheiten seien die Schlaube, in welcher die Frucht gewachsen. Wie ganz anders, fährt Herder

fort, war der Ursprung des englischen Dramas! Shakespeare (S. 285) fand keinen griechischen Chor vor, sondern Staatsund Marionettenspiele; er bildete also aus diesen Staats- und Marionettenspielen, dem so schlichten Lehm', das herrliche Geschöpf, das da vor uns stehet und lebt. Er fand keinen so einfachen Volks- und Vaterlandscharakter, sondern ein Vielfaches von Stånden, Lebensarten, Gesinnungen, Völkern und Spracharten; er dichtete also Stände und Menschen, Völker und Spracharten, Könige und Narren. Er fand keinen so einfachen Geist der Geschichte, der Fabel, der Handlung; er nahm die Geschichte, wie er sie fand, er sehte mit Schöpfergeist das Verschiedenartigste zusammen. Und hatte Shakespeare den Göttergriff, eine ganze Welt der disparatesten Auftritte zu einer Begebenheit zu erfassen, so gehörte es natürlich zur Wahrheit seiner Begebenheiten, auch Ort und Zeit jedeŝmal zu individualisiren, daß sie mit zur Tâuschung beitrugen. »Nimm dem Menschen Ort, Zeit und individuelle Bestandheit und Du hast ihm Odem und Seele genommen!<«< Die antike und moderne, oder wie Herder in seiner, spåter auch von Jean Paul beibehaltenen Sprechweise zu sagen pflegte, die griechische und die nordische Tragödie mußten verschieden sein, weil die Entwicklungsbedingungen, aus welchen eine jede hervorging, so durchaus verschieden waren.

Betrachten wir den nächsten Thatbestand, so hatte Herder wohl nur die Absicht, hauptsächlich gegen Diejenigen Einspruch zu erheben, welche troß ihrer Verehrung Shakespeare's noch immer an seiner Verletzung der sogenannten drei Einheiten Anstoß nahmen; wenigstens hat Herder Diese vor Augen, wenn er am Eingang seiner Betrachtungen (S. 272) klagt, daß selbst die kühnsten Freunde Shakespeare's sich meist nur begnügten, ihn zu entschuldigen und zu retten, seine Schönheiten nur immer gegen seine vermeintlichen Verstöße zu wågen und ihn desto mehr zu vergöttern, je mehr sie über Fehler die Achseln ziehen müßten.

Gleichwohl hat Herder aus dieser scharfen Gegenüberstellung der Entwicklungsbedingungen antiker und moderner Tragik zugleich eine Reihe anderer Folgerungen gezogen, welche über die Auffafsungsweise Lessing's hinaus ein sehr bedeutender Fortschritt waren. Obwohl auch Herder noch ebensowenig wie Lessing sich zum Bewußtsein gebracht hatte, daß der eigenste und tiefste Unterschied der antiken und modernen Tragödie vor Allem in dem tiefgreifenden Gegensatz liege, daß die moderne Tragödie mit ihrem gesteigerten und verinnerlichten Freiheitsgefühl die Katastrophe, den Untergang des Helden, nicht wie die antike Tragödie aus einem außeren unentrinnbaren Götterverhängniß, sondern vielmehr aus der verantwortlichen tragischen Schuld des Handelnden selbst ableite, so war doch Herder in der That der Erste, welcher, mehr als es Lessing jemals vermocht hätte, die Größe und Eigenthümlichkeit Shakespeare's auf ihre geschichtlichen Grundlagen zurückführte und ihn rein aus sich selbst erklärte. Nimmt es Wunder, daß Leffing niemals irgendeine Tragödie Shakespeare's einer genaueren Zergliederung unterworfen hat, wie er in seiner Jugend doch selbst mittelmäßige Trauerspiele der römischen Kaiserzeit im Einzelnen betrachtet und zergliedert hatte, so ist es eine sehr bedeutsame Thatsache, daß uns in dieser kleinen Abhandlung Herder's solche Bergliederungen in reichster Fülle entgegentreten; noch jezt wird Niemand Herder's Worte über Lear, Othello, Macbeth und Hamlet ohne die innigste Befriedigung lesen. Und glaubte Lessing, wie Philotas und besonders einzelne seiner unausgeführten dramatischen Entwürfe (Lachm., Bd. 2, S. 515, Bd. 11, S. 390) beweisen, Sophokles noch ganz unmittelbar nachahmen und für die moderne Bühne nußbar machen zu können, so predigte Herder in jeder Zeile, daß einzig und allein in Shakespeare das maßgebende Muster des modernen Dramatikers liege, und daß jede einseitige Anlehnung an die Antike ihn von dem einzig möglichen Wege ablenken müsse. Dabei ist freilich

nicht zu übersehen, daß andererseits diese Abhandlung Herder's an einer Schwäche krankte, welche von Lessing's genialem Kunstverstand långst überwunden war. Herder hatte keine Einsicht in die unverbrüchlichen Stilunterschiede des Epischen und des Dramatischen. Uneingedenk der unumstößlichen Lessing'schen Lehre, daß das Drama nicht dialogisirte Geschichte sei, ließ sich Herder durch die aus Shakespeare's Jugendzeit stammenden Dramen aus der englischen Geschichte, welche noch in der episirenden Unreife seiner nächsten Vorgänger befangen sind und daher zu der vollen dramatischen Geschlossenheit der spåteren Meisterwerke in entschiedenem Gegensatz stehen, leider verlocken, das Wesen der dramatischen Handlung wieder mit dem Wesen der epischen Bez gebenheit, oder, wie wir vielleicht bezeichnender sagen können, die Einheit der Handlung wieder mit der Einheit der Person zu verwechseln. Das Drama war ihm (S. 301) lediglich Historie, Helden und Staatsaction, ein Größe habendes Ereigniß. Eine Verirrung, die für das deutsche Drama der Sturm- und Drangperiode und für das Drama der Romantiker von den verhängnißvollsten Folgen wurde.

Und diese großartigen geschichtlichen Anschauungen und Studien Herder's waren der Boden, aus welchem seine kritischen Schriften erwuchsen.

Herder's Kritik ist lediglich die werkthätige Anwendung der leitenden Grundsåße, welche er sich aus seiner neuen und eigenthümlichen Betrachtung der Geschichte der Dichtung gezogen hatte.

So fühlbar die Kritik Herder's an fester Einsicht in die künstlerischen Formgesehe hinter Lessing zurücksteht, so ist doch auch sie, sowohl in ihrem Verhalten zu den dichterischen Bestrebungen der nächsten Gegenwart wie in der Feststellung der zu erstrebenden Ziele, eine im höchsten Sinn schöpferische. Wer so tief und innig wie Herder von dem unauflöslichen Zusammenhang

der Dichtung mit dem eigensten Leben und Weben des schaffenden Zeit- und Volksgemüths erfüllt und durchdrungen war, der mußte in dem großen Kampf für eine volksthümlich deutsche Kunst, welchen Lessing soeben zum glänzenden Sieg führte, auch seinerseits ein gewaltiger, den Feind von ganz neuen Angriffsstellungen bekämpfender Mitkämpfer und Vorkämpfer sein. Und wer so innig wie Herder von dem Zauber und dem inneren Gehalt ursprünglicher Volksdichtung und von dem tiefen Gegensatz derselben zu der gelehrten Kunstdichtung erfüllt und durchdrungen war, der mußte auch die lesten Schranken der vorwaltenden Reflerionsdichtung, welche Leffing niemals durchbrochen hatte, von Grund aus durchbrechen.

Ist zu sagen, daß die Abwendung von den Franzosen zu den stammverwandten Engländern, welche seit den berühmten Streitigkeiten zwischen Gottsched und den Schweizer Kritikern Bodmer und Breitinger die gesammte deutsche Literaturbewegung unablässig bedingt und beschäftigt hatte, in ihrem geschichtlichen Ursprung und Wachsthum wesentlich die Auflehnung des erstarkten germanischen Volksnaturells gegen die erdrückende Uebermacht der romanischen Formenwelt war, so war es eine sehr wirksame Ergänzung dieser Bestrebungen, wenn Herder auf die Wurzel dieser romanischen Renaissancekunst selbst, d. h. auf die Frage nach dem Recht und der Grenze der Nachahmung der Alten zurückgriff.

Die ersten Anregungen dieser Richtung hatte Herder von Young und Klopstock überkommen; es ist ganz im Ton der bardischen Epoche Klopstock's, wenn Herder in seiner Abhandlung über die Ode (Lebensbild, Bd. 1, 3, a. S. 69) die deutschen Dichter von der Ceder Libanons, von dem Weinstock Griechenlands und dem Lorbeer Roms zu den Holzapfeln ihrer eigenen heiligen Wålder, oder, wie Herder ausdrücklich (S. 74) hinzuseht, neben Shakespeare's Schriften zur nordischen Edda und zu

« ก่อนหน้าดำเนินการต่อ
 »